Inhalt

Im Zentrum des von Anna Böhm verfassten und von Tim Warnes illustrierten Bilderbuchs Heute hab ich Wut im Bauch! steht das kleine Katzenmädchen Nora, das im Garten spielen möchte, jedoch niemanden findet, der mitspielen mag: Mausejunge Pauli zieht es vor, alleine zu malen, Esel Eddi ist mit Reparaturarbeiten beschäftigt und Schafsdame Schäfli mit dem Backen einer Torte. Infolge der Ab- und Zurechtweisungen wächst Noras Wut, bis sie sie im ganzen Körper spürt und unbedingt rauslassen muss. Schäfli schickt Nora zum Wüten in den Garten, wo die kleine Katze auf den Hund Lollo trifft, der ihr hilft, ihre Wut loszuwerden: indem er ihr Stöckchen zum Zerbrechen reicht, sie trampeln und brüllen lässt. Doch er hört ihr auch zu, legt ihr beruhigend eine Hand auf den Rücken und lässt sie wissen, dass jeder, auch er, mal wütend ist. Diese Normalität von Wut wird umgehend unter Beweis gestellt, als Pauli, Eddie mit dem reparierten Tisch und Schäfli mit der fertigen Torte zu Lollo und Nora stoßen. Schäfli stolpert und ihre aufwändig gebackene Torte landet auf Lollo – nun ist auch die Schafsdame so wütend, dass sie sich schreiend auf den Boden wirft. Diesmal ist Nora die Beruhigende, und als die Freund*innen feststellen, dass die Torte vom Boden noch immer köstlich schmeckt, ist Schäfli rasch wieder versöhnt. Gemeinsam lachen sie nun so sehr, dass Nora das Lachen – wie zuvor die Wut – im ganzen Körper spürt.

Kritik

Dienten (Eltern-)Ratgeber lange dazu, Wut als unliebsame, von anderen meist als grenzüberschreitend empfundene Emotion schnell wieder loszuwerden, widmet die Kinder- und Jugendliteratur sich diesem Gefühl in den letzten Jahren zunehmend differenzierter. Während bspw. Nanna Neßhövers Wenn ich wütend bin (2019) ein Buch zum Mitmachen und Abreagieren ist, kommt Britta Teckentrups Wütend (2021) sehr poetisch und selbstermächtigend daher; die vom Loewe Verlag herausgegebenen Anthologie Wut (2019) wiederum gibt der Emotion eine politische Rahmung, denn es gibt zahlreiche gute Gründe, wütend zu sein. Auch das Bilderbuch von Böhm und Warnes nimmt der Wut ihre negative Stigmatisierung und zeigt vielmehr die Ambivalenz dieser Emotion auf.

Warnes’ Illustrationen sind aufwendig mit der Hand gefertigt und kombinieren verschiedene Zeichenmaterialien (etwa Wasserfarben, Tinte, Kreide und Wachsstifte) mit Collagen. Sie wirken unterstützend sowie ergänzend zu Böhms Text, bspw. wenn Nora aus Wut Paulis Bild durchstreicht. Über ihrem Kopf ist dann eine Rauchblase zu sehen, die auf ihren Gemütszustand deutet, und Paulis Reaktion – er bricht in Tränen aus – wird einzig durch das Bild vermittelt. Überhaupt werden die Emotionen der Figuren stark über die Mimik in den Gesichtern transportiert, insbesondere über das Spiel von Noras Augenbrauen, sodass es sich anbietet, Kinder mithilfe des Buchs für das Ablesen von Emotionen in den Gesichtern anderer zu sensibilisieren.

Die Ambivalenz von Wut kommt dadurch zum Ausdruck, dass Nora sie zugleich als schlimm, aber ebenso als schön empfindet, weil sie ein so starkes Gefühl ist. Ihre Wut erhält somit auch etwas Selbstermächtigendes. Es werden darüber hinaus direkte Parallelen zum Fröhlichsein gezogen, denn das Lachen wie die Wut werden beide als Gefühle beschrieben, die im ganzen Körper zu spüren und in ihrer Stärke schön sind.

Zudem wird Wut normalisiert – jede*r ist mal wütend und jede*r mal Beruhiger*in – und es werden Lösungsvorschläge angeboten: Man kann sich austoben und/oder jemanden finden, der einem zuhört. Die Wichtigkeit des Verbalisierens von aufwühlenden Gefühlen hätte allerdings noch etwas stärker gemacht werden können; die Botschaft wird nur implizit durch das aufkommende Gespräch zwischen Lollo und Nora vermittelt.

Eine weitere implizite Botschaft ist die Bedeutung und damit Aufwertung von Freund*innen als Familie, denn zum einen heißt es eingangs, dass die Freund*innen (wie eine Familie) gemeinsam in einem Haus leben. Zum anderen kommen den vermenschlichten Tierfiguren quasi Rollen von Familienmitgliedern zu: Pauli wirkt wie der freche kleine Bruder, Eddi und Schäfli wie (groß-)elterliche Instanzen und Lollo wie eine väterliche Figur. Auch wird durch die unterschiedlichen Tierarten (Katze, Maus, Esel, Schaf und Hund) vermittelt, dass sehr verschiedenen Persönlichkeiten als enge Freund*innen zusammenfinden können.

Fazit

Das liebevoll illustrierte Buch verhandelt das Thema Wut reflektiert, empathisch, nicht verurteilend und lösungsorientiert. Es ist für Kinder ab vier Jahren sowie aufgrund der leichten Lesbarkeit als Erstleseliteratur empfehlenswert.

Titel: Heute hab ich Wut im Bauch!
Autor/-in:
  • Name: Böhm, Anna
Illustrator/-in:
  • Name: Warnes, Tim
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Oetinger
ISBN-13: 978-3-7512-0197-1
Seitenzahl: 32
Preis: 14,00
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
Anna Böhm / Tim Warnes: Heute hab ich Wut im Bauch! (Cover)