Inhalt

Beide Filme beruhen auf dem gleichnamigen, 1976 erschienenen Kinderbuch des Autors Max von der Grün, und spielen in Dortmund. Die Vorstadtkrokodile sind eine Kinderbande. Ihr Erkennungszeichen ist in der Fassung von 1977 ein Aufnäher für Hosen in Krokodilform und im Film von 2009 eine Kette mit Krokodilanhänger. Wer Mitglied der Bande werden will, muss eine Mutprobe bestehen.

Beide Filme beginnen mit genau einer solchen Mutprobe. Der zehnjährige Hannes muss das Dach der alten Ziegelei hinaufklettern und gerät dabei in eine lebensbedrohliche Situation. Im ersten Film wird Hannes dadurch gerettet, dass Maria, ein Bandenmitglied, die Polizei ruft. Im zweiten Film ist es allerdings so, dass der querschnittsgelähmte Kai die Situation aus der Ferne zufällig mit seinem Fernglas beobachtet und daraufhin die Feuerwehr alarmiert. So geraten die Krokodile in Kontakt mit Kai, den sie zunächst zwar aufgrund seiner Behinderung nicht in die Bande aufnehmen wollen, der dann aber später doch Mitglied wird, da er einen Einbruch in der Tankstelle beobachtet hat, in der Hannes‘ alleinerziehende Mutter arbeitet.

In der Adaption von Wolfgang Becker heißt der querschnittsgelähmte Junge, wie in der Literaturvorlage, Kurt. Hannes lernt ihn hier während seines Hausarrests, den er wegen der Mutprobe hat, kennen. Auch Kurt wird nur Mitglied, weil er einen Einbruch in der Nachbarschaft beobachtet hat.

In beiden Fällen versuchen die Krokodile die Einbrüche aufzuklären, geraten allerdings dabei in einen Zwiespalt, da sich herausstellt, dass einer der Einbrecher der ältere Bruder von Frank, einem Mitglied der Bande, ist. Dennoch klären sie die Fälle erfolgreich auf.

Kritik

Familie: Die Adaption von Becker spiegelt deutlich das klassische, patriarchische Familienmodell der 70er Jahre wider. Dies überrascht nicht, schließlich tritt das paritätische Ehemodell erst 1977 in Kraft, durch das Frauen überhaupt erst auch ohne die Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten gehen dürfen. Die Darstellung von Kurts Mutter bestätigt das in den 70er Jahren immer noch vorherrschende Bild der Frau als Hausfrau und Mutter: Sie ist sehr fürsorglich, vor allem hinsichtlich Kurts Gesundheit. Auch Kais Mutter in der 2009er Version ist fürsorglich, allerdings wird sie im Gegensatz zu Kurts Mutter ernsthaft in Diskussionen mit einbezogen. (1)

In der Neuadaption von Christian Ditter wird deutlich, dass die heutige Gesellschaft durch pluralistische Lebensformen und Lebensstile geprägt ist und alleinerziehende Elternteile, Patch-Work-Familien, homosexuelle Ehen und traditionelle Familienmodelle nebeneinander stehen. Im Film von 2009 steht quasi hinter jedem Bandenmitglied auch eine andere Familienform. So ist beispielsweise Hannes' Mutter alleinerziehend und Studentin. Dies bewirkt, dass Hannes schon im jungen Alter sehr selbstständig und fürsorglich gegenüber seiner Mutter ist. (2)

Interessant ist allerdings auch, dass die typische Tristesse einiger "Ruhrpottfamilien", bedingt durch Arbeitslosigkeit und dadurch teilweise auch vermehrten Alkoholkonsum, meist der Väter, in ihrer Darstellung eigentlich relativ gleichgeblieben ist, wie in einigen Szenen deutlich wird. (3)

Durch die Veränderungen der Familienformen haben sich also auch die Ängste und Pflichtgefühle geändert, wie z. B. bei Hannes. Diese Veränderungen bedeuten somit auch eine Veränderung der Darstellung von Kindheit vom ersten zum zweiten Film.

Gastarbeiter und Migration: Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Filmen ist die Thematisierung von Migranten und Gastarbeitern in den beiden Filmen. Im ersten Film gab es noch keine Bandenmitglieder mit Migrationshintergrund. Im neuen Film ist nun auch Jorgo aus Griechenland Mitglied der Krokodile.

Grund für die unterschiedlichen Darstellungen ist der sich unterscheidende Anteil der verschiedenen ethnischen Gruppen in Dortmund früher und heute. 1977 gab es sehr viele Gastarbeiter aus Italien in Dortmund. Denn 1955 schloss Deutschland einen Anwerbevertrag mit Italien ab. Nach Italien folgten zwar auch noch andere Länder, aber die Italiener bildeten mit Abstand die größte Gruppe. Das erklärt womöglich auch, wieso die Italiener das typische "Feindbild" in Beckers Film darstellen. 

In der Nachkriegswirtschaft sollen die Gastarbeiter vorübergehend den Arbeitskräftemangel in bestimmten Bereichen der Industrie ausgleichen. Gerade Dortmund und das gesamte Ruhrgebiet hatten einen enormen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Gab es 1950 nur ungefähr 6.000 ausländische Einwohner in Dortmund, die 0,6% der Bevölkerung ausmachten, so waren es 1970 schon 23.651 ausländische Einwohner - eine annähernde Vervierfachung. Dies lag daran, dass immer mehr Arbeitsmigranten dauerhaft blieben und die Regelung zum Familiennachzug in Anspruch nahmen. Über fünf Mio. Arbeitskräfte kamen so nach Deutschland, bis es 1973 den Anwerbestopp für Arbeitsmigranten gab. Die aus der Migration resultierenden sozialen Folgen wurden politisch größtenteils ausgeblendet und nicht wirklich thematisiert. (4)

Allerdings zeigen einige Reaktionen und Aktionen der Kinder, wie die Gastarbeiter und deren Kinder in der Gesellschaft thematisiert wurden. (5) Die Migranten werden jedoch auch im Film fragwürdig dargestellt, beispielsweise dann, wenn sie versuchen, das bereits gestohlene Gut aus dem Auto zu stehlen. (6)

In Ditters Filmadaption werden weniger die Gastarbeiter als solche, sondern Migranten im Allgemeinen thematisiert. In Dortmund haben derzeit 22,5% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus 160 verschiedenen Ländern. (7) Menschen mit griechischen Wurzeln bilden die größte Gruppe. Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass die Figur des Jorgo stellvertretend für Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund den Vorstadtkrokodilen hinzugefügt wurde. Dennoch werden auch in Ditters Film Migranten fragwürdig dargestellt: Zwar ist Jorgo sehr integriert, allerdings gibt es die Gruppe der Albaner, die auch nur als solche bezeichnet werden. Sie scheinen genau wie Italiener im ersten Film als Feindbild zu dienen.

Fazit

Anhand der Untersuchungsbereiche Familie und Migration lassen sich die unterschiedlichen Kindheitsdarstellungen in den beiden Vorstadtkrokodile-Filmen aufzeigen. Ein Vergleich beider Filme illustriert auch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte. Aus diesem Grund eignet sich der Vergleich der Filme besonders für den Schulunterricht, da Kindern so gesellschaftliche Entwicklungen spannend näher gebracht werden können.

Fußnoten

(1) Wolfgang Becker: Die Vorstadtkrokodile, Deutschland, 1977: TC: 00:50:11 – 00:53:00

(2) Christian Ditter: Die Vorstadtkrokodile, Constantin Film, Deutschland, 2009: TC: 00:10:48 – 00:12:00; TC: 00:24:54 – 00:27:40

(3) Christian Ditter: Die Vorstadtkrokodile, Constantin Film, Deutschland, 2009: TC: 00:21:42 – 00:24:10

(4) Vgl.: Migration und Integration in Dortmund, verfügbar unter: http://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/internationales/
integrationsrat/migrationintegrationindortmund/index.html (letzter Zugriff: 25.09.2012)

(5) Wolfgang Becker: Die Vorstadtkrokodile, Deutschland, 1977: TC: 00:09:50 – 00:10:35

(6) Wolfgang Becker: Die Vorstadtkrokodile, Deutschland, 1977: TC: 01:03:09 – 01:04:26

(7) Vgl.: Migration und Integration in Dortmund, verfügbar unter: http://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/internationales/
integrationsrat/migrationintegrationindortmund/index.html (letzter Zugriff: 25.09.2012)

(8) Christian Ditter: Die Vorstadtkrokodile, Constantin Film, Deutschland, 2009: TC: 01:03:12 – 01:04:36; TC: 00:56:37 – 00:57:00; TC: 00:34:20 – 00:34:30

 

Titel: Die Vorstadtkrokodile
Originaltitel: Die Vorstadtkrokodile
Produktionsland: Bundesrepublik Deutschland
Produktionsjahr: 1977
Dauer: 84 Minuten
Altersfreigabe: Ab 6 Jahren
Erscheinungsdatum (Deutschland): 25.12.1977
Verleih: WDR
Einspielergebnis: unbekannt
Regisseur: Wolfgang Becker
Drehbuch: Max von der Grün
Buchvorlage: Max von der Grün
Darsteller: Birgit Komanns (Kurt Wolfermann), Wolfgang Sieling (Olaf Weissman), Rita Ramachers (Maria Weissman), Heiner Beeker (Frank Steffenhagen), Thomas Bohnen (Hannes Burgsmüller), Ralf Buchholz (Rudolf Strehl), Heinz Bäther (Theo Bruns), Thomas Müller (Peter Stratman), Manfred Rudolph (Erich Budde), Holger Schneider (Otto Brinkmann), Josef Sieger (Willi Holtmann)
Kamera: Werner Kurz, Paul Eisel
Musik: Supertramp, Deep Purple, Rainbow, William David und sein Orchester, El Pasador, The Alan Parsons Project, D-R-U-M, The Chambers Brothers
Schnitt: Jean-Marc Lesguillons, Gabriele Unverdross
Produzent: Wolf-Dietrich Brücker, Monika Paetow

 

Titel: Vorstadtkrokodile
Originaltitel: Vorstadtkrokodile
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2008
Dauer: 98 Minuten
Altersfreigabe: Ab 6 Jahren
Erscheinungsdatum (Deutschland): 26.03.2009
Verleih: Constantin Verleih
Einspielergebnis: € 3.137.152
Regisseur: Christian Ditter
Drehbuch: Christian Ditter, Martin Ritzenhoff
Buchvorlage: Max von der Grün
Darsteller: Nick Romeo Reimann (Hannes), Fabian Halbig (Kai), Leonie Katarina Tepe (Maria), Manuel Steitz (Olli), Javidan Imani (Jorgo), Robin Walter (Peter), Nicolas Schinseck (Elvis), David Hürten (Frank)
Kamera: Christian Rein
Musik: Heiko Maile, Apollo 3
Schnitt: Ueli Christen
Produzent: Christian Becker, Co: Martin Moszkowicz, Ausführend: Lena Olbrich, Kaufmännisch: Anita Schneider
Altersempfehlung Redaktion: Unter 2 Jahre
FSK: 0 Jahre
Format: Kino