Inhalt

Sir Montague ist um seine Kinder nicht zu beneiden. Während seine Tochter Felicity unablässig die Nase in wechselnde Schundromane steckt (und dazu auch eine ihre Heiratschancen minimierende Brille trägt!), ist sein ältester Sohn Henry Montague, genannt Monty, ein wahrer Ausbund an Lasterhaftigkeit. Nicht genug, dass er ständig und viel zu viel trinkt, er lässt sich auch noch immer wieder bei "Tändeleien" erwischen. Dass seine Partner dabei in den meisten Fällen männlichen Geschlechts sind, ist für Henrys Vater Anlass genug seinem 'missratenen' Sohn mit Enterbung zu drohen. Die letzte Chance zur Bewährung soll Monty nun auf seiner Cavaliersreise erhalten, der Grand Tour, die ihn zu den wichtigsten kulturellen Stätten Europas führen und ihm dabei Gelegenheit geben soll, die für ihn so wichtigen Kontakte im Adel zu knüpfen. Doch Monty denkt überhaupt nicht daran, sich zu bessern. Das Einzige, was für ihn bei dieser Reise zählt, ist die Tatsache, dass er sie zusammen mit seinem besten Freund Percy unternehmen wird. Schließlich ist er seit langer Zeit heimlich und hoffnungslos in diesen verliebt und hofft, dass es auf der gemeinsamen Reise nun endlich zu einer Annäherung kommen wird. Dass sie jedoch sowohl von Felicity, die in Marseille auf ein Mädchenpensionat gehen soll, als auch vom Hofmeister Lockwood begleitet werden, der die Verfügungsgewalt über seine Papiere, Geld und die geplante Reiseroute innehat, ist überhaupt nicht nach Montys Geschmack.

Doch die Reise verläuft nicht so wie die Beteiligten es geplant haben. So kommt es in einer Bar erst zu einer wilden Knutscherei und dann einem Streit zwischen Percy und Monty, bei dem dieser sich von seinem Freund zurückgewiesen fühlt. Dann gerät ein Ball auf Schloss Versailles zum kompletten Debakel, an dessen Ende Monty vollkommen nackt aus dem Schloss fliehen muss. Schließlich wird die gesamte Reisegesellschaft überfallen und kommt nur knapp mit dem Leben davon. Percy, Monty und Felicity werden dabei von ihrem Aufpasser Lockwood getrennt und müssen feststellen, dass es sich bei dem Überfall durchaus nicht um gewöhnliche Banditen handelt und dass das, was sie suchen, für sie alle von größerer Bedeutung ist, als sie ahnten.

Kritik

Mackenzi Lees Cavaliersreise ist ein packend erzählter Abenteuerroman. Die interne Fokalisierung durch Monty, der seine Geschichte im Präsens erzählt, erzeugt eine große Unmittelbarkeit und lässt den Leser zugleich hinter die Fassade des scheinbar oberflächlichen Protagonisten blicken, der im Laufe der Handlung lernen muss, seine eigene Egozentrik zu überwinden und auch die Probleme der Menschen um sich herum wahrzunehmen. So muss er beispielsweise erkennen, dass der Widerwille seiner Schwester gegenüber ihrem bevorstehenden Pensionatsaufenthalt durchaus nachvollziehbar ist:

'Ich will ohnehin nicht ins Pensionat.'
'Wie nicht? Seit Jahren klagst du, du wolltest etwas lernen, und nun, da es soweit ist, machst du wieder allen das Leben schwer.'
Felicity schaut mich finster an. 'Exakt solche Bemerkungen sind der Grund, dass die Leute dich unerträglich finden.'
'Unerträglich, mich?'
'Wie du soeben geredet hast – ja, allerdings.'
'Ich war lediglich ehrlich!'
'Du könntest auch einmal ein wenig taktvoll sein.'
'Du hast derart darum gekämpft…'
'Um eine Ausbildung. Eine richtige Ausbildung, nicht die am Mädchenpensionat. Dort lerne ich Korsetts tragen und schweigen!'
Da mag sie Recht haben. […] Sowenig ich auch allgemein für meine Schwester übrighabe – sie mir unterwürfig schweigend beim Sticken vorzustellen, tut beinahe weh. (S.132/133)

Die jugendlichen Protagonisten ähneln trotz einiger sprachlicher Archaismen in ihrem Verhalten eher heutigen Jugendlichen als jungen Menschen des 18. Jahrhunderts. Dennoch dürfte gerade das die Zugänglichkeit des Romans für jugendliche Leser erhöhen. In einem Nachwort erhält der Leser zudem einige historische Hintergrundinformationen zum Konzept der Cavaliersreise, dem politischen Hintergrund, zur Geschichte der Epilepsie und der Wahrnehmung von Rasse und Geschlecht im 18. Jahrhundert. 

Lees Umgang mit der historischen Wahrscheinlichkeit ihrer Plotkonstruktion – ein bisexueller Adliger, der sich in seinen schwarzen Freund verliebt und zusammen mit seiner Schwester durch Europa reist, die wiederum heimlich Medizin studiert und auch sonst das emanzipierteste Familienmitglied zu sein scheint – ist erfrischend unbekümmert und wer sich auf das "was wäre wenn"-Prinzip des Romans einlässt, findet nicht nur gute Unterhaltung, sondern auch den ein oder anderen Denkanstoß, Geschichte aus einer nichtweißen, queeren Perspektive zu betrachten. Auch Geschichtsbilder unterliegen schließlich kultureller Prägung. Dass Lee durch gezielte Abweichung deren heteronormative Kraft enthüllt, ist sicherlich ein Verdienst dieses Romans. Literarästhetische Innovation zählt hingegen weniger dazu. Das Handlungsschema ist sattsam bekannt und auch in den Figurenkonstruktionen entgeht Lee einigen Klischees nicht. Auch erscheint die Tatsache, dass Montys große Liebe Percy nicht nur wegen seiner Hautfarbe diskriminiert wird, sondern zudem auch noch an Epilepsie leidet – einer Krankheit, die zur sozialen Ausgrenzung führte –eher als eine etwas bemühte intersektionale Perspektive und weniger als narrative Notwendigkeit. Die Liebesgeschichte zwischen Percy und Monty wird jedoch trotz kaum überraschender Wendungen so überzeugend und gefühlvoll geschildert, dass man der Autorin diese leichte Konstruiertheit gerne nachsieht.  

Fazit

Mackenzi Lee bürstet in Cavaliersreise den Abenteuerroman mit viel erzählerischem Elan gegen den Strich. Ein unterhaltsames Leseabenteuer für jugendliche Leser ab 16 Jahren, die Freude an spannenden, wendungsreichen Plots und verzwickten Liebesgeschichten haben!

Titel: Cavaliersreise
Autor/-in:
  • Name: Lee, Mackenzi
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: The gentleman's guide to vice and virtue
Übersetzung:
  • Name: Gesine Schröder
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Königskinder
ISBN-13: 978-3-551-56038-4
Seitenzahl: 496
Preis: 19,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 16 Jahre
Lee, Mackenzi: Cavaliersreise