Inhaltsverzeichnis

1 Grundlagen: Die Bedeutung des Fernsehens als Medium für Kinder und Jugendliche
2 Das Nachkriegsfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland
3 Die Sesamstraßenrevolution der 1970er Jahre
4 Einführung des Privatfernsehens ab den 1980er Jahren
5 Kinderfernsehen im Medienverbund

Die Sesamstraße revolutioniert das Kinderfernsehen

Die wahrscheinlich wichtigste Kindersendung in der Geschichte des Kinderfernsehens ist die Sesamstraße. Diese wird ursprünglich unter dem Originaltitel Sesame Street vom New Yorker Children’s Television Workshop entwickelt und in den USA ab November 1969 ausgestrahlt (vgl. A. Schäfer 1998, S. 32). Beim Münchner Prix Jeunesse sorgt die Sesamstraße auch in Deutschland für Furore. Der "Sesam-Schock" (A. Schäfer 1998, S. 32) besiegelt das Ende der bewahrpädagogischen Ausrichtung im deutschen Kinderfernsehen. Die ARD erwirbt die Sesamstraßen-Lizenz für den deutschen Markt, sendet ab 1972 die englischen Originalfassungen und ab Anfang 1973 deutsche Synchronfassungen mit einem Anteil an Eigenproduktionen (vgl. Le Blanc-Marissal 2003, S. 78). Ab 1976 entsteht unter der Federführung des NDR eine eigene, auf die Gegebenheiten des deutschen Markts angepasste deutsche Fassung, die auf Moderationssegmente mit deutschen Schauspielern wie Liselotte Pulver, Henning Venske und Manfred Krug sowie eigens für den deutschen Markt entwickelte Puppen wie Samson und Tiffy zurückgreift. Während die US-amerikanische Variante der SESAMSTRAßE primär »kognitiven Lernzielen« (Le Blanc-Marissal 2003, S. 75) verpflichtet ist, fokussiert die deutsche Fassung eher auf die Vermittlung sozialer Kompetenzen.

Die Sendung mit der Maus und andere Hybridformate

Die Sesamstraße initiiert eine Welle ähnlicher Sendungen, die fiktionale und non-fiktionale Elemente vermischen: Das ZDF startet die Rappelkiste (1973-1984), in der ARD etabliert sich Die Sendung mit der Maus, die zuerst inhaltlich treffend Lach- und Sachgeschichten heißt. Richtet sich Die Sendung mit der Maus noch vorwiegend an Vorschulkinder, so ist Löwenzahn (seit 1981) mit Peter Lustig das Pendant für Grundschulkinder. Clubformate wie Tigerenten Club (seit 1996), die seit 1988 laufende Kindernachrichtensendung LOGO! oder das seit 2001 vom WDR produzierte Wissensmagazin Wissen macht Ah! nutzen sogar noch deutlicher die Möglichkeit, ihren Rezipienten auf unterhaltsame Weise Wissen zu vermitteln. Diesen Sendungen liegt grundsätzlich die gleiche Idee zugrunde: Kinder lernen beim Fernsehen.

Engagement in der Filmförderung

Die Fernsehsender experimentieren also mit den Darstellungsmöglichkeiten ihres Mediums, engagieren sich zugleich jedoch in der Förderung 'traditioneller' Filmproduktionen, die teils im Kino, teils im Fernsehen ausgewertet werden. So wird Max von der Grüns Kinderbuchklassiker Vorstadtkrokodile. Eine Geschichte vom Aufpassen von Wolfgang Becker 1977 mithilfe von WDR-Mitteln als Spielfilm adaptiert. (Einen Überblick über die heutige Filmförderungspraxis gibt Völcker 2005, S. 180-211).

Skandinavischer Kinderfilm im westdeutschen Fernsehen

Die Sender kooperieren auch mit ausländischen Filmemachern. So entsteht die Astrid-Lindgren-Adaptionen zu Pippi Langstrumpf in deutsch-schwedischer Koproduktion, die zuerst im Kino, anschließend im Serienformat im Fernsehen ausgewertet wird. Weitere Adaptionen nach gleichem Muster folgen, etwa Michel aus Lönneberga (Hellbom, 1971, Fernsehserie: 1973), Die Kinder von Bullerbü (Hellbom, 1960/1, Fernsehserie: 1961; Neuverfilmung: Hallström, 1986, Fernsehserie: 1987), Die Brüder Löwenherz (Hellbom, 1976/7, Fernsehserie: 1977) oder Ronja Räubertochter (Danielsson, 1984, Fernsehserie: 1987).

Beliebtes Puppentheater

Zu einer Institution im deutschen Kinderfernsehen entwickeln sich die Puppentheaterstücke der bereits 1921 gegründeten Hohnsteiner Puppenspiele sowie der Augsburger Puppenkiste, die mit Serien wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (1977), Jim Knopf und die Wilde 13 (1978) oder Urmel aus dem Eis (1969) zum bekanntesten Puppenspielensemble der Bundesrepublik wird. Kostengünstig in Japan produzierte Zeichentrickserien wie Biene Maja (1975-1979) und Heidi (1974/5) ergänzen die Programmschienen.


Literatur

  • Gangloff, Tilmann P. (2012): Willkommen im Paradies. Die Geschichte des deutschen Kinderfernsehens. In: tv diskurs, 1, S. 16‐22.
  • Le Blanc‐Marissal, Sandra (2003): Sesamstraße – Wie viel Zeitgeist braucht ein Dauerbrenner? In: Buresch, Wolfgang (Hrsg.): Kinderfernsehen. Vom Hasen Cäsar bis zu Tinky Winky, Dipsy und Co. Frankfurt am Main, S. 71‐93.
  • Mikos, Lothar (2001): Fantasiewelten und Fantasiegeschichten: Ästhetik des Kinderfernsehens und die Erinnerung junger Erwachsener. In: Televizion 14/2, S. 31‐37.
  • Möbius, Thomas (2008): Kinderfilm und Kinderfernsehen. In: Wild, Reiner (Hrsg.): Geschichte der deutschen Kinder‐ und Jugendliteratur. Stuttgart, S. 450‐484 (3., vollständig überarbeitete Auflage).
  • Müntefering, Gert K. (1998): Zehn Thesen zum Kinderfernsehen. In: Erlinger, Hans Dieter u.a. (Hrsg.): Handbuch des Kinderfernsehens. Konstanz, S. 641 (2. überarbeitete und erweiterte Auflage).
  • Schäfer, Albert (1998): Spaß an der Qualität. Zur Entwicklung des ZDF‐Kinder‐ und Jugendprogramms. In: Erlinger, Hans Dieter (Hrsg.) (1998): Handbuch des Kinderfernsehens. Konstanz, S. 29‐42 (2., überarb. und erw. Aufl.).
  • Völcker, Beate (2005): Kinderfilm. Stoff‐ und Projektentwicklung. Konstanz.

(Dieser Text wurde ursprünglich veröffentlicht in: Tobias Kurwinkel/Philipp Schmerheim (2013): Kinder- und Jugendfilmanalyse. Konstanz und München: UVK (= UTB 3885), Kapitel 1.3, Exkurs: Fernsehprogramme für Kinder und Jugendliche. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.)