Renate Welsh (geb. 1937) gehört zu den renommiertesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Mit Das Vamperl (1979) und seinen Fortsetzungen erreichte sie große Bekanntheit, ebenso mit der zeithistorischen Emanzipationsgeschichte Johanna (1979) über ein unehelich geborenes Mädchen in der österreichischen Provinz während der Zwischenkriegszeit. Im Kreis der Wiener Gruppe für Kinder- und Jugendliteratur, rund um die Autor:innen Mira Lobe, Christine Nöstlinger, Käthe Recheis, Vera Ferra-Mikura, Friedl Hofbauer u.a., die in ihrer Literatur an einer Erneuerung des Genres arbeiteten, war auch Renate Welsh höchst aktiv; 1975 erschien z.B. das Gemeinschaftswerk Sprachbastelbuch, mit Schüttelreimen Sprachspielen und einem Schimpfwörter-ABC sowie der expliziten Aufforderung zur Partizipation. Welsh wurde u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und mehrfach mit dem österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet.
Dass sich einerseits die Parameter der Zuordnung in Jugendliteratur und „allgemeine“ Literatur über die Zeit verändert haben und sich andererseits im Werk Renate Welshs durchaus große Schnittmengen beider Gattungen finden lassen, zeigt die Neuauflage des Romans Johanna (2021) – nun ohne das Etikett „Jugendbuch“. Eine überarbeitete Neuauflage des Jugendromans Dieda oder das fremde Kind (2002) ist ebenfalls in Planung. Dieser Tendenz der Wiederentdeckung und Neupositionierung einiger älterer Werke Renate Welshs auf dem Buchmarkt soll auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung Rechnung getragen werden und eine Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Werk der Autorin – über Gattungsgrenzen hinweg – angeregt werden.
Mit Constanze Mozart (1990) und Das Lufthaus (1994), zwei Romanen, die jeweils historische Frauenfiguren ins Zentrum stellen und auf spekulative Weise über deren Lebensrealitäten reflektieren, wandte sich Renate Welsh erstmals vorwiegend an ein erwachsenes Publikum. Im Roman Die schöne Aussicht (2005) beschreibt sie die Biografie einer Frau aus einfachen Verhältnissen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. In den letzten Jahren lässt sich zudem eine verstärkte Hinwendung zum autobiographischen Schreiben feststellen. In Kieselsteine. Geschichten einer Kindheit (2019) spürt Welsh eigenen frühen Kindheitserinnerungen nach, Ich ohne Worte (2023) beschreibt die unmittelbare Erfahrung eines Schlaganfalls und den Rückeroberungsprozess der Sprache und körperlichen Autonomie. Zuletzt erschien mit Leih mir dein Ohr (2024) der erste Lyrikband Renate Welshs, der eine Zusammenstellung sowohl älterer als auch rezenter Gedichte enthält. Dass Welshs Oeuvre über Gattungsgrenzen hinweg von Anfang an auch gesellschaftspolitisch motiviert ist, belegen zahlreiche ihrer Publikationen schon früh, z.B. In die Waagschale geworfen. Geschichten über den Widerstand gegen Hitler (1988) oder Ülkü, das fremde Mädchen (1973).
Eine eingehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Werk der Autorin liegt, von Einzelbeiträgen im Bereich der Kinder- und Jugendliteraturforschung abgesehen, bislang nicht vor – Renate Welsh wird nach wie vor primär im Segment der Kinder- und Jugendliteratur verortet. Die Publikation, die 2027 – zum 90. Geburtstag der Autorin – in der Schriftenreihe des Archivs der Zeitgenossen im Studienverlag erscheint, soll deshalb Relektüren bekannter und Lektüren weniger bekannter Texte versammeln, um thematisch wie methodisch neue Zugänge zum Werk Renate Welshs anzuregen.
Mögliche Themen
- Einzelstudien sowie vergleichende Studien zu ausgewählten Werken der Autorin
- Perspektiven der Gender- und Disability Studies
- Beiträge zu Welshs Frühwerk im Kontext der Literatur der 1970er Jahre
- Poetologische, rezeptionsästhetische und literatursoziologische Aspekte zur Transformation von Kinder- und allgemeiner Literatur
- Formen des autofiktionalen -, autobiografischen, dokumentarischen Schreibens bei Renate Welsh
- Beiträge zu werkbiografischen Schwerpunkten, etwa Zweiter Weltkrieg, Kindheit oder die Soziologie des Dorfes
Abstracts in der Länge von max. 3000 Zeichen können bis 30.6.2025 an
Mit der Entscheidung über die Annahme ist bis Ende August zu rechnen.
Abgabe der Beiträge (30.000 – 40.000 Zeichen): 30.04.2026
Hanna Prandstätter, MA BA
Archiv der Zeitgenossen / Department für Kunst- und Kulturwissenschaften
Universität für Weiterbildung Krems