Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen e.V. vom 24. Juli 2023

32.000 Euro Strafe wegen des Verkaufs eines LGBTI-Comics – avj zeigt sich solidarisch mit der ungarischen Buchhandelskette Lira

Die avj e.V. hat als Interessensvertreterin von über einhundert Kinder- und Jugendbuchverlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit großer Verwunderung zur Kenntnis nehmen müssen, dass die ungarische Buchhandelskette Lira mit einer Geldstrafe von umgerechnet ca. 32.000 Euro belegt werden soll, weil sie eine Liebesgeschichte zwischen zwei Jungen in ihren Filialen anbietet, die nicht in Folie verpackt war.

Es darf nicht sein, dass Homosexualität in einem Mitgliedsland der Europäischen Union, die sich auch als Wertegemeinschaft versteht, auf solch eine Weise sanktioniert wird und es Buchhandlungen verboten werden soll, Bücher anzubieten, die der Europäischen Menschenrechtscharta entsprechen. Nicht umsonst wurde „Heartstopper“ von Alice Oseman in Deutschland 2023 mit einem der wichtigsten Kinder- und Jugendbuchpreise, dem Leipziger Lesekompass, ausgezeichnet.

Die avj spricht daher Lira ihre volle Solidarität aus und ruft ihre Mitgliedsverlage auf, für den Fall, dass die Geldstrafe rechtskräftig werden sollte, auch ein finanzielles Zeichen dieser Solidarität zu setzen.

[Quelle: Pressemitteilung]

Kontextualisierender Kommentar

Das deutschsprachige Medienecho dieser Ungeheuerlichkeit ist erfreulich einstimmig und sonor: SPIEGEL, Süddeutsche, Tagesspiegel etc. positionieren sich klar, indem sie auf die Verurteilung des ursprünglich „Maßnahmen gegen Pädophilie und zum Schutz von Kindern“ genannten Gesetzes durch die EU verweisen, DER STANDARD ist zurückhaltender und versteckt sich hinter neutraleren Formulierungen. Fakt ist, dass gegen das unter dem Deckmantel ‚Kinderschutz‘ firmierende Anti-LGBTQ-Gesetz, welches seit 2021 existiert und es den ungarischen Behörden allererst erlaubt hat, diese Strafe zu verhängen, seit Sommer 2022 eine Klage von der EU-Kommission anhängig ist. Fakt ist, dass mittlerweile Vertreter*innen der Botschaften von 38 Ländern ihre „volle Unterstützung für LGBTQI+ in Ungarn und für ihr Recht auf Gleichstellung und Nichtdiskriminierung“ erklärt haben wie auch Ursula von der Leyen schon vor diesem diskursiven und einschneidenden Ereignis das Gesetz als „Schande“ attribuiert hatte (SPIEGEL).

(Debatten und Verbotsbemühungen von vermeintlich jugendgefährdenden queeren Medienerzeugnissen sind freilich keine ungarische Exklusivität, wie tagesaktuelle Beispiele aus den USA zeigen.)

Fakt ist aber leider auch, dass Ungarn diesen symbolischen Akt in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Budapest Pride-Parade gesetzt hatte (SPIEGEL). Dass eine regierungsnahe Stiftung mittlerweile einen Mehrheitsanteil an der Buchhandelskette Libri gekauft hat (Tagesspiegel). Und dass das Gesetz schon jetzt graduell zur Selbstzensur von Unternehmen führt, generell dem Machterhalt des Systems Orbán dient und die politische Stimmungsmache gegen queere Menschen anheizt – etwa dadurch, dass „die Regierung von Viktor Orbán Homosexualität – entgegen aller Fakten – in die Nähe von Pädophilie und Kriminalität rückt.“ (SPIEGEL)

Dass „Heartstopper“ es längst im Medienverbund (etwa über die gleichnamige Netflixserie mit Start der 2. Staffel am 3. August 2023) in die Köpfe von vielen Ungar*innen und Menschen weltweit geschafft hat, ließ und lässt sich glücklicherweise nicht durch Folierungsmaßnahmen unterbinden.

[Kommentar: Nils Lehnert]