Inhalt
Matti und Otto sind beste Freunde, seit Matti drei Wochen alt war. Die beiden sind typische Berliner Mitte Kinder, deren Leben sich weitgehend ruhig zwischen Yogatraining, Klavierstunde und Schule abspielt. Ottos größte Sorge ist, dass seine Klassenkameraden den Mama-Blog seiner Mutter entdecken könnten, in dem diese das Familienleben äußerst detailreich – und folglich total peinlich für ihre Kinder – beschreibt. Als die Lehrerin der beiden Freunde ihnen die Aufgabe gibt, für die Schule einen echten Rap zu schreiben, stellen sie daher fest, dass sie eigentlich viel zu brav für diese Aufgabe sind. Ein Thema für den geplanten Rap ist dennoch schnell gefunden: Es ist der "Kinderhasser" Horst "Hotte" Zimmermann, der den einzigen Kiosk im Viertel betreibt, in dem man noch normale, ungesunde Süßigkeiten und Eis kaufen kann. Daher ist es für die Kinder unumgänglich, ab und zu seinen Laden zu betreten – auch wenn das bedeutet, von Hotte angeschrien zu werden. Über ein solches Ekel ist es erlaubt, einen gemeinen Rap zu schreiben, finden Matti und Otto. Allerdings nur, bis sie mitbekommen, dass Hotte ganz eigene Probleme hat. Eine Immobilienfirma hat das Haus, in dem sich sein Laden befindet, aufgekauft und möchte nun den störenden Mieter zum Auszug bewegen. Und hierfür schrecken die Investoren auch nicht vor dem Einsatz von Schlägern zurück. Matti und Otto sind entsetzt: Schließlich steht zu befürchten, dass die Investoren Hotte nur aus seinem Laden heraus haben wollen, um dort das nächste überteuerte vegane Café zu eröffnen. Außerdem müssen sie feststellen, dass Hotte zwar unfreundlich und grob sein kann, aber doch kein so schlechter Mensch ist wie zunächst angenommen. Zu allem Überfluss hat Ottos Mutter auf ihrem Blog auch noch ein besonders peinliches Foto von Otto in der Yogaposition "Hund" eingestellt – der sichere soziale Tod in der Schule.
Also machen sich Otto und Matti daran, Otto vor der größten Peinlichkeit seines Lebens zu bewahren und gleichzeitig den Laden von Hotte zu retten – und lernen dabei ganz unverhofft doch noch ein wenig etwas vom wilden Leben kennen...
Kritik
Silke Lambeck nimmt in ihrem komischen Kinderroman Großstadtklischees aller Art aufs Korn: Von den bärtigen Hipstern und spanischen Touristen in Mitte bis zur multikulturellen Atmosphäre von Neukölln, wo die gar nicht so gangstamäßige Familie von Mahmoud, aka "Bruda Berlin", lebt.
Einige Seitenhiebe auf das urbane Erwachsenenleben könnten möglicherweise an jüngeren Lesern vorbeigehen. Erwachsene (Vor-)Leser finden hier ihre eigene medienaffine Welt gespiegelt, so wie etwa im Mama-Blog von Ottos Mutter, die auf ihrem Profilbild kaum zu erkennen ist, "weil sie auf dem Foto so schön war. In Wirklichkeit war sie nicht hässlich, eher so normal hübsch. Auf dem Blog-Foto sah sie aus wie ein Filmstar." (S.37)
Auch das pädagogische Selbstverständnis moderner bildungsbeflissener Eltern wird komisch überzeichnet aus der Perspektive des Ich-Erzählers Matti geschildert:
Unsere Eltern schienen zu denken, dass wir sofort dumm und brutal wurden, wenn wir mal eine halbe Stunde vor dem Computer saßen. Obwohl sie selber ständig davorsaßen. Ottos Mutter sowieso, mit ihrem blöden Mamablog. Und meine las selbst beim Abendessen jede Mail, die reinkam. Im Grunde war sie schlimmer als ich. (S.27)
Zu diesem komischen Effekt tragen auch die Illustrationen von Barbara Jung bei, die einen eigenen Kommentar zum Geschehen abgeben, wenn zum Beispiel die Männer von "Central Capital Immobilien" als Haie im Anzug dargestellt werden (S.45).
Gekonnt werden die verschiedenen Erzählstränge um den Laden von Horst Zimmermann, den geplanten Rap sowie die Versuche, das Yogafoto von Otto aus dem Netz zu entfernen, miteinander verwoben und ergeben eine temporeiche und durchgängig amüsante Lektüre. Ein wenig absehbar ist hier lediglich die Nebenhandlung um die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Mattis Mutter und seinem Sportlehrer, der klischeehaft sämtliche positiven Wunschattribute eines möglichen neuen Partners – Coolness, Sportlichkeit, gutes Aussehen – in sich vereint.
Der Autorin gelingt so ein humorvoller Berlinroman für Kinder, der aktuelle Urbanitätsphänomene treffend beschreibt und auch Probleme wie die Gentrifizierung und Vorurteile nicht ausklammert. So sehen sich Matti und Otto bei der Familie von Mahmoud Al Jabiri, der sie unüberlegt ein kinoreifes Gangsterleben unterstellt haben, plötzlich mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. So erkennt Matti, dass seine Vorstellungen vom Leben der Familie Al Jabiri tatsächlich „völlig absurd“ waren, mehr noch: "Irgendwie beleidigend. Und echt bescheuert." (S. 103) Mattis Bereitschaft, seine eigenen Vorstellungen immer wieder zu hinterfragen und gegebenenfalls zu revidieren, ohne dass dies mit einer offenkundig belehrenden Botschaft verknüpft wird, gehört zu den Stärken des Romans. Fast unfreiwillig ironisch mutet es hingegen an, wenn im Plot um den Laden von Horst Zimmermann dessen drohende Verdrängung ausgerechnet durch die Kinder derjenigen verhindert wird, die sie (indirekt) erst ausgelöst haben.
Nicht zuletzt besticht der Roman durch die schöne Beschreibung einer Freundschaft zwischen zwei Jungen, die sich durch ihre individuellen Fähigkeiten bestens ergänzen und so gemeinsam den Widrigkeiten des Alltags trotzen.
Fazit
Mit seinen kurzen Kapiteln, den witzigen Illustrationen und seinen sympathischen Hauptfiguren Otto und Matti empfiehlt sich Silke Lambecks Roman für Leserinnen und Leser ab acht Jahren. Aber auch zum Vorlesen ist Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich bestens geeignet. Ein Großstadtroman, der den Vergleich mit den Klassikern des Genres nicht zu scheuen braucht!
- Name: Lambeck, Silke
- Name: Barbara Jung