Explikat

Das Blut spielt in den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen eine sehr zentrale und allgegenwärtige Rolle, welche für das Verstehen bestimmter Kulturgesetzte von eminenter Wichtigkeit ist.

Blut wird in den meisten Kulturen als Symbol des Lebens und Opfers verstanden, in welchem der "Sitz der Seele und des Lebens" (3. Mos. 17,11) vorzufinden ist.

Blut als kultureller Topos kann eine positive oder negative Konnotation aufweisen. Die positiven Merkmale des Blutes sind durch das Alte und Neue Testament festgelegt. Blut wird demnach als Gottesgabe des Lebens und als Zugang zu Gott betrachtet. In der jüdischen und muslimischen Religion ist das Vergießen bzw. der Genuss von Blutes mit einem absoluten Verbot belegt, da Blut Leben enthält.  Blutopfer sollen den Weg zu Gott versperren.

Im Gegensatz dazu wird in der christlichen Religion das Opfern bzw. die Aufnahme von Blut – symbolisiert durch Messwein – durch die Eucharistiefeier, dem höchsten Gottesdienst der Kirche, verehrt. In dieser wird im übertragenen Sinne das Blut und das Leib Christi durch den Gläubigen eingenommen, wodurch gleichzeitig die Vereinigung mit Gott vollzogen wird. Blut wird hiernach als etwas sehr Positives aufgefasst und von den unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften verehrt, da es mit dem Göttlichen, mit der Lebenskraft sowie mit der heiligen Wirkung konnotiert wird.

Gleichzeitig kann das Blut auch eine sehr negative konnotiert sein, indem es mit dem Bösen, dem Gefährlichen und mit Gewalt in Verbindung gebracht wird. Die Vorstellung des Antichristen, der den Pakt mit dem Teufel durch einen Vertrag, welcher mit Blut unterschrieben wird, eingeht oder aber auch die Vorstellung von Blutsaugern, wie beispielsweise den Vampiren wie Dracula in der heutigen Zeit, gehen einher mit einer negativen Sichtweise auf Blut. Hier wird es mit den bösen Mächten in Verbindung gebracht. Blut wird meist auch in Verbindung mit Rachemotiven, Konflikten, Schuldfragen sowie Tötungsdelikten gebracht, wobei sich in diesem Zusammenhang der Begriff "Blutschande" entwickelt hat.

Außerdem kommt dem Blut eine in gewissen Ideologien eine legitimierende Funktion zu, wenn es darum geht, Herrschaft durch eine bestimmte Abstammung zu untermauern. Einen traurigen Höhepunkt fand diese ideologische Füllung des Topos in der Blut-und-Boden-Rhetorik des Nationalsozialismus.

Die ambivalente Bedeutung des Blutes zeigt sich ebenfalls in der uralten Heilslehre des Blutes. Das Blut wird in diesem Fall aufgrund seiner heilenden Wirkung bei Krankheiten eingesetzt, wobei hier beispielsweise das Blut einer Jungfrau als heilbringend betrachtet wird, da es als rein gilt.

Deutlich wird hier, dass das Blut in seiner kulturellen Rezeption eine zweideutige Auslegung erfahren und aufgrund seiner vielfältigen Aussagekraft eine zentrale Rolle in der kulturellen Weltgeschichte eingenommen hat.

Bedeutung in der Literatur

Entsprechend der Bedeutung des Blut-Topos für die Heilslehre finden sich erste Belege in der Bibel und in der religiösen Literatur. Auch im Mittelalter, das durch und durch christlich geprägt war, tauchten Motive rund um das Blut häufig in literarischen Zusammenhängen auf, so zum Beispiel in Hartmanns von Aue Der arme Heinrich (um 1190), wo Heilung durch ein Blutopfer eine zentrale Rolle spielt. Ein weiteres Beispiel für die symbolische Verwendung von Blut ist die bekannte "Blutstropfenszene" in Wolframs von Eschenbach Parzival (um 1210), über deren Bedeutung in der germanistisch-mediävistische Forschung noch immer vielfältig diskutiert wird.

Symbolische Bedeutungen des Blutes, die in der Literatur aufgegriffen werden, gehen zum Teil auf die medizinische Forschungsliteratur zurück. Ein Beispiel dafür, wie der Begriff symbolisch aufgeladen wurde, bietet zum Beispiel  Friedhelm Schneidewinds Das Lexikon rund ums Blut aus dem Jahre 1999.

Vor allem in der Lyrik taucht seit der Renaissance eine Verbindung zwischen Liebe und Blut auf. Typische Topoi stehen im Zusammenhang mit körperlichem Unwohlsein, das auf das Liebesleid zurückgeht und sich vor allem im Bereich des Herzens und des Blutes äußert.

Bedeutung in der Kinder- und Jugendliteratur

In der Kinder- und Jugendliteratur wird Blut als Topos sehr häufig verwendet, wie beispielsweise in Märchen und Abenteuergeschichte sowie in Vampirromanen, welche in der heutigen modernen Zeit eine sehr populäre Rolle eingenommen haben. Auch in Filmen taucht das Blut als Topos im Zuge der aktuell sehr populären Filmen mit Vampirthematik häufig auf, wie zum Beispiel in der äußerst erfolgreichen Twilight-Saga.

Auch in Abenteuerbüchern, in denen Freunde sich gegenseitig ihre Verbundenheit durch Blutsbrüderschaft beweisen, wird das Blut als Motiv der Freundschaftsstärke und Zusammengehörigkeit häufig verwendet.

In Märchen wird Blut als Motiv insbesondere bei Schneewittchen und den sieben Zwergen explizit eingesetzt. Das Blut stellt in diesem Fall eines der wichtigsten Motive des Märchens dar, das in der Forschung ein großes Spektrum an Deutungsoptionen erfahren hat. Das Blut wird bereits in den ersten Zeilen des Märchens erwähnt und trägt einen großen Teil zur Schönheit des Schneewittchens bei. Weitere Märchen der Gebrüder Grimm weisen ebenfalls das Blut als Topos auf, wie beispielsweise Die Gänsemagd, Rotkäppchen oder aber auch Der liebste Roland.

In Joanne K. Rowlings Harry-Potter-Romanen wird auf die ideologische Aufladung des Topos zurückgegriffen: "magisches Blut" wird für die dunklen Magier zum Zeichen der Überlegenheit gegenüber den "Halbblütern" und noch deutlicher gegenüber den "Schlammblütern", also Zauberer und Hexen ohne magische Vorfahren. Im Kontext des Konflikts zwischen den guten Zauberern und Hexen und den Anhängern Voldemorts wird die Fixierung auf das Blut deutlich negativ konnotiert.


Bibliografie

  • Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien. Band 1. Hrsg. von Christoph Auffarth, Jutta Bernard und Hubert Mohr. Stuttgart: Weimar, 1999.
  • Das kleine Oxford-Lexikon der Weltreligionen. Hrsg. von John Bowker. Düsseldorf: Patmos, 2002.
  • Mythen des Blutes. Hrsg. von Christina von Braun und Christoph Wulf. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2007.
  • Religionslexikon. Hrgs. von Georg Bubolz. Berlin: Cornelsen-Verlag, 1990.
  • Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im "Parzival" Wolframs von Eschenbach. Tübingen: Niemeyer, 2001.
  • Gratzke, Michael: Blut und Feuer. Heldentum bei Lessing, Fontane, Kleist, Jünger und Heiner Müller. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011.
  • Hennigfeld, Ursula: Mit Herzblut geschrieben. Europäische Liebeslyrik in Renaissance und Barock. In: Blut. Der ganz besondere Saft in Medizin, Literatur, Geschichte und Kultur. Hrsg. von Christine Knust und Dominik Groß. Kassel: Kassel University Press, 2010. S. 67-80.
  • Karg, Ina: …sîn süeze sûrez ungemach. Erzählen von der Minne in Wolframs "Parzival". Göppingen: Kümmerle, 1993.
  • Tinte und Blut. Politik, Erotik und Poetik des Martyriums. Hrsg. von Andreas Kraß und Thomas Frank. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag, 2008.
  • Blut. Der ganz besondere Saft in Medizin, Literatur, Geschichte und Kultur. Hrsg. von Christine Knust und Dominik Groß. Kassel: Kassel University Press, 2010.
  • Wörterbuch der Symbolik. Hrsg. von Manfred Lurker. Stuttgart: Kröner Verlag, 1991.