Explikat

Das kulturelle Handlungsfeld Film umfasst fiktionale und nicht-fiktionale audiovisuelle Texte und ihre ästhetischen, historischen, sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Kontexte. Unbeschadet der Idee einer Filmdidaktik, die Fachgrenzen überschreitet und medienspezifische Kompetenzen und Verfahren interdisziplinär vernetzt, wird für die Filmbildung vor allem dem Fach Deutsch eine Leitfunktion zugeschrieben. Die gegenwärtige Filmdidaktik verbindet literaturdidaktische, fachspezifische mediendidaktische sowie medienpädagogische Ansätze unter Bezugnahme auf film- und medienwissenschaftliche Theorien. Konzeptionell lassen sich analytisch-reflexive, handlungs- und produktionsorientierte, imaginationsorientierte, intermediale und symmediale filmdidaktische Ausrichtungen differenzieren (vgl. Albrecht/Frederking 2015; Anders/Staiger et al. 2019; Staiger 2014).

Besonderheiten des Gegenstandes im Kontext von KJM (Kinder- und Jugendmedien)

Der Kinder- und Jugendfilm zeichnet sich i. d. R. durch junge Darstellerinnen und Darsteller, durch altersgerechte und lebensweltnahe Inhalte, Themen, Stoffe, Motive, Genres, durch zielgruppengerechte filmische Darstellungsweisen und entsprechende dramaturgische Grundmuster aus. In Anlehnung an die Kinder- und Jugendliteraturforschung lasse sich faktische von intendierten und originären Kinder- und Jugendfilmen unterscheiden. Sie werden üblicherweise von zielgruppenorientierten Marketing- und Distributionsstrategien begleitet.

Rezeption und Produktion audiovisueller Texte unter den Bedingungen der Digitalisierung und Digitalität

Unter den Bedingungen der Digitalisierung haben sich neue Rezeptionsmodi entwickelt: Das Sehen von audiovisuellen Texten erfolgt zunehmend im Netz oder per Smart TV, programm-, zeit- und ortsunabhängig und wird inter- und transmedial ergänzt. Um Inhalte parallel zum Film- oder Fernsehkonsum diskutieren und recherchieren zu können, ist die Nutzung von Smartphones oder Tablets als sog. ‚Second Screens‘ gängige Praxis. In den letzten Jahren haben Videoplattformen wie TikTok die Rezeption und Produktion audiovisueller Texte inkl. ihrer Funktionen, Erzählpraktiken und Ästhetiken den spezifischen Netzkontexten entsprechend erweitert (vgl. Albrecht 2021a). Obwohl die App den Schülerinnen und Schülern eine lebensweltnahe und niedrigschwellige Teilhabe am Handlungsfeld Film ermöglicht und zugleich medienkritische Reflexion erfordert (vgl. Albrecht 2021b), ist das Potenzial von TikTok für die Förderung einschlägiger rezeptiver und produktiver Kompetenzbereiche bislang von der filmdidaktischen Forschung kaum wahrgenommen worden.

Gattungen und Genres

Die beliebtesten Film- und Fernsehgenres und -gattungen von Kindern und Jugendlichen waren in den letzten Jahren relativ konstant Sitcoms, Animationsfilme und -serien sowie (tendenziell) nicht-fiktionale Formate wie z. B. Reality-TV und Wissenssendungen. Welches filmdidaktische Potenzial die unterschiedlichen Genres und Gattungen aufweisen, soll abschließend an drei Beispielen aufgezeigt werden.

Animationsfilm

Fiktionale Animationsfilme eignen sich aufgrund ihrer lebensweltnahen Thematiken, der emotionalisierenden Darstellungsstrategien und der vorhersagbaren narrativen Grundstrukturen gerade in der Grundschule neben der Förderung filmästhetischer Wahrnehmungen gut für einen erlebnisorientierten Zugang. Als hochgradig intermediale Gattung unterstützen sie Schülerinnen und Schüler beim Aufbau mentaler Prototypenmodelle und bei der Orientierung in einer heterogenen Filmlandschaft und schärfen den Blick für genrespezifische Merkmale bzw. für Abweichungen und Variationen. Auch für die Ausbildung von Fiktionalitätsbewusstsein eignet sich der Animationsfilm, nicht zuletzt deshalb, da zunehmend realistisch wirkende computergenerierte Bilder zu einer „nachhaltige[n] Verschiebung der Koordinaten unserer Wirklichkeitsauffassung(en)“ (Maiwald/Josting 2010, S. 15; Herv. i. O.) führen.

Sitcoms

Sitcoms (‚Situation Comedy‘) stellen seit mehreren Jahren kontinuierlich das bei Jugendlichen beliebteste Fernsehgenre dar. Ihr Humor speist sich in der Regel aus Situations- und Figurenkomik sowie aus Wort- und Dialogwitz. Sie zeichnen sich durch einen theatralen, performativen Bühnencharakter, durch ein überschaubares Personal, nur wenige, wiederkehrende Handlungsorte und eine Mehrkamera-Ästhetik aus (vgl. Abb. 1). Der genretypische ‚Laugh Track‘ verdeutlicht die kommunikative und interaktive Dimension von Humor.

Abb. 1: Typisches Setup einer Multi-Camera-Sitcom (Albrecht 2019, S. 190)Abb. 1: Typisches Setup einer Multi-Camera-Sitcom (Albrecht 2019, S. 190)

Aufgrund ihrer konsistenten und serienübergreifend vergleichbaren Erzählweise eignen sich Sitcoms aus filmdidaktischer Perspektive für die Ausbildung von Filmanalysefähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, da die narrative Redundanz  einzelner Serien dafür sorgt, dass sich die am Einzelbeispiel gewonnenen Erkenntnisse auch auf viele weitere Sitcoms übertragen lassen.

Reality-TV

Reality-TV lässt sich in narratives Reality-TV, das (vermeintlich) reale Begebenheiten als mediales Ereignis inszenieren, und performatives Reality-TV, in dem nicht-prominente Akteure vor den Kameras stehen, um eine bestimmte Tätigkeit, Handlung oder Eigenschaft in Szene zu setzen, differenzieren.

Innerhalb des performativen Reality-TV erfreuen sich Castingshows großer Beliebtheit. Sie dienen jungen Zuschauerinnen und Zuschauern einerseits zur Unterhaltung und andererseits zur Aushandlung von Identitätspositionen, Wertvorstellungen und Normen. Charakteristische Inszenierungsstrategien wie Personalisierung, Emotionalisierung und Dramatisierung fordern zu ästhetischer Wahrnehmungssensibilisierung, Medienkritik und zur Reflexion von Alteritäts- und Differenzerfahrung heraus. Genretypische Grenzverletzungen müssen im Deutschunterricht sowohl als zuschauerbindendes inszenatorisches Kalkül identifiziert und entsprechend behandelt als auch aus ethischer und moralischer Perspektive kritisch hinterfragt und bewertet werden.

Literatur und weiterführende Literaturhinweise

Albrecht, Christian: Sitcom. In: Einführung in die Filmdidaktik. Kino, Fernsehen, Video, Internet. Hrsg. von Petra Anders, Michael Staiger, Christian Albrecht, Manfred Rüsel und Claudia Vorst. Berlin, 2019. S. 187-201.

Albrecht, Christian: Stummfilmästhetik auf TikTok – Attraktion und Narration. https://www.54books.de/attraktion-und-narration-aesthetiken-des-stummfilms-auf-tiktok/ (05.11.2021). 2021a.

Albrecht, Christian: TikTok. https://kinderundjugendmedien.de (23.12.21). 2021b.

Albrecht, Christian/ Volker Frederking: Der Film im Deutschunterricht. Grundlagen, Rahmenbedingungen, Konzeptionen. In: Informationen zur Deutschdidaktik 39 (2015). S. 20-31.

Anders, Petra/ Staiger, Michael/ Albrecht, Christian/ Rüsel, Manfred/ Vorst, Chaludia (Hrsg.):  Video, Einführung in die Filmdidaktik. Kino, Fernsehen, Internet. Berlin: Metzler, 2019.

Staiger, Michael: Audiovisuelle Medien im Deutschunterricht. In: Digitale Medien im Deutschunterricht. Hrsg. von Volker Frederking Volker, Axel Krommer und Thomas Möbius. Baltmannsweiler: Schneider, 2014. S. 236-268.