Den Ausgangspunkt der Tagung bildete die These, dass Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten in unterschiedlicher Ausprägung und Funktionalisierung literarische Texte strukturieren. So sind auch medial schriftliche Texte häufig durch Konzepte des Mündlichen beeinflusst. Aufgrund ihrer Rezeptions- und Produktionskonventionen ist die Kinder- und Jugendliteratur jedoch im besonderen Maße für die unterschiedlichen Wechselverhältnisse aufschlussreich.

ANNA STEMMANN (Bremen) begann die Tagung mit einer Einführung in verschiedene Formen von Mündlichkeiten. Dabei hinterfragte sie, ob Mündlichkeiten in schriftlichen Texten spezifische Modi sind. Obwohl die Markierung von Mündlichkeit in der Kinder- und Jugendliteratur eine lange Tradition und verschiedene Funktionen hat, hat sich die Forschung mit diesen Phänomenen nur am Rande befasst. So finden sich Darstellungen von Mündlichkeiten in Form der Onomatopoesie, Akkommodation und der Inszenierung einer Vorlesesituation bereits im 18. Jahrhundert in Joachim Heinrich Campes Robinson-Adaption (1779). Auch die Crossover-Literatur weist häufig einen stark mündlich geprägten Stil auf. Als Beispiel nannte Stemmann den Roman Tschick von Wolfgang Herrndorf (2010), in welchem unter anderem intermediale Strukturen, Kommentare, Umgangssprache, Wortwitze und Jugendsprache der Markierung von Mündlichkeit dienen.

Der Einführung in die Schriftlichkeiten widmete sich der Beitrag von THOMAS BOYKEN (Oldenburg). Hinsichtlich des Verhältnisses von mündlichem und schriftlichem Erzählen stellte er zur Diskussion, inwiefern eine erzähltheoretische Herangehensweise sinnvoll sein könnte. Erzähltheorien gingen zumeist von dem mündlichen Ursprung des Erzählten aus, wobei sie allerdings nicht systematisch zwischen mündlichem und schriftlichem Erzählen unterscheiden. Gérard Genette konzeptionalisiert die Stimme beispielsweise als orale Kategorie, obwohl ein geschriebener Text analysiert wird. Boyken plädiert in seinem Beitrag für eine systematische Unterscheidung von mündlichem und schriftlichem Erzählen. Schriftliche Erzählungen können ihre Linearität in der Darstellungsweise aufheben, indem Kapitel untereinander gedruckt oder Marginalien und die Seitenränder zur Informationsvergabe genutzt werden. Zudem ist die schriftliche Erzählung im Gegensatz zur mündlichen Erzählung unabhängig von der Zeit. Es wäre überhaupt zu diskutieren, ob sich Mündlichkeit friktionsfrei in Schriftlichkeit transponieren ließe.

Inwiefern sich Konzepte des Mündlichen und Schriftlichen historisch in den vergangenen 25 Jahren verändert haben, zeigte STEPHAN PACKARD (Köln) in seinem Vortrag Was war nochmal mündlich? Zum Wandel von Konzepten des Mündlichen und des Schriftlichen in aktuellen Mediendispositiven. Er entfernte sich von der Vorstellung, Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten als Oppositionen anzusehen und beschäftigte sich stattdessen verstärkt mit inszenierten Differenzen. Packard stellte in seinem Vortrag drei zentrale Thesen vor. Erstens führen postdigitale Medienkonstellationen zu einer hypermedialen Vielfalt von Modalitäten, die in der Buchdruckkultur noch marginalisiert wurden. Zweitens reichen die semiotischen Inszenierungen der Differenz von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Bildlichkeit von der bloßen Repräsentation über stilistische Nachahmungen zu Wiederaufnahmen von Konventionalität und Eigenzeiten. Drittens vertrat er die These, dass die Gleichzeitigkeit der Mediengeschichte in Intermedien als Labore der Mediengeschichte ästhetisch wirksam gemacht werden.

NIKOLAS IMMER (Trier) befasste sich in seinem Vortrag Schneeseekleerehfeezehweh. Relationen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Franz Fühmanns Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978) mit einem konkreten Primärtext. Er stellte anhand der Untersuchung beispielhafter Textstellen und Sprachspiele fest, dass die verschiedenen Formen und Effekte der Mündlichkeit und Schriftlichkeit die strukturellen Grundlagen des Textes bilden. Dennoch treten auch Aspekte auf, die sowohl mündliches als auch schriftliches Erzählen betreffen. Mithilfe genuin schriftlicher Mittel wird in Fühmanns Text eine mündliche Kommunikation inszeniert. Zudem wies Immer auf die im Text eingelassenen Erziehungsvorstellungen hin. Führmanns Buch wende sich gegen eine autoritär verordnete Ästhetik, die vorgefertigte Wissensinhalte propagiert. Stattdessen bestünde das pädagogische Ziel in der Ausbildung der Selbstbestimmtheit der Kinder. Damit dies gelingt, werde eine Sensibilisierung der Leserschaft für einen achtsamen Umgang mit der Sprache angestrebt.

Auch KLAUS MÜLLER-WILLE (Zürich) befasste sich in seinem Vortrag Wundersame Buch-Reisen. Zur Medialität des Erzählens in Selma Lagerlöfs Nils Holgersson (1906/1907) mit einem Primärtext der Kinder- und Jugendliteratur. Lagerlöfs Roman ist in der Forschung immer wieder mit fingierter Mündlichkeit in Verbindung gebracht worden. Mündlichkeit wird hier unter anderem durch einen oralen und dialektalen Sprachgebrauch sowie durch die Verschachtelung verschiedener Erzählebenen suggeriert. Die Konzeption des Romans, die auch orthographisch eng am Konzept des Mündlichen angelehnt ist, stehe, so Müller-Wille, in Zusammenhang mit den zeitgenössischen orthographischen Reformen der schwedischen Linguistik. Zudem ist der Text auch in einen reformpädagogischen Kontext einzuordnen. Dabei sei erkennbar, dass die orale Erzähltradition vermeintlich höher geschätzt wird als die durch das Buch vermittelte schulische Bildung. Ein entscheidendes Merkmal des Romans sei die Verknüpfung von Oralität und Visualität in Form von sprachlich produzierten Bildern. Mündliche Erzählungen scheinen dadurch in Hinblick auf die Medialität transparenter zu sein. Insofern versteht Müller-Wille die Autorin als Medientheoretikerin.

GUDRUN BAMBERGER (Tübingen) eröffnete mit ihrem Vortrag Mündliche Erzählung und schriftliche Aushandlung der Antike für Kinder in Jörg Wickrams Nachbarn-Roman den zweiten Tagungstag. Wickrams Roman Von guten und bösen Nachbarn (1556) steht an der Schwelle zur frühneuhochdeutschen Literatur und integriere, so Bamberger, Elemente verschiedener Gattungen, um diese sowohl in der mündlichen Darstellung als auch in der schriftlichen Abbildung weiterzuentwickeln. Im Zentrum des Vortrags standen die Briefwechsel, die auf das Spannungsverhältnis von weltlichem und fiktionalem Erzählen verweisen. Fiktionalität wurde bis über das 16. Jahrhundert hinaus hauptsächlich über die mündliche Darstellung markiert – war jedoch insgesamt selten, stellte Bamberger fest. Stattdessen waren Sprache und dessen Vermittlung elementarer Bestandteil der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Dass die traditionellen Formen literarischen Schreibens einen schriftlich-kommunikativen Ausdruck nicht ausschließen, erläuterte Bamberger anhand des Briefdialogs, der auf den Humanismus zurückgeht. Diese Form mache den Leser zum Komplizen des Schreibers. Folglich stünde der Leser bei Wickram an erster und der Zuhörer an zweiter Stelle, was Wickram von zeitgenössischen Autoren unterscheide.

Mit Grenzverhältnissen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beschäftigte sich auch DAVID ASSMANN (Frankfurt a.M.) in seinem Vortrag "[T]heils schriftlich, theils mündlich". Weißes Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes [1784-1792]. Zur Funktionsbestimmung des Briefwechsels orientierte er sich an der Konzeption von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nach Koch und Oesterreicher. Mit Blick auf Weißes Der Kinderfreund (1775-1782) formulierte er die These, dass die Differenzverhältnisse von Mündlichkeit und Schriftlichkeit drei ineinander geschachtelte Funktionen besitzen, die dem Briefwechsel innewohnen. Zum einen dienen sie der Erziehung von Kindern und Jugendlichen durch die Weiterentwicklung von Tugend und Verstand. Zum anderen werden Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich des Fiktionalitätsstatus suggeriert. Laut Assmann wird diese Wahrscheinlichkeitssuggestion bereits durch die Beschaffenheit der Briefe als Medium provoziert, da die Beziehung der geschriebenen Sprache zur Mündlichkeit im Briefwechsel nicht ausreicht, um die Authentizität der Briefe zu garantieren. Dies betreffe auch die Selbstreferenzialität des Briefwechsels im Briefwechsel sowie die vom fiktiven Herausgeber Mentor rezitierten Briefe am Ende der zwölf Bände. Die dritte von Assmann konstatierte Funktion besteht in der Reflexion der Textmaterialität, die insbesondere durch die Wahrscheinlichkeitssuggestion angeregt werde. Anhand unterschiedlicher Textbeispiele konnte Assmann zeigen, dass die Differenzen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei Weiße konstitutiv und konzeptionell eng miteinander verwoben sind.

STEFANIE JAKOBI (Bremen) widmete sich in ihrem Vortrag Von Anselmus zu Mythenmetz – (Romantische) Autorschaft im Spannungsverhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Walter Moers’ Die Stadt der träumenden Bücher (2004) unterschiedlichen inter- und paratextuellen Bezügen in Moers’ Roman. In einem kurzen Überblick schilderte sie die Autorwerdung von Hildegunst von Mythenmetz und setzte diese in Beziehung zum traditionellen Romantikbegriff und dem Idealbild romantischer Autorfiktion. Die daraus resultierenden Auffälligkeiten führten zur Annahme, dass Moers die Binarität von Mündlichkeit und Schriftlichkeit auf Ebene der Diegese unterwandere. Jakobi betonte hierbei die typografischen und stilistischen Mittel, welche das Spiel mit Materialität im Romangeschehen und der konkreten Buchseite charakterisieren. Damit verbunden seien paratextuelle Bezüge, die sowohl die fiktive Autorwerdung rahmen als auch das Lesen in ein klangvolles, über den stillen Leseprozess hinausreichendes, Erlebnis überführen. Moers stellt, so Jakobi, den Klang von Literatur, Stimme und Mündlichkeit dar und präfiguriert damit die innere Stimme des Lesenden. Diese Analogie ist laut Jakobi entscheidend für das Ineinandergreifen fingierter Mündlichkeit und inszenierter Schriftlichkeit in Moers’ Werk.

Während sich Jakobi in ihrem Vortrag eher mit der inneren Stimme des Lesenden befasste, konzentrierte sich STEFAN TETZLAFF (Göttingen) in seinem Vortrag Fremde eigene Stimme. Über einen körperlichen Medieneffekt der Romantik auf die Bedeutung der Stimme in Texten der Romantik. Tetzlaff stellte dabei drei unterschiedliche Wechselbeziehungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in erzählten Welten vor. Neben einer psychologischen Lesart romantischer Texte schlug er eine semiotische Lesart vor, die das für die Romantik typische Narrativ der Dopplung offenlege. Anhand von Textbeispielen aus Die Lehrlinge zu Sais (Novalis,1802), Deine Stimme (August von Platen, um 1832), Des Fremdlings Abendlied (Georg Philipp Schmidt, 1821), Der Runenberg (Ludwig Tieck, 1804) und Florentin (Dorothea Schlegel, 1801) erläuterte Tetzlaff zunächst die romantische Idee des mittelbaren Bezugs zwischen Zeichen, Sprache und Wirklichkeit durch das Verhältnis von Denken, Reflexion und Wirklichkeit: Was sagbar ist, ist denkbar und was denkbar ist, muss der Wirklichkeit entsprechen. Ausgehend von dieser Beziehungskonstellation führte er weiter aus, dass der romantische Raum stets eine Extension der Figuren beinhalte, die sich beispielsweise im Echo der Stimme manifestiert. Die Reflexion der Stimme führt zur Entfremdung und zu einem Unheimlichkeitseffekt, da das ursprünglich Eigene durch Modulation und Dopplung verfremdet scheint. Das empfundene Unheimliche wird damit begründet, dass sich Figuren durch das Echo überall und nirgendwo existent fühlen.

JOHANNES MAYER (Frankfurt a.M.) ging der Frage nach, wie Begegnungen mit Literatur als eine gemeinsame kulturelle Praxis verstanden und genutzt werden können. In seinem Vortrag Multimodalität in der literarischen Praxis am Beispiel von Vorlesegesprächen befasste er sich mit einer didaktischen Perspektive auf Phänomene von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Das Datenkorpus für die Analyse bestand aus audio- und videografierten Interaktions- und Beobachtungsdaten, die literarische Praktiken dokumentieren. Mayer erläuterte zunächst die einzelnen Formen literarischer Begegnungen vom Vorlesen bis zum selbstständigen Lesen und stellte diese in Bezug zu den sozialen Erfahrungen, die die Lesenden und Zuhörenden sammeln und miteinander teilen. Diesbezüglich konstatierte er, dass die Vorlesesituation über das Entziffern von Schrift und Nachahmen des Gesagten hinausgehe. Zusätzlich lassen sich laut Mayer verschiedene personale, interaktionale Konstellationen aus Körper, Raum und Handlung beschreiben, die je nach Zusammensetzung eine jeweils spezifische Rahmung für Vorlesesituationen ergeben. Diese sind gekennzeichnet durch Intimität, Emotion, Irritation und Nichtverstehen. Allen Vorlesesituationen ist gemein, dass sie durch Rituale, Wiederholungen und inhärenter Stabilität für die Lernenden als in sich geschlossenes Format erfahrbar werden. Durch solches Lernen im Format, bei dem die erwachsene Person als Leitfigur fungiert, werden zusätzlich zum Spracherwerb kulturelle Erfahrungen gemacht, die die Situation determinieren. Mayer stellte hierbei besonders heraus, dass vor allem in Verbindung mit Fiktionalität ein gemeinsamer, interaktiver Austausch angeregt wird, bei dem wahrgenommene fiktive Elemente mit der Wirklichkeit abgeglichen werden und eine kulturelle Praxis erfahrbar wird.

KATRIN KLEINSCHMIDT-SCHINKE (Oldenburg) schloss mit ihrem Vortrag Konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Texten von Kindern und in Texten für Kinder im Vergleich den zweiten Tagungstag ab. Im Rahmen des vorgestellten Projekts ging sie der Frage nach, wie der Grad konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit in von Kindern produzierten Texten im Verhältnis zu an Kinder gerichtete Texte ist. Ausgehend vom Vier-Felder-Modell des Unterrichtsdiskurses nach Thorsten Pohl konzipierte sie ein Modell für den Erzählerwerb, welches insbesondere die medial-schriftliche Dimension der Input- und Outcome-Seite als Analysekategorien erfasst. Damit rückte sie in ihrem Modell die weniger traditionellen Strategien konzeptioneller Schriftlichkeit in den Untersuchungsfokus und entfernte sich von den Operationalisierungsdimensionen nach Koch und Oesterreicher. Das Datenkorpus bestand aus Texten von Zweitklässlern, die zu einem Bildimpuls eine Geschichte verfassen sollten. Als Referenz dienten beliebte Kinderbücher wie beispielsweise Die Olchis (ab 1990) von Erhard Dietl. In einer zusammenfassenden Darstellung erläuterte Kleinschmidt-Schinke die nach lexikalischen und syntaktischen Kategorien gruppierten Ergebnisse der kinderliterarischen Werke. Grundvoraussetzung für das Erfüllen einer Modellfunktion dieser Texte war der Grad der Komplexität oder Differenziertheit der einzelnen Analysekategorien. Sie stellte dabei fest, dass die untersuchten Texte in unterschiedlicher Ausprägung eine Modellfunktion erfüllen, die die Inputadaption und Integration konzeptioneller Schriftlichkeit bei Kindern beeinflusst, obwohl die Kindertexte stärker an konzeptioneller Mündlichkeit orientiert sind.

ANKE VOGEL (Mainz) führte in ihrem buchwissenschaftlichen Vortrag Hörbar innovativ? – Produktion, Distribution und Rezeption von Audiobooks für Kinder in die Welt der Hörbücher und Audiobooks ein. Vogel begann mit dem Bereich der Audiobook-Produktion. Nachdem sie schlaglichtartig die Entwicklung von Hörmedien darstellte, präsentierte sie einige Anbieter für Audiobooks. Dabei wurde deutlich, dass nicht mehr alle Titel eine physische Umsetzung erhalten – viele werden lediglich digital realisiert. Ein anschließender Vergleich von Buch und Hörbuch zeigte die unterschiedlichen Anforderungen auf Produktionsseiten des jeweiligen Mediums sowie Unterschiede bei den Produktionskosten. Im Bereich der Distribution konnte Vogel eine wachsende Zahl an Hörbuch-Distributoren feststellen, die vielen Altersgruppen einen Zugang anbieten. Auch die Rezeption von Audiobooks hat eine Zunahme zu verzeichnen. Die Nutzungszahlen sind in den letzten Jahren generell gestiegen, was auf eine erhöhte Aufmerksamkeit schließen lässt.

ELLA MARGARETHA KARNATZ (Oldenburg) bildete mit ihrem Vortrag "[I]ch würde mich eher als Geschichtenerzählerin, denn als Schriftstellerin bezeichnen". Mündliches und transmediales Erzählen als Teil des poetologischen Selbstverständnisses der Autorin Cornelia Funke den letzten Tagungsbeitrag. In dem titelgebenden Zitat von Funke wird ein wesentlicher Teil des Selbstverständnisses der Autorin deutlich, dem sich Karnatz in ihrem Vortrag widmete. Sie betrachtete verschiedene soziale Netzwerkplattformen, Interviews und Werkbiografien der Autorin, um zu verdeutlichen, was Funke mit dem Begriff Geschichtenerzählerin verbindet. Dabei wurde deutlich, dass der Begriff Schriftsteller für Funke einen anderen Anspruch an das Schreiben habe als der des Geschichtenerzählers. Letzteren ginge es um das reine Erzählen der Geschichte und nicht um das mediale Artefakt. Da Funke ihre Erzählungen oft transmedial realisiert, gehört die Multimodalität von Geschichten ebenfalls zu ihrem Selbstverständnis. Das transmediale Erzählen der Autorin und die Bedeutung von Mündlichkeit in ihren Texten untersuchte Karnatz anhand ausgewählter Medienangebote zur Spiegelwelt (2020) und Reckless-Reihe (2016). Insbesondere die Intertextualität durch die Bezüge zu zahlreichen Märchen, die an die orale Erzähltradition und Form von Volksmärchen erinnern, weisen laut Karnatz auf die Mündlichkeit hin. Funkes Aufgabe als Geschichtenerzählerin bestehe unter anderem darin, die durch Märchen überlieferten literarisierten Bilder mit eigenen Mitteln weiterzutragen. Mit ihren eigenen Stimmbeiträgen zur App schlägt die Autorin eine Brücke zwischen der Erzähltradition der Märchen und den digitalen Medien.

Die Tagungsbeiträge verfolgten vermehrt eine produktorientierte Herangehensweise, wobei die Rezeptionsseite meist weniger intensiv berücksichtigt wurden. Dies ist vorteilhaft für Untersuchungsvorhaben im Bereich der Multimodalitätstheorie, jedoch sind die Rezipierenden für den Bereich der Didaktik von großer Relevanz. In allen Vorträgen wurden Fragen der Modalität und Multimodalität aufgeworfen und aus unterschiedlichen Perspektiven mittels verschiedener Textkorpora erläutert.

Trotz des breiten Spektrums an Kinder- und Jugendmedien und Analysemethoden wurden übergreifende Phänomene in den Vorträgen erkennbar und in einer Abschlussdiskussion herausgearbeitet. Als Grundlage einer vorläufigen Heuristik wurden fünf Dimensionen / Ebenen ausgemacht, die sich aus den Spannungs- und Wechselverhältnissen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit (und Bildlichkeit) ergeben: (i.) Inszenierte Mündlichkeiten in schriftlichen Texten können auf der Ebene der histoire verortet werden, wenn beispielsweise Figuren über die Differenz von Schrift und Rede handeln. (ii.) Die Differenzen zwischen Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten können aber auch auf der Ebene des discours, also der narration und des récit, liegen, wenn die Art und Weise des Erzählens beispielsweise eine mündliche Erzählsituation simuliert, emuliert oder parodiert. (iii.) Damit wäre auch der Übergang zur dritten Ebene markiert: Wenn ein Text in seiner konkreten Repräsentation als Buch, Zeitschrift, E-Book, Hörbuch und so weiter seine Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten nutzt, um Differenzen zwischen Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten zu inszenieren, dann wird die jeweilige Medialität funktionalisiert. (iv.) Gleichzeitig kann aber auch die konkrete Materialität eines gedruckten Textes für die inszenierte Differenz von Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten eingesetzt werden. So wäre es denkbar, dass unterschiedliche Papierqualität oder bestimmte Farbgebungen funktionalisiert werden. (v.) Schließlich können sich Mündlichkeiten und Schriftlichkeiten auch auf einer poetologischen Ebene manifestieren.

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