Biographie
James Krüss wurde am 31. Mai 1926 auf der Insel Helgoland geboren. In der Übersichtlichkeit der Insel lagen Grundvoraussetzungen für die späteren Beobachtungs- und Beschreibungstalente des Autors, wie Krüss selbst betonte. Auch das Sprachtalent des Autors verdankt sich einer insularen Besonderheit: Krüss' Muttersprache ist das Helgoländer Friesisch, das sogenannte Halunder, das nur auf Helgoland gesprochen wird. Erst im Grundschulalter lernte er Deutsch und die Verschiedenheiten der beiden Sprachen zu unterscheiden und situationsabhängig zu gebrauchen.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die benachbarte Düne der Insel Helgoland Militärgelände und Helgoland Ziel von Bombenangriffen. Der 15-jährige Krüss kam bei einer Evakuierung aller Mütter, Kinder und Schüler von der Insel zunächst nach Thüringen und später nach Sachen. Seinen Mittelschulabschluss konnte er jedoch auf seiner Heimatinsel machen; ab 1942 besuchte Krüss Lehrerbildungsanstalten in Lunden und Ratzeburg. Ab 1944 war er Student der Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerbildung in Braunschweig. Im Sommer 1944 wurde er zur Luftwaffe eingezogen. Nach der Kapitulation Deutschlands gelangte Krüss per Fahrrad und zu Fuß von Böhmen nach Hamburg. Wie Krüss das Kriegsende und die Reise nach Hamburg erlebte, ist nachzulesen in seinem Roman für Erwachsene Heimkehr aus dem Kriege. Eine Idylle (1965).
Bereits im Jahr 1946 begann Krüss mit ersten literarischen Versuchen. Im gleichen Jahr nahm er erneut das Lehramtsstudium auf, dieses Mal an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg, und machte 1948 das Examen. Wie Erich Kästner auch entschloss er sich jedoch, den Beruf des Lehrers nicht auszuüben. Stattdessen setzte er sich intensiv für die von ihrer Insel vertriebenen Helgoländer ein, denn seine Heimatinsel war seit dem Ende des Krieges britisches Bombenübungsgebiet. Da die Insulaner bis zur Freigabe der Insel 1952 in ganz Deutschland verstreut lebten, versuchte der 22-jährige Krüss mit Hilfe des "Club für Hallunner Moåts" (Club für Helgoländer Freunde), über den er die Lizenz für ein Monatsblatt erhalten konnte, die "zerstreute Bevölkerung der Insel [...] teilnehmend miteinander zuverbinden" (Helgoland. Ein Mitteilungsblatt für Halunner Moåts, [Nr. 1] 15.08.1948, S. 1). Er blieb zwischen 1948 und 1951 (bis zur Nr. 28/29) für den Inhalt des Blattes verantwortlich.
Um sich mehr dem Schreiben widmen zu können, siedelte Krüss 1948 nach Lochham bei München über. Er schrieb für unterschiedliche Zeitungen und es wurden seine ersten Kindergedichte veröffentlicht. Die wichtigste Verbindung für Krüss in dieser Zeit war die Bekanntschaft mit Kästner, dessen Kinderbuch Die Konferenz der Tiere er in eine Hörspielfassung umarbeitete. Ab 1951 wurden seine Hörspiele, Singspiele und Hörbilder im Bayerischen Rundfunk und in weiteren Regionalsendern ausgestrahlt. Auch ausländische Rundfunksender sendeten Arbeiten des jungen Autors.
1956 erschien Der Leuchtturm auf den Hummerklippen im Oetinger Verlag, das im Folgejahr für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert wurde. Es kamen ab Mitte der 50er Jahre jährlich neue Bücher von Krüss auf den Buchmarkt. Vorrangig erschienen in dieser Zeit Bilderbücher des Autors, wie beispielsweise Henriette Bimmelbahn (1957). Im Jahr 1958 wurde der erste Band des Kinderbuchs Die glücklichen Inseln hinter dem Winde, zunächst in Ost-Berlin, verlegt. 1959 brachte der Oetinger Verlag das Buch auf den westdeutschen Buchmarkt, der zweite Band folgte bei Oetinger 1960. An der Anzahl der in der Zeit erscheinenden Titel ist abzulesen, dass Krüss in dieser Zeit hochproduktiv und gefragt war.
Das viel beachtete Kinderbuch Mein Urgroßvater und ich erschien im Jahr 1959, für das der Autor 1960 den Deutschen Jugendbuchpreis erhielt. Der Preis wurde in München überreicht und Krüss las in der Sendung Wochenspiegel aus dem preisgekrönten Buch vor. Dieses mediale Ereignis verhalf ihm zu einem hohen Bekanntheitsgrad. Bedingt durch die Auszeichnung einerseits und das Fernsehereignis andererseits, war Krüss von nun an prominent. Er konnte sich ein Haus in Gilching bei München kaufen, wo er fortan lebte.
Seit 1958 arbeitete Krüss an der Erzählung Timm Thaler. 1962 kam das Kinderbuch dann bei Oetinger heraus und wurde in die IBBY-Ehrenliste aufgenommen. Mit diesem Buch, das ebenso an Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte wie an den Fauststoff erinnert und unübersehbar den Kapitalismus kritisiert, konnte Krüss sich wiederum in beiden deutschen Staaten einen Namen machen. 1964 erhielt Krüss gemeinsam mit der Illustratorin Eva Johanna Rubin den Deutschen Jugendbuchpreis für das Bilderbuch 3 x 3 an einem Tag. Unverkennbar wuchs die Popularität von Krüss, sowohl bedingt durch seine Buchproduktion, als auch durch seine Fernseherfolge, denn ab 1963 lief im ZDF die 13-teilige Fernsehserie ABC und Phantasie, in der Krüss selbst mitwirkte. Ab 1965 wurde die Kindersendung James' Tierleben produziert, in der Krüss ebenfalls Moderator war. Im Jahr 1966 entfloh der Autor dem mittlerweile hektischen Leben in Deutschland, das seine schriftstellerische Tätigkeit zu behindern drohte, und bezog sein neu erworbenes Haus auf der Insel Gran Canaria. Das Haus, das in einem abgelegenen Teil der Insel lag, wurde das Domizil für den Autor und seinen Lebensgefährten.
In den 1960er befand sich Krüss auf der Höhe seines schriftstellerischen Erfolges. Im Jahr 1968 erhielt er die Hans-Christian-Andersen-Medaille. Bedingt durch die Studentenrevolte und die politisch-gesellschaftliche Gesamtlage setzte Ende der 1960er Jahre jedoch ein Wandel in der Kinder- und Jugendliteratur ein und es entstand ein neues Verständnis von Kindheit. Die diesem neuen Umbrüchen folgende Kinder- und Jugendliteratur war einem sozialkritischen Realismus verpflichtet. Krüss hingegen blieb weiterhin ein Befürworter des Phantastischen und zielte mit seinen Werken nicht immer auf die Nachfragen der Rezipienten.
Ab den 1980er Jahren konzentrierte Krüss sich darauf, sein Gesamtwerk bündeln, erlebte aber keine großen Bucherfolge mehr. 1985 beendete er die Arbeit an seinem Zyklus Die Geschichten der 101 Tage. 1984 gab der Otto Meier Verlag, Ravensburg, den gesamten Zyklus als 17-bändige Taschenbuchausgabe heraus. Die 1990er Jahre waren von starken gesundheitlichen Beschwerden geprägt. Krüss musste mehrfach am Herzen operiert werden. Zu seinem 70. Geburtstag wurde Krüss mit dem Bundesverdienstorden 1. Klasse für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Er nahm den Preis in seinem Haus auf Gran Canaria in Empfang. Am 2. August 1997 starb James Krüss. Auf Helgoland fand die Trauerfeier statt und seine Asche wurde anschließend bei einer Seebestattung dem Meer übergeben.
Werk
In seinen Texten für Erwachsene, von denen in der Folge einige Beispiele genannt werden, hat Krüss sich hauptsächlich mit Identitätsbildung und Biographieentwürfen, mit Überlegungen zur Sprache, mit der Insel Helgoland und mit Formen, Inhalten und Funktionen von Literatur beschäftigt. In Polulangrische Lieder (1968) beispielsweise parodiert Krüss sprachgewandt in lyrischer Form linguistisch-etymologische Forschungen und verweigert in lautmalerischer Lyrik die Möglichkeit, Sinnkonstrukte zu herzustellen. An diesem Werk lässt sich sein unglaubliches Sprachtalent ebenso erkennen wie sein Humor.
Der Roman Heimkehr aus dem Kriege. Eine Idylle (1965) ist autobiographische 'Erinnerungsprosa' über die Zeit zwischen Februar und August 1945. Betont werden hier vor allem literarische Erlebnisse des jungen Kriegsheimkehrers. Krüss hat diesen Roman in leicht veränderter Form in seinen 1988 erschienenen Roman Der Harmlos. Die frühen Jahre (1988) integriert, der auch die Insel Helgoland zum Thema hat.
Wie intensiv Krüss sich mit seiner Heimatinsel beschäftigt hat, zeigt auch Die Historie der schönen Insel Helgoland, die er in den Jahren 1955/56 für das Mitteilungsblatt als Fortsetzung verfasst und die 1988 und 2007 in Buchform erscheint. In dem 2000 posthum erschienenen Werk Phantastische Blätter ist Krüss' weniger bekanntes Talent zur Malerei mit seiner Reimkunst verbunden. Farbige Lithographien in phantastisch-kindlicher Manier wechseln mit kurzen Gedichten und bilden eine kunstvolle Einheit.
Der Schwerpunkt seines Werkes liegt aber eindeutig im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Um Kinder zu erreichen, hat Krüss alle literarischen Genres und Gattungen, sowie alle Medien genutzt, Bilderbücher und Gedichte produziert, Erzählungen und Romane geschrieben, Sammlungen von Geschichten, Volksliedern und Gedichtsammlungen herausgegeben, Nachschlagewerke für Kinder sowie Theaterstücke und Hörspiele verfasst. Krüss hat sich auch in Essays und Reden mit der Kinder und Jugendliteratur auseinandergesetzt. In Naivität und Kunstverstand. Gedanken zur Kinderliteratur (1969; 1992) sind Aufsätze und Reden zur Kinder- und Jugendliteratur zusammengestellt, in denen er die auf Wichtigkeit der Phantasie in der Kinder- und Jugendliteratur verweist: "Weil Kinder Phantasie haben, muß man das nutzen, um mit ihrer Hilfe die Wirklichkeit der Welt zu explizieren." (Krüss: Das Recht auf Phantasie, 1969, S. 136) Klaus Doderer verweist in seinem Aufsatz Strandgänge mit James Krüss darauf, dass Krüss als "naiver Menschenfreund" (Doderer: Strandgänge, 1986, S. 27) ein Verfechter der Phantasie ist, zugleich aber „Zusammenhänge zwischen Phantasie und Vernünftigkeit" (Ebd., S. 16) herstellt und es versteht, Realität mittels Träumen und Phantasie zu beschreiben.
In den Erzählungen und Anthologien findet sich zumeist eine klare und thematisch begründete Ordnungsstruktur. Eine bewusste Beschäftigung mit Sprache, Reimen und Geschichten, deren Wirkungen und Funktionen charakterisieren vor allem die Erzählungen. Diese enthalten häufig Poetik-Fragen, wie z. B. die Frage, ob Literatur Wirklichkeit nachzuahmen oder ästhetische Wahrheiten darzustellen habe. Krüss fordert Kinder immer wieder zum produktiven Umgang mit und Hinterfragen von Literatur auf. Seine Bilderbücher und Gedichte sind von viel Witz und Humor sowie 'fabelhaften' Lehren geprägt. Insbesondere in den Tierfabeln gehen Witz und Logik eine überzeugende Mischung ein. Krüss verfolgt klare Ziele, schreibt er doch gegen Dummheit und Unkenntnis, gegen Klassendenken, gegen Rassismus und Vorurteile an. Er möchte die Kritikfähigkeit und das selbstständige Denken seiner Leser fördern, um so Ideen von Freiheit, Vernunft, Demokratie und Humor zu entwerfen. Er schreibe für Kinder "aus Spaß" (Krüss: Warum schreibt man Kinderbücher? 1969, S. 113) und weil Kinder "das offenste, weiteste, neugierigste und undoktrinärste Publikum der Welt" seien (Ebd., S. 114), so Krüss über sich selbst, aber auch, um Kinder zu denkenden und kritischen Menschen zu erziehen.
Einen Schwerpunkt seines Werkes machen seine von ihm herausgegebenen und größtenteils selbstverfassten Gedichtsammlungen aus. Seine erste Gedichtsammlung unter dem Titel Spatzenlügen veröffentlicht Krüss 1958. Drei Jahre später erschien die Gedichtsammlung Der wohltemperierte Leierkasten mit einem Nachwort von Kästner. Die Gedichtsammlung James Tierleben, die sich an seine gleichnamige Fernsehsendung anlehnt, erscheint erstmals 1965. Wie viele seiner Gedichte und Geschichten bindet Krüss auch seine Fabeln in Rahmenhandlungen ein. Er schafft dadurch Erzählungen auf mehreren Erzählebenen, die die unterschiedlichen Gattungen miteinander verknüpfen. In der Fabelsammlung Adler und Taube (1963) gelingt es einer Taube, dem vor ihrer schützenden Felsspalte lauernden Adler zu entkommen, indem sie ihn mit dem Erzählen von Fabeln davon abhält, sie zu töten und entkommen kann. Klugheit und Raffinesse siegen über die körperliche Stärke des Gegners. Krüss verweist im Text direkt auf das lebensrettende Erzählen der Scheherezade aus 1001 Nacht. Sowohl die Rahmenhandlung und die Binnenerzählungen aus Adler und Taube als auch die Fabeln aus der Fabeluhr integriert Krüss 1984 in sein Fabelwerk Die Schiffbrüchigen oder Die Fabelinsel. Wie zentral für Krüss die Beschäftigung mit Fabeln ist, lässt sich auch an dem Band Freunde von den Hummerklippen (1983) ablesen, der im Zentrum der Zyklusordnung von Die Geschichten der 101 Tage steht.
Insgesamt 17 Bände bilden den Zyklus Die Geschichten der 101 Tage, zu denen viele seiner bekanntesten Werke gehören. In den oft überarbeiteten Fassungen dieser Titel werden an jeweils sieben Erzähltagen oft einzelne Geschichten und Gedichte zu thematischen Erzählsituationen, sollten aber im Kontext der Rahmenhandlung gelesen werden, da sich dort die Gespräche über das Gehörte anschließen und die bei Krüss elementare Kommunikationsform des "Geschichten-Erzählen[s] als poetische Konzeption" (Macke: Geschichten-Erzählen als originäre Form der Verständigung, 1998, S. 50) sichtbar wird. Insgesamt hat James Krüss 40 Jahre an dem Zyklus gearbeitet, der ab 1986 im Ravensburger Otto Maier Verlag als Gesamtzyklus Die Geschichten der 101 Tage in 17 Bänden erscheint. Die Figuren des Zyklus begegnen sich meist an insularen Orten und erzählen sich Geschichten und Gedichte oder betätigen sich selbst literarisch, indem sie selbst Erzählungen und Verse verfassen. Der Ich-Erzähler Boy erzählt in dem Zyklus von den 101 Geschichtentagen seines Lebens. Diese 101 Tage reichen von seinem achten bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr. Obwohl Boy Haupterzähler ist, treten auch die anderen Figuren als Erzähler auf. Gemeinsam ist allen Figuren, dass sie ein hohes Interesse an Literatur und ihrer Vermittlung haben.
Bekannt geworden sind vor allem, neben den Hummerklippen-Bänden und den Glücklichen Inseln hinter dem Winde, die Bände Mein Urgroßvater und ich und Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen. In Mein Urgroßvater und ich beschäftigen sich beispielsweise der Erzähler des Zyklus und sein Urgroßvater eine Woche lang mit Geschichten und Gedichten, die die Sprache zum Thema haben. Im Folgeband Mein Urgroßvater, die Helden und ich verbringen die beiden Dichter wiederum eine ganze Woche miteinander, um sich mit dem Heldentum auseinanderzusetzen. Sie erörtern an sieben Tagen die Frage, was unter echtem und falschem Heldentum zu verstehen ist und kommen dabei zu der Erkenntnis, dass sich Heldentum meist im Verborgenen und Stillen abspielt und nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. In diesen beiden Bänden treten die geistigen Abenteuer an die Stelle einer ereignisreichen Handlung. Anders ist dies in Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen, in dem dynamische Situationswechsel die Handlung bestimmen. Im Zentrum steht die Geschichte von dem Jungen, der sein Lachen an den teuflischen Baron Lefuet verkauft für die Fähigkeit, jede Wette zu gewinnen. Timm merkt sehr schnell, dass er damit eine seiner wichtigsten menschlichen Fähigkeit aufgegeben hat. Mit Hilfe seiner Freunde kann Timm sein Lachen zurückgewinnen. "Krüss lässt seinen Timm gegen den Teufel siegen. Aber dazu muß der Junge sich in einer unheilen Welt bewähren und tief in das Getriebe des Kapitalismus eindringen." (Rodrian: Timm Thaler und Schwierigkeiten, 1965, S. 74) Am Ende erwirbt Timm dann ein Marionettentheater, in dem er auch seine eigene Geschichte spielt, um belehrend und aufklärend zu wirken. Trotz anfänglicher Kritik am Buch wird Timm Thaler sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland ein Erfolg. 1979 wird der Stoff dann auch für das Fernsehen adaptiert.
Populärrezeption
James Krüss erlebte seinen bundesweiten Durchbruch Ende der 1950er Jahre, hatte sich aber in den Jahren zuvor vor allem mit seinen Bilderbüchern und Gedichten bereits eine festes Lesepublikum erschlossen. Neben einer festen Etablierung einiger seiner Werke in der DDR erreicht Krüss mit seinen Texten für junge Leser auch ein internationales Publikum, wurden und werden seine Werke doch in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Krüss gilt als einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren der Nachkriegszeit, der die Entwicklung der Kinder- und Jugendmedien maßgeblich mitgestaltet hat.
Seinem breiten, medialen Wirkungsspektrum ist es geschuldet, dass er sowohl in Fernsehen als auch auf dem Buchmarkt einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte und diesen auch hielt, obwohl er seit Mitte der 1960er Jahre nicht mehr in Deutschland lebte und stilistisch sowie thematisch nicht an alle gesellschaftlichen Veränderungen anschließen konnte. Seine Bekanntheit und die Beliebtheit seiner Werke lässt sich auch an den Auszeichnungen ablesen, die Krüss im Laufe seiner Schaffenszeit erhalten hat.
Einem breiten jungen Lesepublikum ist Krüss vor allem durch eine Vielzahl von Gedichten bekannt, die bis heute die Lese- und Schulbücher vieler Grundschüler und/ oder auch Schulbücher für weiterführende Klassen bevölkern. Auch viele seiner bekanntesten Titel – über diejenigen für Kleinkinder und Ersteleser wie Henriette Bimmelbahn bis hin zu Timm Thaler – werden weiterhin vom Verlag Friedrich Oetinger, aber auch vom Carlsen Verlag und vom Boje Verlag, oftmals mit sehr originellen Illustrationen, publiziert. Angesichts dieser hohen Rezeption erstaunt es, dass zumeist die größeren Strukturen seines Gesamtwerks – wie die Zusammenführung sämtlicher Titel in einen Zyklus – einem breiten Lesepublikum nahezu unbekannt sind. Auch die Titel, die sich vorrangig an erwachsene Leser richten sowie sein friesischsprachiges Werk sind so gut wie unbekannt.
Wissenschaftliche Rezeption
James Krüss gehört zu jenen Autoren, die früh in der wissenschaftlichen Rezeption erscheinen. Vorrangig Klaus Doderer und Winfred Kaminski haben sich mit seinem Werk auseinander gesetzt. Darüber hinaus gibt es eine Fülle an Forschungsliteratur und Rezensionen zu einzelnen Bänden. Allerdings werden auch in der wissenschaftlichen Rezeption selten die Strukturen und Zusammenhänge des Gesamtwerks in den Blick genommen. Das hat sich in den letzten Jahren jedoch verändert, sodass mittlerweile umfangreichere Betrachtungen (Doderer 2009; Bieber 2012) vorliegen.
Nichtsdestotrotz gilt weiterhin, Forschungsdesiderate mit Blick auf das Gesamtwerk zu schließen. Unter Zyklusperspektive wäre es wünschenswert, dass weitere theoretische und textanalytische Einzeluntersuchungen folgen, die sich sowohl auf die textgenetischen Transformationen als auch auf den zyklischen Zusammenschluss beziehen können. Eine breite ›Krüss-Forschung‹ könnte sich auch jenen Facetten des Werks von James Krüss zuwenden, die bis heute weitgehend unbekannt oder aber wenig beachtet sind. So könnte sich den bisher unpublizierten Gedichte und Geschichten, den unveröffentlichten Manuskripten – wie denen, die den Roman Der Harmlos fortführen –, den sehr frühen Publikationen und dem journalistisch-essayistischen Werk des Autors zugewandt werden. Dafür ist es sehr hilfreich, dass der Nachlass des Autors seinen Platz in der Internationalen Jugendbibliothek in München gefunden hat.
Aus friesischer bzw. friesisch-germanistischer Perspektive wäre es wünschenswert, das friesischsprachige Werk aufzuarbeiten und möglicherweise durch Übersetzungen einem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich zu machen, um damit die Perspektive auf den Autor um die Themen und Formen dieses Werks zu erweitern. Disziplinenübergreifend wäre es reizvoll, sich mit der Naiven Malerei des Autors zu beschäftigen.
Literatur
- Bieber, Ada: "Iip Lun" oder: Inseln im Leben und Werk des Helgoländer Autors James Krüss. In: Nordfriesisches Jahrbuch 2006/07. Band 42. Herausgegeben vom Nordfriisk Instituut. Bräist/ Bredstedt: Nordfriesisches Institut 2006. S. 91-114.
- Bieber, Ada: James Krüss. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. 32. Erg.-Lfg./37. Erg.-Lfg.. München: Corian Verlag 2008/09.
- Bieber, Ada: Zyklisches Erzählen in James Krüss’ Die Geschichten der 101 Tage. Diss. Hamburg: Igel Verlag 2012.
- Blumensath, Heinz: Kaleidoskop-Geschichten. In: Sechs Jahrzehnte oder Vom kleinen Boy zum großen Boy. James Krüss zum 60. Geburtstag. Hamburg: Verlag Friedrich Oetinger 1986. S. 38-47.
- Doderer, Klaus: Der Sieg der Taube. Weisheiten der Fabeltiere des James Krüss. In: Von einem der auszog...: Frederik Hetmann/ Hans-Christian Kirsch: Märchen sammeln, erzählen, deuten. Herausgegeben von Johannes Fiebig. Kummwisch: Königfurth 2004. S. 86-92.
- Doderer, Klaus: Reisen in erdachtes Land. Literarische Spurensuche vor Ort – Essays. München: Iudicium 1998.
- Doderer, Klaus: Strandgänge mit James Krüss. In: Sechs Jahrzehnte oder Vom kleinen Boy zum großen Boy. James Krüss zum 60. Geburtstag. Hamburg: Verlag Friedrich Oetinger 1986. S. 9-35.
- Doderer, Klaus: James Krüss. Insulaner und Weltbürger. Hamburg: Carlsen Verlag 2009.
- Kaminski, Winfred: "Weltveränderer? Sprachveränderer? James Krüss zum 60. Geburtstag". In: Fundevogel, Heft 26 (1986). S. 14-16.
- Kästner, Erich: Nachwort eines älteren Kollegen. In: Krüss, James: Der wohltemperierte Leierkasten. Ill.: Eberhard Binder-Staßfurt. Mit einem Nachwort von Erich Kästner. Gütersloh: Sigbert Mohn Verlag 1961. S. 161-163.
- Macke, Birgit: Geschichten-Erzählen als originäre Form der Verständigung. Zur poetischen Konzeption im Werk von James Krüss. Magisterarbeit, durchgesehene Fassung von 1998. Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster. Münster 1998.
- Ott, Kerstin: Die Utopie der Glücklichen Inseln. Wandlungen und Konstanten im Werk von James Krüss. Frankfurt a. M.: Phil. Diss. 1993.
- Rodrian, Fred: Timm Thaler und Schwierigkeiten. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur, 7 (1965). S. 71-83.
- Schwaderer, Ulrike: Autobiographie und Psychologie – dargestellt am Beispiel der Autobiographie von James Krüss "Der Harmlos". Diplomarbeit an der Universität Hildesheim 1989.
Umfangreiche Bibliographien zum Werk des Autors sowie zur Forschungsliteratur finden sich bei Bieber (2008/09; 2012) und Doderer (2009).
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