„Are you an activist?“, fragt Innosanto Nagara in dem 2013 publizierten Bilderbuch A is for activist, das der Autor ursprünglich für den eigenen Sohn verfasst und illustriert hat, um ihm das eigene revolutionäre Alphabet und die damit verbundene politische Haltung nahezubringen. Nagara ist nicht der erste, der die Gattung der Fibel aufgreift, um Kindern nicht einfach nur das Alphabet, sondern zugleich ein alphabetisch sortiertes politisches Koordinatensystem nahezubringen. So erschien etwa 1935 in Großbritannien und den USA eine stalinistische Fibel namens ABC for Martin, in der Merksätze wie „K stands for Kremlin where our Stalins lives: L is the lead he so ably gives“ zu lesen sind.
Fibeln dieser Art sind nur eine besonders explizite Variante der zahlreichen Spielarten politischer Literatur für Kinder und Jugendliche – das Feld reicht von didaktischen und engagierten Texten bis hin zu subtilen Formen politischen Erzählens, von Ideologie bis Ideologiekritik, von Bilderbüchern über Texte für Leseanfänger*innen und junge Erwachsene bis hin zu All-Age-Literatur, von erzählender Prosa, Gedichten und Sachbüchern zu Theaterstücken, Hörspielen und Hörbüchern, von stalinistischer Propaganda über sozialistische, antifaschistische und emanzipatorische Literatur bis hin zu rechtskonservativen und extrem rechten Positionen, vom späten 19. Jahrhundert über die Arbeiter*innenliteratur der 1920er und 1930er Jahre bis in die unmittelbare Gegenwart. Der politische kinder- und jugendliterarische Diskurs wird derzeit insbesondere von Debatten um Geflüchtete, Klima- und Demokratiekrisen sowie das Erstarken rechter Parteien mitbestimmt.
Vor diesem Hintergrund stellt die 20. Ausgabe von undercurrents die Frage nach dem Politischen in der Kinder- und Jugendliteratur. Als Forum soll sie Probebohrungen in das historisch wie systematisch weite Feld der politischen KJL ermöglichen, das teils sehr gut erschlossen, teils aber noch gänzlich unkartiert erscheint.Willkommen sind sowohl systematische Beiträge zur Frage, was politische Kinder- und Jugendliteratur überhaupt ist sowie zu ihrer historischen Entwicklung und politischen Didaktisierung als auch Beiträge mit Fokus auf spezifische Themen, Autor*innen, Genres und politische Bewegungen sowie auf ihren ästhetischen Verfahren. Wir freuen uns über Beiträge, die eine oder mehrere der folgenden Fragen verhandeln:
- Was macht das Politische (in) der KJL aus? Welche impliziten und expliziten Konzeptionen politischer KJL gibt und gab es?
- Wie bildet sich politische KJL heraus und wie findet sie Verbreitung? Welche Aspekte der Produktion, Form/Textgestalt, Distribution und Rezeption spielen eine Rolle?
- Welche Rolle spielen Institutionen wie Kita und Schule im Umgang mit politischer Literatur?
- In welcher Weise ist KJL einerseits Teil von Herrschaftsverhältnissen wie Geschlecht, Klasse, Kolonialismus und Rassifizierung und andererseits von Bewegungen gegen diese, imaginiert sie und stellt sie dar?
- Gibt es eigene Formen und/oder Genres für politische KJL? Welche Rolle spielen Themen, Zielgruppen und ästhetische Konventionen bei der Genrewahl?
- Was unterscheidet politische KJL von politischer Literatur für Erwachsene? Welche Rolle spielen Kindheits- und Jugendkonzepte für die politisch KJL?
- Welche Themen dominieren politische KJL heute, aber auch im historischen Rückblick? Welche (historischen) Konjunkturen sind zu verzeichnen?
- Gibt es einen Kanon der politischen KJL? Welche Spezifika politischer KJL finden dabei besondere Berücksichtigung?
Um die Zusendung von Abstracts mit einem Umfang von etwa 300 Wörtern sowie bio-bibliographischen Angaben bis zum 15. Juni 2025 an
Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft fragt seit 2012 nach dem Verhältnis von Literatur, Literaturwissenschaft und emanzipatorischen Bewegungen. Die Zeitschrift versteht sich als Debattenforum für linke Literaturwissenschaftler*innen, Literaturschaffende und Interessierte. Weitere Informationen zu undercurrents und dem undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft sowie alle bislang erschienenen Hefte finden sich unter www.undercurrentsforum.com.
[Quelle: Pressemitteilung]