Wie so oft beginnen Erfolgsgeschichten mit dem Engagement Einzelner. So auch die Historie von jungspund. Es war 2015, da die Zürcher Theaterproduzentin Gabi Bernetta beim Kanton St. Gallen einen Antrag auf Förderung eines Theaterfestivals stellte, das sich als Biennale der professionellen Freien Szene der Kinder- und Jugendtheater etablieren sollte. Mit Erfolg. Zusammen mit der lokalen Theaterszene, dem Konzert und Theater St. Gallen sowie dem Figurentheater St. Gallen und dem Verband der Kinder- und Jugendtheater ASSITEJ feierte 2016 das erste jungspund-Festival Premiere und eroberte sich seinen Platz im Schweizer Kulturleben.
Alle zwei Jahre präsentiert jungspund nun in St. Gallen die Freie Kinder- und Jugendtheaterszene mit breiter Vielfalt an Darstellungsformen. Eine fünfköpfige Programmgruppe sichtet ca. 40 nationale Inszenierungen, die in den letzten beiden Spielzeiten Premiere hatten. 10 bis 12 Inszenierungen werden zum Festival eingeladen. Die Gruppe setzt sich zum Ziel, neben der Vielfalt künstlerischer Ausdrucksweisen ein Festivalprogramm zusammenzustellen, das sowohl auf reges Publikumsinteresse in St. Gallen stößt als auch den erwachsenen Festivalbesuchern Anlass zu Diskussionen über zeitgemäße Darstellende Kunst bietet. Das Programm zeigt Produktionen für die Altersgruppen ab 4 Jahren, die Mehrzahl davon sind Schauspiele, flankiert von Figuren-, Tanz- und Musiktheater.
Das Theater für junges Publikum in der Schweiz wird überwiegend von Freien Theatergruppen produziert. Anders als im System der Jungen Bühnen an den kommunalen Theatern in Deutschland haben in der Schweiz die produzierenden Stadttheater nur wenig Angebote für junges Publikum im Programm, von dem obligatorischen Kinderstück zur Weihnachtszeit einmal abgesehen. Auch verfügen sie nicht, mit Ausnahme von Luzern, über eine eigene Junge Sparte. Vor diesem Hintergrund ergibt es Sinn, mit jungspund den Freien Theatern ihr eigenes Festival, ihre Plattform zu geben. Und diese wird dankbar angenommen. Eine Festivaleinladung nach St. Gallen wird von der Szene mit Achtung und Beachtung wahrgenommen und kann sich auch wirtschaftlich positiv für die Gruppen auswirken. Denn neben dem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen kommen die Gruppen in Kontakt mit den ‚Theater-Einkäufern‘, die ihr regionales Kulturprogramm für junges Publikum gerne mit dem Renommee einer jungspung-Einladung schmücken. Das nennt man dann wohl eine Win-win-Situation.
Das aktuelle jungspund-Festival, das in diesem Jahr zum 4. Mal stattfand, war das letzte unter der künstlerischen Leitung der Begründerin Gabi Bernetta. Ein Generationenwechsel steht an. Der Trägerverein des Festivals entschied sich, die zukünftige Leitung an Ramun Bernetta, einen Neffen der Begründerin, zu übertragen. Er ist ebenfalls Theaterproduzent und aktiv seit Anbeginn von jungspund dort tätig. Man kann gespannt sein, wie sich hier Tradition und Innovation weiter entwickeln werden.
Ich hatte Gelegenheit, auf Einladung von Pro Helvetia, an den ersten fünf Festivaltagen sowohl verschiedene Inszenierungen aus dem Hauptprogramm als auch Teile des Rahmenprogramms mitzuerleben.
Ein detaillierter Blick auf das ausgewählte Hauptprogramm lohnt. Man könnte es mit ‚typisch Schweiz‘ kommentieren: Von den 12 eingeladenen Theatergruppe ist nur ein Theater, Old Masters Genf, in der Romandie, der französischsprachigen Schweiz, beheimatet. Alle anderen Gruppen haben ihren Sitz in der deutschsprachigen Schweiz: in Bern, Basel und Zürich. Aus Graubünden und dem Tessin war keine Gruppe unter den ausgewählten. Schaut man näher auf die Genres fällt die Vielfalt der dargebotenen Theaterformen auf. Auch wenn das Sprechtheater überwiegend vertreten war, fällt es schwer von einem Schauspiel-Festival zu sprechen. Der Begriff eines genreübergreifenden Geschichtenerzählens passt besser. Mit elektronischer Verstärkung und digitaler Visualisierung wurden häufig Spiel und Text der Darstellerinnen und Darsteller inszenatorisch unterstützt. Das gilt auch für die Inszenierungen des Figurentheaters, das sich längst vom klassischen Puppenspiel emanzipiert hat. Dass auch mittels Tanz und Choreografie, mittels Pantomime und circensischen Spielweisen Geschichten erzählt werden können, gehört längst zum Standard des Theaters für junges Publikum. Das konnte auch bei jungspund beobachtet werden. Auffallend auch, dass alle Produktionen stets in Koproduktionen entstehen, teils kooperieren Gruppen miteinander, teils mit Veranstaltern und Gastspielhäusern. Die Schweizer Szene wirkt, bei allem Wettbewerb, eng miteinander verbunden. Das Festival jungspund tritt auch, und das ist selten in der Festivallandschaft, als Koproduzent auf. Es ist an der Inszenierung Wut von Diana Rojas-Feile aus Zürich beteiligt.
Es gehört zur Geschichte des Schweizer Kindertheaters, dass der überwiegende Teil der Produktionen von den Spielerinnen und Spielern, vom Team selber entwickelt wird. Ein hochdeutsches Autorentheater für junges Publikum ist daher eher die Ausnahme. Das hat stark mit der Heimatsprache der Künstlerinnen, dem Schwyzerdütsch, zu tun. In diesem lassen sich Dialoge poetischer gestalten und Szenen vertrauter spielen. Das bedeutet aber nicht, dass die Schweizer Gruppen nicht auf Vorlagen aus der Kinder- und Jugendliteratur zurückgreifen. Im Gegenteil: Mehr als ein Drittel der bei jungspund gezeigten Inszenierungen basierte auf vorhandenen Geschichten. Das Theater St. Gallen brachte Supergute Tage nach dem Kultroman für Jugendliche von Mark Haddon bei jungspund zur Premiere. Die routinierte Regie von Jonas Knecht und die professionelle Spielweise des sechsköpfigen Ensembles sowie die eingespielten Videosequenzen bringen die Geschichte um den mit einer Autismusstörung lebenden Protagonisten glaubwürdig zum Publikum ab 14 Jahren. Sehr spielerisch und bildhaft zeigte das Figurentheater St. Gallen auf dem Festival und als Premiere Löwenherzen, ein Theaterstück für Menschen ab 10, von der georgisch-deutschen Autorin Nino Haratischwili. Diese politische und einfühlsame Globalisierungsgeschichte hatte die Theaterleiterin Frauke Jacobi mit unterschiedlichsten Theatermitteln auf die Bühne gebracht. Neben dem Spiel der beiden Darsteller und der Figur des titelgebenden Löwens trieb insbesondere die Technik des Schattenspiels die Geschichte voran.
Der auch in Deutschland bekannte Dramatiker Andri Beyerle aus Schaffhausen war ebenfalls mit einem Stück vertreten. Sein Stück Spring doch, ausgezeichnet mit dem Literaturpreis des Kantons Bern und 2022 an der Bayerischen Staatsoper München auch als Kinderoper gezeigt, wurde von der Gruppe Kumpane Schaffhausen als Erzähltanz, einer seltenen Form zwischen Tanz- und Sprechtheater, aufgeführt. Im Programm war ferner Michael Endes Kindergeschichte Lenchens Geheimnis zu finden. Das Duo Irene Müller und Ruth Huber aus Bern bediente sich diverser elektronischer Tricks, um die Geschichte als amüsantes Live-Hörspiel zu präsentieren.
Eine theatrale Widerauferstehung erlebte der 1979 erschienene Roman Ter Fögi ische Souhung von dem Berner Autor Martin Frank. Er wird gerne als erster queerer Roman in Mundart bezeichnet und wurde nun von der vanderbolten.production Zürich für Jugendliche ab 15 gezeigt.
Mit dieser Reihe von Buch-Adaptionen zeigt sich das Schweizer Kinder- und Jugendtheater durchaus konform mit der im deutschsprachigen Theater bekannten Tendenz ‚Vom Buch zur Bühne‘.
Für das Rahmenprogramm von jungspund hatten die Veranstalter diverse Partner*innen gewinnen können. Zum einen die ASSITEJ Schweiz/Suisse/Svizzera/Svizra, die die Forscherin und Künstlerin Kristina Malyseva (Zürich) zu einem Vortrag mit dem Titel „Künstliche Intelligenz in den Angewandten Künsten: Innovation und Integration“ eingeladen hatte, und zum anderen das Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern und die Pädagogische Hochschule St. Gallen, die zu einem Symposium Theater für junges Publikum in einem vielsprachigen Land einluden. Das Symposium wurde von der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur SGTK initiiert und durchgeführt.
Ein für die gesamte Schweizer Szene des Kinder- und Jugendtheaters und die Öffentlichkeit wichtiges Ereignis fand am dritten Festivaltag statt: die Verleihung des Prix ASSITEJ. Dieser jährlich vergebene Kulturpreis wird für Persönlichkeiten, Initiativen oder Gruppen vergeben, die sich langjährig und vorbildlich für die Darstellende Kunst für Kinder und Jugendliche eingesetzt haben. Der Prix ASSITEJ 2024 ging an die Zürcher Gruppe Fallalpha, die seit 1998 ästhetisch anspruchsvolles Theater für Menschen ab 3 Jahren erfolgreich anbietet. Die Ensemblemitglieder wurden in St. Gallen mit einem großen Fest herzlich und lang gefeiert.
Das gesamte Festivalprogramm sowie viele weitere Informationen und Bilder sind zu finden unter https://jungspund.ch. Das nächste jungspund findet 2026 statt, natürlich wieder in St. Gallen.
[Henning Fangauf]