"Was bist du denn? Ein Junge oder ein Mädchen?, fragt sie mich unfreundlich. – Ich bin Pembo, antworte ich genervt." (Bosse 2020, 143f.) Das zitierte Beispiel ist beinahe ideal- und prototypisch für das Thema, das wir im Rahmen einer Tagung verhandeln wollen:  Macht durch Sprachhandlungen in der K-J-L.

Was passiert in dieser kurzen, aber prägnanten Szene? Die Figur Pembo konstituiert sich durch den Sprechakt selbst als Subjekt. Mit Austin (1986) wissen wir, dass wir durch Sprache handeln. Die Anrufung einer anderen Person im Sinne Althussers (1977) gilt als „ein Erklärungsmodell für ein Subjekt, das als Konsequenz aus der Sprache entsteht, jedoch immer innerhalb von deren Begriffen“ (Butler 2015, 101). Eine solche Subjektkonstitution ermöglicht nicht nur den Eintritt in die gegebene Ordnung, sondern gilt gleichermaßen als „Einsatzpunkt der (politischen) Handlungsfähigkeit wie Widerständigkeit des Subjekts“ (Künstler 2021, 42). Denn jede Sprachhandlung ist sowohl konventionalisiert als auch rituell, und das Rituelle der Sprachhandlung ermöglicht ein Moment der Resignifikation, da Wiederholungen stets anfällig für Brüche sind.
Im zitierten Beispiel ermöglicht die Frage „Was bist du denn?“ Pembo den Eintritt in die binäre Geschlechterordnung. Pembo wendet sich auf den Anruf hin um, nimmt die Einladung zur Subjektwerdung an und resignifiziert sie im gleichen Moment: „Ich bin Pembo“. Pembo reagiert auf die Frage nicht über Bejahung oder Verneinung, sondern erweitert die binäre Konstruktion der angerufenen Kategorie um ein Geschlecht, das Pembo selbst entspricht. Deutlich wird, dass die Subjektwerdung immer nur innerhalb anerkannter sozialer Differenzkategorien ausgehandelt wird. Eine solche Umwendung wie jene von Pembo kann als selbstermächtigende Sprachhandlung verstanden werden, durch die Pembo die vorgegebene Ordnung nicht ablehnt, sondern sie erweitert und sich damit selbst als Subjekt in dieser Ordnung konstituiert.
Pembos Subjektivierung gelingt. Umwendungen sind aber nicht zwangsläufig selbstermächtigend: Die Macht, die in der Umwendung entsteht, kann auf Seiten der Ordnung bleiben und damit das Subjekt diffamieren oder aus der Ordnung exkludieren. Die Macht kann das Individuum auf eine prekäre Position verweisen oder ihm seine Subjektvierung absprechen, es also marginalisieren, diskriminieren, stigmatisieren, als nicht betrauerbar (vgl. Butler 2020) markieren.
All jene Beispiele und Fragen, in denen Figuren durch Sprache die Macht gewinnen, sich selbst zu ermächtigen, sich selbst oder andere zu diskriminieren, sollen im Rahmen der Tagung in den Fokus genommen werden. Folgende Frage ist für alle Beiträge zentral:
Welche sprachlichen Handlungen erzeugen im Kontext welcher Differenzkategorie welche Form der Macht?
Diese Perspektive bedeutet für uns immer auch die Frage danach, wie die gewonnenen Erkenntnisse produktiv gemacht werden können, sei es im (hochschul-)didaktischen Sinne, im meta-reflexiven Sinne für das eigene Sprach-Handeln, im Sinne einer künstlerischen Performance usw.

Erwünscht sind Beiträge aus dem gesamten Spektrum der K-J-L, was kinder-, jugend- und erwachsenenliterarische Erzählungen in Bild und Text umfasst. Diskutiert werden gerne unterschiedliche Differenzkategorien (z.B. Geschlecht, Ableismus, Klasse, Adultismus, Alter, Herkunft, Körper, äußere Erscheinung etc.). Verortet sind die Beiträge im gesamten Fach Deutsch und seiner Didaktik. Die Beiträge können sprach- und literaturwissenschaftliche sowie -didaktische Perspektiven verbinden, die den skizzierten theoretischen Rahmen erweitern oder einen anderen eröffnen.

Für Keynotes konnten wir Katja Kauer (Tübingen/Fribourg) und Alexandra Zepter (Köln) gewinnen.

Zeitplan:


  • Einreichung der Abstract (max. 2500 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis 15.07.2024 an
    Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
  • Rückmeldung zu den Abstracts: 01.08.2024

  • Tagung: 06.-07.03.2025 an der der Bergischen Universität Wuppertal
  • Im Anschluss an die Tagung ist ein Sammelband geplant.
  • Einreichung der Beiträge ist der 01.06.2025

  • Rückmeldung zu den Beiträgen: 01.09.2025

  • geplante Veröffentlichung: März 2026. 


Literatur
Primärliteratur

  • Bosse, Ayşe (2020): Pembo. Halb und Halb macht doppelt glücklich! Mit Illustrationen von Ceylan Beyoğlu. Hamburg: Carlsen.

Sekundärliteratur

  • Althusser, Louis (1977): Ideologie und ideologische Staatsapparate (Anmerkungen für eine Untersuchung). In: Louis Althusser (Hrsg.): Ideologie und ideologische Staatsapparate: Aufsätze zur marxistischen Theorie. Hamburg u. Berlin: VSA , S. 108-153.
  • Austin, John L. (1986): Zur Theorie der Sprechakte. (How to do things with Words). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Butler, Judith (2020): Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Butler, Judith (2022): Haß spricht. Zur Politik der Performativen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 7. Aufl.
  • Butler, Judith (2015): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 8. Aufl.
  • Künstler, Phries Sophie (2021): Anrufung, Umwendung und Widerstand: für die Berücksichtigung von Herrschaftsverhältnissen in Subjektivierungsanalysen. In: Fegter, Susann, Antje Langer und Christine Thon (Hrsg.): Diskursanalytische Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft, S. 39-53.


[Quelle: Pressemitteilung]