Inhalt

Das fünfjährige, aufgeweckte Mädchen Ayda lebt mit seinen Eltern im multikulturellen Stadtteil Eigelstein im Schatten des Kölner Doms. Im Kindergarten hat sie kaum richtige Freunde, weil sie kleiner ist als ihre Altersgenossen und deshalb nicht ernst genommen wird. Aydas Eltern, die als Studenten aus Iran nach Deutschland kamen, kümmern sich zwar liebevoll um ihre Tochter, doch das Mädchen sehnt sich nach gleichaltrigen Freunden. Besonders mit ihrem Vater, einem glühenden Anhänger des 1 .FC Köln und passionierten Geschichtenerzähler, philosophiert Ayda viel über das Leben und streunt durch die zahlreichen Geschäfte des Eigelstein-Viertels.

Eines Tages, als die anderen Kindergartenkinder sie wieder einmal nicht mitspielen lassen, büchst Ayda mit ihrem Rad aus und fährt ohne Ziel quer durch Köln. Am Stadtrand am Rhein stürzt sie schließlich vom Rad und verletzt sich am Knöchel. Als sie weinend am Wegesrand hockt und sich vollends "tak-o-tanhâ" (S. 24) – persisch für einsam und verlassen – fühlt, eilen ihr zwei ungleiche Kinder zu Hilfe: Ein Bärenkind und ein Hasenkind, "eine ganz, ganz große Gestalt und eine winzig kleine" (ebd.). Nachdem Ayda den ersten Schock verdaut hat, freundet sie sich mit ihren neuen tierischen Gefährten an. Das fortan unzertrennliche Freundestrio erlebt in Eigelstein (wo sie zu lokalen Berühmtheiten werden), in einem Zirkus und später auch im Familienurlaub in Spanien, wo Aydas über die ganze Welt verstreute Familie jeden Sommer zusammenkommt, aufregende Abenteuer. In Spanien gewinnen Ayda, Bär und Hase mit dem Esel auch einen weiteren tierischen Freund. Und ganz nebenbei lernt Ayda, was echte Freundschaft ist und dass Erwachsene auch nicht immer Recht haben.

Kritik

Im Jahr 2006 veröffentlichte ein aufstrebender junger Germanist und Islamwissenschaftler, der regelmäßig für Zeitungen wie NZZ, Süddeutsche und den SPIEGEL Reportagen über und aus der islamischen Welt schreibt, im Wiener Picus Verlag ein charmantes und von der Kritik wohlwollend aufgenommenes Kinderbuch über ein pfiffiges fünfjähriges Kölner Mädchen, das in einem Hasen- und Bärenkind treue Freunde findet. Gut ein Jahrzehnt später ist aus Navid Kermani ein mit Auszeichnungen wie dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels dekorierter Vorzeigedenker der Merkel-Republik mit Bundespräsidentenpotenzial geworden, dessen Sachbücher und Romane regelmäßig ein großes Medienecho auslösen. Kein Wunder, dass Hanser, der Hausverlag Kermanis, Ayda, Bär und Hase nun noch einmal auflegt und dabei darauf spekuliert, dass das seitdem weiter gewachsene Renommee des Autors sich in den Verkaufszahlen spiegelt.

Die Neuausgabe hat sich gelohnt: Die Hardcoverausgabe mit zitronengelb leuchtendem Buchdeckel und rotem Buchrücken ist liebevoll ausgestattet; sie dürfte auch aufgrund der gut lesbaren mittelgroßen Schrift und der charmant-fröhlichen Illustrationen von Karsten Teich selbst Zweit- oder Drittklässler zum Selberlesen animieren.

Gelohnt hat sich die Neuausgabe aber vor allem deshalb, weil Ayda, Bär und Hase eine warmherzig erzählte Geschichte für Kinder und Erwachsene zugleich ist. Kermani erzählt ohne allzu offensichtlichen pädagogischen Zeigefinger vom Wert der Freundschaft und davon, wie bereichernd es ist, dass alle Menschen auf ihre eigene Weise anders und besonders sind, seien sie nun kleiner oder größer, jünger oder älter, schlauer oder dümmer als der Rest oder in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zuhause. Kulturelle Unterschiede sind omnipräsent in den Abenteuern Aydas mit Bär, Hase und Esel, auch weil Kermani immer wieder kleine Bonmots über die Eigenarten der persischen Kultur einstreut. Diese Unterschiede grenzen die Figuren nicht voneinander ab, sie ermöglichen vielmehr überhaupt erst ein schönes wie aufregendes Zusammenleben aller Beteiligten.

Kermani transzendiert dabei den Standardmultikulturalismus, denn er zelebriert zum Beispiel nicht einfach die aus deutscher Sicht exotische persische Kultur, sondern bettet sie ein in den Lokalkolorit der Kölschen Folklore: Bauchtanz, persischer Tee und der (für Fußballfans zumeist deprimierende) Wochenendbesuch im Müngersdorfer Stadion mischen sich hier ebenso wie kleine Sprachlektionen in Farsi mit einer Schunkelrunde von Ayda, Bär und Hase, die gemeinsam die Kölsche Nationalhymne „Aschte Fründe ston zesamme“ zum Besten geben, gefolgt von einer augenzwinkernden Übersetzung des Erzählers für Nicht-Kölschsprachler.

Überhaupt, der Erzähler: Auktorial in der Haltung, wendet dieser sich wieder und wieder an sein Publikum und unterbricht den Handlungsverlauf durch Exkurse über die sprachlichen Eigenheiten des Persischen, Türkischen oder Deutschen, kommentiert den Gefühlshaushalt der Beteiligten oder schilt seine Leser neckisch dafür, dass sie ihn im Erzählfluss durcheinanderbringen:

Also, noch mal: der Hase war größer als der Bär, und Ayda war jünger als der Hase. Wieder falsch? Mensch, erzählt doch die Geschichte selbst, wenn ihr’s besser wisst. Müsst ihr denn auch am Anfang des Kapitels so komplizierte Fragen stellen. Ihr habt gar nicht gefragt? Ich hab selbst damit angefangen? Also, hört mal zu, eins will ich euch mal sagen: Wenn ich sage, ihr habt angefangen, habt ihr angefangen, selbst wenn ich angefangen habe. Kapiert? (S. 42)

So sehr die Histoire von Ayda, Bär und Hase über das für die KJL einschlägigen(Tier-)Freundschaftsmotiv improvisiert, so sehr spielt sie auf Discours-Ebene mit der Sprache, ja feiert diese geradezu – eine Vorgehensweise, die typische für Kermanis literarisches Werk ist: Vermittelt über die Persona des Erzählers schiebt Kermani immer wieder kleine Lektionen und Reflektionen vor allem über die persische Sprache ein. Die kleine Ausreißerin Ayda ist nicht nur auf gut Türkisch "üzüntülü" (betrübt), sondern darüber hinaus anfänglich "tak-o-tanhâ" – ein Seelenzustand, der spätestens mit dem Auftauchen von Hase und Bär weggeweht wird wie der Wind. Grußformeln werden ebenso abgedeckt wie der Unterschied zwischen "gute Nacht" und "guten Morgen" auf Farsi ("schab be-cheyr" und "sobh be-cheyr"), und die Rezipienten bekommen regelmäßige vergnügliche Lektionen im kosenamenkompatiblen persischen Gebrauch des tiefen "â", das deutschen Ohren klingt wie ein langgezogenes "ooooh". Natürlich wird das zugleich am Beispiel von Familienbezeichungen wie "Bâbâ", "Mâmân" und "Barâdar" (S. 8) durchdekliniert. Und auch, warum Âydâ sich nun ausgerechnet mit Bär, Hase und Esel anfreundet (und nicht, sagen wir, mit Katze, Hund und Papagei), wird vom Erzähler im vierten Teil des Buchs schließlich mit einem cleveren Sprachspiel erläutert.

Karsten Teichs charmante schwarz-weiße Illustrationen, die ebenfalls aus der Erstedition übernommen wurden, verstärken den spielerischen Eindruck, den Kermanis literarischer Erstling erweckt. Im Fokus der mit weichem Bleistift gezeichneten Schraffuren stehen die kindlichen Hauptfiguren, insbesondere die dynamisch und ausdrucksstark gezeichneten Gesichter von Ayda, Bär, Hase und Esel.

Fazit

Mit Ayda, Bär und Hase ist Navid Kermani eine warmherzige Geschichte gelungen, der drei Dinge zugleich gelingen: Sie ist eine Ode an die Freundschaft, feiert die Schönheit der Sprache und ist eine Liebeserklärung an die Stadt Köln als Schmelztiegel des Interkulturalismus. Nicht nur für Grundschulkinder ab 6 Jahren/der zweiten Klasse (oder jüngere Vorlesekinder) sind die Abenteuer von Ayda und ihren tierischen Gefährten somit eine ideale Gutenachtgeschichte.

Titel: Ayda, Bär und Hase
Autor/-in:
  • Name: Kermani, Navid
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Carl Hanser Verlag
ISBN-13: 978-3-446-25481-7
Seitenzahl: 151
Preis: 12,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Kermani, Navid: Ayda, Bär und Hase