Inhalt

Frau Amsel ist voller Vorfreude auf ihren Nachwuchs: Drei wunderschöne grüne Amseleier brütet sie derzeit aus. Unverhofft gesellt sich aber ein großes rotes Ei dazu – keiner weiß, woher es kommt und warum es bei der Vogelmutter im Nest liegt. Sie ist zunächst beunruhigt, aber dann sieht sie es gelassen: "Ob ich nun auf drei oder vier Eiern sitze, macht auch keinen Unterschied." (o.S.) Zuerst schlüpfen ihre drei kleinen Amselküken und sie ist ganz verzückt – aber auch gespannt, wie es mit dem roten Ei weitergeht. Als es an einem Dienstagmorgen so weit ist, erschrickt Frau Amsel: ein kleiner roter Drache entschlüpft dem Ei. Was tun? Wohin damit? Aber als der Drache sie zum ersten Mal „Mama“ nennt, ist die Sache klar: Er bleibt.

Frau Amsel tut ihr Bestes, aber ein Drache ist nun mal kein Amselküken. Immer wieder fühlt der kleine rote Drache sich fehl am Platz: „Es ist schwer, etwas anders zu sein.“ (o.S.) Er wächst zu schnell und kann nicht fliegen. Er kann sich nicht einmal selbstständig Regenwürmer suchen, weil diese ihn kommen hören und in die Erde verschwinden. Zu guter Letzt bricht sogar der Ast, auf dem Frau Amsels schönes Nest sitzt, weil der kleine rote Drache so groß und schwer geworden ist.

An einem Donnerstagmorgen kommt ganz unverhofft der Wintereinbruch. Während alle Tiere sich über die Kälte beschweren, schreitet der kleine rote Drache wie ferngesteuert zur Tat. Er sammelt Holz, legt alles auf einen Haufen, und: Er speit Feuer, um ein richtig schönes Lagerfeuer zu entzünden! So kommen alle Tiere gemeinsam gut und warm durch die Winternacht. Frau Amsel ist ganz schön stolz auf ihren Drachensohn – und der Drache selbst erkennt, dass es auch schön sein kann, etwas anders zu sein.

Kritik

Inhaltlich bietet Michael Engler hier eine Variation einer bekannten Geschichte: Der Protagonist fühlt sich fehl am Platz und muss erst erkennen, dass Anderssein nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss. Viele sehr erfolgreiche Bilderbücher vermitteln diese einfache, aber wichtige Botschaft an Kinder – man denke etwa an Fiete Anders von Miriam Braun (Gerstenberg 2012), bei dem ein rotweiß gestreiftes Schaf erst auf Wanderschaft gehen muss, um zu erkennen, wo es hingehört. Auch das Bilderbuch Die Rabenrosa von Helga Bansch (2015) weist inhaltliche Überschneidungen mit dem Titel auf; hier schlüpft ein Menschenkind aus einem Rabenei und muss sich in der Rabenwelt zurecht- und einfinden. Der Mehrwert besteht bei dieser Variation auf das bekannte Motiv darin, dass das Buch schon von Kleinkindern ohne Probleme verstanden werden kann. Dadurch bietet es sich für den Einsatz in Krippengruppen und Kindergärten sehr gut an. 

Engler und Joëlle Tourlonias sind als Zwiegespann für komplexe Bild-Text-Verhältnisse bekannt. Tourlonias spielt in ihrem Werk gekonnt mit Alltagsgegenständen und -settings, die phantasievoll entfremdet werden – aus Wohnzimmern werden Dschungel (etwa in Ich bin ein Tiger, 2016), aus Pappkisten ein Boot oder ein Schlitten, usw. In diesem Buch ist der Handlungsort eindeutig und es wird weniger mit phantastischen Elementen gearbeitet: Der Wald, in dem die Amselfamilie lebt, ist klar als solcher erkennbar. Wie gewohnt sind die Illustrationen von Tourlonias aber in satten und erdigen Tönen gehalten. Das Buch strahlt so eine Wärme aus, die gut zum Inhalt des Buches passt. Dem realistischen Wald entsprechend sind die Vögel und die anderen Waldtiere eher lebensnah, mit ausdrucksstarken Gesichtszügen, gezeichnet. Der Drache hingegen wirkt von den Rundungen her fast wie ein kleines Stofftier, prall und knuffig – und er erinnert damit ein wenig an den Stoffelefanten, der die Protagonisten in den "elefantastischen" Abenteuern begleitet (zum Beispiel in Elefantastisch – auf nach Afrika, 2014 oder Elefantastische Weihnachten, 2017).

Der typisch augenzwinkernde Stil von Tourlonias, der mit kleinen Details und Bildverweisen arbeitet, kommt in Ein komischer Vogel eigentlich nur auf einer Doppelseite zur Geltung, wo der Erdboden in einer Seitenansicht gezeigt wird. So werden die Regenwurmtunnel sichtbar und es verstecken sich darum herum viele andere Dinge, z.B. ein Schuh, eine Feder, ein Holzschwert, Fossilien, Dinosaurierknochen, ein Diamant.

Fazit

Wer das Erfolgsgespann Engler-Tourlonias kennt, wird sich vielleicht mehr von diesem neuen Buch erhofft haben. Fans werden das Buch trotzdem gerne kaufen und lesen. Ob sich Ein komischer Vogel über die Jahre so durchsetzen wird wie die anderen Figuren der zwei Bilderbuchmacher, bleibt abzuwarten. In jedem Fall transportiert das Buch gelungen und schon für Kinder ab zwei Jahren eine Botschaft, die im aktuellen politischen Klima nicht oft genug wiederholt werden kann: Es ist mehr als okay, anders zu sein und anders auszusehen – und es ist schön, wenn die (Wald-)Gemeinschaft durch neue Impulse und Talente bereichert wird. 

Titel: Ein komischer Vogel. Es ist schön, etwas anders zu sein.
Autor/-in:
  • Name: Engler, Michael
Illustrator/-in:
  • Name: Tourlonias, Joëlle
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2018
Verlag: Annette Betz im Ueberreuter Verlag
ISBN-13: 978-3-219-11763-9
Seitenzahl: 28
Preis: 14,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 2 Jahre
Engler, Michael (Text) /Tourlonias, Joëlle (Bild): Ein komischer Vogel. Es ist schön, etwas anders zu sein