Inhalt

Hodder kann in der Nacht häufig nicht schlafen. Sein Vater arbeitet nachts als Plakatekleber. Er sitzt dann am Fenster und schaut auf die Straße. Seit neustem bekommt Hodder nachts Besuch von einer Fee, die ihm verkündet, er sei auserwählt, um die Welt zu retten. Diesem Auftrag will Hodder gerne nachkommen, doch erscheint ihm die Welt zu groß und bei seinem Plan zur Expedition zur Errettung der Welt weiß Hodder nicht so recht, wo er anfangen soll. Da erscheint es ihm plausibler, doch lieber seinen Klassenkameraden Philipp mit der Rettung der Welt zu beauftragen - denn im Gegensatz zu Hodder wird dieser nicht abgewählt, wenn in der Schule Mannschaften gebildet werden. Nach und nach wird dem Leser deutlich, dass es sich bei Hodder um einen Außenseiter handelt, der in der Schule keine Freunde hat. Immer wieder hat er mit Ausgrenzungserfahrungen zu kämpfen, evoziert vor allen Dingen durch das beliebte 'Konsum- und Medienkind' Alexander.

Doch Hodder lässt sich nicht beirren. Mit seiner direkten, skurrilen Art überfordert er seine Lehrerin, ohne dies zu merken. Hodder ist sich seiner eigenen Wunderlichkeit nicht bewusst. Er wird von den Schulkameraden für einen Sonderling gehalten, wenn er mitten im Unterricht von den Farben des Meers spricht oder beharrlich die Lehrerin nach dem Namen ihres Parfüms fragt.

Philipp, ein sportbegeisterter Junge, fühlt sich von dem sonderbaren Verhalten Hodders gleichermaßen angezogen wie abgestoßen. Er beginnt Hodder zu beobachten und zu verfolgen, was bei Hodder zu großer Verunsicherung führt. Hodder wird nun gezwungen, seine Traumwelt aufzubrechen. Gestaltet er seinen Alltag bis dahin mit ihm ganz eigenen Ritualen wie dem regelmäßigen Konsum von Streuselschnecken, so flieht er sich nachts und in Tagträumen zu imaginären Freunden, einem Preisboxer, einem blauen Hund und der Dame vom Zigarettenplakat, mit denen er auf phantastischer Ebene die Expedition zur Rettung der Welt plant. Diese findet am Ende nicht statt, vielmehr kann Hodder sich von seinen phantastischen Freunden verabschieden, als er auf realistischer Ebene Freundschaft mit Philipp schließt.

Thematische Aspekte und Motive/Wissenschaftliche Rezeption

Ein wesentlicher Aspekt des Buches ist seine Komik, die dadurch entsteht, dass die Geschichte durchgehend mit ironischem Unterton vorgetragen wird, wenn z.B. erwähnt wird, dass Hodder versehentlich einen Brief vom städtischen Krankenhaus erhielt, in dem stand, er sei im vierten Monat schwanger (vgl. Reuter 2002, S.13), was beim kindlichen Leser Lachen evoziert. Diese Komik resultiert aus der Kontextverschiebung, aus der Abweichung von der Norm. Hierbei handelt es sich um Momente, die sowohl von erwachsenen als auch von kindlichen Lesern komisch gefunden werden.

Maria Lypp, deren Ausführungen als wegweisend für die Erforschung der Frage, was Kinder komisch finden, zu betrachten sind, (vgl. Gerth 1994, S.24) zeigt, dass kinderliterarische Komik in evidenter Weise mit leiblichen Erfahrungen zusammen hängt:

"Das Drama des leiblichen Lebens - mit Ausnahme von Begattung und Geburt - erfüllt auch die Kindheit. Die ermüdende Arbeit des Wachsens, das Einswerden mit Essen und Trinken in der Versunkenheit der Nahrungsaufnahme, das Fremdwerden der Ausscheidung - dies beschäftigt das Kind in den ersten Jahren, bis spätestens mit Schuleintritt die körperlichen Funktionen der Zensur unterworfen werden" (Lypp 1986, S. 447).

Das Drama des Leiblichen spiegelt sich in Hodder, der Nachtschwärmer in besonderer Weise: Hier wird die Bauchspeicheldrüse zum Unterrichtsthema, das Leibinnere wird nach außen gekehrt, wenn Kamma ihre mit Innereien belegten Brote auspackt. Die Komik bedingt sich hier durch die Enttabuisierung, durch das anarchische Verhalten, das die Schüler im Unterricht zeigen und so ihre Lehrerin zur Verzweiflung bringen.

Da es aber eigentlich um ein ernstes Thema geht, um die Geschichte eines kindlichen Außenseiters, lässt sich das Buch auch als tragikomischer Kinderroman bezeichnen. Ein tragendes Element ist die Übertreibung, mit der im Text gearbeitet wird, welche z.B. an der Überzeichnung der Figuren deutlich wird, die an die Karikatur grenzt.

Elemente des Nonsens kommen durch die Gedichte des Boxers Big Mac Johnson in den kinderliterarischen Text hinein. Indem dem Boxer hier das Interesse am Dichten zugeschrieben wird, das der gängigen Vorstellung von einem Berufsboxer entgegensteht, wird eine skurrile Komik geschaffen, die man "als Form der freien Komik verstehen kann, welche mit überraschenden Verwandlungen zu tun hat" (Lypp 1986, S.442). Big Mac Johnson macht eine solche durch, wenn er nach einem verlorenen Boxkampf verletzt in der Kabine liegt und aufsagt:

    Ich wollte nie zuhören,
    als ich in die Schule ging,
    in die Schule, in die Schule, in die Schule,
    stand immer vor dem Klo
    mit einem Jungen, der hieß Ottmar (Reuter 2002, S.132).
   
Übertreibung, Komik als Drama des Leibes und die häufig metaphorische Sprache lassen den Roman eine Faszination ausstrahlen, die sowohl auf kindliche als auch auf erwachsene Leser wirkt. Diese wird weithin getragen durch die Leib- Seele- Thematik, durch welche eine philosophische Botschaft in das Buch hinein kommt, wenn Hodder z.B. angeregt durch das Unterrichtsthema 'Bauchspeicheldrüse' sinniert, dass die Menschen von innen alle gleich sind (vgl. Reuter 2002, S. 52).

Einer der wesentlichen thematischen Aspekte des Buches Hodder, der Nachtschwärmer ist die Außenseiterposition des Protagonisten, wobei sich diese anders darstellt als in Texten der problemorientierten Kinderliteratur (vgl. Mattenklott 2000, S.32). Hodder ist ein Einzelgänger, der keine sozialen Kontakte hat, was für Texte der phantastischen Kinderliteratur typisch ist (man denke z.B. an Bastian Balthasar Bux aus Michael Endes Unendlicher Geschichte). Das aber wird nicht explizit thematisiert, womit Hodder, der Nachtschwärmer wiederum eine Besonderheit in der Kinderliteratur darstellt. Hodder wird als liebenswerter Junge beschrieben und fungiert als Sympathieträger. Da nicht offen gesagt wird, dass es sich bei Hodder um einen Außenseiter handelt, obliegt es dem (kindlichen) Leser im Laufe der Rezeption herauszufinden, in was für einer Situation Hodder sich befindet. Der Text sagt nicht, dass Hodder keine Freunde hat, stellt ihn vielmehr als naiven Charakter dar, der seiner Umwelt unvoreingenommen positiv begegnet.

Hodder mag alle, seinen Vater, seinen Großvater, seine Klassenkameraden und seine Lehrerin. Im Laufe der Handlung jedoch wird deutlich, dass Hodder an sozialen Kontakten Mangel leidet und in die Klassengemeinschaft nicht integriert ist. Er geht von der Schule immer allein nach Hause (vgl. Reuter 2002, S. 56), wiederholt wird er von seinem Klassenkameraden Alexander ausgegrenzt.

Nach Gudrun Schulz ist die Darstellung des Außenseiters, des Fremden und des Befremdlichen in der Literatur so alt wie die Literatur selbst (Schulz 2005, S. 746 in Anlehnung an Mayer), da Literatur stets Ausnahmefälle behandelt.

Hodder ist ein solcher Ausnahmefall: Er ist ein Sonderling, der seine Umwelt mit Distanzlosigkeit und Skurrilität verstört. Da der Leser die Geschichte aus der Perspektive Hodders erzählt bekommt, ist ihm seine Sicht der Dinge näher als die der Klassenkameraden.

Traum und Realität

Die Grenzen zwischen Phantasie und Realität sind im Buch fließend. Das ist vor allem darauf zurück zu führen, dass Hodder auch auf realistischer Ebene an den Wahrheitsgehalt seiner Träume glaubt und über die Expedition zur Errettung der Welt nachdenkt (vgl. z.B. Reuter 2000, S.56). Als seine Lehrerin ihn darauf hinweist, er könne die Besuche der Fee nur geträumt haben, ist Hodder irritiert (vgl. ebd., S. 146). Die phantastischen Figuren fungieren Hodder als Bewältigungsstrategie, sie sind für ihn Hilfsmittel, um mit der Einsamkeit zurechtzukommen und ersetzen zudem die fehlende Mutter. Als ihn die Fee umarmt, fühlt es sich für Hodder an, als würde man von seinem Vater oder seiner Mutter mit einem dicken, warmen Federbett zugedeckt (ebd., S. 159).

Die phantastischen Figuren sind für Hodder Freund- und Familienersatz zugleich. Einen Höhepunkt erreichen die Erlebnisse in Hodders Traumwelt, als er gemeinsam mit Lola einen Boxkampf besucht, bei dem Big Mac Johnson niedergeschlagen wird und daraufhin anfängt, schlechte Reime aufzusagen (vgl. ebd.,  S. 130ff.). Big Mac Johnson lässt sich als ein Teil von Hodders Persönlichkeit verstehen, ebenso wie Hodder ist der Boxer ein liebenswerter Verlierer, der im Kampf daniederliegt. Durch seine schlechten Reime wirkt er unbeholfen, gewinnt aber auch an Sympathie. William Ludo hingegen repräsentiert den fürsorglichen Anteil in der Persönlichkeitsstruktur Hodders. Sowohl Hodder als auch der Häuptling von Guambilua sind nach einem Hirten benannt, also nach jemandem, der die Aufgabe hat zu hüten (vgl. ebd., S. 179).

Bezeichnenderweise taucht William Ludo, der Häuptling von Guambilua, erst zum Ende des Romans auf, als Hodder bereits einen Freund gefunden und somit die Welt errettet hat. Nun können die versorgenden Anteile in Hodder auf realistischer Ebene verstärkt zum Tragen kommen. Seine Träume lösen sich auf und verschmelzen mit der Realität: Die Expedition zur Errettung der Welt wird erfolgreich abgeschlossen.

Da es keine offensichtlichen Signale gibt, die Hodder und somit den Leser in die phantastische Welt hineinführen und auch nicht direkt angezeigt wird, wenn Hodder gerade beginnt zu träumen, präsentiert sich die Geschichte homogen, in der Traum und Realität unmittelbar ineinander übergehen und einander bedingen. So kann Hodder sich erst dann von seinen phantastischen Freunden verabschieden, als sich auf realistischer Ebene ein Ende seiner Einsamkeit abzeichnet. Das macht den Reiz des Buches Hodder, der Nachtschwärmer aus - der Leser wird hier mitgenommen auf "eine Reise durch Traum und Realität - mit leichten poetischen Zwischentönen" (www. jugendliteratur.org/ archiv/ 2000/innen).

Nacht und Raum

Ein wesentliches Motiv, mit dem im Buch Hodder, der Nachtschwärmer gearbeitet wird, ist das der Nacht - was ja bereits im Titel impliziert ist. Viele Erlebnisse, die der Protagonist hat, spielen sich in der Nacht ab, vornehmlich diejenigen, in denen Hodder seine Traumgefährten trifft.

Gundel Mattenklott möchte in ihrem Aufsatz "Räume der Einbildungskraft" die Nacht im Buch Hodder, der Nachtschwärmer als Raum verstanden wissen. Sie bezeichnet die "Nacht als Hauptakteurin, obgleich es auch eine Reihe von Kapiteln gibt, die am Tage spielen" (Mattenklott 2000, S. 29).

Tatsächlich vermittelt der Text durchgehend eine nächtliche und herbstliche Stimmung, was jedoch nicht nur auf die nächtlichen Schauplätze zurückzuführen ist, sondern auch auf den Umstand, dass die Handlung in der Vorweihnachtszeit angesiedelt ist.

Laut Mattenklott ist die Nacht für Hodder ein Raum, der im Kontrast steht zum Raum des Tages, welcher in erster Linie durch die Schule repräsentiert ist. Mit dem Auftritt der Fee und ihrer Botschaft eröffne sich für Hodder "ein Raum von unschätzbarer Weite: die Welt" (ebd., S.31). In Opposition zu dieser Größe steht die Kleinheit Hodders, so kann Mattenklott überzeugend herausarbeiten.

Das Raummotiv findet sich nicht nur in den nächtlichen Szenen wieder, sondern auch in den Schulepisoden, wo das Thema des Unterrichts die Bauchspeicheldrüse ist (vgl. Reuter 2002, S.47ff.). Besprochen wird in den Stunden somit der innere Raum des Menschen, was Hodder zu der philosophischen Erkenntnis führt, dass alle Menschen im Inneren gleich sind (vgl. ebd., S. 52).

Mattenklott führt vor, dass Enge und Weite als zwei verschiedene Pole des Raumes miteinander kontrastiert werden: Frau Andersen flieht mit Hodder in enge Räume, die Schule beengt Hodder, während der Duft von Harem Dreams und die Weite des Meeres ihn aus der Enge befreien (vgl. Mattenklott 2000, S. 33). In Anlehnung an den Entwicklungspsychologen Howard Gardner versteht sie "die Kontraste groß und klein, eng und weit als modale Kategorien, welche früheste leibsinnliche Erfahrungen repräsentieren, die sich in Reuters Text als Vorstellungs- und Traumbilder, Benennung realer Räume und Bewegungen sowie Metaphern" (ebd., S.34f.) zeigen. Dieser Rückgriff auf frühe leiblich- sinnliche Erfahrungen korrespondiere mit dem Entwicklungsstand Hodders, der noch nicht zwischen Traum und Realität unterscheiden könne. Deshalb wirkt der Protagonist aber nicht retardiert. Vielmehr ist "Hodder auf besondere Weise begabt, phantasievoll, sensibel und empathiefähig, mit einem intensiven Gespür für Menschen, ihre Empfindungen und für Situationen", so Mattenklott (ebd., S.35).

Am Ende des Romans löst sich die Bedrängnis Hodders auf, die sich im Text sowohl durch die engen Räume in der Schule als auch durch Erstickungsgefühle zeigen, die der Protagonist verspürt, als er von Philipp zum Essen einer Streuselschnecke gezwungen wird: "Guambilua grüßt Hodder und der kann das Komitee zur Errettung der Welt allein feiern lassen - zugunsten einiger Grußkarten an die Menschen, die ihm nahe stehen, darunter sein Freund Philipp", so heißt es bei Mattenklott (ebd., S.34).

Die Geschichte von Hodder transportiert so letztlich eine philosophische Botschaft, nämlich die, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind und uns durch Begegnungen miteinander aus Enge und Bedrückung befreien können: Die Weite der Welt öffnet sich, wenn wir aufeinander zugehen, so wie Hodder und Philipp.

Populärrezeption

Hodder, der Nachtschwärmer wurde im Jahr 2000 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Unter dem Titel Hodder rettet die Welt wurde der Roman im Jahr 2004 verfilmt. Regie führte Hendrik Ruben.

Der Roman eignet sich für den schulischen Einsatz in den Klassen 4 – 6 (vgl. dazu Kumschlies 2006, 2008).

Literatur

Primärliteratur

Reuter, Bjarne (2002): Hodder, der Nachtschwärmer. Fischer: Frankfurt a. M.

Sekundärliteratur

Gerth, Klaus: Das Komische. In: Praxis Deutsch. Heft 125/ 1994. Basisartikel. S. 19-28; Lypp, Maria : Lachen beim Lesen. Zum Komischen in der Kinderliteratur. In: Wirkendes Wort. Heft 6/ 1986. S. 439-455; Kumschlies, Kirsten: Kindliche Rezeptionen beim Szenischen Interpretieren von `Hodder,der Nachtschwärmer` in einer 4. Grundschulklasse. In: Knobloch, Jörg/ Stenzel, Gudrun: Zauberland und Tintenwelt. Fantastik in der Kinder- und Jugendliteratur. 17. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien 2006. S. 215-225; Kumschlies, Kirsten:  Streuselschnecken und die Dame vom Zigarettenplakat. Szenische Interpretation des Kinderbuchs `Hodder, der Nachtschwärmer` von Bjarne Reuter. In: Praxis Deutsch. Heft 200/ 2006: Literarisches Lernen. S. 25-32; Kumschlies, Kirsten: Es war sehr schön, in dir zu leben...“ Literarische Kompetenz und Szenische Interpretation. Texte von Grundschulkindern als Zeugnisse der Rezeption. Peter Lang. Frankfurt am Main 2008; Mattenklott, Gundel : Räume der Einbildungskraft. Das Entstehen literarischer Imaginationsräume am Beispiel des Preisbuchs Hodder, der Nachtschwärmer und des nominierten Kinderbuchs Jakob heimatlos. In: JuLit. 4/2000. S. 26-40; Schulz, Gudrun: Außenseiter als Thema der Kinder- und Jugendliteratur. In: Lange, Günter (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Band 2. Baltmannsweiler: Schneider 2005. S. 746-765.

Internetquelle
www.jugendliteratur.org/ archiv/2000