Inhalt

Mephisto erzählt, wie das war, als er Faust vom rechten Weg abbringen wollte, um seine Wette zu gewinnen, und wie er ihn davon überzeugen wollte, zufrieden zu sein. "Kannst du mich schmeichelnd je belügen, / Dass ich mir selbst gefallen mag, / Kannst du mich mit Genuss betrügen, / Das sei für mich der letzte Tag!" (I/9/04:20), da sind sich Goethes und Refferts Faust-Gestalten einig. Doch weil Mephisto in Faustinchen ein paar Jahre zu spät dran ist – auch Teufel haben Terminprobleme –, hat Faust mittlerweile eine Tochter, während deren Mutter kurz nach der Geburt gestorben ist. Und diese Tochter will auf jeden Fall mitkommen, wenn Mephisto seinen Zaubermantel ausbreitet und die Reise beginnt. "Verflucht der Leichtsinn dieser Wette, / Die ich schon bald gewonnen hätte, / Wenn dieser Faust nicht Vater wär" (I/10/00:50).

Im zweiten Teil werden – entgegen den Vorschriften des Jugendschutzgesetzes – Auerbachs Keller sowie die Hexenküche gemeinsam besucht, anschließend lernt Faust Gretchen kennen, verliebt sich in sie und eine Patchworkfamilie bahnt sich an. Sind es bei Goethe Mephisto und Frau Marthe Schwerdtlein, die dazu einen derben Kontrapunkt setzen, kommentieren in Faustinchen Mephisto und Johanna das Treffen von Faust und Gretchen – auch wenn Mephisto vor einer Rolle als "Familienbeglückungsmaschine" (II/8/02:20) und "Babysitter" (II/9/00:30) ganz ordentlich graut.

Im dritten Teil des Hörspiels greift Johanna noch deutlicher in die Geschichte ein, spricht mit Gretchen im Kerker und ändert schließlich sogar den Vertrag zwischen Faust und Mephisto. Zusätzlich schwappt die Handlung kurz in Der Tragödie zweiten Theil, um dann, mit Johannas und Gretchens Hilfe, in ein, nun ja, Happy End kann man es nicht nennen, denn zumindest Mephisto ist alles andere als glücklich.

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Kritik

Ein Faust für Kinder, das könnte schlimmstenfalls eine bildungsbürgerliche Gräueltat sein, der verzweifelte Versuch, die großen Klassiker auf wehrlose junge Menschen loszulassen. Dass der Faust-Stoff jedoch ursprünglich nicht als Abiturthema geplant war, sondern durchaus auch Kinder begeistern kann, zeigt schon der Blick in die Tradition der Puppenspiele, die meist Fausts Höllenfahrt besonderes Augenmerk zukommen lassen. "Die bedeutende Puppenspielfabel", erinnert sich Goethe in Dichtung und Wahrheit an ein Kindheitserlebnis, "klang und summte gar vieltönig in mir wider". Während Paul Maar in seinem F.A.u.s.T. (1999) die Kindheit des späteren Gelehrten zum Thema eines Kindertheaterstücks macht, erfindet Thilo Reffert die Tochter Johanna, die als Brücke zwischen dem klassischen Stoff und dem jungen Publikum fungiert, die die klassische Handlung aber auch immer wieder torpediert. So entsteht eine Geschichte, die Faust ernst nimmt und ihn gleichzeitig für Kinder reizvoll macht. Auch Refferts Faust interessiert zwar, "was die Welt im Innersten zusammenhält", aber sein Dilemma als Arzt wird ganz konkret, als er Johannas Mutter, die im Wochenbett kurz nach der Geburt der Tochter stirbt, nicht retten kann.

Neben dieser Herausforderung, einen Faust für Kinder zu schreiben, stellt sich Thilo Reffert aber auch jener, die das akustische Medium darstellt. Im Hörspiel-Universum ist er kein Unbekannter, für Die Sicherheit einer geschlossenen Fahrgastzelle hat er 2010 den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden bekommen, außerdem schreibt er für den ARD Radio Tatort. Nina und Paul (Regie: Judith Lorentz) wurde 2011 mit dem Deutschen Kinderhörspielpreis ausgezeichnet, den MDR Kinderhörspielpreis bekam er 2012 für Commander Jannis (Regie: Beatrix Ackers), 2014 für Leon und Leonie (Regie: Robert Schoen) und nun 2018 für Faustinchen (Regie: Robert Schoen).

Diese Hörspiel-Erfahrung merkt man Refferts Faust-Transformation an, die wirklich auf das akustische Medium hin konzipiert ist und lustvoll mit dessen Ausdrucksformen spielt. Neben der eigentlichen Geschichte gibt es eine Rahmenhandlung, in der Mephisto und der Regisseur die Produktion des Hörspiels besprechen und dabei durchaus nicht immer einer Meinung sind. "Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn" (I/1/02:16), sagt der Direktor in Goethes Vorspiel auf dem Theater und Refferts Mephisto übernimmt diese Parole, der der Regisseur stolz sein akustisches Credo entgegnet: "Wenn das Sehen nach Bildern schielt, / Dann kann das Radio nur schweigen; / Doch wenn das Stück im Kopfe spielt, / Kann Hörspiel mehr als Kino zeigen" (I/2/01:41).

Mephisto, der neben seiner Rolle im Stück auch eine Erzählerfunktion hat, lässt sich erst allmählich von den Möglichkeiten des Hörspiels überzeugen. Immer wieder werden im Gespräch mit Regie und Technik verschiedene Geräusche und ihre Wirkung ausprobiert, bis das Sounddesign auch den Skeptiker Mephisto überzeugt: "Moment, du hast diese Himmel erschaffen? Nur aus Tönen?" (I/2/02:46). Die elaborierten atmosphärischen Klangkulissen, die realistische und fantastische Welten, die aber auch die Faust-Handlung von der Regiekabine trennen, werden nicht nur wirkungsvoll eingesetzt, sondern auf einer metafiktionalen Ebene gleichsam reflektiert. Robert Schoen hat dabei eine doppelte Funktion, er spricht die Rolle des Regisseurs auf der textinternen Ebene – mal schnodderig, mal enerviert, mal begeistert – und ist gleichzeitig der reale Regisseur der Produktion.

Mit der knarzigen Stimme von Ernst Konarek als Mephisto, Christian Kuchenbuch als väterlichem und warmherzigem, aber auch strengem Faust sowie Svenja Liesau als verletzlich-heiserer Grete stehen außerdem Sprecherinnen und Sprecher im Mittelpunkt, denen man die klassische Sprecherziehung an renommierten Schauspielschulen anmerkt, wenn sie grandios mit stimmlichen Nuancen und hohem Bühnenton spielen, vor allem Mephisto ist ein Meister der ironischen Brechung. Lou Tillmanns, von der es im Booklet heißt, sie sei ungefähr so alt wie jene Johanna, die sie im Hörspiel spricht, lässt sich von den Profi-Kollegen allerdings nicht beeindrucken und hält ihnen eine aufgeweckte und ungestüme stimmliche Präsenz entgegen. Auch die Musik spielt in diesem Hörspiel eine zentrale Rolle, neben überzeugenden Nummern im originellen Brecht-Weill-Sound stehen allerdings einzelne schnulzdudelige Kompositionen – zum Beispiel der Osterspaziergang (I/6) –, die durchaus ein gewisses Nervpotential entfalten.

Auf jeden Fall ist Refferts Projekt zugute zu halten, dass es den Faust-Stoff ernst nimmt und einzelne Szenen – etwa das Gespräch zwischen Johanna und Gretchen im Kerker – durchaus anrühren, darüber hinaus kommt es, wie gesagt, immer wieder zu witzig-ironischen Brechungen und Kipp-Effekten. Für die hehre Wissenskrise des Vaters findet Johanna einen nicht ganz so erhabenen Trost: "Ich wusste nur, dass wir nichts wissen", so beendet der "arme Tor" seine Klage und die Tochter beruhigt ihn: "Das kenn ich aus dem Unterricht, / Man lernt was … und dann weiß man's nicht" (I/4/01:44). Ähnlich wird der Auftritt Mephistos als Pudel überführt in die leidige Frage, ob das Kind ein Haustier haben und diesen Pudel behalten darf. Auf Johannas Versprechen, dass sie natürlich die Verantwortung für den Hund übernehmen und sich um alles kümmern werde, antwortet Faust mit beinahe jenen Worten, die er bei Goethe in einem etwas anderen Kontext spricht: "Die Botschaft hör ich, doch mir fehlt der Glauben" (I/7/01:47).

Dass der Teufel in dieser Bearbeitung keinen guten Draht zu Gott hat, merkt man spätestens, wenn er bei seinem Anruf im Himmel nur den Anrufbeantworter erreicht: "Im Namen des Herrn. Ich kann gerade nicht rangehen, weil ich beschäftigt bin. Ich weiß aber, dass du angerufen hast. […] Danke jedenfalls für dein Gottvertrauen" (I/9/00:28). Ach ja, dass "ein Teil der Gespräche […] zur Qualitätssicherung aufgezeichnet" (I/9/00:56) werden muss, versteht sich bei diesem himmlischen Personal fast von selbst.

Fazit

Ist Thilo Reffert mit Faustinchen wirklich ein Faust für Kinder geglückt? Zumindest ist es eine raffiniert komponierte Geschichte, die außerdem die nötige Respektlosigkeit mit dem – nun, sagen wir – Ausgangsmaterial walten lässt. Sicher, der Text schießt manchmal übers Ziel hinaus und holt zu viele Puzzleteile aus Goethes Drama in den Text hinein. Doch es bewahrheitet sich auch, was Mephisto im Gespräch mit dem Hörspielregisseur sagt: "Es gibt so viele Fäuste wie Erzähler, / Wenns interessant ist, scheiß doch auf die Fehler" (II/1/03:19). Fast möchte man also sagen, dieses Kinderhörspiel in drei Teilen habe es faustdick hinter den Ohren, wenn mit diesem geradezu unvermeidlichen Aperçu nicht schon im Booklet geworben würde.

Dagegen, dass der Verlag das Hörspiel ab 10 Jahren empfiehlt, mag man einwenden, Kinder dieses Alters werden nicht alle Zitate und Anspielungen, nicht alle handlungslogischen Bezüge verstehen können, aber genau dieses Problem haben auch die Erwachsenen mit Goethes Faust – und sehen gerade darin den besonderen Reiz. Für Faustinchen werden sich Kinder und Erwachsene vielleicht auf ganz unterschiedlichen Ebenen begeistern, aber die klug komponierte und vergnügliche Geschichte, die absolut professionelle Produktion in den Hörspiel-Studios des SWR sowie ein erlesenes Ensemble an Sprecherinnen und Sprechern machen dieses Kinderhörspiel zu einer unbedingten Empfehlung. Und wenn sich die Handlung doch mal in Details verliert, greift die Regie sofort korrigierend ein: "Mephisto, straff bleiben!" (I/5/00:00).

 

Titel: Faustinchen
Regie:
  • Name: Robert Schoen
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Thilo Reffert
Sprechende: Lou Tillmanns (Johanna), Christian Kuchenbuch (Faust), Ernst Konarek (Mephisto), Svenja Liesau (Grete)
Produktion: SWR2 / Der Hörverlag
Erscheinungsjahr: 2017
Dauer (Minuten): 145 Minuten
Preis: 14,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Reffert, Thilo: Faustinchen (Hörspiel)