Inhalt

Die Handlung um den Drachenreiter Murtagh bildet einen Spin-Off zur Eragon-Serie (2003-2011), in der dieser Charakter bereits als Nebenfigur im Gefolge des Tyrannen Galbatorix aufgetreten ist. Nach Galbatorix’ Sturz von seinem Thron sind Murtagh und sein Drache Dorn auf sich alleine gestellt. Sie irren ohne Unterkunft als Geächtete durch das Land und schlagen sich mit unterschiedlichen Identitäten mithilfe von Gelegenheitsaufträgen durch. Eines Tages finden sie ein undefinierbares schwarzes Oval, das sich als Ei eines schrecklichen und mysteriösen Monsters namens Ra’zac entpuppt, welches in seiner augenlosen Hybridgestalt aus Rabe und Mensch Menschenfleisch verzehrt. Da sie über dieses mehr erfahren wollen, begeben sie sich in die Stadt Gil’ead. Auf dem Weg dorthin treffen sie nicht nur auf katzenartige Hexen wie die gestaltenwandlerische Werkatze Carabel, die ihnen mehr Auskunft über das mysteriöse Ei geben kann und die sie um Befreiung ihrer Tochter Silna bittet. Durch ihren Sieg über einen Riesenfisch namens Schlammschlund erschleichen sich Murtagh und Dorn das Vertrauen der Nachtwache von Gil’ead, welche nur gute Kämpfer einstellt. Dadurch kann Murtagh die bereits erwähnte und von dieser Nachtwache gekidnappte bzw. in den Worten Murtaghs "gekatznappt[e]" (S. 296) Werkatze namens Silna ausfindig machen und nach einem Kampf auf Leben und Tod vor den Nachtwächtern retten. Die heldenhafte Abenteuerreise führt das Dreamteam Murtagh und Dorn nach altbewährtem Schema noch zu vielen weiteren teils unwirtlichen Orten Alagaesias und ermöglicht ihnen kurios-fantastische Begegnungen, stets mit dem Ziel vor Augen, mehr über das bedrohlich wirkende Ei und dessen Zerstörung herauszufinden. Dabei treffen Murtagh und Dorn auf unterschiedlichste tyrannisch-brutale Widersacher wie den arroganten Adeligen Lyreth, der sich mit der Hexe Bachel verbündet hat, welche sie in vertrauter Teamarbeit zu überwinden versuchen.

Kritik

Fans der Eragon-Reihe werden in Murtagh vollauf auf ihre Kosten kommen. Der erzähltechnische Meister fantastischer Handlungen inszeniert die Welt der Außenseiter-Figuren Murtagh und Dorn plastisch und sehr lebendig. So ist Dorn wohl der einzige literarische Drache, der klaustrophobisch veranlagt ist und dadurch unkontrollierbar sein kann. Auch Nebenfiguren wie die kryptisch sprechende Katzen-Hexe Carabell erweckt der Autor detailverliebt zum Leben. Murtagh und andere Haupt- und Nebenfiguren sind mit ausschmückenden Epitheta nach dem Vorbild von Homer und anderen antiken Epikern versehen, auch personifizierte Waffen mit Namen ("Ithring“ S. 720) und Patronymika kommen immer wieder vor: "Murtagh, Sohn von Morzan“ (S. 295). Dadurch wird die Ausdrucksweise abwechslungsreicher und die Leserschaft ist zum Mitdenken angehalten, wer oder was mit der Umschreibung gemeint ist. Auch die Sprache ist wunderbar verdichtet, ohne aufdringlich zu wirken: Treffende epische Vergleiche und Metaphern lassen vor dem inneren Auge ein konkretes Bild der fantastischen Welt und von deren Kreaturen entstehen: "Diese Hexe [Bachel; Anm. M.S.] ist wie eine Spinne, die in der Mitte eines großen Netzes lauert, und ihr Biss ist giftig." (S. 309) Diese plastische Sprache unterstützt die Glaubwürdigkeit der personalen Erzählinstanz Murtagh, dessen Sichtweise sich so noch besser nachvollziehen lässt. Für Neueinsteiger in die Welt von Alagaesia wird die Lektüre dadurch erschwert, dass immer wieder ein Namedropping mit zentralen und weniger zentralen Figuren aus der Eragon-Reihe stattfindet, die zum Großteil unerklärt bleiben: "Zum ersten Mal auf seinen Reisen wünschte er sich, Eragon oder Arya wäre bei ihm." (S. 272) In epischer Breite werden auch die Kämpfe mit anderen Fabelwesen wie dem Riesenfisch Schlammschlund oder mit Wächterfiguren des Bösen wie einer Riesenspinne geschildert, wodurch Spannung, aber auch auf Dauer ein gewisser Übersättigungsgrad erzeugt werden. Als besonders empathisch lässt sich die Beziehung zwischen Murtagh und Dorn wiedergeben, die der Autor mit viel Fingerspitzengefühl darlegt, indem er diese beiden u.a. auch mithilfe ihrer Gedanken magisch kommunizieren lässt. Besonders die ironischen Neckereien aus dem Mund von Dorn gegen Murtagh verleihen deren Beziehung die Merkmale einer sehr innigen Verbundenheit.

Fazit

Summa summarum ist ein solider und sprachlich versierter High-Fantasy-Roman entstanden, wie man es aus der Profi-Feder von Paolini kennt. Kennerinnen und Kenner der Reihe werden in jedem Fall überzeugt sein. Allen anderen sei zumindest die Rezeption von Synopsen zur Eragon-Serie oder die Serie an sich vor der Lektüre dieses Titels empfohlen. Denn der Anhang des Romans bietet zwar ein Glossar zu Aussprache und Bedeutung der Alten Sprache, aber leider keine Infos zu Figuren aus der Eragon-Serie, die in diesem Roman Erwähnung finden. Das wäre ein guter (roter) Faden (der Ariadne) für unkundige Leserinnen und Leser gewesen. Paolini erfindet das Rad zwar nicht neu, wenn er ehemals negative Antagonisten nach dem Vorbild unzähliger anderer Romane wie Collins’ Präsident Snow aus den Tributen von Panem. The Ballad of Songbirds and Snakes (Collins 2020) oder der Meerhexe Ursula aus Disneys Villains. Die Einsame im Meer (Serena Valentino 2019) zu ambivalenten Protagonisten macht, die zuvor eindimensionale Bösewichte gewesen sind. Dadurch und durch die Integration von "freundlichen Freaks“ wie den Werkatzen in den Plot können auch Älteritätserfahrungen bei den Leserinnen und Lesern evoziert werden. Dieser ansprechend geschriebene Fantasy-Bestseller ist also insgesamt in jedem Fall trotz beträchtlicher (Über-) Länge von 784 Seiten ein Pageturner, der direkt an die Leistung Paolinis von Eragon anschließt. (Für Interessierte sei an dieser Stelle auch auf das von Prof. Dr. Markus Janka und Dr. Michael Stierstorfer geführte Interview mit Christopher Paolini hingewiesen:  https://www.kinderundjugendmedien.de/interviews/7023-interview-mit-weltbestseller-christopher-paolini-und-bericht-ueber-seine-lesung-in-muenchen-deutsche-version).

Autor/-in:
  • Name: Paolini, Christopher
Originalsprache: Amerkanisches englisch
Originaltitel: Murtagh
Übersetzung:
  • Name: Thon, Wolfgang
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Cbj
ISBN-13: 978-3-570-16710-6
Seitenzahl: 784
Preis: 26,00
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
Paolini, Christopher: Murtagh. Eine dunkle Bedrohung