Der Begriff "Phantastik", der in dieser Sonderausgabe in Bezug auf das Computerspiel untersucht werden soll, kann minimalistisch wie maximalistisch definiert werden (vgl. Brittnacher; May 2013:189-198). In der minimalistischen Definition, die auf literarische Werke der klassischen Phantastik oder auch sog. 'Mind Game Movies' (vgl. Pinkas 2010:126) zutrifft, beschreibt Phantastik medial evozierte Rezeptionsmomente realitätssystemischer Unsicherheit zwischen zwei möglichen Weltmodellen: Ist z.B. ein scheinbar 'übernatürliches' Phänomen innerhalb der dargestellten Welt tatsächlich Teil der (nun erschütterten) Realität – oder gibt es eine 'natürliche' Erklärung dafür, wie zum Beispiel gezielte Manipulation, Naturphänomene oder Sinnestäuschungen? Maximalistische Definitionen verstehen Phantastik hingegen als Sammelbegriff für alle fiktionalen Welten, die sich in ihren Raumstrukturen, Kulturen oder auch Naturgesetzen signifikant von der Primärwelt der RezipientInnen unterscheiden, schließen so also meist u.a. Märchen-, Fantasy- und Alternativweltgeschichten mit ein.

Doch trotz der großen Unterschiede sind beide Definitionen des Phantastischen letztlich von Fragen des narrativen Worldbuildings angetrieben: Wie kann eine ganze Welt mit ihren Orten, Sprachen, Kulturen, Geschichte(n), Normen und Naturgesetzen (vgl. "Mythos-Topos-Ethos" bei Klastrup; Tosca 2004) mit dem begrenzten Inventar etablierter Zeichensysteme dargestellt werden – und zwar auf solche Weise, dass Unstimmigkeiten innerhalb dieser Ordnung von RezipientInnen nicht nur selbstständig erklärt, sondern auch zur Basis weitergehender philosophischer Fragestellungen werden können?

Aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist klar, dass jedes Medium Welten dank seiner medienspezifischen 'affordances' (vgl. Gibson 1979:127) auf besondere Weise präsentieren kann. Jedoch stellen die Welten der Phantastik ein besonders reizvolles Feld transmedialen Experimentiens dar (Harvey 2015). Für das Computerspiel ist dies besonders relevant, denn als multimodaler Medienverbund (vgl. u.a. Beil et al. 2009) kann es eine enorme Vielfalt von medialen Vermittlungswerkzeugen nutzen, die nicht nur die Zeichensysteme etablierter narrativer Medien (statisches und dynamisches Bild, Fotografie, Geräusche, Stimme, Musik, Text, Malerei etc.) einschließen, sondern auch medienspezifische Wege der Weltvermittlung, die auf der sensomotorischen Konfrontation mit einer regel- und herausforderungsbasierten Simulationsumgebung basieren – selbst die fremdartigsten Welten werden konkret sinnlich erfahrbar und wandeln sich damit vom abstrakten Spiel-Raum zum konkreten Erfahrungsort (vgl. Schut 2017:338).

Die geplante Sonderausgabe lädt deshalb besonders Beiträge zu folgenden Leitfragen und Themenkomplexen ein:

  • Wie wirken die unterschiedlichen Vermittlungswerkzeuge des Computerspiels typischerweise zusammen (oder gegeneinander), um 'phantastische' Sekundärwelten erfahrbar zu machen?
  • Welche Rolle spielt die medienspezifische Möglichkeit, durch Telepräsenz innerhalb einer Simulationsumgebung mit den Objekten, Bewohnerinnen und Bewohner und 'Spielregeln' der Welt zu interagieren, beim mentalen 'Worldbuilding' vonseiten der Spielenden?
  • Welche narrativen und ludischen Dispostive stellt die genretypische Topik phantastischer Storyworlds bereit, die sich in besonderer Weise für eine Umsetzung in Computerspielen eignen?
  • Wie können Momente realitätssystemischer Unsicherheit ('Phantastik' in ihrer minimalistischen Definition) mit den Vermittlungswerkzeugen des Computerspiels realisiert werden? (Wie) werden diese typischerweise aufgelöst?
  • Wie verlaufen die Prozesse emotionaler Lenkung der Spielenden in phantastischen Storyworlds und mit welchen spezifischen Mitteln werden diese generiert?

Die Ausgabe ist bewusst interdisziplinär ausgerichtet. Englische Beiträge sind ebenfalls willkommen.

Informationen zum Ablauf

Die Beiträge sollen einen Umfang von maximal 35.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) aufweisen.

Bei Interesse senden Sie bitte ein Abstract im Umfang von max. 300 Wörtern bis zum 15. März an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.. Bitte verwenden Sie dabei ein gängiges Format (pdf, doc, docx, rtf). Ihnen wird von uns Rückmeldung bis Ende März gegeben.

Die vollständigen Beiträge sollen bis 30. Juli eingesendet werden. Die Veröffentlichung der Ausgabe ist für Spätsommer 2021 auf PAIDIA (www.paidia.de) geplant. PAIDIA ist ein wissenschaftliches Non-Profit-Projekt, weshalb veröffentlichte Beiträge nicht finanziell entlohnt werden können.

Für Rückfragen zum Thema stehen Ihnen die Herausgeber der Sonderausgabe Markus May (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) und Robert Baumgartner (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) gerne zur Verfügung.

[Quelle: CfP]