Explikat

Bisher werden Literaturausstellungen als außerschulische Lernorte für den Literaturunterricht wenig beachtet (vgl. Bernhardt 2020, S. 335). Im Forschungsdiskurs besteht schon eine terminologische Unklarheit in Bezug darauf, was eine Literaturausstellung ist. Seit den 1980er Jahren gibt es sogar eine Debatte darum, ob Literatur selbst ausstellbar sei oder ob es das Medium Literaturausstellung überhaupt geben könne (vgl. Wehnert 2002, S. 75-77). Literatur, so die Problematisierung, sei nicht ausstellbar, weil Literatur selbst nicht materiell sei und daher auch nicht im Rahmen einer Ausstellung, die sich gerade durch sinnlich anschaubare Gegenstände auszeichne, zur Präsentation gebracht werden könne. Durch diese Sichtweise wird aber die Betrachtung des Mediums Ausstellung verengt. Ausstellen ist weit mehr als bloß das Präsentieren eines sinnlich anschaulichen Gegenstandes, vielmehr zeichnet sich das Medium Ausstellung dadurch aus, dass es auch immaterielle Themen in die Sprache der Ausstellung übersetzen kann (vgl. Bernhardt 2022b, S. 11; Zeissig 2017). Schon eine Ausstellung zur „Malerei des Expressionismus“ stellt in diesem Sinne eine Themenausstellung dar, die anhand ausgewählter Bilder eine Epoche greifbar macht.

Derartige immateriell basierte Ausstellungsformate sind auch für Literatur möglich und bieten Anschlussfähigkeiten für den Literaturunterricht.

Besonderheiten des Gegenstandes im Kontext von KJM

Das Alleinstellungsmerkmal des Mediums Ausstellung besteht gerade darin, dass es sich um ein in den Raum gebautes, mehrdimensionales Zeichensystem handelt, das von den Besucherinnen und Besuchern durchschritten und somit leiblich erfahren wird. Daher besteht die Möglichkeit, den Besucherinnen und Besuchern durch die Gestaltung des Raums auch bestimmte Stimmungen zu vermitteln oder Körperhaltungen vorzugeben (vgl. Zeissig 2017). Diese szenografische Ausnutzung des Raums und der Leiblichkeit der Besucherinnen und Besucher verspricht spezifische Erfahrungen, die nicht im Sinne formeller Lernprozesse steuerbar sind.

Folgende Klassifizierungen von Literaturausstellungen lassen sich im aktuellen Diskurs ausmachen:

1. Personale (biografische) Ausstellungen

Hierbei handelt es sich um die klassische Form literaturmusealen Ausstellens, die allerdings nicht Literatur, sondern deren Autorin oder Autor bzw. ggf. historische Kontexte zum Thema hat. Auf Basis von Gegenständen aus dem Leben der Dichterin oder des Dichters (etwa Schillers Taufkleid oder einer Gabel, die Kafka zum Essen benutzt haben soll) soll eine Nähe zu der Persönlichkeit hergestellt werden.

2. Auslegen von Trägermedien

Eine ebenfalls klassische Form literaturmusealen Ausstellens besteht im Auslegen von Trägermedien literarischer Texte. Beispiele dafür stellen Erstausgaben oder Überarbeitungsbogen der Druckfahnen literarischer Texte dar. Diese papierförmigen Exponate liegen aber nicht um der sinnlichen Anschaulichkeit willen aus, sondern weisen über ihre eigene Bedeutung hinaus. So ergibt sich bei einer Betrachtung von Spuren der Überarbeitung an einem Manuskript eine Einsicht in die Konstruktionsprozesse und die spannungsvolle Intensität der Überarbeitungen, sodass deutlich wird, wie aus auf Papier gebannten Wörtern ein literarischer Text wird (vgl. dazu Gfrereis 2015). In einem ähnlichen Sinne bergen auch Erstausgaben in einem spezifischen Sinne Spuren ihrer Überlieferung, womöglich sogar Notizen der Rezeption, und stellen so dar, wie aus beschriebenem Papier ausstellungswerte Literatur wurde.

3. Übersetzungen von Metaphern aus der Analyse des Romans in den Raum

Durch die Möglichkeiten der Szenografie besteht die Möglichkeit, Metaphern aus der Interpretation und Rezeption eines literarischen Textes in den Raum zu übertragen (Erzähltheorie im Raum) (vgl. Zeissig 2017; Bernhardt 2022a, S. 170). Schon die Erzähltextanalyse bedient sich nämlich ebenfalls räumlicher Metaphern (Erzählperspektiven, erzählerische Nähe und Distanzverhältnisse). Auch literaturwissenschaftliche Textanalyse (Strukturalismus) bedient sich räumlicher Metaphern (semantische Räume, Grenzziehungen und Grenztilgungen), die sich ebenfalls in den Raum übertragen lassen (Raumsemantik im Raum). So lassen sich erzählstrukturelle Beobachtungen oder zwei opponierende semantische Räume in den Raum übertragen und die Ausstellung so als ein die Besucherinnen und Besucher leiblich involvierendes Rezeptionszeugnis ansehen.

4. Soziale Szenografie, Elementarisierung und Involvierungsstrategien

Darüber hinaus bieten sich auch Möglichkeiten, elementare Stimmungen oder Kernszenen eines Textes dergestalt in den Text zu übertragen, dass die Besucherinnen und Besucher in einer spezifischen Art und Weise mit der Grundstimmung affiziert werden, beispielsweise indem sie durch das Arrangement des Raums in eine bestimmte Körperhaltung gedrängt, durch die Raumstimmung in gewisser Weise in die Situation des Textes gebracht werden oder aber die Mühen der Rezeption literarischer Texte im Raum simuliert erleben.

Die beschriebenen Arten literaturmusealen Ausstellens bieten Potenziale eines literarischen Lernens in einem erweiterten Sinne (vgl. dazu Spinner 2006). Wichtig ist, dass Ausstellungen nicht als Orte der Übermittlung von Wissen betrachtet werden dürfen, sondern in einem jeweils spezifischen Sinne Verhältnisse zum Literarischen ermöglichen, Involvierung anbieten, Interpretationen in den Raum bauen und vor allem zum leiblich-körperlichen Nachdenken anregen.

Literaturhinweise

Bernhardt, Sebastian: Literar- und medienästhetisches Lernen in Literaturausstellungen. In: Figuren, Räume, Perspektiven – (Re-)Konstruktionen literar- und medienästhetischen Lernens. Hrsg. von Helen Lehndorf und Volker Pietsch. Berlin u.a.: Peter Lang, 2022a, S. 161-182.

Bernhardt, Sebastian: Literarästhetisches Lernen im Ausstellungsraum. Literaturausstellungen als außerschulische Lernorte für den Literaturunterricht. Bielefeld: transcript 2022b. Open Access.

Gfrereis, Heike: Was liest man, wenn man sieht? Überlegungen zum Verhältnis von Literatur und Original, Archiv und Ausstellung. In: Zwischen Materialität und Ereignis. Literaturvermittlung in Ausstellungen, Museen und Archiven. Hrsg. von Britta Hochkirchen und Elke Kollar. Bielefeld: transcript, 2015, S. 43-52.

Spinner, Kaspar: Literarisches Lernen. Praxis Deutsch 33 (2006) H. 200. S. 6-16.

Wehnert, Stefanie: Literaturmuseen im Zeitalter der neuen Medien. Leseumfeld – Aufgaben – Didaktische Konzepte. Kiel: Ludwig, 2002.

Zeissig, Vanessa: Zur inszenatorischen Immaterialisierung von Literatur als musealem Objekt. In: Das immaterielle Ausstellen. Zur Musealisierung von Literatur und performativer Kunst. Hrsg. von Lis Hansen et. al.: Bielefeld: transcript, 2017. 223–237.