Explikat

"Was ist ein Autor?", fragt Michel Foucault am 22. Februar 1969 im Collége de France vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie und fasste damit jene literaturwissenschaftlichen Bemühungen zusammen, sich dem Wesen dieser Schlüsselfigur des Fachs anzunähern. (Foucault 2000 [1969], S. 198) Vor allem die Bedeutung des Autors für die Interpretation eines Textes wird dabei bis heute kontrovers diskutiert.

Obwohl der Begriff des Autors im Allgemeinen auf den geistigen Urheber eines literarischen Werkes verweist, unterliegen die damit verbundenen Autorvorstellungen einem historischen Wandel. (Steinmetz 2007, S. 60)

Während bereits in der Antike bestimmte Werke mit einem Autornamen in Verbindung gebracht werden, veröffentlicht man im Mittelalter die volkssprachliche Heldendichtung zunächst anonym. Die mittelalterliche Literatur entsteht an Klöstern und Höfen und wird von Klerikern, adligen Dilettanten oder Berufsdichtern verfasst; im Spätmittelalter kommen städtische Handwerker und Verwaltungsfachleute hinzu. Nach der Erfindung des Buchdrucks sind es vor allem Geistliche und Gelehrte, die Literatur produzieren. (Steinmetz 2007, S. 61) 

Auch die mit dem Autor verbundenen Idealbilder wandeln sich mit der Zeit: Das humanistische Ideal des 'Poeta doctus', in dem sich Autorschaft und Gelehrsamkeit verbinden, bleibt bis in den Barock und die Aufklärung vorherrschend. Dann wird es von der Genieästhetik des Sturm und Drangs abgelöst, die auf Inspiration und Genialität beruht. Schließlich entsteht mit der zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung, der Entstehung eines kommerziellen Buchmarktes und mit der Einführung des Urheberrechts der freie Schriftsteller, der an keine soziale Stellung gebunden ist. (Steinmetz 2007, S. 61)

In der literaturwissenschaftlichen Praxis ist der Umgang mit dem Konzept des Autors von jeher ganz alltäglich: Der Autorname wird zur Katalogisierung von Literatur in Bibliotheken verwendet, Gesellschaften und Institutionen widmen sich bestimmten Autoren, Werkausgaben und Autorenhandbücher werden herausgegeben. (Jannidis [u. a.] 2000, S. 8)

Anders sieht es dagegen in der Auseinandersetzung mit dem Autorbegriff innerhalb der Literaturtheorie aus. Hier wird dieser schon früh problematisiert.

Die Position, die dem Autor die größte Bedeutung für die Interpretation literarischer Texte zumisst, bezeichnet man seit dem 18. Jahrhundert als Biographismus. Dieser geht von einem engen Zusammenhang von individueller Autorbiographie und literarischem Werk aus, so dass bei der Analyse von Texten der Rückgriff auf biographische Daten unverzichtbar ist. (Jannidis 2000, S. 11)

Auch hermeneutische Methoden arbeiten mit dem Autor, nehmen aber zwischen Leben und Werk eine vermittelnde Instanz an. Von besonderer Bedeutung ist hier der Begriff der Autorintention, der zum Leitbegriff der Interpretation wird. Damit ist die Absicht des Autors gemeint, die diesen bei der Erschaffung eines Werkes geleitet hat. Um ein Werk zu verstehen, müssen demnach die Erlebnisse und Erfahrungen des Autors und ihr Einfluss auf den jeweiligen Text nachvollzogen werden. (Jannidis 2000, S. 11f.)

Auch die psychoanalytische Literaturtheorie, die sich den Schriften Sigmund Freuds verpflichtet fühlt, zieht die Person des Autors für die Interpretation von Texten heran. Allerdings sind es hier nicht vorrangig die individuellen und bewussten Absichten des Autors, die von Interesse sind, sondern vor allem unbewusste Mechanismen der Autorpsyche, die sich auf den Schaffensprozess und das fertige Werk auswirken. Freud selbst hat sich in zahlreichen Schriften mit Literatur und der Kunst befasst, etwa in Der Dichter und das Phantasieren, Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci oder Der Wahn und die Träume in W. Jensens 'Gravida'.

Dagegen versuchen werkimmanente Theorieansätze, den Text selbst als autonomes, ästhetisches Gebilde zu etablieren und den Autor aus der Textinterpretation auszuschließen.

In ihrem einflussreichen Aufsatz Der intentionale Fehlschluss, erklären William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley, Theoretiker des New Criticism, den Rekurs auf die Autorintention zum methodischen Fehler: Demnach ist die Intention des Autors bei gelungener Umsetzung mit der Textgestalt identisch, die Einbeziehung des Autors wird dann obsolet. Wenn dem Autor dagegen die Umsetzung seines Plans nicht gelingt, muss außerhalb des Textes nach Belegen für seine Intention gesucht werden; dann aber wird das Werk selbst verfehlt. (Wimsatt, Beardsley 2000 [1954], S. 85)

Auch die deutsche Variante der werkimmanenten Interpretation begreift Literatur als ein primär ästhetisches Phänomen. Deshalb plädiert der Literaturwissenschaftler Wolfgang Kayser in den 1950er Jahren für eine strikte Unterscheidung von dem außerhalb eines Textes sich befindenden Autor und dem textimmanenten Erzähler. (Kayser 2000 [1957], S. 125-137)

Unter dem Einfluss strukturalistischer Theoretiker wie Ferdinand de Saussure und Claude Lévi-Strauss wandeln sich auch die psychoanalytischen Autorkonzeptionen, die nun vermehrt auf die Schriften Jacques Lacans zurückgreifen. An die Stelle eines Autorsubjekts mit Biographie und Unbewusstem treten die Vorstellungen einer überpersönlichen Struktur des Symbolischen und eines sprachanalogen Unbewussten (Lacan 1987, S. 26). Der Autor verschwindet hinter dem Gleiten der Signifikanten, unter dem sich die Bedeutung immer weiter in eine nie eintretende Zukunft verschiebt (Lacan 1986 Schriften I, S. 36). Jeder Text spricht so von dem ewig gleichen, niemals zu stillenden Begehren (Pagel 2007, S. 38).

Mit seinem berühmt-berüchtigten Diktum vom "Tod des Autors" kann Roland Barthes für einen ganzen Theoriezusammenhang stehen, der gemeinhin unter dem Namen Poststrukturalismus firmiert und die Ablösung des Autors so weit wie möglich voranzutreiben sucht. Der Autor wird nicht länger als Ursprung der Bedeutung eines Textes betrachtet, er wird abgelöst durch den Schreiber, der lediglich auf das Wörterbuch seiner Kultur zurückgreift. (Barthes 190f.) Im Zuge dessen konzipiert Barthes den Text, unter Rückgriff auf Julia Kristevas Intertextualitätsbegriff, als ein "Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur" (Barthes 190f.). Der Ort, "an dem diese Vielfalt zusammentrifft" (Barthes 1992), schließlich ist der Leser, dessen Aufgabe es ist, den verschiedenen Sinngebungsstrategien des Textes zu folgen und diese zu entwirren.

In diesen Kontext lässt sich auch der eingangs zitierte Vortrag von Michel Foucault einreihen. Mit dem einleitenden Beckett-Zitat "Wen kümmert’s, wer spricht?" gibt Foucault die Richtung vor, in die seine Autorkritik im weiteren Verlauf geht. Der Autor erfüllt bei Foucault lediglich eine diskursive Funktion, die auch nicht zu allen Zeiten vorhanden gewesen ist. Diese Autorfunktion übernimmt in erster Linie klassifikatorische Aufgaben: "[M]it einem solchen Namen kann man eine gewissen Zahl von Texten gruppieren, sie abgrenzen, einige ausschließen, sie anderen gegenüberstellen. Außerdem bewirkt er eine Inbezugsetzung der Texte zueinander." (Foucault 2000 [1969], S. 210) Das "Vernuftwesen" (ebd. S. 214) Autor wird so in einer Reihe komplexer Operationen nachträglich konstruiert. Jannidis [u. a.] sprechen an dieser Stelle von einer "psychologisierende[n] Projektion einer Art und Weise, mit Texten umzugehen." (Jannidis [u. a.] 2000, S. 195)

Gerade feministische und postkoloniale LiteraturtheoretikerInnen greifen oft auf Denker wie Derrida, Lacan oder Foucault zurück, um die patriarchalen und eurozentrischen Konnotationen zurückzuweisen, die mit dem Autorbegriff verbunden sind. Auf der anderen Seite gilt es aber die "eigenen", aus dem Kanon ausgeschlossenen Autoren und Autorinnen aufzuwerten. In Bezug auf die eigene Handlungsmacht kann also auch die komplette theoretische Verwerfung des Autors problematisch sein.

Feministische Autorinnen wie Nancy K. Miller versuchen deshalb den Spagat zwischen der Ablehnung des Autors und der gleichzeitigen Forderung, die Erfahrung weiblicher Autorinnen stärker zu berücksichtigen. (Miller 2000 [1988], 251-274)

In dieser impliziten Aufwertung des Autors deutet sich bereits eine Tendenz innerhalb der gegenwärtigen Literaturwissenschaft an, die ein Sammelband prägnant unter dem Titel "Die Rückkehr des Autors" zusammenfasst. (Jannidis [u. a.] 1999) Es handelt sich um den Versuch, eine differenziertere Analyse des Autorbegriffs vorzulegen und dabei unterschiedliche historische Autormodelle, Autorfunktionen und Autorbegriffe gleichermaßen zu berücksichtigen. (Spoerhase 2007, S. 61) So sollen Theorie, die den Autor weitgehend ablehnt, und Praxis, die meist unhinterfragt mit dem Autor arbeitet, miteinander versöhnt werden. (ebd.)


 Bibliografie

  • Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 185-193.
  • Foucault, Michel: Was ist ein Autor? In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 198-229.
  • Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 35-45.
  • Jannidis, Fotis: Autorfunktion. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. 4., aktualisierte und erweiterte Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2008. S. 43-44.
  • Jannidis, Fotis; Lauer Gerhard; Martinez, Matias; Winko, Simone (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000.
  • Wolfgang Kayser: Wer erzählt den Roman? In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 127-137.
  • Lacan, Jacques: Das Seminar von Jacques Lacan. Buch XI (1964). Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Textherstellung durch Jacques-Alain Müller. Übersetzt von Norbert Haas. 3. Aufl. Weinheim, Berlin: Quadriga Verlag, 1987.
  • Martinez, Matias: Autorschaft, historische Modelle der. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. 4., aktualisierte und erweiterte Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2008. S. 45.
  • Miller, Nancy K.: Wechseln wir das Thema/Subjekt. Die Autorschaft, das Schreiben und der Leser. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 251-274.
  • Nünning, Ansgar: Autor, historischer. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. 4., aktualisierte und erweiterte Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2008. S. 41-42.
  • Pagel, Gerda: Jacques Lacan zur Einführung. 5., ergänzte Auflage. Hamburg: Junius, 2007.
  • Spoerhase, Carlos: Autor. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moenninghoff. 3., völlig neu bearbeitete Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2007. S. 60-61.
  • Steinmetz, Ralf-Henning: Autor. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moenninghoff. 3., völlig neu bearbeitete Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2007. S. 60-61.
  • Wimsatt, William K.; Beardsley, Monroe, C.: Der intentionale Fehlschluss. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 84-101.