Explikat

Die Verwendung von Farben als Mittel zur Deutung durch Übertragung von symbolischen Werten ist in sämtlichen Genres und Epochen der Literatur zu finden. Vielmals sind übertragene Bedeutungen festgelegt, insbesondere in geistlicher Dichtung der Frühen Neuzeit. Dadurch lässt sich die Verwendung in Metaphern und Allegoresen erschließen. 

Literarische Konventionen geben eine mögliche Deutung und Wertung voraus, sind aber keineswegs die einzig denkbare Interpretation. Jeder Autor kann in seinem Schaffen individuelle Veränderungen vornehmen. Es bildet sich lediglich eine Grundlage aus Bildfügungen, die jedem zur Verfügung steht, aber keine festen Grenzen hat. Farben werden genutzt, um Symbole und Bilder beim Leser hervorzurufen und zu vertiefen, z.B. das Motiv der Blauen Blume in Novalis Roman Heinrich von Ofterdingen als zentrales Symbol der Romantik. 

Es gibt eine große Menge an Motivreihen, die auch durch weit verbreitete Assoziationen seit dem Mittelalter fast Jedermann geläufig sind, z.B. weiß/schwarz für Tag/Nacht, Gut/Böse/, Leben/Tod. Unzählige Kombinationen und Möglichkeiten, mit den Assoziationen zu spielen, liefern dem Autor, ein breites Spektrum sich auszudrücken, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Weiß kann nicht nur als Tageslicht, sondern auch als das weiße Licht am Ende eines Tunnels gedeutet werden, also als Zeichen für den Tod. Schwarz steht einerseits für den Tod und das Böse, aber auch für das Exotische und Unbekannte, z.B. ein schwarzer Panther oder das "Kleine Schwarze" als Symbol für Macht, Stärke, Erotik. Schwarz ist nicht durchgehend negativ gewertet, sondern kann auch positive Bedeutungen haben. Hauptsächlich findet Schwarz Verwendung um auf das Unbekannte und Fremdartige hinzudeuten, z.B. schwarze Raben/Katzen, der schwarze Fluss Styx in der Hölle, die schwarzen Pferde des Teufels. Schwarz steht sinnbildlich für die Verführung und die Verlockung durch den Teufel.

Rot wird allgemein als die Farbe der Liebe angenommen, kann aber auch als Symbol der Wut und Aggression gesehen werden z.B. Rot sehen, das Rote Tuch und der Stier, vor Zorn rot werden. Rot glänzen die vollen Wangen von Hänsel und Gretel als Zeichen von Gesundheit, zugleich verraten die roten Augen der Hexe ihre Absicht, die Kinder zu fressen. Rot, Gold und Blau sind königliche Farben und stehen daher oft für Dekorationen oder Feste. Rotes Blut steht einerseits für das Leben, anderseits für eine offene Wunde oder eine Verletzung, die den Tod bedeuten kann. Schneewittchens Apfel ist rot und tötet sie fast. Der Teufel wird manchmal mit roter Kleidung oder rotem Haar dargestellt. Meistens ist die Hölle als Aufenthaltsort des Teufels definiert und wird als ewiges Höllenfeuer bezeichnet. Rote Haare sind selten und charakterisieren die Hexen. Aufgrund der Seltenheit wird eine Hexe auch durch ihre Haarfarbe ausgegrenzt und erkannt. Rot kann für etwas Positives und Exotisches stehen z.B. eine fremdartige Blüte oder ein seltenes Tier, aber ebenso gut auch für etwas Negatives und Bedrohliches, z.B. der Teufel oder die Hexe.

Rot und Schwarz können ebenso gut wie Schwarz und Weiß als Kontrast verwendet werden. Weiß wird hingegen weitläufig als positiv wahrgenommen und durch die weiße Farbe werden übernatürliche, heilige und positive Bedeutungen übertragen. So hilft Hänsel und Gretel eine weiße Ente über das Wasser und weiße Steine zeigen ihnen den Weg nach Hause an. Weiße Pferde, weiße Einhörner und weiße Gewänder von Feenwesen weisen auf das Übernatürliche und Fantastische hin. Eine reine Seele ist grundsätzlich weiß und eine böse schwarz. Weiß wird als Sinnbild der Unschuld und Reinheit verwendet. Oft rettet der Prinz in seiner glänzenden Rüstung die Prinzessin auf seinem weißen Schimmel und häufig hat diese Prinzessin blondes, möglichst helles Haar und einen hellen Teint. Personen, die nicht als gut wahrgenommen werden sollen, haben meistens ein dunkleres Aussehen, z.B. schwarze statt blonde Haare und dunkle statt helle Kleidung.

Blau versinnbildlicht die Treue und das Streben nach dem Unendlichen, z.B. die Blaue Blume. Tiere, die in einem Märchen helfen und sprechen können, sind häufig blau z.B. der Fisch in dem Märchen Vom Fischer und seiner Frau. Ein blaues Gesicht deutet jedoch auf den Tod hin und Blaubart tötet seine Frauen. 

Grün wird als Freude, Glanz und Glück interpretiert, häufig in Verknüpfung mit der Natur. Auch kann Grün als Zeichen der Reinheit und Unschuld angesehen werden, jedoch auch als Zeichen des Neides. 

Als letzte wichtige Farbe ist Gelb bzw. Gold von großer Bedeutung. Die Verwendung der strahlenden, metallischen Farbe wird Glück und Erfolg zu geschrieben werden, z.B. goldene Haare und goldgelber Wein. Gold stellt immer den höchsten Wert dar, es versinnbildlicht die höchstmögliche Belohnung. In Verbindung mit Grün nimmt Gelb eine zwiespältige und negative Bedeutung an. Grün und gelb vor Neid werden, vor Freude strahlen, bleich wie ein Gespenst werden, einem das Blaue vom Himmel erzählen - die Verwendung von Farben findet in Gesprächen statt, ohne dass es sonderlich beachtet wird. Verben wie erstrahlen, glühen, glänzen, schwarzsehen, leuchten, scheinen, verdeutlichen die große Spannbreite und den Einzug der Farbattribute im alltäglichen Sprachgebrauch.

Aufgrund dessen ist eine einheitliche Interpretation für die Verwendung von Farben nicht möglich. Die Doppeldeutigkeit und Symbolhaftigkeit von Farben ist zu vielfältig als das eine allgemeingültige Definition zur Deutung denkbar ist.

Bedeutung in der Literatur

In der Frühen Neuzeit wurden weltliche wie geistliche Minnengesänge mittels Farbkombinationen nahezu verschlüsselt und waren nur von der jeweiligen Zielgruppe zu erschließen. Es fand eine Aufladung der Farben mit geistlichen Werten statt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm eine symbolische Farbverwendung die Stelle der allegorischen Farbverwendung ein. Ein freies Spiel der Farben wechselte die vorherige Festlegungen von Farben ab. Auch in Märchen fand eine starke Verwendung von Farben statt, z.B. Schneewittchens Beschreibung durch Vergleiche (weiß/Schnee, schwarz/Ebenholz und Lippen/Blut) oder die Namen "Schneeweißchen" und "Rosenrot".

In Märchen wurden verstärkt Metalle wie Gold, Silber, Bronze und Kupfer benutzt um die Umgebung oder den Protagonisten aufzuwerten, z.B. Die Haare des Prinzen glänzten golden oder das goldene Sonnenlicht.

Es lässt sich jedoch kein wirklicher Ursprung der Verwendung von Farben als Attribute festlegen. Neben Farbkombinationen wird auch verstärkt mit dem Kontrast zwischen hell und dunkel gearbeitet. Insbesondere in Verwendung mit künstlichen wie natürlichen Lichtquellen. Farbbezeichnungen finden Eingang in die spanische Literatur des goldenen Zeitalters und in die deutsche Barockdichtung.  

Von diesem Zeitpunkt an werden Farben zur Herstellung von Motiven mittels Verknüpfung zu Schilderungen, persönlicher Eigenschaften und Gefühlen, genutzt. Die wichtigsten und meist genutzten Farben sind Rot, Schwarz, Weiß, Blau, Grün und Gelb bzw. Gold. 

Bekannte Vertreter einer Farbmetaphorik sind die deutschen Lyriker Else Lasker-Schüler, Wilhelm Lehmann, Paul Celan, Oskar Loerke und Peter Huchel.

Verwendung in der Kinder- und Jugendliteratur

In der Kinder- und Jugendliteratur wird oft mit Kontrasten und Farbkombinationen gespielt, um den Ausdruck zu verstärken, ohne das die Leser dies bewusst wahrnehmen sollen. Die Farben Schwarz, Weiß, Rot, Blau, Gelb und Grün haben auch in der heutigen Kinder- und Jugendliteratur einen hohen Stellenwert. Dieser lässt sich exemplarisch an verschiedenen höchst populären Werken aufzeigen:

Pippi Langstrumpfs rote Haare zum Beispiel unterstreichen ihre Außenseiterposition, auch ihre restliche bunte Kleidung hebt sie deutlich von ihren besten Freunden ab. Diese haben blonde Haare und tragen normale Kleidung. Im Vergleich zu Pippi würden ihre Freunde zu dem Attribut "brav" passen. 

Das Sams hat lauter blauer Punkt mit denen sich Wünsche erfüllen lassen. Hier nimmt Blau wieder den Stellenwert des Magischen und Guten ein. Auch das Sams hat rote Haare und trägt meistens einen Taucheranzug. Außerhalb des Wassers sorgt er mit seinen roten kurzen Haaren, den blauen Punkten und dem Taucheranzug für großes Aufsehen. Das Sams wird also zu ebenfalls zu einer Außenseiterfigur. Hexe Lilly hat rote Haare, aber Bibi Blocksberg hat blonde Haare mit einer roten Schleife, dazu trägt sie ein grünes Kleid und weiße Söckchen. Bibi versinnbildlicht damit die gute Hexe und ihre Unschuld wird durch die Farben Gelb und Weiß hervorgehoben. 

Harry Potters grüne Augen und Lord Voldemorts rote Augen vertiefen mittels dieses Komplementärfarbenpaars eine starke Differenzierung. Die Farben des Schulhauses Gryffindor, in das Harry gewählt wurde, sind Gold und Rot. Slytherin, das Haus von Lord Voldemort, hat die Farben Silber und Grün in dem Hausbanner. Der Todesfluch versprüht helle grüne Funken. Die Zauber von Harry versprühen vornehmlich rote Funken. Nach der Schlacht um Hogwarts, in der das Böse scheinbar endgültig besiegt wird, verbinden sich Sieg und Niederlage sehr stark mit dem Kontrast zwischen Hell und Dunkel. Die Nacht schwindet und das Böse ist gebannt. Die Sonne steigt auf und die ersten Sonnenstrahlen treffen die Helden des Romans. Besonders deutlich wird die Verwendung von Farben auch in den Verfilmungen von Kinder- und Jugendbüchern z.B. die Harry-Potter-Reihe und Pippi Langstrumpf.

Die Farbkomposition eines Romans ist zu einem gewissen Punkt individuell und einzigartig. Jedoch greift der Autor auf geläufige Assoziationen zurück um eine eigene, neue Symbolik zu gestalten. Die Bedeutung der jeweiligen Farbgebung ergibt sich lediglich aus dem Kontext. Es existiert zu keinem Zeitpunkt eine festgesetzte, klare Konvention. 


Bibliografie

  • Daemmrich, Horst S. und Ingrid G.: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. 2. Auflage. Tübingen: Francke, 1995.
  • Le Rider, Jacques: Farben und Wörter. Geschichte der Farbe von Lessing bis Wittgenstein. Wien: Böhlau, 2000.
  • Ranke, Kurt/Bausinger Hermann: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Göttingen, 1982.
  • Strasser, René: Das literarische Schattenspiel. Ein Beitrag zu einem wenig beachteten Kapitel deutscher Literatur- und Theatergeschichte. Frankfurt am Main: Puppen und Masken, 1984.