Die Gewalt, die "achte Todsünde", tendiert dazu, zu einer Konstante im zeitgenössischen Romanschreiben zu werden. Nach den Volksmärchen, in denen schamlos gefressen, getötet und verstümmelt wird, in denen es um Inzest, Misshandlung, Ausgrenzung und Unterwerfung , Aussetzung von Kindern, Kindermord, Menschenopfer, Kannibalismus geht, stellen zeitgenössische Erzählungen Gräueltaten und ihre Erscheinungsformen dar. Unter dem Vorwand eine dystopische, au seinanderdriftende Gesellschaft anzuprangern, knüpft Hunger Games an mythische Kämpfe an und vergnügt die Rezipierenden mit dem Spektakel eines Todeskampfes von Kindern und Jugendlichen in einer Arena. Die Trilogie von Suzanne Collins hat die Debatte über Gewalt in der Kinder und Jugendliteratur neu entfacht, als sie auf der von der American Library Association erstellten Rangliste der gewalttätigsten Bücher auf Platz 5 landete. Twilight, die Saga von Stephenie Meyer, präsentiert eine Rechtfertigung für körperliche und seelische männliche Gewalt und "glamourisiert" toxische Beziehungen. Divergent und The Labyrinth lassen die Zuschauenden in düstere futuristische Welten eintauchen. In der postapokalyptischen Welt von Veronica Roths Roman werden die Dive rgenten von der Regierung gejagt und getötet; James Dashner inszeniert rund 50 Jugendliche mit Amnesie, die als Versuchskaninchen in einem gigantischen Labyrinth dienen, aus dem es keinen Ausweg gibt und jede Nacht von mechanischen Monstern bevölkert wird, die umherstreifen. Bei J. K. Rowling ist die der magischen Welt innewohnende Gewalt bereits im ersten Band der literarischen "Low Fantasy" Reihe Harry Potter präsent: Die gleichnamige Figur verbrennt Professor Quirrell mit einer einzigen Berührung das Gesicht; an anderer Stelle durchbohrt Harry Potter Drago mit Dutzenden von Schwertstichen. Die Zuschauenden erlebt eine Welt, in der Kinder den Drachen zum Fraß vorgeworfen werden und zahlreiche Gefahren hinter jeder Ecke lauern. Körperliche und seelische Gewalt steh en in dieser magischen Welt an der Tagesordnung und werden sogar soweit banalisiert, dass sie als Ausgangspunkt für beliebte Vergnügungen wie Quidditch dienen, wo die Schlagmänner Metallkugeln auf die gegnerischen Spieler schleudern. Der Held , Harry Potter, ist fast ständig körperlicher und seelischer Gewalt ausgesetzt, ohne dass die Muggel Sozialdienste eingreifen. In der Welt der Zauberer und insbesondere in Hogwarts wird körperliche Gewalt durch Zauberei gerechtfertigt, um die Schwere mancher Taten zu entschuldigen . In Mangas hat Gewalt einen symbolischen Wert und verweist auf die Archetypen von "gut" gegen "böse". Die im Manga für Erwachsene inszenierte Grausamkeit wird im Manga für Jugendliche mit Demütigungen oder Belästigungen auf die psychologische Seite verlagert Immer mehr semiotische Objekte für Jugendliche befassen sich mit physischer oder psychischer Gewalt, die eingesetzt wird , um zu zwingen, zu beherrschen, zu töten oder sich selbst zu verletzen. Darunter versteht man die absic htliche Anwendung von Gewalt, die Traumata, psychische Schäden, Entwicklungsprobleme oder den Tod verursacht.

Diese Ausgabe der Zeitschrift Cultural Express (https://cultx--revue.com) befasst sich mit dem revue.com) befasst sich mit dem Thema Gewalt und den spezifischen Modalitäten ihrer Erzählung/Darstellung in fiktionalen semiotischen Objekten, die für Kinder und Jugendliche bestimmt sind. Warum findet man dort Gewalt? Es ist klar, dass der Wunsch, den jungen Rezipierenden starke Emotionen zu vermitteln, nicht die einzige Motivation der Autorinnen und Autoren sein kann, die sich laut Denise Escarpit nicht damit begnügen, Kinder/Jugendliche in die Welt der Erwachsenen zu begleiten. Jugendbuchautorinnen und -autoren nehmen demnach die Rolle eines Ausbilders ein, der sein Wissen und seine Lebenserfahrung an die Heranwachseranwachsenden weitergibt, die – laut Ganna Ottevaere-van Praagvan Praag - immer mehr auf starke, sogar gewalttätige Emotionen und Bilder stehen. Ein Beweis dafür ist der Erfolg der Schauerromane u.a. von von FISCHER FJB, e-artnowartnow, Musaicum Books, die Titel anbieten, die einer Nachfrage des jugendlichen Publikums in einem zukunftsträchtigen Sektor mit vielversprechenden Wachstumsraten entsprechen. Dennoch bleibt Gewalt in fiktionalen semiotischen Objekten für Kinder und Jugendliche ein heikles Thema. Muriel Tiberghein beschäftigt sich in ihrem Artikel mit den Mechanismen der Gewalt: "Die Comtesse de Ségur scheute sich nicht, in einer Zeit, in der die meisten Erwachsenen Kinder noch als vernachlässigbare kleine Tiere betrachteten, zu sagen, dass die Gewalt im Herzen der Kindheit liegt, weil sie im Herzen des Lebens liegt. Dass man aber lernen muss, sie zu beherrschen, und ihr nicht freien Lauf lassen darf". Sind Kindheit und Jugend von Natur aus von Gewalt geprägt? Ist diese Gewalt diesem Lebensalter inhärent, was ihre Präsenz in fiktionalen semiotischen Objekten, die für diese Altersgruppe bestimmt sind, erklären würde? Aber von welcher Gewalt ist die Rede?

Wir erwarten Vorschläge für eine Analyse sowohl der Gewalttypologie in fiktionalen semiotischen Objekten für Kinder und Jugendliche als auch eine Herausarbeitung der Motive für die Handlungen, der Umstände, der Folgen und der Bedeutungen, die sich daraus ergeben. Unter Berücksichtigung der Gewaltsequenzen in der Gesamtökonomie des Werks geht es nicht nur darum Elemente zum Verständnis der uns interessierenden Problematik beizustbeizusteuern, sondern auch die Fiktionalisierung von gewalttätigen Elementen und Situationen, die Umwelt als Produzent von Gewalt(en) zu analysieren, die sprachlichen Besonderheiten, die von den ausgewählten Autorinnen und Autoren gewählten stilistischen und narrativen Konfigurationen, die Kunst der Charakterisierung der Figuren (Täter und/oder Opfer), die Wege des Verzichts/der Flucht aus der Gewalt zu untersuchen und die daraus zu ziehenden Lehren herauszuarbeiten. Die Hauptachsen und Fragestellungen, die in dieser Ausgabe untersucht werden können sind u.a. folgende:

  • Gewalt gegen sich selbst (Selbstverstümmelung/Skarifizierung, Anorexie/Bulimie, Alkoholismus, Drogen, ...)
  • Gewalt in Beziehungen (gewalttätige/zerstörerische Leidenschaften, toxische Liebe, ...)
  • Sexuelle Gewalt (Vergewaltigung, Missbrauch, Prostitution, ...)
  • Familiäre Gewalt, erzieherische Gewalt (Prügel, Ohrfeigen, Entbehrungen, Schikanen, ...)
  • Gewalt in der Schule (körperliche/moralische Belästigung, gewöhnliche verbale/physische Gewalt
  • Gewalt im Internet und in sozialen Netzwerken.
  • Politische/polizeiliche Gewalt/Terrorismus/Krieg
  • Gewalt in der Natur/ Gewalt gegen die Natur, Gewalt und Umwelt/ Gewalt und sozialer Raum/ Orte der Gewalt.

Die Papers (auf Deutsch, Französisch oder Englisch) werden sich mit fiktionalen semiotischen Objekten für Kinder und Jugendliche befassen, d. h. mit Romanen, Märchen, Alben, Comics, Mangas, Filmen, Videospielen, Liedern usw. Erwartet werden innovative, originelle und natürlich unveröffentlichte Vorschläge. Doktorandinnen und Doktoranden werden ermutigt, einen Vorschlag für einen Artikel einzureichen.

Modalitäten und Zeitplan

Die VVorschläge (gewählter Schwerpunktorschläge 1-8, Titel, Zusammenfassung von maximal 2000 Zeichen, Schlüsselwörter, bibliografische Referenzen) sowie eine kurze Biobibliografie und die wichtigsten aktuellen Veröffentlichungen sind vor dem 01.10.2022 an die beiden nachstehenden EMail-Adressen zu senden:
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Die Entscheidungen des wissenschaftlichen Ausschusses werden den Autorinnen und Autoren bis zum 31.10.2022 mitgeteilt. Die Frist für die Einreichung der Paper, sofern der Vorschlag angenommen wurde, ist der 01.02.2023, und die Veröffentlichung dieser Ausgabe wird im Herbst 2023 erfolgen. Alle Texte werden einem Peer-Review-Verfahren unterzogen.

[Quelle: Call for Papers]