Inhalt

Der dreizehnjährige Tobias und sein siebzehnjähriger Bruder Till verbringen die Ferien im Sommer 1980 allein zu Hause. Die Mutter ist in Südamerika, das Terrain erkunden, um vielleicht auszuwandern. Für Till wäre das die beste Gelegenheit, sich ungestört mit seiner Freundin Tessa zu treffen. Wenn nur Tobias nicht wäre, der immer in den spannendsten Momenten hereinplatzt. Nervt der Kleine seinen großen Bruder einmal nicht, dann reagiert er seine unendliche Neugier in Detektivspielen ab und spioniert Fremden nach. Manchmal träumt er auch davon, eine Band zu gründen und berühmt zu werden. Dann nimmt er Radiosendungen mit seinem Kassettenrekorder auf. Er selbst ist Moderator und Interviewpartner in einem.

Noch spannender als die Selbstgespräche am Mikro sind jedoch die Radiosendungen von Alan Bangs. Woche für Woche sind sie der Höhepunkt im Alltag von Tobias, Till und Helmut, der sich insgeheim auch in Tessa verliebt hat. In einer mehrteiligen Folge portraitiert Bangs gerade die Beatles und stellt Spürnase Tobias mit einer Quizfrage-Frage vor eine echte Herausforderung: "Was sagt John Lennon am Ende von Strawberry Fields?". Zig-mal hört sich Tobias das Ende des Songs an – vorwärts und rückwärts –, doch sein Englisch reicht nicht, um die geraunten Worte zu verstehen. Also sucht er Rat beim örtlichen Plattenladenbesitzer Roger, einem Punk, der fließend Englisch spricht. Roger gibt sich als Kenner und macht ein großes Geheimnis aus der Sache. "I have buried Paul" lautet die Antwort.

Doch das ist erst der Anfang. Fast auf jedem Plattencover der Fab Four finden sich versteckte Hinweise auf den Tod von Paul McCartney. Schon lange erzählen sich Insider, dass Paul McCartney im November 1966 auf mysteriöse Weise bei einem Autounfall ums Leben kam und sein Platz von einem Doppelgänger eingenommen wurde. Was noch keiner ahnt: Tobias hat den VW Käfer vom Abbey-Road Cover ausfindig gemacht und damit eine heiße Spur zum Mörder von Paul.

Tobias zieht Helmut ins Vertrauen, und zusammen observieren sie den ominösen Engländer, der seit einiger Zeit bei Roger ein und aus geht und offenbar mit Hölzi, dem finsteren Hausmeister aus der Schule unter einer Decke steckt. Lange Zeit scheint sich in dem Kriminalfall nichts zu bewegen. So richten Helmut und Till ihre Aufmerksamkeit wieder voll auf Tessa. Seit Till beim ersten Mal mit Tessa komplett versagt hat und Helmut mit seiner als Sampler vertonten Liebeserklärung bei ihr abgeblitzt ist, haben Tobias' einzige Vertraute andere Sorgen, als sich mit den wilden Spekulationen des Kleinen zu beschäftigen. Für den eifrigen Schnüffler ergibt alles einen Sinn. Selbst dann noch, als sich der verdächtige Engländer als sein neuer Lehrer Mr. Reash entpuppt und Alan Bangs die Legende vom Tod des beliebten Ex-Beatle als bizarres Gerücht entlarvt.

Tobias lässt sich davon nicht beeindrucken und hält standhaft an seiner Theorie fest. Fieberhaft sucht er nach weiteren Indizien, bis er vor Anspannung tatsächlich erhöhte Temperatur bekommt und zu phantasieren beginnt. Mr. Reash lässt ihn einfach nicht los. Er verfolgt ihn in seinen Wahnvorstellungen mit einer Pistole. Wieder gesund, misstraut Tobias seinem Lehrer noch immer. Der Engländer bestätigt ein ums andere Mal durch sein seltsames Verhalten den Verdacht des Jungen. Schlimmer noch: Für Tobias erscheint es so, als treibe der Verbrecher ein abgefeimtes Spiel mit ihm. Auf jeden Fall steht für ihn fest, der Job als Englischlehrer ist reine Tarnung. Hinter der Fassade des harmlosen Mr. Reash verbirgt sich ein Prominenten-Killer. Eines Morgens im November wird Tobias von seinem Bruder mit schlechten Neuigkeiten geweckt. Die Radio-Nachrichten melden, dass John Lennon nach einem Attentat seinen Verletzungen erlegen ist. Blitzschnell kombiniert Tobias: Am Tag zuvor ist Reash zu einer Flugreise nach New York aufgebrochen, wo Lennon im Dacota Building wohnte. Kann das etwa noch Zufall sein?

Abb. 1: Screenshot aus Paul is Dead (2000). Verleih: Ascot Elite

Kritik

Paul is Dead ist eine Zeitreise in die Jugendkultur der späten 70er und frühen 80er Jahre. Eine Zeit, in der man mit dem Bonanzafahrrad im entspannten Easy-Rider-Feeling durch die Gegend kreuzte. Als überall poppige "Hallo Partner! Dankeschön!"-Aufkleber Easy Living und Peace selbst im Straßenverkehr propagierten. Knallbunt und noch eine Neuentdeckung waren damals die T-Shirts, – in Kombination mit Trainingsjacken und Turnschuhen das modische Non-Plus-Ultra –, knallig auch die Farben von Audiokassetten und großgemusterten Tapeten. Leuchtend Orange floss die Fanta aus braunen Flaschen mit markanten Rillen am Hals. Am Weltspartag gab es von jovialen Bankern ein Sparschwein als Geschenk zum Anfixen für die Yuppies der 90er und im Fernsehen lief Klimbin mit Ingrid Steeger, die zur besten Sendezeit den versammelten Familien ihren nackten Busen zeigen durfte. Was für eine Aufregung in der Ära vor dem Privatfernsehen und was für eine Sensation für Jungs, die etwas länger aufbleiben durften. Gott sei Dank gab es da noch Wim Thoelke, den Ex-Sport-Moderator und Quiz-Master, der im Verein mit seinem Faktotum Walter Sparbier ein Bollwerk der Biederkeit errichtete. Er wird von Handloegten mit einer Szene zitiert, die ungeahnte Trash-Reservoirs in den TV-Archiven vermuten lässt.

Doch mehr noch als das Fernsehen lieferten Radio und Schallplatten die großen Attraktionen für Jugendliche der späten 70er. Es war die Zeit des epochalen Wechsels von der Beatles-Anbetung zum punk riot. Noch regierten Mega-Bands wie Emerson, Lake and Palmer, Genesis und Queen mit ihrem Sound-Bombast die Stadien. Aber in den Clubs und In-Sendern waren bereits neue Töne zu hören. So ist auch The Clash laufend im Autoradio von Mr. Reash zu hören. Der Lehrer stammt zwar – wie sollte es anders sein – aus Liverpool, der Heimatstadt der Beatles. Aber die neuen Rock-Heroen kommen aus kaputten Londoner Clubs. Sie verschwinden schnell wieder von der Bildfläche, als ihnen dämmert, dass auch sie von ihren Fans bald ins Pop-Star-Olymp erhoben werden. Dort wo die Beatles und Rolling Stones thronen, die sie in ihrem Glamour unausstehlich finden. Danach war die Musikwelt nicht mehr dieselbe, und es war vorläufig verpönt, sich zu den Beatles zu bekennen. Paul is Dead lebt von der stilechten und detailversessenen Rekonstruktion dieser Atmosphäre. Für alle, die diese Zeit im Alter der Protagonisten irgendwo zwischen 12 und 20 erlebt haben, ein frappierendes Déjà-vu-Erlebnis.

Als sich der Todestag von John Lennon zum zwanzigsten Mal jährte, beging das Zweite Deutsche Fernsehen diesen Trauer-Tag der Rockmusik mit der Ausstrahlung von Paul is Dead – mit einem kleinen, feinen, etwas boshaften Film fern aller Nostalgie und Sentimentalität. Sein Esprit hätte John Lennon selbst wahrscheinlich gut gefallen. Nur eins wäre dem Beatle sicher übel aufgestoßen: Tills spitze Bemerkung gegen Yoko Ono als Erotik-Killerin.

Paul is Dead lief mit viel Erfolg bei Festivals. Doch der Weg in den Kinoverleih wurde durch horrende Lizenz-Abgeltungsforderungen für die Musiklizenzen der Beatles-Titel versperrt. Aber gerade durch den Soundtrack vermitteln sich Emotionen und Stimmungen fast wie von allein. Die charmante Hommage an die zeitlose Wirkung der Songs hätte einen saftigen Rabbatt verdient. Schade um den Film und schade für das Kino-Publikum.

Selbst wer nicht vom Zeitgeist der späten 70er infiziert wurde, hat sein Vergnügen an dem Film. Regisseur Hendrik Handloegten war nicht darauf gefasst, dass Paul is Dead auch bei Kindern auf Begeisterung stößt. Als ihm die Kinderjury des LUCAS 2000, dem Internationalen Kinder- und Jugendfilmfestival in Frankfurt am Main, einen Preis verlieh, fehlten ihm vor Überraschung eine ganze Weile einfach die Worte. Auch wenn die Jüngeren die raffinierte Ironie, mit der Handloegten ein bizarres Gerücht der Pop-Szene auf die Spitze treibt, wahrscheinlich nicht in jeder Nuance nachvollziehen können, auch wenn der Krampf, den sich Jugendliche der 70er mit Beziehungen, Sex und eigenartigen Verhütungsmethoden machten, dann am witzigsten ist, wenn man diese Peinlichkeiten selbst erlitten hat, und selbst, wenn man nicht weiß, wie epochal der Abgesang der Beatles-Ära war, bleibt doch genügend Stoff für einen humorvoll und spannend erzählten Krimi, der sich allein in der blühenden Phantasie seines Protagonisten abspielt und sich aus einer zu Ende gedachten fixen Idee nährt.

Außerdem ist es auch nicht ganz uninteressant für Kinder, etwas über die Jugendzeit ihrer Eltern zu erfahren. So jedenfalls sahen es die Frankfurter Kinder. In ihrer Jurybegründung heißt es: "Ein spannender Familienfilm, der witzig und flott erzählt ist. Der Film ist eine gut erzählte Detektivgeschichte mit großer Liebe zum Detail und gut eingeflochtenen Nebenhandlungen. Der Film ist gut besetzt und toll gespielt. Der Hauptdarsteller reißt uns in seine abenteuerliche Welt und entführt uns in eine Geschichte, die auch die Geschichte unserer Eltern ist."

Das große Lob der Kinder an die Darsteller gebührt besonders den Jugendlichen, die in ihren Rollen voll aufgehen und ihre Charaktere mit entspannter Natürlichkeit lebendig werden lassen. (Kuriosität am Rande: Der 14jährige Hauptdarsteller Sebastian Schmidtke aus Friedrichshain besuchte zur Zeit der Dreharbeiten ausgerechnet das "John-Lennon-Gymnasium").

Auch mit ihrem Hinweis auf die Detailgenauigkeit des Films treffen die Kinder voll ins Schwarze. Die Ausstatter Dörte Schreiterer und Bernd Fraunholz haben Erstaunliches geleistet. Der Stil der 70er lebt in einem großartigen Sammelsurium von Alltagsgegenständen wieder auf. Bei dieser Echtheit drängt sich natürlich sofort die Frage auf: Wie steht es mit den Beatles-Covern und ihren versteckten Hinweisen auf Pauls Tod? Wer die alten Schallplatten noch in seinen Regalen hat, wird nach Paul is Dead unwillkürlich den Impuls spüren, die Cover unter die Lupe zu nehmen. Die Anspielung auf die 70er reicht bis hin zur Besetzung. Mit Ingrid Steeger als Verkäuferin in einem Tabakladen leistet Hendrik Handloegten seinen Tribut an den TV-Star. Ein ganz besonderer Gewinn ist jedoch die Originalstimme des beliebten Moderators Alan Bangs, der großen Spaß daran hatte, die Legende von Pauls Tod mit weiteren Einzelheiten passend zum Drehbuch auszuschmücken. Bekannt ist in der kolportierten Version die Entzifferung des Nummernschilds des weißen VW Käfer, der in der Abbey Road parkt: LMW 28IF. 28 IF bedeutet demnach "Er wäre 28 geworden, wenn er noch leben würde". Bangs setzt noch einen drauf mit LMW als Abkürzung für "Linda McCartney weeps". *

Wie Legenden ihr Eigenleben entwickeln, lässt sich nun wunderbar beobachten, denn in der Presseresonanz auf Handloegtens Film wurde Alan Bangs Ausschmückung bereits dem Gerücht aus den 60ern zugeschlagen. Kompliment an ihn für seine Selbstironie, die nicht so leicht zu durchschauen ist. Kompliment auch an Hendrik Handloegten, der die Jugenderlebnisse seiner Generation hinreißend in Szene setzt und der Beatlemania eine weitere skurrile Note hinzufügt.

Abb. 2: Screenshot aus Paul is Dead (2000). Verleih: Ascot Elite

Fazit

Jugendkultur kann skurril sein. Gott sei dank ist sie vergänglich. Doch dass es auch sehr vergnüglich sein kann, sich ihrer zu erinnern, das führt Hendrik Handloegten seinen jungen und älteren Zuschauern mit einer verschmitzten Verschwörungsschnurre vor Augen, die kopfüber eintaucht in den Zeitgeist und das Styling der späten 70er Jahre. Für Jugendliche ab 12 Jahren ist Paul is Dead ein wunderbares Filmvergnügen.

 

* Anmerkung:

Genaue Informationen über verdeckte Anspielungen auf den Beatles-Covern und über das Gerücht von Paul McCartneys Tod finden sich in Hülle und Fülle im Internet, etwa auf der Seite paulreallyisdead.com. Dort findet sich auch der Hinweis auf ein Buch von Andru j. Reeve "Turn Me On, Dead Man. The complete story of the Paul McCartney death hoax." (USA 1994)

Titel: Paul is Dead
Regie:
  • Name: Handloegten, Hendrik
Drehbuch:
  • Name: Handloegten, Hendrik
Erscheinungsjahr: 2000
Dauer (Minuten): 75
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 6 Jahre
Format: Kino