Augenblick mal! ist mehr als eine Präsentation von Theaterinszenierungen. Thematische Schwerpunkte, diskursive Formate, Teilhabe junger Menschen an der Programmgestaltung und die Frage nach gesellschaftlichen Bezügen bilden seit Anbeginn des Festivals die Programmatik. Augenblick mal! 2025 schaffte erneut den Spagat, festliche Tage des Kinder- und Jugendtheaters auszurichten, den Austausch unter Expertinnen und Experten zu ermöglichen, Berliner Kinder und Jugendliche einzubinden, kulturpolitische Statements abzugeben und die darstellenden Künste für junges Publikum am Puls der Zeit zu messen.
Protest nicht nur aus NRW
Um es vorwegzunehmen: das 18. Augenblick mal! Festival, das vom 6.bis 11. Mai in Berlin stattfand, überzeugte mit der Qualität seiner eingeladenen Inszenierungen, inhaltlich und künstlerisch. Und dennoch lag ein bedrohlicher Schatten auf den sechs Festivaltagen. Die weit um sich greifenden Sparbeschlüsse der kommunalen Haushalte treffen auch das Theater für junges Publikum – teils in absurd hohem, existenzbedrohendem Ausmaß. Die finanzielle Zukunft der Darstellenden Künste für Kinder und Jugendliche sieht düster aus. So nahm es nicht wunder, dass die Künstlerinnen die öffentlichkeitswirksame Gelegenheit des Festivals nutzten, um auf ihre Lage hinzuweisen.
Katrin Maiwald, die Vorsitzende des Verbandes der Kinder- und Jugendtheater, ASSITEJ, verlas im Rahmen des Festaktes zur Verleihung der ASSITEJ-Preise am 10. Mai die Resolution mehrerer Freier Theater und Verbände aus Nordrhein-Westfalen, überschrieben mit „Kahlschlag der freien Szene NRW“. In dieser werden die vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft verkündete Einschnitte in den Förderprogrammen kritisiert und die Landesregierung in die Pflicht genommen. „Gerade in einer gesellschaftlich angespannten Zeit ist es unerlässlich, dass die Landesregierung kulturelle Vielfalt schützt, nicht gefährdet, und diesbezüglich handelt, anstatt sich zurückzuziehen“, heißt es in der Resolution. Weitere Protestaktionen sind auch nach dem Festival geplant, nicht nur in NRW.
Programmvielfalt
Aber zurück zum Festival und seinem Programm. Besonders hervorzuheben ist die gelungene Auswahl der eingeladenen Inszenierungen. Dafür verantwortlich war ein vierköpfiges Kuratorium (Durchschnittsalter 26 Jahre!!), dem eine herausragende, ästhetisch relevante Auswahl aus 233 Bewerbungen gelang.

Foto: Das Kuratorium: Ebru Tartici Borchers, Mariella Pierza, Thilo Grawe und Alicia Ulfik. © Ruth Hundsdoerfer
Jede der zehn Inszenierungen konnte stellvertretend für die künstlerische Vielfalt der Szene betrachtet werden. Die Gastspiele standen für verschiedenste Spiel- und Produktionsweisen und Theaterformate, vom professionellem Tanz über partizipative Inszenierungen mit Jugendlichen, von internationaler Co-Produktion bis zu Adaptionen großer klassischer Stücke und Stoffe. Die Spielweisen waren offen dem Publikum zugewandt, forderten auf zum direkten oder imaginierenden Mitspielen, zum Nachdenken und zum Fragen stellen. Das Kuratorium hatte sich die Suche nach der Formenvielfalt im Kinder- und Jugendtheater frühzeitig zur Aufgabe gemacht. Interessant auch die Tatsache, dass die Suche nach den impulsgebenden Inszenierungen verstärkt im Bereich der Freien Theater stattfand und es somit zu unerwarteten Entdeckungen kam.
baff, eine erste 2024 in Berlin gegründete Gruppe, die mit ihren Produktionen das Ziel verfolgt, Kultur tauber und hörender Menschen zu vereinen, war mit O (Die shOw) eingeladen. Kleinen Geschichte und Spiele rund um Buchstaben und Worte in Laut- und Gebärdensprache animierten das Publikum ab 6 Jahren zum Mitmachen. Ungewohnt auch die Performance Der allerbeste Familienstreit. Ein Familien-Forschungsfest der Hamburger Gruppe Die AZUBIS. Die Aufführung richtet sich an Kinder ab 6 Jahren zusammen mit Geschwistern und Eltern, also an ein generationenübergreifendes Publikum. Untersucht werden in diesem Forschungstheater der Familienalltag mit all den Freuden, Streitigkeiten und Ritualen.
Auch bei der Auswahl der fünf Inszenierungen für das jugendliche Publikum dominierten nicht die „großen Player“ der Szene. Überraschend eingeladen war das Tanzensemble des Staatstheaters Mainz, tanzmainz, mit Follow Me!, (für alle ab 12 Jahren) oder die Bürger:Bühne des Staatsschauspiels Dresden mit einer eigenwilligen Fassung von Ibsens Peer Gynt. Zehn junge Spielerinnen und Spieler begaben sich auf die Suche nach dem Ich in Zeiten von Social Media. Ähnlich auch die Suche nach dem Ich (und nach dem Sinn von Goethes Schauspiel) in Faust – Eine Tragödie vom stellwerk – junges Theater Weimar für Jugendliche ab 15 Jahren.
Repräsentanz für alle
Neben dem Programm der gezeigten Inszenierungen ist es dem Veranstalter, dem Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland und seinen Kooperationspartnern gelungen, neue Maßstäbe für ein Festival der gleichberechtigten Teilhabe aller zu setzen. „Vielfalt leben: Zusammen + Halt“ stand als Motto über dem gesamte Augenblick mal! Festival. Übertitelung auf Deutsch und Englisch, Übersetzungen in Gebärdensprache, das Programmheft auch in Einfacher Sprache, Barrierefreiheit fast aller Räume und Achtsamkeit auf eine diskriminierungsfreie Veranstaltung – selten erlebte man ein Festival mit einem so ernstgenommenen „Zugänglichkeits- und Awarenessansatz“ (Programmheft). Das galt auch für das vielfältige Gesprächsprogramm. Insgesamt fanden während des Festivals 34 Veranstaltungen mit fast 5000 Besuchen statt. Dass sich gerade die Verantwortlichen des Kinder- und Jugendtheaters für die Repräsentanz möglichst breiter gesellschaftlicher Ausdifferenzierung einsetzt, macht Sinn. Wenn die Formel „Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft“ keine leere Hülse sein soll, ist es dringend geboten, gerade bei dieser Generation alle mit auf den Weg in die Zukunft zu nehmen.
Fazit
Augenblick mal! 2025 hat eindrucksvoll bewiesen, dass das Theater für junges Publikum viel zu bieten hat. Es ist nah an seinem Publikum dran und gleichfalls in kritischer Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist. Es weiß sein Publikum einzubinden, auf, vor und hinter der Bühne. Die Künstlerinnen und Künstler des Kinder- und Jugendtheaters, die meistens im Team ihre Produktionen kreieren, arbeiten mit Vorliebe genreübergreifend. Hier herrscht kein Regietheater im herkömmlichen Sinne, hier wird kein Stücke-Repertoire gespielt, (zum Nachteil der dramatischen Literatur und seiner Autorschaft), sondern hier werden Geschichten und Ideen immer wieder neu erfunden. Das Kinder- und Jugendtheater in Deutschland scheint ästhetisch gut aus der Corona-Zeit herausgekommen zu sein – für eine gelingende Zukunft müssen nun aber auch die kommunalen Haushalte mitspielen.