Explikat

Matías Martínez und Martin Scheffel bringen in ihrem Einführungsband zur Erzähltheorie die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der zeitlichen Dimension in erzählenden Texten auf die folgende simple Formel: "Wie jedes Geschehen ist auch der Akt des Erzählens selbst ein zeitliches Phänomen." (Martinez und Scheffel 2012, S. 33) Sie verweisen damit gleichermaßen auf die Zeit, die das Erzählen selbst – die Erzählzeit –  in Anspruch nimmt, als auch auf die Zeit, die das erzählte Geschehen – die erzählte Zeit – benötigt. Trotz der zitierten Simplizität ist das Verhältnis von erzählenden Texten zur Zeit nicht nur besonders eng, sondern zudem besonders kompliziert (vgl. Vogt 2006, S. 96). Fassbar machen lässt sich dieses Verhältnis anhand der Analyseschwerpunkte Tempo, Ordnung und Frequenz.

Tempo 

Bestimmt wird das Erzähltempo aus dem Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit. Die Erzählzeit ergibt sich im Falle eines Erzähltextes laut Martínez und Scheffel aus dem Seitenumfang der Erzählung (vgl. Martínez und Scheffel 2012, S. 33). Allerdings stößt diese Art der Bemessung nicht auf ungeteilte Zustimmung. So vermerkt Christoph Bode in diesem Zusammenhang kritisch: 

Es ist auch einmal vorgeschlagen worden, die Erzählzeit in Buchseiten zu messen. Mir erschließt sich nicht ganz – einmal abgesehen davon, dass man dann doch wohl noch die Zeilenzahl und Zeichenzahl pro Standardseite festlegen müsste – , was dadurch eigentlich gewonnen wäre: Man müsste den Umfang ja doch wieder in Zeit umrechnen – warum also nicht gleich, ohne Umweg, konstatieren: Zum Lesen dieses Romans braucht man ca. fünf Stunden. (Bode 2011, S. 97)

Kurz gefragt werden soll, ob der Umweg über Erzähl- bzw. Lesezeit pro Seite im Verhältnis zur Gesamtseitenzahl nicht doch einem Lesen quasi mit Stoppuhr vorzuziehen wäre. Es mag auf den ersten Blick in jedem Fall etwas müßig und wenig ertragreich erscheinen, sich mit dem Bemessen der Erzählzeit zu beschäftigen und demzufolge Buchseiten oder Spielminuten – je nachdem, welches narrative Medium man sich vornimmt – auszuzählen. 

Dennoch macht die Verhältnissetzung von Erzählzeit und erzählter Zeit deutlich, dass "sich Erzählungen als Ganzes oder auch in ihren Teilen durch ein jeweils spezifisches Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit und damit ein besonderes 'Erzähltempo' auszeichnen." (Martínez und Scheffel 2012, S. 33). Dieses Tempo gilt es nachzuzeichnen, wobei sich drei verschiedene Tempi bestimmen lassen, die sich wiederum in fünf verschiedene Grundformen der Erzählgeschwindigkeit übersetzen lassen. 

Zeitdeckendes Erzählen

Eine erste Variante ist das zeitdeckende Erzählen oder auch der Sekundenstil. Beim zeitdeckenden Erzählen bewegt sich die Erzählung im nahezu gleichen Tempo wie das erzählte Geschehen: Erzählzeit = erzählte Zeit.

Das zeitdeckende Erzählen findet seine typische Ausprägung in der Szene, bei der die Dauer der Wiedergabe von Figurenrede nahezu identisch zur Rede selbst ist. So ist die folgende Szene aus Pippi Langstrumpf, die nahezu frei von Einschüben und Kommentaren des Erzählers und fast ausnahmslos durch Figurenrede geprägt ist, ein Beispiel für das zeitdeckende Erzählen: 

"Kann man in einem Kinderheim Pferde haben?" fragte Pippi. "Nein, natürlich nicht", sagte der Schutzmann. "Das konnte ich mir denken", sagte Pippi düster. "Na, aber Affen?" "Natürlich nicht, das mußt [sic] du ja verstehen." "Ja", sagte Pippi, "da müßt [sic] ihr euch von anderswoher Kinder für euer Kinderheim besorgen. Ich habe nicht die Absicht, dahin zu gehen." "Ja, aber begreifst du nicht, daß [sic] du in die Schule gehen mußt [sic] ?" sagte der Schutzmann. "Wozu muß [sic] man in die Schule gehen?" "Um alles mögliche zu lernen natürlich." "Was alles?" fragte Pippi. "Viele Dinge", sagte der Schutzmann, "eine ganze Menge nützliche Sachen, z. B. Multiplikation, weißt du, das Einmaleins." (Lindgren 1986, S. 47-48)

Auch Kalle Blomquist als intradiegetischem Erzähler in Kalle Blomquist Meisterdetektiv gelingt es nahezu und mit Ausnahme weniger und im Text über Parenthesen abgesetzter Kommentare, die Verhaftung der Juwelendiebe zeitdeckend und durch die darüber erzeugte Unmittelbarkeit spannungsreich zu erzählen: 

"Onkel Björk und der, der am Steuer saß, zielen auf das Auto", berichtete er Anders und Eva-Lotta. "Und der dicke Kommissar reißt die Autotür auf – Junge, wie die aufeinander losgehen! Jetzt kommt Redig, er hat auch einen Revolver – peng  jetzt bekommt er einen Schlag von Onkel Björk, sodass er den Revolver verliert, hört bloß – Mensch, ist das gut – und da ist Onkel Einar, aber er hat keinen Revolver, er haut bloß um sich, aber jetzt, jetzt legen sie dem Kerl tatsächlich Handschellen an und auch dem Redig." (Lindgren 2004, S. 130)

Zeitdehnendes Erzählen

Das zeitdehnende Erzählen wiederum beschreibt ein Erzählen, bei dem der Discours mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Histoire (Erzählzeit > erzählte Zeit). Es bedingt zwei erzählerische Grundformen: Erstens die Dehnung oder den Zeitlupenstil, der häufig in Verbindung mit inneren Monologen oder Beschreibungen von Vorgängen im Inneren der erlebenden Figur auftritt (vgl. Martínez und Scheffel 2012, S. 46). So wird das Erzählen in Nesthäkchen fliegt aus dem Nest gedehnt, indem die Handlung, die aus einer kurzen Anrede und aus einem Hinübertreten in einen anderen Raum besteht, durch den inneren Monolog der Protagonistin sehr viel Erzählzeit in Anspruch nimmt: 

Das junge Mädchen in der weißen Kittelschürze wandte sich der Rufenden zu. "Wir dürfen ihn [den Gips] nicht lockern, Frau Lehmann, sonst heilt das Bein schlecht zusammen. Sie müssen schon die Beschwerden mit Geduld ertragen." Geduld – war es nicht lächerlich, daß [sic] sie, die den Begriff Geduld am wenigsten kannte, sie andern predigte? Doktors Nesthäkchen und Geduld! Das war wie Wasser und Feuer, wie Licht und Finsternis. Hatte sie nicht eben erst eine  Probe davon geliefert? Ach, hätte sie nur soeben ein wenig mehr Geduld und Sanftmut bewiesen, dann brauchte sie jetzt nicht mit tränenbrennenden Augen in den lachenden Lenztag hineinzuschauen. Er war doch nun mal ihr Vorgesetzter, von dem sie eine gerechtfertigte Mißbilligung [sic] hinzunehmen hatte. Wie oft hatte sie sich das schon gesagt. Und trotzdem war ihr Hitzkopf wieder mal mit allen guten Vorsätzen durchgegangen. Wenn es nur irgendein beliebiger Fremder gewesen wäre, der Assistenzarzt, dann hätte eine Äußerung der Unzufriedenheit von ihm nicht so ihren Stolz verletzt. Aber von Rudolf Hartenstein ertrug sie eine Zurechtweisung nicht. Alles in ihr bäumte sich dagegen auf. Und wenn er zehnmal recht hatte. Wäre sie doch niemals darauf eingegangen, am Krankenhaus Westend praktisch zu arbeiten. Wäre sie doch lieber in Vaters Klinik gegangen. (Ury 1921) 

Harry Potters ausführliche Untersuchung des ersten Briefes aus Hogwarts stellt ebenfalls eine Form der Dehnung dar und gibt seinen Gedanken Raum in der Erzählung: 

Harry hob ihn auf und starrte auf den Umschlag. Sein Herz schwirrte wie ein riesiges Gummiband. Niemand hatte ihm Je in seinem ganzen Leben einen Brief geschrieben. Wer konnte es sein? Er hatte keine Freunde, keine anderen Verwandten – er war nicht in der Bücherei angemeldet und hatte deshalb auch nie unhöfliche Aufforderungen erhalten, Bücher zurückzubringen. (Rowling 1998, S. 41)

Auch wenn hier die Dehnung erzähltechnisch eingesetzt wird, um Harrys Aufregung über den ersten an ihn adressierten Brief zu beschreiben und gleichzeitig eine Wendung in seinem trostlosen Leben bei den Dursleys anzukündigen, mag die dehnende Wirkung an dieser Stelle vielleicht etwas eingeschränkt interpretiert werden. Anscheinend verwendet Harry Potter eine der Handlung nicht entsprechende Zeitdauer auf die gründliche Inspektion seines Briefes, denn immerhin fühlt sich Onkel Vernon bemüßigt aus der Küche zu rufen:

"Beeil dich, Junge!", rief Onkel Vernon aus der Küche. "Was machst du da draußen eigentlich, Briefbombenkontrolle?" Er gluckste über seinen eigenen Scherz. (ebd. S. 43)

Zweitens ergibt sich aus dem zeitdehnenden Erzählen auch die Pause, bei der nicht einfach das Erzählen mehr Zeit in Anspruch nimmt, sondern die erzählte Zeit komplett still steht, während die Erzählzeit weiterläuft (vgl. Martínez und Scheffel 2012, S. 46). Gekennzeichnet ist die Pause häufig durch Beschreibungen von Figuren oder Örtlichkeiten oder auch durch Kommentare oder Reflexionen eines Erzählers, die – im Falle des heterodiegetischen Erzählers – nicht an die Perspektive einer handelnden Figur gebunden und deswegen auch nicht in die Zeit der Erzählung selbst eingebunden sind (vgl. ebd.).  

Die ausführlichen Erzählerkommentare oder "Nachdenkereien" (Kästner 1938), denen Erich Kästner in Pünktchen und Anton nach jedem Kapitel Platz und Zeit einräumt, stellen eine Pause dar, da das Geschehen durch sie unterbrochen wird oder komplett zum Stillstand kommt:  

Ich möchte an dieser Stelle ein bißchen [sic] über den Mut reden. Anton hat eben einem Jungen, der größer ist als er, zwei Ohrfeigen gegeben. Und da könnte man ja nun meinen, Anton habe Mut bewiesen. Es war aber gar nicht Mut, es war Wut. Und das ist ein kleiner Unterschied, nicht nur im Anfangsbuchstaben. (ebd. S. 58) 

Dass die einzelnen Nachdenkereien aus dem 'narrativen' oder 'erzählten' Rahmen fallen, wird zum einen schon an ihrer typografischen Abgrenzung vom restlichen (Text-)Geschehen deutlich, die bereits in der Einleitung angekündigt wird:

Ich werde alles, was in diesem Buch mit Nachdenken verbunden ist, in kleine Abschnitte zusammenfassen, und den Mann, der das Buch druckt, werde ich bitten, daß [sic] er meine "Nachdenkereien" anders druckt als die Geschichte selber. Er soll die Nachdenkereien schräg drucken, genau wie diese Einleitung. (ebd. S. 9-10)

Diese typografische Abgrenzung wird zudem durch die Nummerierung der "Nachdenkereien" unterstrichen, die parallel zu der weiteren Kapitelbetitelung verläuft. Zum anderen wird das Ausklammern der "Nachdenkereien" aus der Historie auch anhand der apostrophischen Anweisung, dass niemand diese lesen müsse, deutlich: 

Nun weiß ich aus Erfahrung, daß [sic] manche Kinder solche Überraschungen, wie eben die mit dem Holz und dem Pferd und der Wirklichkeit und der Wahrheit, sehr gern lesen. Andere Kinder essen lieber drei Tage nichts als Haferschleim, ehe sie sich an so kniffliche Dinge heranwagen. Sie haben Angst, ihr kleines, niedliches Gehirn könnte Falten kriegen. Was soll man da machen? Ich weiß einen Ausweg. [...] Wenn ihr also etwas Schräggedrucktes seht, dann könnt ihr es überschlagen, als ob es gar nicht dastünde. Kapiert? Ich hoffe, daß [sic] ihr verständnisvoll mit den Köpfen nickt. (ebd.) 

Ein ähnliches Pausieren kennzeichnet auch die Buchreihe rund um Die drei ???, indem den einzelnen Kapiteln ebenfalls ein Herausgeberkommentar beigefügt wird, der schriftbildlich und durch den Gebrauch des Symbols der drei Detektive vom restlichen narrativen Geschehen abgegrenzt ist: 

Die drei ???

Justus Jonas auf dem Rückzug – ich kann mich eines Anflugs von Schadenfreude nur mit Mühe erwehren. Doch so sehr sein Auftreten und seine Haltung sonst meine Kritik herausfordern, so wenig bin auch ich geneigt, an übernatürliche Mächte im Gespensterschloss zu glauben. (Arthur 2009, S. 45)  

Thematisch beschäftigen sich die einzelnen Erzählerkommentare nicht ausschließlich, aber doch relativ häufig mit der spöttischen Betrachtung des ersten Detektivs. Sie sind gleichzeitig Teil der (partiellen) Herausgeberfiktion um Alfred Hitchcock und später Albert Hitfield, welche die Serie bestimmen. Aus diesem Grund fallen die beispielhaften Pausen auch bis zu einem gewissen Grad aus der vorgestellten Definition heraus, ohne dass sie deshalb nicht mehr als solche klassifiziert werden können. Zwar werden Alfred Hitchcock und Albert Hitfield dezidiert als Figuren in die Geschichte eingeführt – "Im Türrahmen zum Büro stand Albert Hitfield – persönlich." (ebd. S. 23) – was der Definition der Pause widersprechen würde. Gleichzeitig wird der zitierte Kommentar dezidiert als nachträglich eingefügter Herausgeberkommentar inszeniert (vgl. ebd. S. 25). Dass sich im Zuge dieser Fiktion auch der Autor Robert Arthur hinter der Phrase "erzählt von" versteckt und damit an der Grenzziehung zwischen Autoren und Erzähler rüttelt, ist eine andere Geschichte und soll an anderer Stelle erzählt werden. 

Zeitraffendes Erzählen

Das zeitraffende Erzählen, bei dem das erzählte Geschehen mehr Zeit in Anspruch nimmt als der Akt des Erzählens (Erzählzeit < erzählte Zeit) bedingt ebenso wie das zeitdehnende Erzählen zwei erzählerische Grundformen.

Bei der Zeitraffung oder dem summarischen Erzählen fasst die Erzählung länger andauernde Geschehnisse zusammen und erzählt somit nicht alle Einzelheiten oder nicht alle wiederholt auftretenden Ereignisse. Die Raffung lässt sich bei zahlreichen kinder- und jugendliterarischen Texten bereits an der Gesamtlänge der Texte ablesen. So vergeht trotz der im Titel proklamierten Aussage Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb im Verlauf des in zwölf Monatskapitel unterteilten Buches von Clare Furniss tatsächlich ein ganzes Jahr auf 268 Seiten, während sich in Bezug auf die im Laufe der einzelnen Schuljahre immer dicker werdenden Harry-Potter-Bände – von 334 auf 767 Seiten – vielleicht etwas spitzzüngig fragen lässt, ob es nur die Schreibfreude ist, die zunimmt oder ob auch J.K. Rowling dem Phänomen der zunehmenden Seitenzahl in fantastischen Buchserien zum Opfer fällt. Zum Vergleich: Stephenie Meyers Twilight-Auftakt in der gebundenen Ausgabe umfasst 512 Seiten, der letzte Teil hingegen kommt auf 800 Seiten; auch Cornelia Funkes Tintenherz-Trilogie nimmt an Umfang (von 576 auf 768 Seiten) deutlich zu.  

Die Raffung ist jedoch nicht nur auf den Text als Ganzes beschränkt, sondern findet sich auch auf textinterner Ebene. So führt die Ungeduld von Thomas und Annika, Pippi Langstrumpf wiederzusehen nicht nur dazu, dass sie alles "viel schneller als sonst" (Lindgren 1986, S. 25) tun und somit "eine ganze Stunde früher, als ihre Mutter gedacht hatte" (ebd. S. 25), am Frühstückstisch sitzen, sondern dass auch die Erzählung selbst gerafft und zusammengefasst ist: 

Sie wuschen sich und bürsteten die Zähne viel schneller als sonst, sie zogen sich schnell und vergnügt an, und eine ganze Stunde früher, als ihre Mutter gedacht hatte, kamen sie von der oberen Etage auf dem Geländer heruntergerutscht und landeten genau am Frühstückstisch, wo sie sich niederließen und riefen, daß [sic] sie ihren Kakao jetzt sofort haben wollten. (ebd. S. 25-26)

In Das leere Grab im Moor, dem dritten Fall der TKKG-Freunde, ist die Erzählung des intradiegetischen Erzählers Tarzans – zu diesem Zeitpunkt ließ er sich noch mit dem "halbfertigen Bodybuilder im Lendenschurz" (Wolf 1985, S. 13) vergleichen oder durfte es vielmehr – an seine Freunde in eine einzige Zeile gerafft: "Tarzan berichtete Einzelheiten […]" (Wolf 1979, S. 103). Als Grund für diese drastische Raffung, hinter der sich Tarzans Verfolgungsjagd des Piloten Harry Smith durch das Moor und die Begegnung mit dessen Komplizen Stulla verbirgt (vgl. ebd. S. 98-102), kann die vorhandene doppelte Adressierung von intradiegetischen Erzählungen geltend gemacht werden, die sich gleichermaßen an die textinternen Zuhörer – in diesem Fall Karl, Klößchen und Gaby – und die Lesenden richten (vgl. Bode 2011, S. 212). Da der Lesende durch den extradiegetischen Erzähler bereits über die Geschehnisse im Moor informiert ist und diese lesend miterlebt hat, wird die intradiegetische Erzählung, welche für die TKKG-Freunde und ihre Detektivarbeit vonnöten ist, hinter der Raffung verborgen und sorgt somit nicht für Langeweile und Wiederholung.  

Neben der Raffung ist auch die Ellipse oder der Zeitsprung eine Form des zeitraffenden Erzählens. Bei der Ellipse wird eine bestimmte Zeitspanne im Discours nicht nur zusammengefasst, sondern gänzlich ausgelassen. Ellipsen können markiert und somit explizit oder auch unmarkiert und implizit vorliegen (vgl. Jannidis, Spörl und Fischer 2005a). 

In Harry Potter und die Heiligtümer des Todes wird die Ellipse allein über die Kapitelüberschrift "19 Jahre später" (Rowling 2011, S. 761) und über den vorletzten Satz markiert: "Die Narbe hatte Harry seit neunzehn Jahren nicht mehr geschmerzt." (ebd. S. 767) 

In Michael Endes Momo hingegen erscheint die Ellipse zunächst weniger deutlich markiert. Zwar verweist auch die Kapitelüberschrift schon auf eine vergangene Zeitspanne: "Dort ein Tag und hier ein Jahr" (Ende 2013, S. 169), zunächst wird der Zeitsprung und vor allen Dingen dessen Dauer jedoch weder für Momo noch für den Lesenden deutlich: 

Momo erwachte und schlug die Augen auf. Sie musste sich eine Weile besinnen, wo sie war. Es verwirrte sie, dass sie sich auf den grasbewachsenen Steinstufen des alten Amphitheaters wiederfand. War sie denn nicht vor wenigen Augenblicken noch im Nirgend-Haus bei Meister Hora gewesen? Wie kam sie denn so plötzlich hierher? (ebd.) 

Erst nach und nach und mit Hilfe der Schildkröte Kassopeia wird Momo bewusst, wie lange sie geschlafen hat und wie viel Zeit damit in der Zwischenzeit – oder aus narrativer Perspektive – in der Histoire vergangen ist: "'HAST LANG GESCHLAFEN', lautete Kassopeias Antwort. […] 'Wie lang?', fragte sie flüsternd. 'JAHR UND TAG.'" (Ende 2013, S. 188) 

Dem Lesenden wird die vergangene und übersprungene Zeitdauer bereits an früherer Stelle bewusst gemacht; gleichzeitig wird über verschiedene Analepsen transportiert, was in der Zeitspanne von Momos Schlaf mit ihren Freunden durch die grauen Herren passiert ist: 

Mit Gigi Fremdenführer hatten die grauen Herren es vergleichsweise leicht gehabt. Es hatte damit begonnen, dass etwa vor einem Jahr, kurz nach dem Tag, an dem Momo plötzlich spurlos verschwunden war, ein längerer Artikel über Gigi in der Zeitung gestanden hatte. (ebd. S. 171)

Neben diesen unterschiedlich stark, aber dennoch markierten Ellipsen, finden sich unmarkierte bzw. implizite Ellipsen in einer Vielzahl von kinder- und jugendliterarischen Texten, um Geschehnisse, die für die Plotentwicklung nicht wichtig sind, aus dem Discours auszusparen. So wird der Nacht, in der Kalle Blomquist versucht, Onkel Einars Fingerabdrücke zu bekommen, im Discours ein ganzes Kapitel zugewendet. Dass die Beschaffung des Fingerabdruckes und das Erlernen der Tatsache, dass Onkel Einar nicht nur einen Revolver besitzt, sondern vielmehr auch mit diesem unter seinem Kopfkissen schläft, nicht nur einen Eintrag in Kalles Notizbuch (vgl. Lindgren 2004, S. 61), sondern auch im Discours wert ist, scheint folgerichtig. Dass der Lesende jedoch von zahlreichen anderen nächtlichen Aktivitäten, die Kalle schlafender Weise in anderen Nächten verrichtet, nichts erfährt, zeugt davon, dass diese für den Plot nicht relevant sind und ausgespart werden können. Aufgrund des Alltagswissens des Lesenden ist es für ihn verständlich, dass zwischen den folgenden beiden Sätzen eine Nacht vergangen ist:

Warum trabte er bloß so herum?, dachte Kalle, und im nächsten Augenblick sprang er mit einem Satz in sein eigenes schönes Bett. Schon um acht Uhr am Sonntagmorgen hörte er Anders' Pfeifen vor dem Fenster. (ebd. S. 20)

Zeit: Tempo

Abb. 1: Eigene Darstellung

Zeitliche Ordnung 

Die Auseinandersetzung mit der zeitlichen Ordnung fragt ausgehend vom Verständnis der zeitlichen Gebundenheit sprachlicher Äußerungen und (erzählter) Geschehnisse nach der Reihenfolge von in der Histoire stattfindenden Ereignissen und ihrer sprachlichen Wiedergabe im Discours. Die Geschehnisse können in der Histoire entsprechend der linearen Ordnung erzählt werden (synchrones Erzählen) oder von dieser abweichen (anachronologisches Erzählen).

Synchrones Erzählen

Das synchrone Erzählen, bei dem Ordnung oder die chronologische Reihenfolge der Ereignisse im Discours eingehalten wird, kann als Norm-Fall des Erzählens angesehen werden und findet sich in einer Vielzahl von kinder- und jugendliteratischen Texten. So werden die Geschehnisse in Otfried Preußlers Die Kleine Hexe, welche die Entwicklung der kleinen Hexe zu einer guten Hexe von einer Walpurgisnacht zur nächsten beschreiben, streng chronologisch und damit synchron erzählt. Auch wenn der Entwicklungs- und Lernprozess der kleinen Hexe selbst nicht immer ganz linear verläuft und von Rückschlägen und Ermahnungen durch ihren Hausraben Abraxas geprägt ist, verläuft der Discours synchron zur Ordnung in der Histoire. Ebenso synchron erfolgen auch die Ermittlungsarbeiten von Kalle Blomquist in Kalle Blomquist – Meisterdetektiv

Anachronologisches Erzählen

Das anachronologische Erzählen stellt im Gegensatz dazu ein Erzählen dar, bei dem die Ordnung im Discours von der Ordnung in der Histoire abweicht und offeriert drei verschiedene Abweichungsmöglichkeiten. Zum einen ein Abweichen, bei dem in der Histoire vorgegriffen wird und ein zukünftiges stattfindendes Ereignis im Discours bereits erzählt wird. Diese erzählerische Vorwegnahme oder auch Prolepse findet bspw. in Harry Potter und der Stein Weisen Verwendung. So werden zum Ende des ersten Kapitels Harry Potters zukünftige Leiden unter dem Dach der Familie Dursley bereits vorgreifend geschildert, ehe die Geschichte wieder zur chronologischen Ordnung zurückkehrt: 

Seine kleinen Finger klammerten sich an den Brief neben ihm, und er schlief weiter, nicht wissend, dass er etwas Besonderes war, nicht wissend, dass er berühmt war, nicht wissend, dass in ein paar Stunden, wenn Mrs. Dursley die Haustür öffnen würde, um die Milchflaschen hinauszustellen, ein Schrei ihn wecken würde, und auch nicht wissend, dass ihn sein Vetter Dudley in den nächsten Wochen peinigen und piesacken würde ... Er konnte nicht wissen, dass in eben diesem Moment überall im Land Versammlungen stattfanden, Gläser erhoben wurden und gedämpfte Stimmen sagten: "Auf Harry Potter – den Jungen, der lebt" (Rowling 1998, S. 22-23)

Nicht verwechselt werden sollte die Prolepse mit dem Zeitsprung – der Ellipse – bei der ein Sprung in der Zeit durch Auslassung entsteht, aber die chronologische Reihenfolge der Geschehnisse erhalten bleibt. So stellt Harrys Aufwachen im Haus der Dursleys, das im Discours auf sein obig zitiertes Einschlafen vor der Tür dieses Hauses erfolgt, keinen erzählerischen Vorgriff dar, sondern einen Zeitsprung, der durch Einschlafen und Aufwachen gerahmt ist: "In seinen Leinentüchern drehte sich Harry Potter auf die Seite, ohne aufzuwachen. […] Doch Harry Potter war immer noch da, er schlief gerade, aber nicht mehr lange." (ebd. S. 22-24)

Eine weitere zu beachtende Verwechslungsmöglichkeit der Prolepse stellt die Wiederkehr zur chronologischen Ordnung nach einem erzählerischen Rückgriff – nach einer Analepse – dar, die eine weitere Form des anachronologischen Erzählens darstellt. So kehrt in Harry Potter und der Stein der Weisen der Discours nach einem kurzen Rückblick wieder zur chronologischen Ordnung der Ereignisse zurück:

Zehn Jahre zuvor hatten dort eine Menge Bilder gestanden, auf denen etwas, das an einen großen rosa Strandball erinnerte, zu sehen war und Bommelhüte in verschiedenen Farben trug, doch Dudley Dursley war nun kein Baby mehr und jetzt zeigten die Fotos einen großen, blonden Jungen, mal auf seinem ersten Fahrrad, mal auf dem Rummelplatz Karussell fahrend […]" (ebd.)

Die Analepse als weitere Form des anachronologischen Erzählens und als Gegenstück zur Prolepse ist demzufolge gekennzeichnet durch eine Abweichung im Discours, bei der ein Ereignis, welches sich früher in der Historie abgespielt hat bzw. bereits vergangen ist, erst später im Discours erzählt wird. So stellt das obige Zitat eine Analepse dar, die gleichzeitig dazu dient, die stattgefundene Ellipse zu markieren und dem Lesenden so die vergangene Zeit zu verdeutlichen. 

Während in der Analepse zu Beginn des zweiten Kapitels von J. K. Rowlings Harry Potter und der Stein der Weisen ein Rückbezug auf ein Ereignis von vor knapp zehn Jahren stattfindet (vgl. ebd.), beginnt Stefan Wolf den 71. Fall von TKKG: Schmuggler reisen unerkannt mit einer Analepse, die auf Geschehnisse zurückverweist, die genau ein Jahr zurückliegen: "Es begann vor einem Jahr – am 30. März. Der Abendhimmel über Mailand sah verrußt aus, und so roch auch die Luft."  (Wolf 1994, S. 11) 

Es ist allein der erste Satz, der auch den ersten Satz des Buches darstellt, der deutlich macht, dass die in Mailand stattfindenden Ereignisse nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge erzählt werden, sondern ausgehend von der zeitlichen Perspektive der vier Jungdetektive, die den zeitlichen Orientierungspunkt darstellen, als Rückblick fungieren. Zu eben diesem Orientierungspunkt, der die TKKG-Bande zudem als Protagonisten etabliert, kehrt der Discours nach der Analepse wieder zurück:

Es war auf den Tag genau ein Jahr später. Die Osterferien hatten begonnen, und Tim – den man früher Tarzan genannt hat – war eingeladen von seinem Freund Computer-Karl, die erste Ferienwoche in dessen Elternhaus zu verbringen. (ebd. S. 14)

Die Informationen, die der Lesende über die Analepse erhält und die über diese bewusste Störung der zeitlichen Ordnung markiert sind, liefern diesem nicht nur Hintergrundwissen über den kommenden und aufzuklärenden Fall, vielmehr schaffen sie auch ein spannungsförderndes Element, indem sie den Lesenden motivieren, die verschiedenen Zeitstränge und die in ihnen stattfindenden Geschehnisse miteinander zu verbinden. 

Achronie

Die extremste Form der Störung der zeitlichen Ordnung und damit des anachronologischen Erzählens stellt die Achronie dar, bei der sich keinerlei chronologisch geordnete Gesamterzählung mehr konstruieren lässt (vgl. Martínez und Scheffel 2012, S. 35).   

Eine nahezu achronologisches Erzählen oder zumindest ein Erzählen, bei dem es schwerfällt, eine Chronologie der Ereignisse zu entwickeln, findet sich in Muriel Sparks The Prime of Miss Jean Brodie. So vermerkt Candia McWilliam in ihrer Einführung diesbezüglich: 

One of the delicious discomfitures offered by the work of this writer is her swelling proleptic use of time. Within its first pages, the book has moved from 1936 to 1930 and then forward again. We move between the present and the future, with sickening glimpses of the uncertainty of the past […]. (McWilliam 2000, S. vii) 

Es ist nicht allein das permanente und häufig nicht deutlich markierte Wechseln von Zeitebenen, welches das komplizierte Verhältnis des Romans zu seiner zeitlicher Ordnung markiert, sondern vor allen Dingen die Schwierigkeit des Lesenden, eine dominierende Zeitebene als zeitlichen Orientierungspunkt für die Lektüre auszumachen. 

Frequenz 

Die Frequenz des Erzählens verweist auf die Häufigkeit, mit der Ereignisse der Histoire im Discours dargestellt bzw. erzählt werden. Anhand der Häufigkeit der Erzählung von sich wiederholenden oder sich eben nicht wiederholenden Ereignissen lassen sich drei verschiedene Frequenzmuster festhalten. 

Singulatives Erzählen

Beim singulativen Erzählen werden Ereignisse der Histoire in der Häufigkeit erzählt, in der sie tatsächlich stattgefunden haben. Dies kann einmal den Regelfall des Erzählens betreffen, also die einmalige erzählerische Darstellung eines Ereignisses, welches einmal stattgefunden hat. So wird Harry Potters Sieg über Voldemort nur einmal geschildert – selbst wenn sicherlich davon auszugehen ist, dass er zahlreiche intradiegetische Nacherzählungen nach sich ziehen wird:

Voldemort war tot, getötet von seinem eigenen zurückprallenden Fluch, und Harry stand mit zwei Zauberstäben in der Hand da und starrte hinunter auf die Hülle seines toten Feindes. (Rowling 2007, S. 752)

Auch das folgenschwere erste Aufeinandertreffen von Emil Tischbein und dem Mann mit dem steifen Hut findet in Emil und Detektive nur einmal – und damit in der selben Häufigkeit, in der es stattfand – im Discours Erwähnung: "Und am Fenster, neben Emil, las ein Herr im steifen Hut, die Zeitung." (Kästner 1991, S. 42)

Eine etwas weniger häufige Variante des singulativen Erzählens, die aber dennoch das Verhältnis zwischen Ereignissen in der Histoire und ihrer Darstellung im Discours beibehält, ist ein Erzählen, bei dem ein bestimmtes Ereignis mehrfach stattfindet und ebenfalls mehrfach erzählt wird. Unterstützt durch eine phantastische Metalepse und in umgekehrter Richtung – vom Erzählen zum Geschehen ("'Alles, was ich aufschreibe, geschieht', war die Antwort." (Ende 1979, S. 184) – kann das theoretisch bis in alle Ewigkeit dauernde Erzählen des Alten vom Wandernden Berge in Michael Endes Die unendliche Geschichte als eine Form des singulativen Erzählens gelesen werden. Auf Forderung der Kindlichen Kaiserin:

"Erzähle sie mir!" befahl die Kindliche Kaiserin. "Du, der du die Erinnerung Phantásien bist, erzähle sie mir – von Anfang an und Wort für Wort, so wie du sie geschrieben hast." (ebd. S. 186)

beginnt über das Vorlesen des Buches im Buch im Buch ein Zirkel aus singulativem Erzählen und Geschehen: 

Diese Inschrift stand auf der Glastür eines kleinen Ladens, aber so sah sie natürlich nur aus, wenn man vom Inneren des dämmerigen Raumes durch die Scheibe auf die Straße hinausblickte. Draußen war ein grauer kalter Novembermorgen, und es regnete in Strömen. Die Tropfen liefen am Glas herunter und über die geschnörkelten Buchstaben. Alles, was man durch die Scheibe sehen konnte, war eine regenfleckige Mauer auf der anderen Straßenseite. (ebd. S. 5 und S. 187)

Iteratives Erzählen

Beim iterativen Erzählen, welches häufig vom singulativen Erzählen abgesetzt wird (vgl. Jannidis, Spörl und Fischer 2005b), wird ein sich wiederholendes Ereignis nur einmal erzählt und damit der Tatsache Rechnung getragen, dass Ereignisse – trotz leichter Abwandlungen – durchaus wiederholt eintreten können (vgl. ebd.). Erzählt wird beim iterativen Erzählen zum einen summarisch und somit zeitraffend, wie am Beispiel von Pippi Langstrumpfs Pfefferkuchenbacken, dessen Schnelligkeit auch den Erzähler zu beeindrucken scheint, deutlich wird: 

Pippi konnte schnell arbeiten, weiß Gott! Thomas und Annika saßen auf dem Holzkasten und sahen zu, wie sie über den Pfefferkuchenteig fuhr und wie sie die Kuchen auf das Blech warf und wie sie die Bleche in den Ofen schleuderte. (Lindgren 1986, S. 28) 

Zum anderen kann das iterative Erzählen eine exemplarische Funktion haben, bei der aus sich wiederholenden Ereignissen ein Ereignis als Beispiel für andere geschildert wird (vgl. Jannidis, Spörl und Fischer 2005b). So wird Thomas und Annikas Wunsch nach einem zusätzlichen Spielkameraden iterativ erzählt: 

Thomas und Annika spielten hübsch zusammen in ihrem Garten, aber sie hatten sich oft einen Spielkameraden gewünscht, und zu der Zeit, als Pippi noch mit ihrem Vater auf dem Meer herumsegelte, standen sie mitunter am Gartenzaun und sagten: "Zu dumm, daß [sic] niemand hier in dieses Haus zieht. Hier sollte jemand wohnen, jemand, der Kinder hat." (ebd. S. 12)

Repetitives Erzählen

Die dritte und weniger häufige Frequenzvariante stellt das repetitive Erzählen dar, bei welchem ein Ereignis, welches nur einmal geschehen ist, wiederholt erzählt wird. Über das repetitive Erzählen wird ein ganz bestimmtes Ereignis aus der Historie ausgewählt und diesem im Discours eine besondere Bedeutung oder zumindest ein größerer Raum zugestanden (vgl. Jannidis, Spörl und Fischer 2005c). Ein Umstand, der besagtem Ereignis damit mehr Aufmerksamkeit beim Lesenden zugesteht (vgl. ebd.). 

So stellt das erste Händehalten von Eleanor in Park in Eleanor & Park von Rainbow Rowell ein solch besonderes Ereignis für die beiden Protagonisten dar, dass es auch im Discours eine besondere Position erhält: 

Eleanor 
Sie spürte, wie ihr Gesicht weich und gummiartig wurde. Wenn Park sie jetzt ansehen würde, wüsste er alles. […] Dann schob er die Seide samt seinen Fingern in ihre offene Hand. Und Eleanor löste sich vollkommen auf. (Rowell 2015, S. 81) 

Park
Eleanors Hand zu halten war, als würde man einen Schmetterling halten. Oder einen Herzschlag. Als würde man etwas Vollkommenes und vollkommen Lebendiges halten. (ebd.) 

Die multiperspektivische Beschreibung dieses ersten Händehaltens, die sich über mehrere Seiten zieht und der jeweiligen Gedankenwelt der beiden jugendlichen Protagonisten in Form des zeitdehnenden Erzählens zusätzlich Raum verschafft, wiederholt das Ereignis aus mehreren Perspektiven und verweist damit auf die häufige Verbindung zwischen repetitivem und multiperspektivischem Erzählen. 

Ein Umstand, der auch Wunder und den Nachfolgeband Wunder – Wie Julian es sah von Raquel J. Palacio kennzeichnet. Das erste Aufeinandertreffen der Kinder und damit die erste Reaktion auf Augusts ungewöhnliches Äußeres wird als eines von vielen Beispielen aus dem multiperspektivischen Buch und seinem nachgereichten Anhang wiederholt erzählt und erhält damit zusätzliche Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ermöglicht es dem Lesenden, die unterschiedlichen Perspektiven der Kinder auf das Geschehen nachzuvollziehen. So nimmt August selbst die Situation folgendermaßen wahr: 

"Kommt rein, Kinder", sagte er und in den Raum traten zwei Jungen und ein Mädchen. Keiner von ihnen schaute zu mir oder Mom herüber. Sie standen an der Tür und sahen eisern Mr. Pomann an, als hinge ihr Leben davon ab. (Palacio 2015, S. 36) 

Aus Julians Perspektive und damit aus der Perspektive eines der Kinder, die sich so verzweifelt bemühen zu scheinen, August nicht ansehen zu müssen, wird die selbe Situation folgendermaßen geschildert: 

Nach dem ersten Blick, den ich auf August geworfen hatte, wollte ich nur noch, na ja, die Augen zuhalten und schreiend wegrennen. Zack, fertig. Ich weiß, das klingt fies, und das tut mir auch leid. Aber es ist die Wahrheit. […] Ich wäre auch direkt wieder zur Tür rausgelaufen, nachdem ich ihn gesehen hatte, aber ich wusste, dass ich dafür Ärger bekommen würde. Also guckte ich einfach weiter Mr. Pomann an und versuchte ihm zuzuhören (Palacio 2014, S. 11).


Bibliografie 

Primärliteratur 

  • Arthur, Robert: Die drei ??? und das Gespensterschloss. Leicht veränderte Neuauflage. Stuttgart: Kosmos, 2009. 
  • Ende, Michael: Die Unendliche Geschichte. Stuttgart/Wien: Thienemann, 1979. 
  • Ende, Michael: Momo: oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Stuttgart/Wien: Thienemann, 2013. 
  • Kästner, Erich: Pünktchen und Anton. Ein Roman für Kinder. Zürich: Atrium Verlag AG, 1938.
  • Lindgren, Astrid: Pippi Langstrumpf. Hamburg: Oetinger Verlag, 1986.
  • Lindgren, Astrid: Kalle Blomquist Meisterdetektiv. München: Omnibus, 2004.
  • Palacio, Raquel J.: Wunder. München: DTV, 2015.
  • Palacio, Raquel J.: Wunder – Wie Julian es sah. München: Hanser Verlag, 2014. 
  • Rowell, Rainbow: Eleanor und Park. München: Hanser Verlag, 2015. 
  • Rowling, J. K.: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg: Carlsen, 1998.
  • Rowling, J. K.: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes. Hamburg: Carlsen, 2007.
  • Ury, Else: Nesthäkchen fliegt aus dem Nest. http://gutenberg.spiegel.de/buch/nesthakchen-fliegt-aus-dem-nest-7641/13. (09.03.2016).
  • Wolf, Stefan: Das leere Grab im Moor. Hannover: Pelikan, 1979.
  • Wolf, Stefan: Die weiße Schmuggler-Jacht. Hannover: Pelikan, 1985. 
  • Wolf, Stefan: Schmuggler reisen unerkannt. Hannover: Pelikan, 1994.

Sekundärliteratur 

  • Bode, Christoph: Der Roman. Eine Einführung.  2. erweiterte Auflage. Tübingen; Basel: Francke, 2011.
  • Jannidis, Fortis; Uwe Spörl und Katrin Fischer: Ellipse, 2005a. http://www.li-go.de/prosa/prosa/ellipse.html. (18.03.2017).
  • Jannidis, Fortis; Uwe Spörl und Katrin Fischer: Iteratives Erzählen, 2005b. http://www.li-go.de/prosa/prosa/iterativeserzaehlen.html. (18.03.2017).
  • Jannidis, Fortis; Uwe Spörl und Katrin Fischer: Repetitives Erzählen, 2005c. http://www.li-go.de/prosa/prosa/repetitiveserzaehlen.html. (18.03.2017).
  • Martínez, Matías und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9. erweiterte und aktualisierte Auflage. München: Beck, 2012.
  • McWilliam, Candia: Introduction. In: Spark, Muriel: The Prime of Miss Jean Brodie. London: Penguin Books, 2000.
  • Vogt, Jochen: Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie. 9. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag, 2006.