Inhalt

In der Pilotfolge von Once Upon a Time wird der Zuschauer unumwunden in die Komplikation der Serienhandlung geworfen: Die junge Emma Swan wird in Bosten am Tag ihres 28. Geburtstages, den sie allein verbringt, von dem zehnjährigen Henry in ihrer Wohnung besucht. Henry offenbart ihr, dass er ihr Sohn ist, den sie nach seiner Geburt fortgegeben hat. Er überredet sie dazu, mit ihm in den kleinen Ort Storybrooke in Maine zu kommen, in dem er lebt und von dem er behauptet, er stünde unter einem Fluch, den nur Emma in der Lage wäre, zu brechen. Anlass für diese Behauptung bietet ihm sein oft unangenehmes Leben mit seiner Stiefmutter Regina, die er als böse Königin identifiziert, sowie ein altes Märchenbuch, in dem sämtliche Märchen der Brüder Grimm und weitere phantastische Erzählungen miteinander verquickt sind und darauf verweisen, dass sämtliche Bewohner Storybrookes Märchengestalten sind, die sich an ihr phantastisches Vorleben allerdings nicht erinnern können. Dieses Buch bzw. die darin enthaltene Literatur wird also zum Verstehensschlüssel der gegenwärtigen Welt und die Figuren müssen lernen, dass Bücher ihre Geschichten durchaus direkten Einfluss auf das eigene Leben ausüben können. Emma — Kind von Snow White und Prince Charming — bricht also, nachdem sie mit Henry nach Storybrooke gefahren ist, und sich dort nach einiger Zeit auch niederlässt, als Fremde in diese längst vergessene Märchenwelt ein, um darin immerwährenden Themen wie Familie, Vertrauen, Güte und Verantwortung nachzugehen.

Folglich bricht nach der Ankunfts Emmas in Storybrooke der Widerstreit von Gut und Böse erneut aus. Die Serie greift mit seiner Erzählstruktur literarische und archetypische Grundmuster auf, was ebenso einfach wie wirkungsvoll ist. Von Beginn an ist der Rezipient gefordert, seine eigenen Leseerfahrungen — die im Falle der Märchen bei den meisten Zuschauern recht hoch sein dürfte — in sein emotionales Erleben einzubeziehen. Geschickt setzt die Handlung dort an, wo die Märchen in der Regel enden: beim Happy End, das im Serienformat der Gegenwart jedoch nur noch sehr kurz währt! Der ewige Kampf nach Glück und Wiederherstellung eines Happy Ends scheint vielmehr endlos zu sein!

Abb. 1: Screenshot aus Once Upon a Time. Verleih: ABC

Kritik

Grimm-Märchen scheinen — wohl auch bedingt durch den 200. Geburtstag der Erstauflage der Kinder- und Hausmärchen — ein Revival zu erleben. Und auch wenn mediale Adaptionen der Märchenstoffe durchaus nicht neu sind — man bedenke, dass schon die Grimm’schen Märchen streng genommen als fortgeschriebene Adaptionen zu verstehen sind (!) — so ist doch auffällig, dass derzeit TV-Serienproduktionen die Märchen neu entdecken. Neben der US-amerikanischen Serie Grimm (2011), die vor allem auf die Grimms als Monsterjäger eingeht, ähnlich wie es schon der Spielfilm Brothers Grimm (2005) tat, greift die intertextuell angelegt Serie Once Upon a Time (seit 2011) hingegen inhaltlich und motivisch auf die Grimm’sche Märchensammlung zurück und hinterfragt dadurch die Aktualität von Märchen und deren Themen.

Die Serie Once Upon a Time wurde von den Produzenten und Drehbuchautoren Edward Kitsis und Adam Horowitz konzipiert, geschrieben und produziert, die schon an der ABC-Serie Lost beteiligt waren. Diese Verbindung merkt man der Märchenserie sowohl strukturell als auch inhaltlich an, verfolgen die Drehbuchautoren doch ein ähnliches Erzählprinzip und geben in spielerischer Art immer wieder intertextuelle Verweise auf Lost.

Ähnlich wie schon in Lost werden auch in der Märchenserie, basierend auf literarischen Vorlagen, neue und komplexe Erzählstränge geschaffen, die vorrangig auf den Widerstreit der Grundprinzipien 'Gut' und 'Böse' abheben. Damit erschließen sich naheliegende Brückenschläge zu Märchen und phantastischen Erzählungen aller Art, stehen doch gerade in diesen Genres diese beiden Prinzipien im Fokus der Erzählungen. Zum narrativen Prinzip des postmodernen Serienerzählens gehört jedoch eine Verknüpfung sämtlicher literarischer Vorlagen zu einem miteinander korrespondierenden Knäuel an Erzählsträngen, das durch diverse Mysteryelemente und langatmige Geheimnisentwirrungen zu einer romanhaften Filmhandlung versponnen wird, in der immer neue Fäden aufgenommen werden und ein roter Faden lediglich über die Hauptfiguren zu verfolgen ist. Die Ereignisse hingegen sind häufig episodenhaft und daher schnell vergessen! Die Figuren jedoch korrespondieren  jeweils einem Hauptcharakter aus einem bekannten Märchen oder einer phantastischen Geschichte — so gibt es neben Snow White und Prince Charming selbstverständlich auch die sieben Zwerge, die böse Königin, Rumpelstilzchen und Rotkäppchen, aber auch Pinocchio, Captain Hook oder den Hutmacher aus Alice Adventures in Wonderland. Nur Emma und Henry haben keinen märchenhaften Doppelgänger, sondern symbolisieren quasi das Neue; sie müssen aber 'die alten Geschichten' verstehen, um ihr eigenes Leben zu verstehen.

Geschickt werden die meisten Figuren sukzessive komplexer gestaltet, sodass viele Figuren einen Doppelcharakter bekommen, der sowohl die gute als auch die böse Seite einer jeden Figur betont. Dieses Spiel mit Doppel- oder Mehrfachcharakteren greift nicht nur die tatsächliche Komplexität von Identität auf, sondern referiert auch auf archetypische Modelle. Dadurch erhalten die Rezipienten nicht nur das Gefühl die Figuren bestens zu kennen, sondern sind ebenso überrascht wie gebannt, wenn sich neue Charaktereigenschaften offenbaren oder eine Figur eine Wandlung durchmacht. Immer wieder aufs Neue entbrennt daher im Seriengeschehen auch die Frage, ob die Figuren auf der guten oder dunklen Seite stehen und wem der Zuschauer vertrauensvoll seine Sympathie entgegen bringen kann – denn eben um die Frage, wer man ist, scheint sich immer wieder die Handlung zu drehen.

Der typische Anfang eines jeden Märchen "Once upon a time ..." oder "Es war einmal ..." suggeriert dem Hörer grundsätzlich, dass eine Begebenheit lange vorbei ist und das typische Ende sagt uns, dass sich jedes Problem in immerwährendes Glück verwandelt. Die TV-Serie beginnt jedoch genau an der Stelle, an der Märchen normalerweise enden: beim langersehnten Happy End. Um es angesichts der Detailfülle an Handlungssträngen an dieser Stelle gleich den Serienauftakt zu skizzieren: Die böse Königin Regina legt nach der Hochzeit von Schneewittchen mit ihrem Prinzen einen Fluch über das Märchenland, dass alle Märchenfiguren in die Gegenwart, in den kleinen, nichtssagenden Ort Storybrooke, Maine, befordert. In der ersten Staffel geht vor allem darum, die Charaktere kennenzulernen und diese erkennen zu lassen, wer sie in Wirklichkeit sind. Mittels dieses Erkennens entsteht ein Zwei-Welten-Modell, das die gegenwärtige Welt Storybrookes in  eine erhellende Verbindung mit der vergangenen Märchenwelt stellt. Emma steht vor der Aufgabe, den Fluch, der über Storybrooke liegt, zu brechen und ihre neugewonnene Mutterrolle anzunehmen. Auch hier werden immer wieder archetypische Mutter- und Frauenbilder aufgerufen und modifiziert. Emma bewegt sich beim Ausloten ihrer Identität und ihrer neuen Rolle zwischen Oppositionen wie Gut und Böse, Realität und Magie, Zauber und Wissenschaft!

Wer nicht bis zum Herbst warten will und bereits jetzt via Download in die zweite Staffel schaut, wird feststellen, dass durch den gebrochenen Fluch ein gewaltiger Bruch in der Handlungsstringenz entsteht. Alle Figuren können sich an ihre Märchenvergangenheit erinnern, sodass zwar räumlich und zeitlich weiterhin zwei Welten bestehen, die Spannung der ersten Staffel, die eben auf dem unbewussten Parallelleben der Figuren aufbaute, nicht mehr trägt. An dieser Stelle überschlägt sich die Serienhandlung dann auch, denn es werden in rascher Folge diverse neue Charaktere eingeführt. So beginnt die zweite Staffel damit, dass Dornröschen aus ihrem Schlaf erwacht und, kaum dass ihr Traumprinz sie wach geküsst hat, diesen im Kampf gegen das dementorenhafte Monster auch gleich wieder verliert. Dieses Liebespaar wirkt nur wie ein blasser Abklatsch von Prince Charming und Snow und kann das Niveau der Serie ebenso wenig halten wie ein jugendlich-dynamischer Captain Hook oder die mutige Kämpferin Muray. Im Laufe der zweiten Staffel finden außerdem so viele unterschiedliche Geschehen und Ereignisse statt, dass Dornröschen bald vergessen ist. Nachdrücklich wirken vor allem jene Episoden, in denen ältere Handlungsstränge weitererzählt werden, wie beispielsweise in der Episode "Manhattan", die wieder deutlich an Lost erinnert!

Und noch mehr als in Lost, wo ähnliche Oppositionen wie in Once Upon a Time genutzt wurden, stellt sich in Once Upon a Time die Frage nach der Aktualität der Märchen bzw. tradierter Erzählungen. Die Grundaussagen vieler Märchen werden auf Fragen der Individualität umgebrochen und daher für postmoderne Handlungen und Diskurse interessant. Tiefenpsychologische Dimensionen werden zum Beispiel dann klar, wenn Rotkäppchen sich selbst als der böse Wolf entpuppt und die Frage nach 'gut' oder 'böse' nicht mehr an eindeutig zuzuordnenden Figuren beantworten lassen.

Besonders eindrucksvoll wird diese Uneindeutigkeit an der Figur von Rumpelstilzchen gezeigt – herausragend bespielt von Robert Carlyle! Diese Figuren wird mehrfach mit archetypischen Grundmustern verknüpft und avanciert darüber hinaus durch diverse intertextuelle Bezüge und serieninterne background-stories zu einem zentralen Verstehenspunkt innerhalb des gesamten Seriengeschehens!  Rumpelstilzchen, ehemals ein liebender Ehemann und Vater, wird nämlich durch persönliche Zurückweisung, soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung zunächst zum Weisen des Dorfes und verwandelt sich dann vom Weisen in eine groteske Heinzelmännchenfigur und in "The Dark One", den Gegenspieler von Regina und ihrer bösen Mutter. Anders als bei Lost stehen übrigens in Once Upon a Time nicht die Väter, sondern die Mütter im Fokus der Erzählungen, die sich in archetypischer Weise an die Entwürfe der wahrhaft-liebenden Mutter, der bösen Stiefmutter, aber auch an postmoderne Mütterentwürfe rückbinden lassen. Hier zeigt sich ebenfalls ein gelungener und aufschlussreicher Brückenschlag zu Märchen, Archetypen und dem postmodernen Erzählen. Die drei dunklen Figuren Rumpelstilzchen, Regina und ihre Mutter hängen interessanterweise tatsächlich über das Märchen Rumpelstilzchen zusammen und zeigen deutlich die kausal-emotionalen Bedingungen, die Familien auseinandertreiben können, oder wie das Böse aus dem Verlust von Schutz und Liebe erwachsen kann.

All diese Diskurse Metamorphosen der Figuren verlangen stets nach einem Befragen der eigenen Identität, es geht für die Figuren immer also auch um die Herausforderung, eine persönliche Entscheidung zwischen Liebe und Hass zu treffen. Ähnlich wie auch schon in Lost helfen hier Leitsätze, um diesen Problemkreis in gängige Phrasen zu fassen. Der Leitsatz "We are both" aus der gleichnamigen Episode zeigt diese Doppelidentität, "you always have a choice" verweist auf die Verantwortung, die jeder für sein eigenes Handeln trägt und "evil isn’t born, it is made" verweist darauf, dass das Böse nicht naturgegeben ist, sondern auf sozialen Mächteverhältnissen und unverantwortlichem Handeln anderer basieren kann. Während in Lost stets das Schicksal durch den Schlüsselsatz "Everything happens for a reason" aufgerufen wurde, wird hier vielmehr auf die Verantwortlichkeit des Individuums gesetzt. Rumpelstilzchen — weise, intelligent und oftmals sehr witzig, aber immer mit einem messerscharfen Verstand — weiß, dass jede Entscheidung ihren Preis fordert. Zum Markenzeichen für für ihn der Leitsatz: "All magic comes with a price, dearie!" So ist es Rumpelstilzchen — in der Gegenwart sprechenderweise Mr. Gold — der mit allen ein Deal macht und verspricht, dass nur für wahre Liebe nicht gezahlt werden müsste.

Doch eben das erweist sich bei näherer Betrachtung als unwahr, denn auch wenn sämtliche Hauptfiguren wahre Liebe für jemanden empfinden, so zahlen sie doch alle einen hohen Preis für schicksalhafte Begebenheiten in ihrem Leben — inklusive Rumpelstilzchen selbst! Neben den typischen Märchenmerkmalen, die an die Figur Rumpelstilzchen geknüpft sind, erhält diese Figur die weitaus größte Komplexität, indem er außerdem explizit Merkmale des Biests aus The Beauty and the Beast und des Krokodils aus Peter Pan trägt. Auch optisch wird seine Krokodilshaut, seine Macht über Zeit, aber auch sein innersten Bedürfnis nach Liebe und Verständnis inszeniert, sodass diese Figur die höchste Komplexität und Schlüsselposition erhält.

Fazit

Insbesondere die erste Staffel zeigt kreative und treffende Interpretationen der Märchen, Mythen und phantastischen Erzählungen. Die zweite Staffel hingegen wirkt oft manchmal etwas desorientiert und will möglicherweise manchmal zu viel. Oftmals verändern sich die Figuren in der zweiten Staffel zu schnell, nicht recht nachvollziehbar und es scheint gelegentlich nicht klar, ob eher die actionreiche Mysteryhandlung oder das durchdachte Erzählen einer Geschichte die Zuschauer fesseln soll. Das ist schade, dennoch bleibt die Serie spannend und interessant und sollte von Märchenfans keinesfalls verpasst werden, bereitet doch gerade das intertextuelle Spiel mit den unterschiedlichen Märchenelementen ein großes Vergnügen!

Titel: Once Upon a Time - Es war einmal
Erscheinungsjahr: seit 2011
Dauer (Minuten): 42 pro Episode
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 12 Jahre
Format: Stream