Inhalt

In diesem von der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominierten Roman wird die Geschichte von David aus Kampala in Uganda und David aus Hamburg erzählt. Beide Jungen sind homosexuell, lernen sich im Internetchat "Planetromeo" kennen und fühlen sich spontan voneinander angezogen. Doch sie wachsen in sehr unterschiedlichen Verhältnissen auf. Der ugandische David lebt bei einer alleinerziehenden Mutter, zu der er ein hervorragendes Verhältnis hat, der deutsche Namensvetter hingegen wohnt bei seiner älteren Schwester Michelle und deren Sohn Marco, da seine Eltern seine sexuelle Orientierung nicht akzeptieren konnten. Während David in Hamburg seine Homosexualität in der deutschen Gesellschaft aber frei leben kann, wird David in Kampala ihretwegen verfolgt. Als einer seiner Freunde von fanatischen Christen ermordet wird und seine liebevolle Mutter von der Polizei unter Druck gesetzt wird, weil sie ihrem Sohn und seinen queeren Freundinnen und Freunden ihre Wohnung für ihre Treffen zur Verfügung gestellt hat, entschließt er sich zur Flucht. Sein Ziel ist Hamburg, denn David hat ihm Hilfe und Unterkunft versprochen. Aber der Weg dorthin ist weit und beschwerlich. Über Ruanda reist David nach Nigeria, wo seine Mutter einen (ebenfalls homosexuellen) Arzt kennt, von dem sie Hilfe und Unterstützung für ihren Sohn erhofft. Doch auf der beschwerlichen und unsicheren Reise wird David brutal überfallen, ausgeraubt und zusammengeschlagen. Ein freundlicher Ladenbesitzer nimmt den schwer verletzten Jungen zu sich und pflegt ihn gesund. Weil der Kontakt zwischen den Davids durch den Raub des Smartphones abgerissen ist, macht der Hamburger sich große Sorgen, nimmt Kontakt zu Davids Mutter und auch zu dem befreundeten Arzt auf. So gelingt es schließlich tatsächlich, was sich fast wie ein Wunder annimmt: David aus Kampala kann nach Istanbul fliegen, wo ihn der deutsche David aufgeregt in Empfang nimmt und mit nach Hamburg nimmt.

Kritik

Der Schluss klingt wie ein kitschiges, gefälliges Happyend, das sich aber so nicht liest, weil van Dijk sehr nüchtern und realitätsnah in nahezu dokumentarischem Stil erzählt. Sorgfältig und sensibel zeichnet er die Lebenswelten der beiden Protagonisten nach und macht auf diese Weise nachhaltig auf die dramatische Verfolgung von Minderheiten in Uganda aufmerksam. Seine Botschaft wird durch den Paratext unterstrichen: An das Romanende angefügt ist eine Landkarte, die Davids Fluchtroute abbildet. Außerdem gibt es Informationstexte über die Lebensgeschichten von David Kato und Brian Wasswa, die beide aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in ihrer Heimat ermordet wurden und deren Geschichte in der Romanhandlung fiktionalisiert wurde. Gerade weil van Dijk so nüchtern und sachlich erzählt, ist die Handlung berührend und erzeugt den Eindruck von Authentizität. Die Lebensrealitäten kontrastieren sich eindrucksvoll durch variable Fokalisierung. Die kurzen Kapitel wechseln sich regelmäßig ab, eines spielt bei David in Hamburg, das andere bei David in Kampala, später in Kabale, Kigali und Lagos, wobei sich die Chatdialoge der beiden Jungen immer wieder in die Handlung einfügen und sie einander näher bringen. Der Kontrast konstituiert sich durch die divergierenden Lebenswelten der beiden Davids: Während David in Uganda wegen seiner Homosexualität um sein Leben fürchten muss, wird er von einer liebevollen Mutter unterstützt und respektiert. Bei David in Hamburg ist es genau umgekehrt: Seine Eltern haben ihn verstoßen, doch in Deutschland muss er seine Homosexualität nicht verstecken. Auch die Wetterverhältnisse rahmen die Kontrastierung: Der Hamburger David kämpft sich durch grauen Nieselregen, in Kampalas Straßen flimmert der Staub in der Hitze. Geschickt lässt van Dijk die Schicksale der beiden Jungen aufeinander zulaufen und schließlich gänzlich miteinander verschmelzen, führt sie punktuell einander zu. Über die Digitalisierung fallen die Grenzen zwischen den Kontinenten, dennoch ziehen sich Mauern in den Köpfen der Menschen. Hass, Gewalt und Diskriminierung sind in Uganda an der Tagesordnung. Die Dramatik der geschilderten Fluchtereignisse erinnert an Dirk Reinhards Romane Train Kids und Über die Berge und über das Meer (aber auch an ältere klassisch zu nennende Texte von Gudrun Pausewang wie Ich habe Hunger, ich habe Durst oder Die Not der Familie Caldera), insofern als die Not der Flüchtenden sich immer mehr zuspitzt und diese Opfer von drastischer und schmerzhaft ungerechter Gewalt werden, was für Leserinnen und Leser in dieser deutlichen, aber darum so wichtigen Schilderung kaum zu ertragen ist. Van Dijk entlastet die jugendlichen Leserinnen und Leser durch das positive Ende – leider wartet die Realität in den meisten Fluchterfahrungen wohl nicht mit einem solchen Happyend auf. David hilft David, und David liebt David – die Namensgleichheit, die motivisch an die Kontrastierung und Parallelführung der beiden Schicksale anschließt, offenbart sich der deutschen Buchfigur erst am Ende, denn seine wahre Identität hatte David aus Uganda aus Vorsicht zunächst geheim gehalten. So mündet alles in einem befreienden Lachen der beiden Jungen, als sich der vermeintliche Dennis dem Hamburger Freund als David vorstellt.

Fazit

"Ein gelungenes Buch zum Mitfiebern, das von verschiedenen Seiten für die LBTQI+ Szene sensibilisiert und für jeden Geschmack etwas zu bieten hat", urteilt die Jugendjury. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein ergreifendes, glänzend recherchiertes Jugendbuch vom renommierten  deutsch-niederländischen und in Südafrika lebenden Autor Lutz van Dijk, der einmal mehr unter Beweis stellt, dass er sein Handwerk versteht: Er erzählt brillant, knapp und sehr nah an lebensweltlichen Realitäten. Für Jugendliche ab 13 Jahren, die nicht nur abtauchen möchten, sondern politisch-aufklärerische Literatur mögen, ist der Jugendroman aus dem kleinen Querverlag sehr empfehlenswert.

Titel: Kampala – Hamburg
Autor/-in:
  • Name: Van Dijk, Lutz
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Querverlag
ISBN-13: 978-3-89656-283-8
Seitenzahl: 166
Preis: 12,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 13 Jahre
Van Dijk, Lutz: Kampala – Hamburg