Inhalt

Ich-Erzähler Josh ist ein Einzelgänger und zudem – in seiner Phantasie und in seinen Spielwelten – ein Ninja, der in seiner Freizeit mit Leidenschaft Ninjutsu praktiziert. Eines Tages schneit der Pony Hütchen-Verschnitt Toni in sein Leben und krempelt dieses wild um. Das quirlige Mädchen kann nicht stillsitzen und ist voller Temperament. Nachmittags führt sie Hunde aus und mit einem solchen an der Leine steht sie plötzlich vor Josh. Wie von erzählerischer Zauberhand geführt, treffen die beiden dann auf den blinden Luis und dessen Freund Emil, um die Detektivbande komplett zu machen. Fast könnte man meinen, Erich Kästner stehe hinter den Figuren und arrangiere sie mit raschem Zugriff und zwinkerndem Auge zu der Kinderbande, die es eben braucht, wenn man eine ordentliche Kinderkriminalgeschichte arrangieren will – und  in Josh und seiner Umwelt ist flugs ordentlich etwas los! Nicht nur, dass er sich plötzlich inmitten dieser Kinderbande wiederfindet und damit konfrontiert ist, dass andere Kinder weniger behütet aufwachsen als er selbst. Klar, rosig ist bei ihm auch nicht alles, denn sein Vater ist verschollen und als vermisst gemeldet, aber er hat – im Gegensatz zu Toni – eine liebevolle und zugewandte Mutter, die ihren Kindern vertraut und ihnen Freiräume lässt. Das ist bei Toni ganz anders, da ihre Mutter nur als Stimme aus dem Off auftritt, die Befehle förmlich bellt und ihre Tochter streng ermahnt, bloß nichts schmutzig zu machen. Kein Wunder also, dass es Toni nach draußen zieht – und ehe die Leserinnen und Leser sich versehen, befinden wir uns schon mitten in einer filmreifen Kriminalhandlung: Beim Juwelier Goldmann wurde eingebrochen! Es beginnen knifflige Ermittlungen, während lange unklar bleibt, wer hinter den Verbrechen steckt. Das Ende wartet mit einem spannenden Showdown auf, bei dem die diversen Kinderermittler*innen in einem dunklen Tunnel eingesperrt werden. Doch die Rettung naht und der Fall wird gelöst – wie, das sei hier freilich nicht verraten...

Kritik

Die Vielschichtigkeit, die durch das intertextuelle Verweisspiel getragen ist, welche dem Kinderkriminalroman innewohnt, sollte bis hierhin schon deutlich geworden sein. Die Darstellung spielt mit den Mustern des klassischen Kinderkrimis und transferiert die typischen Figuren- und Handlungsprofile in die Gegenwart. Dies gelingt der Erzählung voller Komik und Spannung, die sich aus der wohl konstruierten Kriminalhandlung speist, vor allem aus der narrativen Anlage. Zwar ist Josh die Fokalfigur, dessen Sichtweise dominant ist, doch auch die gewitzte Toni mischt sich in seine Darstellung immer wieder mit Kommentaren ein. Diese sind typographisch vom Fließtext abgesetzt, einer Handschrift nachempfunden und fungieren als weiterführende Hinweise, die Toni zu Wort kommen lassen. Dadurch eröffnet sich eine multiperspektivische Sichtweise auf das Geschehen, die den Kinderroman anspruchsvoll macht. In seiner intertextuellen Verweiskraft auf die Klassiker des Genres ist es stimmig, dass die Kriminalhandlung selber äußerst klassisch angelegt ist. Es geht nicht um ein Abbild empirischer Realität, sondern um eine Hommage an die Klassiker, begonnen bei Kästners Emil und die Detektive, über Fünf Freunde, TKKG und Die drei ???. Auf diese Muster verweist vor allem der Anfang, als sich die Kinder beinahe wie von Geisterhand zur Bande zusammenfinden, damit sie direkt in ihr detektivisches Abenteuer starten können. Darüber hinaus steht der Text auch in der Tradition des (komischen) Familienromans, kontrastiert er doch unterschiedliche Familienmodelle und bildet auf diese Weise  verschiedene Familienerfahrungen von Kindern ab. Zudem tritt mit dem blinden Luis ein Ermittler mit Beeinträchtigung auf, der spätestens seit Steinhöfels Rico zum typischen Arsenal der Kinderkriminalgeschichte gehört. Leider wirkt der Appell des Ich-Erzählers zur Akzeptanz von Diversität und zu gelebter Inklusion vielleicht ein wenig plakativ:

"Luis ist Luis. Er hat total viele Eigenschaften. Er ist verdammt schlau, er ist nett, er hat eine richtig coole Art, er ist ein guter Freund und außerdem ist er blind. Er ist ‚Luis‘ und nicht ‚der blinde Junge‘" (S. 112)

Aber diese etwas einfach vorgetragene Reflexion in gut gemeinter Absicht ist das einzige Erzählmuster, mit dem Franks Kinderkrimi es sich leicht macht – ansonsten ist er an Komplexität und Tiefgang kaum zu überbieten. Vor allem schafft Frank es, ihre kindlichen Leserinnen und Leser mit der intertextuell inspirierten Komplexität nicht zu überfordern, denn vordergründig liefert sie eine spannende Kriminalhandlung mit sympathischen Figuren – und auch der Hund als treuer Begleiter fehlt nicht (ähnlich angelegt ist Jutta Wilkes Das Karlgeheimnis, das mindestens genauso empfehlenswert ist): Witzig, frech, voller Tiefgang und auch sehr sensibel erzählt, denn der Blick ins Innere der Fokalfigur Josh gelingt überzeugend und einnehmend.

Fazit

Aufgrund der dargelegten Vielschichtigkeit ist der Kinderkriminalroman sowohl für die häusliche als auch als Schullektüre in Klasse 4-6 äußerst empfehlenswert. Ein moderner Kinderroman, der viele Lesarten ermöglicht und dem ein besonderer Spagat gelingt, der sich mit folgendem Slogan fassen lässt: Einfach und komplex zugleich! Dass der zweite Band für Februar 2023 angekündigt ist, ist vor diesem Hintergrund eine wirklich wunderbare Nachricht.

Titel: Die letzten Ninjas und der Juwelenraub
Autor/-in:
  • Name: Frank, Astrid
Illustrator/-in:
  • Name: Kehn, Regina
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Urachhaus
ISBN-13: 978-3-8251-5302-1
Seitenzahl: 256
Preis: 20,00
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Frank, Astrid: Die letzten Ninjas und der Juwelenraub