Zwei Schwestern, die Kindheitserinnerungen teilen: die gegenseitige Unterstützung beim Klettern, gemeinsames Lachen über ein Katzenvideo und die Fürsorge der älteren Schwester für die jüngere. Bis Barbaras Essstörung einen Keil zwischen die beiden Mädchen treibt. Die geschlossene Zimmertür wird zum Symbol der Unnahbarkeit. Die Ich-Erzählerin wünscht sich ihre ältere Schwester zurück, zu der sie aufblicken konnte.

Die in freien Versen verfasste Erzählung setzt sich mit der Krankheit Magersucht aus Sicht einer jüngeren Schwester auseinander und beleuchtet, wie sich die Beiden aufgrund der Krankheit immer stärker voneinander distanzieren. Die Prägnanz der Sprache verstärkt die emotionale Wirkung des naiv-kindlichen Sprachduktus, dadurch stellt die Erzählung eine empfehlenswerte Sensibilisierungs- und Präventionslektüre dar.

 

Inhalt

Barbaras jüngere Schwester erinnert sich daran, dass sie ihr einst alles erzählen konnte. Sie motivierte sie beispielsweise in der Kletterhalle dazu, es nach ganz oben zu schaffen. Nicht nur wegen ihrer Klugheit, auch aufgrund ihrer Schönheit bewundert sie Barbara. Die Sorgen der Erzählerin aber dämpfen die schönen Erinnerungen: Die Lücke zwischen Barbaras Beinen, die immer größer wird, ihr andauerndes Frieren, obwohl der Ofen angeheizt wird, ihr Umfallen, weil der Kreislauf nicht mehr mitspielt und Barbaras ambivalente Freundschaft zu Anne. Mit ihrer besten Freundin fühlt sich Barbara vollständig, doch für Anne zählt hauptsächlich, wie viele Bissen man für ein Stück Gurke braucht und dass "der Busen dicke Ballons [sind], die alles schwer machen" (S. 43).

So gerne würde die kleine Schwester mit Barbara an der Donau entlang radeln und in einem Zelt schlafen. Doch die Realität sieht anders aus: Sehr plötzlich steht Annes Beerdigung bevor. 

Kritik

Die von Sarah Michaela Orlovský 2022 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierte Erzählung schildert in eindrucksvoller, poetischer Darstellung die Auswirkungen und das Leid eines unter Magersucht leidenden Mädchens auf die Familie der Betroffenen. In monologischer Form spricht die Erzählinstanz ihre Schwester Barbara an und drückt ihre Sorgen, Wünsche und Erinnerungen aus. Durch die Beschreibung der persönlichen Erlebnisse und die intuitiv-prägnanten Überschriften sowie die Innenperspektive der Erzählerin weisen die einzelnen Kapitel Analogien zu einem Tagebucheintrag auf.

Eine halbe Banane und die Ordnung der Welt lebt von seiner Sprache. Die Sprache ist die Sprache eines Kindes, was sich in der Erzählung durch folgende Merkmale auszeichnet: Elliptische Sätze, z. B. "Nichts Wichtigeres zumindest. Nichts, außer euch beide." (S. 43) oder die Aneinanderreihungen von Komposita "Schokostreuselmilchschaum [,] Sommerregensprünge" (S. 27). Durch die Verwendung von Majuskeln, "WOFÜR DENN BITTE?" (S. 20), wird die Emotionalität durch das Gesagte verdeutlicht. An einigen Stellen wirkt das Geschriebene so, als würden Gedanken geäußert werden: "Jetzt sind es viel mehr als zehn geworden… "(S. 27). Die ergreifende Wirkung der naiv-kindlichen Sprache auf die Leserin und den Leser ist beeindruckend gelungen.

Die Anorexia nervosa  stellt ein, insbesondere für jugendliche Mädchen, brisantes Thema dar, welches die Autorin für ihre Leseinteressentinnen und Leseinteressenten aus Perspektive der jüngeren Schwester emotional aufbereitet hat. Analog zur schwesterlichen Perspektive kann hier ein Bezug zu Lara Schützacks Und auch so bitterkalt hergestellt werden, in welchem das gleiche Thema durch die Augen der Schwester betrachtet wird. Durch die Schilderungen Barbaras Rückzugs wird die Betroffenheit der Familie gegenüber dem kranken Mädchen in den Fokus gerückt. Dass die ältere der beiden Mädchen an Magersucht erkrankt ist, wird nicht explizit thematisiert, die äußere und psychische Veränderung der Schwester verdeutlicht vielmehr das Krankheitsbild durch die Wahrnehmung der jüngeren Schwester. Die naiv-kindliche Sprache erzeugt eine identifikatorische Verbundenheit mit den Leserinnen und Lesern und ist insofern sprachlich für seine Rezipientinnen und Rezipienten angemessen. Dieses sensible  Thema, das auch den Tod der Freundin am Ende miteinbezieht, stellt für die jungen Leserinnen und Leser inhaltlich jedoch eine Herausforderung dar.

Fazit

Mit Eine halbe Banane und die Ordnung der Welt ist Sarah Michaela Orlovský die Nominierung zum Jugendliteraturpreis 2022 gelungen. Durch den kindlichen Sprachduktus der Erzählerin wird das Thema Magersucht aus den Augen eines Kindes betrachtet. Die Wirkung und das Zusammenspiel dessen ist enorm: Die Prägnanz der Sprache lässt Raum für die Vorstellungskraft und verstärkt die emotionale Wirkung auf die Leserinnen und Leser. Aufgrund des Inhalts kann das Kinderbuch ab 11 Jahren als Sensibilisierungs- oder Präventionslektüre empfohlen werden, insbesondere wenn die Krankheit im Umfeld auftritt. Sprachlich betrachtet wäre dies auch jüngeren Leserinnen und Lesern zugänglich, jedoch setzt die Thematik für die jungen Rezipientinnen und Rezipienten einiges an Vorwissen voraus, um die Symptome der Krankheit richtig zuordnen zu können.

Titel: Eine halbe Banane und die Ordnung der Welt
Autor/-in:
  • Name: Orlovský, Sarah Michaela
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Tyrolia
ISBN-13: 978-3-7022-3918-3
Seitenzahl: 60
Preis: 12,95
Altersempfehlung Redaktion: 11 Jahre
Orlovský, Sarah Michaela: Eine halbe Banane und die Ordnung der Welt