Dass wir in einer visuellen Zeit leben, ist mittlerweile zum Allgemeinplatz für die Beschreibungen unserer Gegenwart geworden. Werner Wolf spricht gar von einer „Panvisualisierung des Lebens“ (2010, 249), die bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzte und uns bis heute begleitet. Bildbasierte soziale Medien und Apps wie Instagram und TikTok, Formate wie Memes und Reels oder die steigende Bedeutung von Comics und Graphic Novels auf dem Literaturmarkt unterstreichen diese Beobachtung mit Blick auf kinder- und jugendkulturelle und -mediale Phänomene, wobei diese ebenso vielfach von Erwachsenen rezipiert werden. Nicht zuletzt hat der Farbschnitt von Büchern gegenwärtig im Zuge des digitalen Buch- und Lesephänomens ‚Young Adult‘ eine Renaissance erfahren. Die farbliche Codierung des Buches durch die Kulturindustrie wird dabei auch zum Zeichenträger von Zugehörigkeitsprozessen und das Buch im Regal zum Inszenierungsobjekt.
Für eine solche visuelle Kommunikation spielen Farben eine zentrale Rolle. In den letzten Jahren haben sich unterschiedliche Fachdisziplinen wie die Kulturwissenschaften, die Geschichts- und Politikwissenschaften, die Physik, die Psychologie, die Kunst- und Modewissenschaften und die allgemeinen Literaturwissenschaften verstärkt mit Farben auseinandergesetzt. Die Gender Studies diskutieren beispielsweise (diachrone und synchrone) Vergeschlechtlichungen von Farben. Betrachtet wurde im Kontext kulturwissenschaftlicher Material Studies zudem die Materialität von Farben, ihre Herstellungsprozesse und ihre globalen Verbreitungen. Auch mit Farben und Emotionen wurde sich – nicht erst sei Goethes Farbenlehre – vielfach beschäftigt.
Was jedoch weitestgehend fehlt, ist eine tiefergehende und systematische Auseinandersetzung mit Farben in Kinder- und Jugendmedien. Und das obwohl gerade Kinderbilderbücher zu den farbprächtigsten Büchern gehören und damit früh das kulturelle Verständnis von Farben geprägt wird. Das heißt: Wir müssen erst lernen, Farben mit bestimmten Emotionen, Eigenschaften oder Aspekten zu assoziieren. Denn die Bedeutung von Farben ist nicht naturgegeben, sondern kulturell geprägt und dabei sowohl in diachroner als auch synchroner Sicht durchaus wandelbar. Die erzählerischen Formen und Funktion (etwa als Symbol, Narrem usw.) von Farben gilt es im Rahmen der Tagung zu reflektieren.
Neben der tatsächlichen visuellen Darstellung von Farben in Bilder- und Sachbilderbüchern, Comics oder Filmen und Serien ist auch zu fragen, wie Farben im schriftbasierten Erzählen über Schrifttexte gestaltet, semantisiert und funktionalisiert werden. Zu diskutieren wäre etwa weiterhin, ob Kinder- und Jugendliteratur anders von Farben erzählt als Literatur für Erwachsene? Wie wird überhaupt von Farben erzählt? Welche Verknüpfungen von Farben mit Emotionen, Figuren, Räumen, Gedanken, Kulturen etc. werden hergestellt? Zu fragen wäre auch, ob es ein Genre des Farbbuches gibt? Schließlich hat Farbe auch eine historische Dimension: Kolorierungen waren mit Blick auf die Materialität von Kinder- und Jugendbüchern bis ins 19. Jahrhundert nur sehr aufwändig zu gestalten, bis sie industriell gefertigt werden konnten – eine Entwicklung, deren Auswirkungen auf die Buchgeschichte von Kinder- und Jugendliteratur selbst kaum erforscht worden ist. Inwiefern haben überdies historische Visualisierungsschübe symbolische Veränderungen von Farbwahrnehmungen und „Farbgedächtnis“ im Kinder- und Jugendbuchsegment bewirkt?

Die Jahrestagung der GKJF 2026 versteht sich als interdisziplinäre Tagung, die eine methodische und theoretische Vielfalt umsetzen möchte: Beiträge aus benachbarten Fachdisziplinen und -kulturen sind ausdrücklich erwünscht. Gebeten wird allerdings um einen klaren Bezug zu Kinder- und Jugendliteratur und -medien. Vorträge können sich dem Thema systematisch mit einer einzelnen Farbe zu wenden, diachrone Entwicklungen diskutieren oder größere Zusammenhänge theoriebasiert analysieren.

Mögliche Themen – immer mit Bezug auf aktuelle und historische Kinder- und Jugendmedien aller Gattungen und Genres – sind:

  • Historisch systematisch und theoretisch – Diachrone Wandelbarkeit von Semantisierungen
  • Aktuelle und historische Trends wie Sachbücher zu Farben
  • Kinderlieder und Gedichte (wie „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider“)
  • Genrefragen (wie z.B. farbiger Buchschnitt im Bereich New Adult/Young Adult)
  • Hautfarben und Rassifizierungen
  • Komparatistik
  • Gender und Farbe
  • Geschichte der Farbdrucke und des Illuminierens, Farbschnitte → Materialität
  • Farbe als Protest (z.B. in Arbeiterliteratur/proletarisch-revolutionärer Literatur oder im Bilderbuch)
  • Synästhesie
  • Filmfarben

Wir hoffen auf Ihr reges Interesse und bitten um Zusendung von Vortragsangeboten (von maximal 30 Minuten Dauer) bis zum 15.11.2025.
Bitte beachten Sie bei der Einreichung Ihrer Abstracts (von ca. 500 Wörtern) folgende Anforderungen: Die Abstracts sollen in einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung den Bezug zu theoretischen Positionen herstellen sowie die Literatur und ggf. Primärquellen nennen, auf die sich der Vortrag stützt. Damit die Vorträge zu einem Programm zusammengestellt werden können, sollte sich der geplante Vortrag entweder a) einen Fokus auf Theorien bzw. Methoden haben b) sich mit Gattungs- und Genrefragen befassen oder c) grob einer Farbe zugeordnet werden können (z.B. Schwarz, Grün).

Die Tagung findet vom 28. bis 30.05.2026 in Berlin statt. Reise- und Übernachtungskosten können nicht übernommen werden.
Bitte senden Sie Ihre Vorschläge per E-Mail an Prof. Dr. Julia Benner: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Literaturhinweise

  • Bäni Rigler, Petra (2019): Bilderbuch – Lesebuch – Künstlerbuch. Elsa Beskows Ästhetik des Materiellen. Tübingen: Narr Francke Attempto.
  • Benner, Julia (2019): Das Geheimnis der Farben. Über die Imagination irischer Kultur im palimpsesthaften Animationsfilm The Secret of Kells. In: kjl&m 19. extra, S.75 ̶ 98.
  • Böhm, Kerstin (2017): Archaisierung und Pinkifizierung. Mythen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Kinder- und Jugendliteratur. Bielefeld: transcript.
  • Brüggemann, Heinz (2007): Walter Benjamin über Spiel, Farbe und Phantasie. Würzburg: Königshausen & Neumann.
  • Campagnaro, Marnie (2021): “Clothing the Child in Red”: A Historical and Comparative Analysis of Italian Visual Retellings of the Grimms’ Little Red Riding Hood.
  • Heller, Eva (2004). Wie Farben wirken: Farbpsychologie, Farbsymbolik, kreative Farbgestaltung. 12. Aufl. Reinbek bei Hamburg: ro ro ro.
  • Kurwinkel, Tobias (2020): Bilderbuchanalyse: Narrativik - Ästhetik - Didaktik. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.
  • Oberhaus, Lars/ Oetken, Mareile (2017) (Hg.): Farbe, Klang, Reim, Rhythmus. Interdisziplinäre Zugänge zur Musik im Bilderbuch. Bielefeld: transcript.
  • Oetken, Mareile (2013): Es war finster. Über das Dunkle im Bilderbuch. In: kjl&m 13.1, S. 11 ̶ 18.
  • Pape, Walter (2014) (Hg.): Die Farben der Romantik. Physik und Physiologie, Kunst und Literatur. Berlin/Boston: de Gruyter.
  • Schausten, Monika (2012) (Hg.): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: de Gruyter.
  • Wagner, Monika (2001). Das Material der Kunst: eine andere Geschichte der Moderne. München: Beck.
  • Wolf, Werner (2010): Intermedialität und mediale Dominaz. Typologisch, funktionsgeschichtlich und akademisch institutionell betrachet. In: Uta Degner, Norbert Chrisitian Wolf (Hg.): Der neue Wettstreit der Künste. Legitimation und Dominanz im Zeichen der Intermedialität, Bielefeld: transcript, S. 241–260.
  • Wurzenberger, Gerda (2012): Konsumträume von zart und rosa bis schön und reich. “The Discourse of Girlhood“ an Beispielen von Prinzessin Lillifee bis Gossip Girl. In: kjl&m 12.4, S. 46 ̶ 52.

[Quelle: Pressemitteilung]