Der Kinderroman kann sowohl in der Grundschule als auch in der frühen Sekundarstufe I im Kontext von Leseförderung und literarischem Lernen ein relevanter Unterrichtsgegenstand sein (vgl. KMK 2022a und 2022b). Der Umgang mit dem Kinderroman ist seitens der Fachdidaktik allerdings selten systematisch betrachtet worden: Erstens finden sich in Zeitschriften und Sammelbänden lediglich vereinzelt Vorschläge zur Auseinandersetzung mit inhaltlichen und formalen Aspekten des Kinderromans (z.B. Fischer u.a. 1999; Kruse 2007; Grenz 2010; Jantzen/ Reeck 2015; Ballis 2016; Mempel 2022; siehe auch Spinner/ Standke 2016). Zweitens wird in didaktischen Überlegungen immer wieder eher verallgemeinernd auf fachdidaktische Konzepte wie den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht verwiesen, ohne dass die spezifischen Erzählweisen des Kinderromans perspektiviert werden (z.B. Daubert 2020). Und drittens liegen weitgehend keine Überlegungen dazu vor, wie die einzelnen didaktischen Möglichkeiten im Hinblick auf die Initiierung einer schlüssigen Lernprogression miteinander kombiniert werden können (in Ansätzen von Brand 2021). Swantje Ehlers (2017) hat zuletzt zwar eine Romandidaktik ausdifferenziert, diese nimmt jedoch nicht den Kinderroman im Speziellen in den Blick. Zudem ist empirisch wenig darüber bekannt, wie der Kinderroman im Deutschunterricht behandelt wird, beispielsweise welche Texte aus welchen Gründen ausgewählt, welche Lernprozesse angeregt und welche Lernergebnisse erzielt werden. Der insofern eher schmale Forschungsdiskurs zum Kinderroman in der Fachdidaktik steht in einem gewissen Kontrast zu den vielfältigen literaturwissenschaftlichen Arbeiten zum Kinderroman (vgl. z.B. Mikota 2020), beide Perspektiven werden selten zusammengebracht. Es fehlt somit an einem Diskurs zum Kinderroman, in dem literaturwissenschaftliche, literatur-, lese- und auch sprachdidaktische Perspektiven im Hinblick auf die Gestaltung von Lernarrangements zusammengeführt und systematisiert werden.
Für die geplante Tagung sind Beiträge erwünscht, die sowohl mehrere Faktoren des Unterrichtens von Kinderromanen in den Blick nehmen (Lehrperson, Schüler:innen, Kinderroman, Lernwege, Lehr-/Lern- ziele, gesellschaftlicher und institutioneller Rahmen; vgl. dazu Zabka u.a. 2022, S. 11ff. in Anlehnung an Heins 2018) als auch deren Zusammenwirken ausdifferenzieren (z.B.: Rezeptionsanforderungen von Kinderromanen und didaktische Schlussfolgerungen für das Anbahnen und Begleiten von Lernwegen). Die Beiträge können dabei entweder konzeptionell oder empirisch orientiert sein. Fragestellungen für Beiträge können beispielsweise sein:

Konzeptionell:

  • Was macht eine systematische Didaktik des Kinderromans aus? Welche gegenstandsbezogenen Aspekte, welche Aspekte auf Lerner:innen-Seite sollten berücksichtigt und wie aufeinander bezogen werden?
  • Welche Aufgabentypen tragen potentiell zu (welchen) systematischen literatur-, lese- und/ oder sprach- bezogenen Kompetenzentwicklungen im Kontext einer Arbeit mit dem Kinderroman bei?
  • Welche Kinderromane erscheinen als Lerngegenstand des Deutschunterrichts in der Grundschule und/ oder in der frühen Sekundarstufe I im Hinblick auf (welche) literatur-, lese- und/ oder sprachbezogenen Lernprozesse und vor dem Hintergrund heterogener Lernkontexte geeignet?
  • Wie ist die Rolle des Kinderromans im Hinblick auf den Erwerb von lesekulturellen Fähigkeiten vor dem Hintergrund des lesekulturellen Wandels hin zur Lektüre digitaler Texte einzuschätzen?
  • In welcher Hinsicht können Schüler:innen beim eigenständigen Lesen von Kinderromanen unterstützt werden?
  • Wie kann es gelingen, dass Lehrpersonen – auch vor dem Hintergrund der Schnelllebigkeit des Buchmarktes – Orientierungen über und Einblick in aktuelle Kinderromane und Leser:innenpräferenzen erhalten, so dass sie Schüler:innen bei der Lektüreauswahl unterstützen können?
  • ...

Empirisch:

  • Welche Kinderromane wählen Lehrpersonen für die Arbeit im Deutschunterricht – z.B. als Klassenlektüre, zur Leseförderung etc. aus? Wie begründen sie diese Auswahl bzw. welche Kriterien ziehen sie heran: Preise, Rezensionen, Verfügbarkeit von Lehrer:innenhandreichungen etc.? Zeichnen sich Kanonisierungsprozesse für die Auswahl ab und welche Rolle spielen diese für die Auswahl? (Vgl. dazu auch Hesse/ Winkler 2021)
  • Was lässt sich empirisch zur Planung von Unterrichtseinheiten zu Kinderromanen sagen?  Welche didaktischen Bausteine werden im Hinblick auf die Anregung welcher Lernprozesse kombiniert? Welche Rolle spielen (verlagsseitige) Lehrer:innenhandreichungen für die Unterrichtsplanung?  Welche Orientierungen in Bezug auf den Umgang mit dem Kinderroman sind für Lehrpersonen bei der Planung handlungswirksam?
  • Wie werden Kinderromane von Schüler:innen rezipiert?
  •  ...

Weitere Fragestellungen sind sehr willkommen. Eine Publikation der Beiträge in einem Sammelband ist geplant. Ein Anliegen der Tagung ist es auch, auszuloten, wie die wissenschaftliche Weiterarbeit zu einer Didaktik des Kinderromans im Sinne einer disziplinenübergreifenden Deutschdidaktik konturiert sein könnte.

Wir freuen uns auf Ihr ca. einseitiges Abstract. Bitte senden Sie dieses bis zum 31.08.2024 an uns:
Dr. Moritz Jörgens (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.), Dr. Kirsten Kumschlies (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) und Dr. Sascha Wittmer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.).

Literatur

  • Ballis, Anja (2016): Phantastische Kinderliteratur. Fiktionalitätsbewusstsein entwickeln. In: Pompe, Anja (Hrsg.): Literarisches Lernen im Anfangsunterricht. Theoretische Reflexionen. Empirische Befunde. Unterrichtspraktische Entwürfe. 3., unv. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 136-148.
  • Daubert, Hannelore (2021): Moderne Kinderromane. In: Lange, Günter (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Ein Handbuch. 5., unv. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 87-105.
  • Ehlers, Swantje (2017): Der Roman im Deutschunterricht. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • Fischer, Eva/ Merkelbach, ValenUn/ Reuschling, Gisela/ Schindler-Schwalb, Sabine/ Seeliger, Barbara (1999): Zur Methodik epischer Langformen. In: Merkelbach, Valentin (Hrsg.): Romane im Unterricht. Lektürevorschläge für die Primarstufe. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 18-38.
  • Grenz, Dagmar (2010): Szenische Interpretation, literarisches Lernen und moderner Kinderroman. In: dies. (Hrsg.): Kinder und Jugendliteratur. Theorie, Geschichte, Didaktik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 142-163.
  • Hesse, Florian/ Winkler, Iris (2021): Textauswahl und Auswahlbegründungen von Lehrpersonen beim Einsatz von Ganzschriften im achten Jahrgang am Gymnasium. In: Leseräume H. 7, S. 1-21.
  • Jantzen, Christoph/ Reeck, Inga (2015): „Stopp mal eben, ich hab ́ne Frage!“ Aktuelle Kinderbuchreihen als Klassenlektüre. In: Grundschule Deutsch H. 48, S. 21-23.
  • Kultusministerkonferenz (2022a): Bildungsstandards für das Fach Deutsch. Erster Schulabschluss (ESA) und MiMlerer Schulabschluss (MSA). Beschluss vom 15.10.2004 und vom 04.12.2003, i.d.F. vom 23.06.2022.
  • Kultusministerkonferenz (2022b): Bildungsstandards für das Fach Deutsch. Primarbereich. Beschluss vom 15.10.2004, i.d.F. vom 23.06.2022.
  • Kruse, Iris (2007): Offene ProduktionsorienUerung und weiterführende Anschlussaufgaben beim Umgang mit einem Kinderbuch. In: Grundschulunterricht H. 54, S. 18-24.
  • Mempel, Caterina (2022): „Sie glänzte im blassen Schein der Sterne“. Literarische und sprachliche Potenziale in Vorlesegesprächen entdecken und entfalten. In: Farkas, Katarina/ Laudenberg, Beate/ Mayer, Johannes/ RoM, David (Hrsg.): Begabte Figuren in Literatur und Unterricht. Münster u.a.: Waxmann, S. 113-130.
  • Mikota, Jana (2020): Epische Texte 1: Kinderroman. In: Kurwinkel, Tobias/ Schmerheim, Philipp (Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendliteratur. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 153-165.
  • Spinner, Kaspar H./ Standke, Jan (2016) (Hrsg.): Erzählende Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht. Textvorschläge – Didaktik – Methodik. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • von Brand, Tilman (2021): Ganzschriften im Deutschunterricht. Mittelfristige Unterrichtsplanung zu Romanen, Novellen, Dramen und Graphic Novels. 2. Auflage. Hannover: Klett Kallmeyer.
  • Zabka, Thomas/ Winkler, Iris/ Wieder, Dorothee/ Pieper, Irene (2022): Studienbuch Literaturunterricht. Unterrichtspraxis analysieren, reflektieren und gestalten. Hannover: Klett Kallmeyer.

[Quelle: Pressemitteilung]