Roald Dahl ist der Autor so bekannter Kinder-Klassiker wie Matilda oder Der fantastische Mr. Fox, die in dutzende Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und medial breit adaptiert worden sind. In Großbritannien wird Dahl dafür verehrt und vergöttert, in Deutschland immerhin gekannt, gemocht, geliebt (und hauptsächlich in Übersetzung rezipiert).

Neben dem schwarzen Humor schätzten und schätzen Begeisterte an Dahls Büchern (auch) die unverblümte und sich nicht an der political correctness des Zeitgeists orientierende Sprache. Aber kann/darf/soll man heutzutage Figuren beispielsweise wirklich noch mit „fat/fett“ attribuieren? Oder ist das perpetuiertes bodyshaming und rechtfertigt eine modernisierende Anpassung (wie im Herbst 2022 im Zuge der Neuausgabe von Dahls Texten in Großbritannien geschehen), indem man etwa auch alten weißen Herrenwitzen den Nährboden entzieht? Oder entmündigt ein solcher Eingriff (Vor-)Leser*innen? Raubt dem Artefakt seine Eigentümlichkeit? Beraubt Autor*innen gar ihres kunstfreien Sendungsbewusstseins? Verschleiert die Historizität von Kunst? Die Fragen, die sich angesichts von Sexismen und Rassismen Autor*innen-übergreifend stellen, sind ähnliche.

Das Für und Wider ist etwa im Rahmen des Lindgren’schen Südseekönigs eigentlich hinlänglich eruiert worden – sollte man meinen. Oder im Rahmen Winnetous. Aber der tieferliegenden Diskursebene (Aktualisierung vs. ‚Zensur‘) lässt sich auf rationaler Ebene nicht mit Sachargumenten beikommen und muss offenbar für jedes neue diskursive Ereignis neu ausgehandelt werden.

Frappierender Weise rücken nämlich je nach Sachverhalt die Meinungen ganz offenkundig sprachpflegerisch am Erhalt verletzender Worte interessierter Konservativer an die ganz offenkundig differenziert und reflektiert argumentierender Menschen heran – zumindest im Sinne der Stoßrichtung. Denn genaugenommen ist z.B. Andreas Steinhöfels Aussage, er habe bei der Neuübersetzung der Dahl-Bücher „um die schönen Schimpfwörter und darum, ‚Fräuleins‘ in ‚Frauen‘ verwandeln zu müssen“, gefürchtet (Hörnlein 2023), von einer hohen Warte aus nichts grundlegend Anderes als die ‚Zensur!‘-Unkenrufe von Salman Rushdie, Suzanne Nossel oder Philip Pullman (vgl. Hörnlein 2023). Aber bei genauerer Betrachtung liegen natürlich größere Unterschiede zwischen deren überzogenen Statements (die wiederum Welten von N-Wort-Befürworter*innen entfernt liegen) und Steinhöfels Wunsch, politisch inkorrekte Sprachsplitter im Dahl-O-Ton für ein unangepasstes Kinderbuch zu bewahren und im Namen eines entpädagogisierten Rezeptionsgenusses in Dienst zu nehmen.

Wie Katrin Hörnlein in Ihrem Artikel Mit Fräuleins vom 21. Februar in der ZEIT bemerkt, haben auf Deutsch Rezipierende mit dem großen Aufschrei im englischsprachigen Raum ob der erfolgten Kürzungen/Streichungen/Aktualisierungen aber gar nicht so viel am Hut – da Sabine Ludwig (und ihre Tochter Emma), die mit Steinhöfel für die Neuübersetzung hierzulande verantwortlich zeichneten, vom Verlag alle Freiheiten erhalten hatten – bzw. keine Vorgaben. Sie entschieden sich schließlich frei dafür, nicht am Original ‚herumzupfuschen‘, um keine „Mogelpackungen“ zu generieren (vgl. Hörnlein 2023).

Ob das nun rundheraus und über den konkreten Anlass hinaus positiv zu werten sei, weiß ich nicht. Unsere kleinen Damen und Herren aus Roger Hargreaves’ Feder bspw., die im Zuge einer unlängst erfolgten Neuübersetzung auch in deutscher Sprache ihres Fräuleintums entkleidet und von eklatanten Sexismen etc. befreit worden sind, erfreuen sich nämlich trotz dieses Eingriffs bester Gesundheit an Körper und Geist – oder vielleicht auch erst deswegen.

[Nils Lehnert]