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Anknüpfend an die oben skizzierte Bedeutungsvielfalt umfasst der Begriff der (literarischen) Performanz einen Gegenstandsbereich, der sowohl theoretische Konzepte beinhaltet als auch fachdidaktische Zugänge erlaubt. Im Folgenden werden der kulturwissenschaftliche performative turn skizziert sowie der aktuelle Fachdiskurs aus dem Bereich der Literaturwissenschaft abgebildet. Für einen Einblick in die Performanzforschung unterschiedlichster Fachrichtungen sei hier auf die Ergebnisse des von 1999 bis 2010 durch die DFG geförderten Sonderforschungsbereichs 447 "Kulturen des Performativen" verwiesen: http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/sfb-kulturen-des-performativen/index.html.   

Im Anschluss an einige systematische wie historische Betrachtungen, die u. a. die Verbindung des Performativen mit dem Medialen veranschaulichen, wird abschließend die neuerdings auch im erziehungswissenschaftlichen, medienpädagogischen und literaturdidaktischen Diskurs erkannte Relevanz des Performanzkonzepts aufgezeigt.

Forschungsgeschichte

Als einen von verschiedenen, die neueren Kultur- und Sozialwissenschaften prägenden Paradigmenwechsel (turns) beschreibt Doris Bachmann-Medick den performative turn im Kern als Abwendung vom Leitbegriff der Struktur hin zum Prozess (Bachmann-Medick 2006, S. 104). Damit rückten die im Zuge der textlastigen Perspektive des interpretative turn vorläufig in den Hintergrund getretenen Dimensionen wie 'Materialität', 'Kulturdynamik', 'Körperlichkeit' wieder in den Fokus (ebd., S. 38).

Für die Kulturwissenschaften bedeutet dieser neuerliche Paradigmenwechsel die Verschiebung von der produktorientierten hin zur handlungsorientierten Betrachtung (Martschukat/Patzold 2003, S. 2). Das Hauptinteresse gehört Praktiken der "Herstellung kultureller Bedeutungen" (Bachmann-Medick 2006, S. 104). Am Beispiel der Theaterwissenschaft lässt sich dies anhand der Unterscheidung zwischen der referentiellen und performativen Dimension eines Stücks verdeutlichen: Die referentielle Dimension eines Stücks besteht im Bezug auf den ihm zugrunde liegenden Dramentext, der gleichzeitig auch im Hinblick auf die Bedeutungskonstitution als dominant angesehen wird. Die performative Dimension hingegen betont den Aufführungscharakter der theatralen Inszenierung, deren Bedeutung jeweils neu entsteht (Martschukat/Patzold 2003, S. 6). Doch auch abseits der 'klassischen' Aufführungsmodelle wie dem des Theaters rücken eine Vielzahl verschiedener kultureller Inszenierungspraktiken aus den Bereichen Kunst, Politik, Religion, Sprache etc. in den Blick. Die Formel "Kultur als Text" wird damit gleichsam von der Rede über "Kultur als Inszenierung" (Fischer Lichte 2004, S.7) abgelöst – ohne dabei jedoch den Textbegriff vollkommen hinter sich zu lassen.

Vielmehr ist in der kulturwissenschaftlichen Ausweitung des Textbegriffs ("Kultur als Text") bereits angebahnt, was im performative turn zum Ausdruck kommt. Phänomene wie Poetry Slam, Spoken Word und andere Formen zur (theatralen) Aufführung gebrachter oder inszenierter Texte lassen sich als grundsätzlich performativ beschreiben und unter dem Forschungsparadigma der Performativität betrachten. Aufgrund ihres als semi-oral zu charakterisierenden Untersuchungsgegenstands zeigt insbesondere die Mediävistik bereits früh Interesse an Ritualen, Inszenierungen und anderen performativen Praktiken (z.B. Kuhn 1967). Vormoderne Texte sind Produkte einer an sich performativen Kultur, "die durch Aspekte wie Körperlichkeit, Mouvance, Ritualität, symbolische Kommunikation, Partizipation, Plurimedialität gekennzeichnet ist" (Herberichs/Kiening 2008, S. 12). Dabei steht einerseits das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit im Zentrum des Interesses, andererseits das spezifisch Performative der mittelalterlichen Kultur. Für diese zweite Stoßrichtung bildet insbesondere die ethnologische Ritualanalyse (z.B. Turner 1989) den theoretischen Bezugsrahmen. Im Hinblick auf die Oralitätsforschung ist es zunächst Peter Zumthor, der den Begriff der Performance für die Beschreibung der zur Aufführung gebrachten Texte und damit verbundener Aspekte wie "Wörter und Sätze, Klänge, Rhythmen, visuelle Elemente" (Zumthor 1994, S. 35) prägt. Zunehmend werden außerdem Fragen der Körperlichkeit, der Multimedialität und andere Spuren der kulturellen Bedeutungskonstruktion, wie etwa das Handeln durch Sprache untersucht (Velten 2002). Im Beispiel des Minnesangs kulminieren all diese Aspekte: Sowohl die Frage nach dem medialen Status des Textes (schriftliche Fixierung – mündliche Aufführung – audiovisuelle Rezeption), als auch die Spannung zwischen quasiritueller Rolleninszenierung des lyrischen Ichs und authentischer 'verkörperter' Selbstaussage machen den Minnesang zu einem ergiebigen Gegenstand der Performativitätsforschung, wie etwa Mireille Schnyder (2008) zeigt.

Auch im Hinblick auf die Literatur der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sind die Begriffe 'Performativität' und 'Performanz' relevant, wobei hier das Performative als spezifische Qualität literarischer Texte einerseits (i. S. von Selbstreferenzialität) und andererseits "Texte in Performanz" (Sasse 2002, S. 252) bzw. "verkörperte Texte" (Fischer-Lichte 2012, S. 135) im Zentrum stehen. Der Performanzbegriff dient hier also zur Beschreibung literarischer Strategien und Phänomene aus den Bereichen Mündlichkeit/Schriftlichkeit, Verkörperung, Aufführung und Inszenierung, Hervorbringung und Autoreferentialität. Exemplarisch verwiesen sei hier auf Jaeger/Willer (2000), die Arbeit der AG Gegenwartsliteratur: https://www.germanistik.uni-bonn.de/forschung/ag-gegenwartsliteratur sowie Sylvia Sasses Überblicksartikel aus Perspektive der neueren Literaturwissenschaft, der eine performative Lesart von Kafkas Das Urteil vorstellt (Sasse 2002).

Für die Untersuchung moderner literarischer Texte spielt zudem die Verbindung von Textualität, Literarizität und Medialität eine wesentliche Rolle und umgekehrt entdeckt gerade auch die Medienwissenschaft 'Performanz' als theoretischen Zugang, was Titel wie z.B. Medienrituale (Fahlenbrach/Brück/Bartsch 2008) zeigen. Es war hier zunächst v. a. Sibylle Krämer, die eine stark an medientheoretischen Überlegungen ausgerichtete Schärfung des performativen Ansatzes verfolgte und dabei die Aspekte der Ereignishaftigkeit, Iterabilität und Verkörperung ins Zentrum stellte (Krämer 2002). Darüber hinaus kann das Lesen bzw. die Rezeption literarischer Texte selbst als performativer Akt verstanden werden, wie die Theaterwissenschaftlerin Fischer-Lichte unter Rückgriff auf rezeptionstheoretische Vorannahmen festhält: Sie deutet den Akt des Lesens als mehrfach verkörperte Handlung der Wahrnehmung, insofern die Leserin bzw. der Leser den Text einerseits inkorporiert, andererseits gleichsam in ihn eintaucht und so selbst in eine quasi-liminale Situation gerät (Fischer-Lichte 2012, S. 138). Daneben wird zwischen verschiedenen Arten der strukturellen Performanz literarischer Texte unterschieden, etwa wenn Körperlichkeit, Mündlichkeit oder (Ko-)Präsenz literarisch simuliert werden (ebd., S. 140f.). Ob das Konzept einer dahingegen funktionalen – d.h. auf die Wirkung eines Textes ausgerichteten – Performanz für literarische Texte tragfähig ist, wird z. B. von Klaus Hempfer in Frage gestellt (Hempfer 2018, S. 140ff.).

Besonderheiten im Kontext der Literatur- und Mediendidaktik

Im Zuge dieser jüngsten Entwicklungen wird das Konzept der Performanz nun auch für die Erziehungswissenschaft sowie die Literatur- und Mediendidaktik anschlussfähig. Der Begriff der performativen Pädagogik (Koch 1999) weist darauf hin, dass der erziehungswissenschaftliche Diskurs in weiten Teilen selbst performativ ist, insofern er eben nicht nur beschreibt und untersucht, sondern seinen Gegenstand gleichsam selbst erzeugt. Pädagogische Handlungen und Äußerungen schaffen allererst Erziehungswirklichkeit und damit die Grundlage der Disziplin. Damit besteht auch immer die Gefahr, mit den eigenen Aussagen reproduktiv wirksam zu werden. Diese Erkenntnis stellt gerade für die empirisch orientierte Erziehungswissenschaft eine Herausforderung dar, rücken doch mit dem Paradigma der Performativität Prozesse der körperlichen und sprachlichen Interaktion, Darstellung und Vollzugspraktiken sowie Fragen der Macht und Materialität in Erziehungskontexten in den Fokus – Bereiche also, die bislang empirisch nur wenig untersucht wurden (Wulf/Zirfas 2017, S. 9f.). Die verschiedenen Ansätze aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive lassen sich wie folgt zusammenfassen: "1. Der Ereignischarakter von Bildungsereignissen. 2. Die institutionelle Rahmung von Bildungsprozessen. 3. Jugend als liminaler Raum ritualisierter Übergänge. 4. Mediale Welten des Spielens" (Hoffahrt 2009, S. 25).

Und auch für den Bereich der Medienpädagogik lässt sich das Konzept der Performativität fruchtbar machen: Wird davon ausgegangen, dass die Vermittlung eines kritischen Umgangs mit Medien ein Aspekt von Medienkompetenz und damit eine zentrale medienpädagogische Aufgabe sei, erlaubt es das performative Paradigma, mediale Mechanismen der Markierung und Herstellung von Differenz und damit letztlich auch der Konstruktion von Macht offenzulegen (Hoffahrt 2009, S. 29f.). Eine so verstandene performative Medienpädagogik ist damit Basis für eine kritische Rezeptionshaltung gerade auch im Hinblick auf Produkte der Populärkultur und regt so zum "Neu-, Wieder- und Überdenken der Beziehung zwischen Kultur, Macht und ihren pädagogischen und politischen Kräften" (ebd., S. 238) an.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die Bedeutung des Performanzkonzepts für den Bereich der kulturellen Bildung. Malte Pfeiffer weist darauf hin, dass sich die Erweiterung des Bildungsbegriffs unter dem Paradigma des Performativen auch auf den Bereich der ästhetischen Bildung auswirkt und greift damit auf Erkenntnisse aus dem oben skizzierten Bereich der performativen Pädagogik zurück (Pfeiffer 2012). Betont wird hierbei das ergänzende Verhältnis von kognitiver Reflexion und sinnlichem Erleben, das den Primat der Vernunft im Bereich des kulturellen Lernens zunehmend infrage stellt. Um nochmals auf das Beispiel des Theaters zurückzugreifen: Neben der kognitiven Herangehensweise, die den Zugang über eine Analyse des Dramentexts und möglicherweise dramentheoretisches Hintergrundwissen wählt, tritt gleichberechtigt das Erleben der Aufführung und/oder theaterpädagogische Interventionen. In letzter Konsequenz beinhaltet Bildung nach diesem Verständnis immer auch das eigene performative Handeln (ebd.). Ähnlich wie im oben skizzierten medienpädagogische Ansatz, wird auch hier auf das gleichsam subversiv-kritische Potential des performativen Paradigmas hingewiesen, wenn kulturelle Praktiken im Sinne Butlers als performative "Akte des Widerstands" (Butler 2006, S. 266) verstanden werden.

Schließlich sei noch auf die Rezeption des performativen Paradigmas innerhalb der Literaturdidaktik eingegangen. Ausgehend von der Feststellung, dass bislang kein nennenswerter wissenschaftlicher Diskurs über – aus der Perspektive der Literaturvermittlung – gelungene Lesungen und ähnliche Formate stattfindet, wendet Lena Dircks das Performativitätsparadigma auf literarische Lesungen an (Dircks 2016). Verstanden als potentes Instrument der literarischen Sozialisation bieten literarische Live-Ereignisse eine spezifische Möglichkeit der kulturellen Teilhabe. Dies setzt jedoch eine besondere Sorgfalt auf verschiedenen Ebenen und Phasen der Durchführung voraus, wie Dircks im Rückgriff auf die von Erika Fischer-Lichte formulierte 'Ästhetik des Performativen' herausarbeitet und so Gelingensbedingungen 'guter' Lesungen im Sinn performativer Ereignisse nachspürt.

Der Sammelband Kulturen des Inszenierens (Abraham/Brendel-Perpina 2017) und das Themenheft Kultur des Performativen der Zeitschrift ide (Hudelist/Krammer 2017) zeigen die vielfältigen Perspektiven einer performativen Deutschdidaktik, die sowohl den theoretischen Grundlagen als auch der Wirksamkeit von Ausführung (Sprache) und Aufführung (Körper), von Text und Material in der konkreten Umsetzung Rechnung trägt. Beiträge aus den Bereichen der Sprach- und Schreibdidaktik, Theaterpädagogik, des handlungs- und produktionsorientierten, intermedialen oder gendersensiblen Literaturunterrichts zeigen anhand praxisnaher Beispiele, wie der performanztheoretische Ansatz neue Perspektiven auf die Gegenstände des Deutschunterrichts erlaubt, deren gemeinsamer Nenner in der Annahme besteht, dass (sprachliches) Handeln immer auch Bedeutung und Wirklichkeit hervorbringt.

Einen anderes, weil spezifischeres, Begriffsverständnis von 'Performanz' liegt dem Bochumer Modell des literarischen Verstehens zugrunde. 'Literarische Performanz' wird hier definiert "als die Manifestation des Verstehensprozesses in einer konkreten mündlichen, schriftlichen oder anders gearteten Äußerung" (Boelmann/Klossek 2016) und bildet einen von fünf Hauptaspekten des Modells ('Literarisches Verstehen', 'Literarisches Lernen', 'Literarische Bildung', 'Literarische Kompetenz' und 'Literarische Performanz'). Diese Verwendung des Performanzbegriffs greift damit auf die von Chomsky eingeführte und in der aktuellen Kompetenzdebatte übliche Unterscheidung von Kompetenz und Performanz zurück (Chomsky 1972). In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Performanzbegriff innerhalb der empirischen Kompetenzforschung weitgehend unberücksichtigt bleibt und wenn, dann lediglich als "Gleichwort für Tätigkeitsvollzug" (Erpenbeck 2002) Verwendung findet. Im Bochumer Modell, das die Lücke zwischen Praktikabilität und Messbarkeit schließen will, wird die literarische Performanz hingegen weiter gefasst und als "Produkt eines durch zahlreiche Einflussfaktoren bedingten Verarbeitungsprozesses von literarischen Gegenständen" (Boelmann/Klossek 2013, S. 46) verstanden, das sowohl Auskunft über individuelle Lesebiographien als auch Aufschluss über literarische Lernprozesse gibt und belastbare Daten für die Messung literarischer Kompetenz liefert. Erste Ergebnisse empirischer Erprobungen des Modells liegen bereits vor (Boelmann 2015; Klossek 2015).

Abschließend soll die Bedeutung des Begriffs für die Kinder- und Jugendmedien sowie ihre Didaktik anhand einer systematischen Zusammenfassung sowie an einigen Beispielen veranschaulicht werden: Als theoretisch-konzeptionelles Instrument (1) ermöglicht der Performanzbegriff in den Erziehungswissenschaften, der Literaturdidaktik sowie der Medienpädagogik einen selbstreflexiven Zugriff auf die eigenen Strukturen, Gegenstände und Methoden.

Die Schnittstelle zwischen Medienpädagogik und kultureller Bildung liegt in der Fruchtbarmachung des gleichsam subversiven Potentials (2) der Performativität. So lassen sich durch eine performanztheoretische Analyse (mediale) Mechanismen und Praktiken der Erzeugung sozialer – und damit normativer – Bedeutung aufzeigen, die in bei Jugendlichen beliebten Casting-Formaten wie Germany’s Next Top Model, Deutschland sucht den Superstar etc. wirksam werden. Diese Medienereignisse besitzen große Relevanz in der Lebenswirklichkeit der Heranwachsenden und nehmen damit Einfluss auf ihre Identitätsbildung (vgl. Götz/Gather 2010). Die Frage, wie neben Geschlecht und Körpervorstellungen hier ganz allgemein Identität performativ erzeugt und vermittelt wird, rückt somit in den Fokus der Medienbildung und -didaktik. Für eine inklusiv oder intersektional ausgerichtete Literaturdidaktik ergeben sich Anschlussfragen, etwa danach, wie Behinderung, Migration, sexuelle Orientierung und Identität sowie weitere Heterogenitätskategorien in Texten der Kinder- und Jugendliteratur verhandelt werden. Aktuelle Beispiele zeigen, dass diese Aspekte in den letzten Jahren verstärkt zum Gegenstand der literarischen Auseinandersetzung werden. So greifen die Jugendromane Tschick (Wolfgang Herrndorf) und Räuberhände (Finn-Ole Heinrich) die Themen Homosexualität, Migration und soziale Zugehörigkeit auf; Andreas Steinhöfels Protagonist Rico verkörpert eine literarische Figur mit (geistiger) Behinderung und Texte wie Letztendlich sind wir dem Universum egal (David Levithan; engl.: Every Day) oder Boy2Girl (Terence Blaker) verhandeln Fragen nach Rollenbildern, sexueller Identität und Orientierung. Den Themen ist gemeinsam, dass die jeweiligen Diversitätsmarker performativ erzeugt bzw. verstärkt werden und ein performanztheoretischer Zugang die entsprechenden Mechanismen offenzulegen vermag. Konkrete didaktische Konzepte wie '(Un)Doing Gender als Unterrichtsprinzip' (Bidwell-Steiner/Krammer 2010) leiten sich dabei aus den theoretisch-konzeptionellen Grundlagen ab – hier aus Butlers (1991) Überlegungen zur Konstruktion des Geschlechts durch performative Wiederholung.

Den Aufführungs- und Inszenierungsaspekt (3) – und damit Performanzphänomene im engsten Sinn –nehmen letztlich Ansätze der kulturellen Bildung sowie der Literaturdidaktik in den Blick, wenn sie das sinnliche Erleben oder die Rolle des Erzählens und Vorlesens für die literarische Sozialisation betonen. Dieser Aspekt ermöglicht sowohl den historisch orientierten Zugang zur Tradition der Oral Poetry bis zu den Anfängen der deutschsprachigen Literatur im Frühen und Hohen Mittelalter – etwa anhand der performativen Magie von Zaubersprüchen oder dem Nachvollzug von Vortragssituationen am Beispiel des Minensangs – von wo sich der Bogen zur Lautpoesie des 20. Jahrhunderts oder zeitgenössischen Inszenierungsformaten wie Poetry Slam schlagen lässt. Mündlicher Vortrag, (theatrale) Aufführung, Vor- und Lautlesen als performativ-literarische Praktiken bieten so wertvolle Möglichkeiten kultureller Teilhabe (rezeptiv wie produktiv) und Alternativen zum kognitiv-analytischen Zugriff auf literarische Texte.

Ein Blick in laufende Debatten der Literatur- und Mediendidaktik zeigt die Relevanz aller genannten Aspekte im aktuellen Fachdiskurs; exemplarisch sei nochmals auf Abraham/Brendel-Perpina (2017) sowie Hudelist/Krammer (2017) verwiesen. Beide Publikationen machen die vielfältigen Perspektiven einer performativen Literatur-, Sprach- und Mediendidaktik sichtbar, die nicht nur die unterschiedlichen Praxen des Aus- und Aufführens, sondern eben auch soziale Handlungen und damit letztlich ihr eigenes Tun in dem Blick nimmt.

Literaturverzeichnis

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