Wie gehen Sie als freiberufliche Illustratorin, Co-Autorin und Lektorin beruflich mit der Pandemie um?

Sophia Phildius: Seit dem Wintersemester 2019/2020 studiere ich an der HAW Hamburg informative/ wissenschaftliche Illustration im Master. Erst Mitte März 2020 bin ich als freiberufliche Illustration gestartet. Da ich – auch für mein Studium – viel zuhause bin und arbeite, ist es für mich persönlich nicht ein so großer Einschnitt gewesen, anders als für viele andere Menschen. Durch die Pandemie waren aber die Bedingungen für einen Berufsanfang erst einmal schwierig. Das Drin-Bleib-Monster hat mir etwas geholfen, weitere Aufträge zu erhalten.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Als freiberufliche Lektorin gehöre ich wohl zu den wenigen Berufsgruppen, bei denen sich die Pandemie zunächst kaum auf den Arbeitsalltag ausgewirkt hat, da das Homeoffice für uns Freie Alltag ist. Anders ist es natürlich bei geplanten Veranstaltungen, Weiterbildungen und Co. Hier hat sich nun vorübergehend viel ins Virtuelle verlagert.

Wie prägt das Virus ihre Branche und ihre Zusammenarbeit?

Sophia Phildius: Viele Solo-Selbständige haben durch die Pandemie enorme Einbrüche gehabt. In den sozialen Medien bin ich bei deutschen Plattformen für und von Illustratoreninnen und Illustratoren aktiv. Hier findet man einen guten Zusammenhalt. Aktuell werden z.B. Ideen gesammelt, wie man zusammen die Portfolio-Sprechstunde bei Verlagen während der Frankfurter Buchmesse digital umsetzen könnte. Da diese nur begrenzt stattfinden wird, ist es für viele Illustratoren/innen ein Hindernis, um Kontakte aufzubauen und zu pflegen.

Wie entstand die Idee, ein Monster als Personifikation der Quarantäne darzustellen?

Sophia Phildius: Das Drin-Bleib-Monster ist viel mehr das Gefühl, welches die Quarantäne bei Alma auslöst. Es ist etwas, das an einem zerrt, es ist unangenehm und man möchte sich davon befreien. Ich denke, es ist wichtig sich mit sich selbst und solchen Situationen auseinanderzusetzen, sich damit zu arrangieren und Lösungen zu finden.

Die Idee zu dem Bilderbuch kam am 13. März 2020 beim Frühstück. In den Nachrichten las ich über die KiTa- und Schulschließungen, die am 16. März 2020 umgesetzt werden sollten. Dabei fragte ich mich, wie man dies nun Kindern verständlich machen kann. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich das wie ein Monster anfühlt, das einen von seinem gewohnten Alltag zurückhält.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Das kann man in der Entstehungsgeschichte zum Bilderbuch nachlesen, denn das Drin-Bleib- Monster hatte Sophia ja geradezu "überfallen" mit der Idee zum Buch. Die unbekannte Situation der Quarantäne kann gerade für Kinder zunächst bedrohlich wirken – wie ein Monster –, schließlich stellt sie den gesamten Alltag auf den Kopf. Das Drin-Bleib-Monster ist aber eigentlich ein ganz liebes Monster und auch Alma merkt das mit der Zeit.

Wie kann man sich den Entstehungsprozess von der Idee bis zur Fertigstellung vorstellen?

Sophia Phildius: Die Idee von dem Monster arbeitete in meinem Kopf weiter. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meinen ersten Kinderbuch-Auftrag bereits. Da ich noch nie in dieser Richtung gearbeitet hatte, wollte ich das Drin-Bleib-Monster als Übung in einem kleinen Rahmen in den Semesterferien umsetzen. Zunächst skizzierte ich grob die Geschichte in Wort und Bild. Seite um Seite wollte ich den Text schreiben und die Bilder illustrieren. Auf meiner kleinen Facebook-Seite lud ich am 17. März das Titelbild hoch. Unerwartet wurde es fleißig geteilt und erreichte schnell 10.000 Menschen. Dies setzte mich schon sehr unter Druck. Deswegen war ich sehr dankbar, als sich Alexandra einige Tage später von sich aus meldete und ein Lektorat anbot. Das Lektorat war ein wichtiger Prozess für das Buch. Aber es war auch mit mehr Aufwand verbunden, da ich meine Arbeitsweise anpassen musste und nicht wie geplant Seite für Seite den Text verfeinern konnte. Daraufhin fragte ich meine Freundin Claudia, ob sie beim Austausch mit Alexandra helfen und mit meiner Rücksprache den Text an die Tipps vom Lektorat anpassen kann. Zum Schluss ging ich mit Claudia zusammen den Text noch einmal durch und passte ihn an meinen Schreibstil an. Die Kommunikation und Koordination beanspruchte in dem sowieso sehr kurzfristigen Projekt viel Zeit. Insgesamt war es doch ein sehr nervenaufreibender Prozess mit Höhen und Tiefen. Rückblickend hat sich es gelohnt, da ich viel lernen und mitnehmen konnte.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Am Anfang steht natürlich immer die Idee der Autorin oder des Autors – erst danach beginnt meine Arbeit als Lektorin, entweder mit dem fertigen Rohmanuskript oder, wie im Fall des Drin- Bleib-Monsters, begleitend während der Entstehungsphase. Basis war ein erster Handlungsabriss Sophias, zu dem bald erste Skizzen sowie ein grobes, noch unvollständiges Storyboard kamen. Anhand dessen haben wir zunächst Spannungsbogen und Plot sowie die Figurenzeichnung überarbeitet. Danach sind wir doppelseitenweise die Details und den sprachlichen Feinschliff angegangen. Besonderes Augenmerk lag dabei auch auf der Zielgruppenausrichtung. In diesem Schritt habe ich dann viel mit Claudia Müller, der Co-Autorin, aber auch weiterhin mit Sophia Phildius zusammengearbeitet. Parallel zu Storyline und Text haben wir auch das Bildlektorat doppelseitenweise durchgeführt. Und natürlich gab es noch die Infoboxen inhaltlich wie sprachlich feinzuschleifen, ebenfalls in Echtzeit und doppelseitenweise.

Wie ist das Bilderbuch graphisch entstanden?

Sophia Phildius: Das Buch hatte ich zuerst wie Telefonkritzeleien sehr grob konzeptioniert. Dann entwarf ich Alma und ihre Familie sowie das Monster. Beim Prozess habe ich immer die aktuelle Seite etwas feiner digital skizziert, ausgearbeitet und angemalt. Nachdem Alexandra mit dem Lektorat gestartet hatte, wurden auch die Bilder in das Lektorat einbezogen. Sie gab z.B. den Anstoß, dass auf den Bildern immer etwas passieren sollte, das nicht im Text steht. So entwickelten wir zum Beispiel gemeinsam die Idee, dass das Monster in jedem Zimmer einen Gegenstand mit seinem Fell aufsammelt.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Die graphische Gestaltung fällt natürlich in Sophias Feld. Wir haben im Laufe des Lektorats aber – wie bei jedem umfassenden Bilderbuchlektorat – auch die Bildebene angesehen und dort viele Kleinigkeiten angepasst und ergänzt, sodass die Geschichte nicht nur textlich, sondern auch bildlich mit einer eigenen Ebene erzählt wird. Dabei floss viel gemeinsame Kreativitätsarbeit ein. Zu der von Sophia schon erwähnten Idee haben wir z.B. zu dritt ein Brainstorming gemacht, was das Monster auf seinem Weg durch die Zimmer alles in seinem Fell "einsammeln" könnte.

Inwiefern hat die Aktualität des Themas Einfluss auf den Entstehungsprozess?

Sophia Phildius: Die Aktualität sowie die große Lesendenschaft setzte mich enorm unter Druck. Ich arbeitete von morgens bis nachts jeden Tag bis zur Fertigstellung des Projektes. Dazu gehörten auch die Webseite, Social Media, die zusätzlichen Materialien und das Beantworten der zahlreichen Nachrichten. Das Buch musste einfach in kurzer Zeit entstehen, um die Situation auch zeitnahe aufzugreifen, aber auch um die Kinder nicht allzu lange auf die nächste Seite warten zu lassen. Es gab viele, die von Anfang an die Entstehung des Buches verfolgten. Es kamen hierzu sehr viele positive Rückmeldungen und man konnte es kaum erwarten, wie die Geschichte weiter gehen wird. Gerade das Miterleben, wie ein Bilderbuch entsteht und von Tag zu Tag wächst, war für viele Leser/innen spannend. Es gewährte Einblicke, die man sonst nicht so bekommt.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Die Arbeit am Drin-Bleib-Monster war schon zeitlich gesehen ungewöhnlich, da ja alles in Echtzeit ablief. Trotz des von Beginn an vorhandenen ersten Entwurfs entstanden nicht nur die Bilder, sondern auch der Text in der endgültigen Fassung doppelseitenweise, sodass das Lektorat parallel zur Entstehung stattfand. Doppelseite für Doppelseite. Auswirkungen des geplanten Handlungsverlaufs auf die aktuelle Doppelseite mussten daher besonders präzise mitgedacht werden, größere Änderungen waren später ja gar nicht mehr möglich. Gleichzeitig war uns wichtig, die mitlesenden Kinder und auch alle anderen, die das Projekt verfolgten, nicht allzu lange warten zu lassen. Dazu kam natürlich auch ein gewisser Zeitdruck, da wir nicht wussten, wie lange die Situation so noch aktuell sein und wie lange es eine interessierte Leserschaft geben würde. Den letzten Feinschliff der ersten Doppelseiten haben wir daher auch nachträglich gemacht, nachdem sie in einer vorläufigen Fassung schon online waren. So konnten wir im Hintergrund am Lektorat arbeiten, ohne dass es den Start der Aktion verzögert hätte. Außerdem haben wir insbesondere die Infoboxen immer wieder an die aktuellen Entwicklungen und Erkenntnisse angepasst. Man könnte also sagen, die Dynamik des Corona-Geschehens übertrug sich auch auf den Entstehungsprozess des Drin-Bleib-Monsters. Für das Lektorat war es alles in allem eine ungewohnte, aber auch sehr spannende Arbeitsweise.

Welches Ziel verfolgt das Bilderbuch?

Sophia Phildius: Bei dem Buch dachte ich in erster Linie an die Kinder. Man kann zwar vieles erklären, aber ob etwas emotional ankommt, ist zweierlei. Alma soll eine Figur sein, der es genau wie vielen Kindern in der Zeit gegangen ist. Das Monster versucht zwar ihr die Situation zu erklären, aber es kommt bei ihr auch nicht richtig an. Erst als sie zusammen spielen und sie viele Ideen für Aktivitäten bekommt, kann sie sich etwas besser mit den Umständen und dem Monster anfreunden. Vor allem sollte das Buch einfach ein Begleiter durch die schwierige Zeit sein und etwas Freude bringen.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Ein Kinderbuch möchte natürlich in erster Linie unterhalten, und so ist es auch beim Drin-Bleib-Monster. Darüber hinaus soll es aber – auf spielerische Weise – auch dabei helfen, mit der Situation umzugehen. Wie Sophia schon sagte, haben wir Alma als starke Identifikationsfigur gestaltet, um die Kinder in ihrer aktuellen Lebenssituation abzuholen.

Wie ist die Resonanz auf ihr Buch? Haben Sie schon Feedback von Eltern, Schulen oder anderen Institutionen bekommen?

Sophia Phildius: Das Buch wird bzw. wurde in sehr vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt. Zuerst wurde es von Familien direkt und in der Notbetreuung von Kitas eingesetzt. Aber auch im therapeutischen Bereich fand es schnell Anklang. So wurde es bei Online-Psychotherapie-Sitzungen angewandt. Eine Physio-/Ergo- und Logopädie-Praxis entwickelte eine Anleitung für ein Bommel-Monster. Später wurde es im digitalen Unterricht von Grundschulen z.B. bei Padlets eingebunden und Arbeitsblätter dazu entwickelt. Bei Antolin-Westermann gibt es auch ein Lesequiz dazu. Außerdem wurden einige Vorlese-Videos produziert. Besonders schön fand ich die Umsetzung einer Hamburger Schule in deutscher Gebärden-Sprache. Vor allem freute mich die Rückmeldungen der Kinder selbst über die Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. ihrer Eltern. Ein Junge wollte sich das Buch immer zum Frühstück und zum Abendessen mit seinen Eltern ansehen. Und ein Mädchen malte eigenständig viele Bilder. Die Kinder einer KiTa in Österreich bastelten direkt eine Rakete wie Jannis im Buch.

Das Bilderbuch ist aktuell kostenlos im Internet abrufbar und als Hard- und Softcover bestellbar. Haben Sie auch eine Distribution des Bilderbuches über Büchereien geplant?

Sophia Phildius: Das Buch ist vor allem ein Beitrag für die Gemeinschaft und als ehrenamtliches Projekt gedacht. Leider muss ich auch einfach einen Schlussstrich ziehen und mich wieder anderen Aufgaben widmen. Deswegen ist auch nichts Weiteres geplant. Es bleibt weiterhin kostenlos im Internet abrufbar und als gedrucktes Buch zu bestellen.

Wie, glauben Sie, sieht die Branche nach der Corona-Pandemie aus und was wünschen Sie sich dafür?

Sophia Phildius: Ich hoffe, dass die Branche sich nach der Pandemie erholen kann und Autoren/innen sowie Illustratoren/innen in ihrer Selbständigkeit bestehen können. Vielleicht bietet es auch Chancen, neue Ideen und Formate auszuprobieren.

Alexandra Fauth-Nothdurft: Hier möchte ich eigentlich nicht spekulieren, denn wir haben ja keine Kristallkugel – wir alle wissen nicht, wie sich die Pandemie oder die Zeit danach entwickeln wird. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es auch in Zukunft z.B. mehr digitale Formate geben wird. Schön finde ich, dass es inzwischen so viele kreative Projekte im (Kinder-) Buchbereich gibt, die das Thema Covid-19 und die Auswirkungen verarbeiten und zu denen auch das Drin-Bleib-Monster gehört (immer noch mein Lieblingsprojekt dazu!). Für die Zeit nach der Pandemie wünsche ich mir vor allem, dass die Branche mit ihren Kreativen und Soloselbstständigen in ihrer wunderbaren Vielfalt erhalten bleibt.

 

Das Interview ist im Rahmen der Lehrveranstaltung "Zwischen Bilderbuch, Comic und Illustration: Eine Einführung in das Graphische Erzählen" an der Universität Hamburg entstanden. (Leitung: Dr. Philipp Schmerheim)

Sophia M. Phildius: Autorin & Illustratorin

Die freiberufliche Illustratorin Sophia M. Phildius lebt gemeinsam mit ihrem Hund Vincent in Hamburg und studiert an der HAW wissenschaftliche und informative Illustration. Zuvor hat sie 4 Jahre lang, während einer Erzieher-Ausbildung, in verschiedenen Einrichtungen gearbeitet. Dabei hat sie ein besonderes Augenmerk auf die freie kreative Entfaltung der Kinder gelegt. Ihr vorangeganges Bachelor-Studium in Kommunikationsdesign an der Hochschule Rhein-Main sowie Erfahrungen in Grafikagenturen halfen ihr bei der künstlerischen Vermittlung.
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Alexandra Fauth-Nothdurft: Lektorin

Alexandra Fauth-Nothdurft unterstützt das Team als Lektorin hinter den Kulissen. Sie achtet darauf, dass Geschichte und Bilder stimmig sind, gibt kreativen Input und jagt natürlich auch Fehlerteufel. Nach mehreren Jahren als Verlagslektorin eines kleinen Kinder- und Jugendbuchverlages arbeitet sie heute als freie Lektorin. Ihre Schwerpunkte sind Bilder-, Kinder- und Jugendbücher sowie Belletristik.
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Claudia M. Müller: Co-Autorin

Claudia M. Müller ist eine studierte Illustratorin aus Kiel. Im Masterstudium konnte sie erste Erfahrungen als Autorin eines Kinderbuches mit schwierigem Thema sammeln. Nun selbstständig, bleiben Kinderbücher ein wichtiges Element ihrer Arbeiten.
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