Das Programm bot insgesamt 156 Produktionen aus 46 Ländern. Ausgeschlossen, bei dieser Fülle an weltweit zusammengesuchten Filmen keine Entdeckungen zu finden – sei es im Blickpunkt Deutschland, der noch einmal alle wichtigen Filme des laufenden Kinojahres für das junge Publikum Revue passieren ließ, im Panorama, das international bemerkenswerte Filme vorstellte, oder im Spielfilmwettbewerb, der sich in die drei Bereiche Kinder, Junioren und Jugendliche aufteilte. Auf diese Bereiche konzentriert sich der folgende Bericht, ohne sich streng an diese Aufteilung zu halten.

Klassische Kinderfilm-Geschichten

Dazu gehören insbesondere Abenteuer- und Fantasyfilme, Märchen und Kinderkrimis, die nicht selten nach literarischen Vorlagen entstanden sind. Beispielsweise die estnisch-finnländische Koproduktion Der Geheimbund von Suppenstadt nach dem Roman von Mika Keränen, in der eine Gruppe von Kindern unter großem Zeitdruck ein schwieriges Rätsel lösen muss, nachdem alle Erwachsenen im Ort vergiftet worden sind. Sie verhalten sich deswegen wie kleine Kinder und werden bald sterben, wenn Mari und ihre Freunde nicht rechtzeitig das Gegenmittel finden. Ein Film, der trotz einer durch und durch abgedrehten Handlung nicht nur an der Oberfläche kratzt und die vergifteten Erwachsenen reichlich kindisch darstellt, sondern eine Brücke in die Vergangenheit schlägt und auf das komplizierte russisch-estnische Verhältnis verweist, das vom Geheimdienst belastet wurde.

Neben einer weiteren Folge der Serie Karsten und Petra (Regie: Arne Lindtner-Næss) nach den Kinderbüchern von Tor Åge Bringsværd und Anne G. Holt, in der die beiden Kinder diesmal zusammen mit ihren im Film animierten Stofftieren eine Reise nach Afrika unternehmen und bei einer Safari einigen Wilddieben das Handwerk legen, gab es auch zwei Filme, in denen Fantasyfiguren nicht nur animiert zum Leben erwachen. In Der kleine Elf von Carsten Rudolf verbringt ein vom Weihnachtsmann versehentlich zurückgelassener Elf ein ganzes Jahr bei einer dänischen Familie. Er wird zum besten Freund der Kinder und treibt den Vater, der Weihnachten hasst, weil er seines Nachnamens Weihnacht wegen immer aufgezogen wurde, mit seinen Streichen bis zur Verzweiflung. Ein nett gemachter Weihnachtsfilm, der teilweise auch im Hochsommer spielt, der dem auf Schnee angewiesenen Elf hart zusetzt.

In der niederländisch luxemburgischen Koproduktion Der kleine Wiplala von Tim Oliehoek hilft ein handgroßer kleiner Mann, der offenbar zaubern kann, aber vergessen hat, wie man etwas wieder zurückzaubert, einem neunjährigen Jungen, über den Tod der Mutter hinwegzukommen. Wiplalas mangelhafte Zauberkünste werden bald zum Problem, als er die ganze Familie mit besten Absichten schrumpfen lässt und diese sich nun einer übermächtigen riesigen Umwelt gegenüber zur Wehr setzen muss, um wieder normale Größe zu erreichen.

Frankophone Vielfalt

Frankreich gilt nicht als klassisches Kinderfilmland, obwohl dort immer wieder sehenswerte Filme für Jung und Alt entstehen. Umso mehr überraschte die Fülle an Themen, wobei das Land rein quantitativ diesmal am häufigsten vertreten war und das Festival konsequenterweise auch mit einem französischen Film eröffnet wurde. Mikro und Sprit von Michel Gondry handelt von der Freundschaft zwischen dem vierzehnjährigen Daniel, der für sein Alter noch schmächtig ist und seiner langen Haare wegen oft für ein Mädchen gehalten wird, und dem selbstbewussten Theo, der neu in die Klasse kommt und als leidenschaftlicher Autobastler ständig nach Benzin riecht. Mit einem selbstgebastelten Automobil, das zur Tarnung wie ein kleines Gartenhäuschen aussieht, begeben sich beide in den Sommerferien auf eine abenteuerliche Reise, um der erdrückenden Last ihrer Elternhäuser zu entkommen. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe gestellt. In der Idee genial, aber nicht immer überzeugend umgesetzt.

Mindestens genauso schwer hat es der 14-jährige Benoit in Der Neue von Rudi Rosenberg. Nach dem Umzug von Le Havre nach Paris versucht er, dort neue Freunde zu finden. Niemand interessiert sich für ihn, mit Ausnahme eines altklugen Außenseiters, eines aufdringlichen Puertoricaners, eines körperbehinderten Mädchens und der neuen Austauschschülerin aus Schweden, die sich in der Klasse ebenfalls sehr einsam fühlt. Doch unversehens werden die Karten neu gemischt und jeder von ihnen muss entscheiden, was ihnen die Freundschaft untereinander wert ist. Dabei schießen sie mehr als einmal über ihr Ziel hinaus, was den Film sehr unterhaltsam und kurzweilig, aber keinesfalls pädagogisch wertvoll macht.

Christian Duguay hat seinen Abenteuerfilm Sebastian und die Feuerretter, die Fortsetzung von Belle und Sebastian nach dem Buch von Céciel Aubry, in der Nachkriegszeit angesiedelt. Der zehnjährige Sebastian hofft auf die Rückkehr seiner Mutter aus dem Krieg, die offenbar bei dem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, der einen großen Waldbrand ausgelöst hat. Dennoch ist der Junge fest davon überzeugt, dass seine Mutter noch am Leben ist. Zusammen mit seinem bisher unbekannten Vater, einem erfahrenen Piloten, macht er sich auf die Suche nach ihr, wobei sich das angespannte Vater-Sohn-Verhältnis bald zum Positiven hin entwickelt. Ein Film, der vor allem durch seine beeindruckenden Landschaftsaufnahmen überzeugt, selbst wenn die Handlung etwas konstruiert wirkt. Félix Bossuet erhielt für seine Rolle in Chemnitz den Preis für den besten Kinderdarsteller.

Geschichten, einmal anders erzählt

Bei vielen Filmen hatte man das Gefühl, etwas Ähnliches schon einmal gesehen zu haben. Das gilt weniger für ein junges Publikum, das einen Film viel stärker in seiner Singularität begreift. Und dennoch bot auch dieser Festivaljahrgang einige Filme, die man so noch nicht gesehen hat, die wirklich etwas Neues boten, selbst wenn das keine Garantie für einen rundum gelungenen Film ist. So verlieh die 18-köpfige Europäische Kinderjury, die sich Mitgliedern neun verschiedener Nationalitäten zusammensetzte, den Europäischen Kinderfilmpreis für den besten Kinderfilm an den ungarischen Film Pfote von Róbert Adrian Pejó. Kein gewöhnlicher Kinderfilm, zumal Kinder hier nur in Nebenrollen auftauchen. Ein Facharbeiter bildet in seiner Freizeit einen Hund zum Spürhund aus, der später dabei hilft, zahlreiche Opfer und Verschüttete zu retten. Eingebettet in eine abstrakte Rahmenhandlung mit gezeichneten Kulissen, wird der Hund namens Pfote zum unmittelbaren Sympathieträger, insbesondere wenn er einem spurlos verschwundenen Jungen fast in letzter Minute das Leben rettet.

Ulises und die 10.000 Schnurrbärte des mexikanischen Regisseurs Manuel Caramés mag filmdramaturgisch ebenfalls nicht rundum zu überzeugen. Doch die Geschichte des neunjährigen Ulises, der glaubt, seine Kindheit nur zu bestehen, wenn er sich möglichst unsichtbar macht, profitiert von einer originellen Idee. Denn als Ulises eines Morgens aufwacht, ist ihm ein Schnurrbart gewachsen, der ihn zu seiner eigenen Verwunderung nicht zum Außenseiter macht, sondern ihm allseits Anerkennung und Ruhm verschafft. Plötzlich gelingen dem Jungen Dinge, die er nie für möglich gehalten hätte. Darüber vergisst er allerdings seine "unsichtbaren" Freunde, bis Ulises eine wichtige Entscheidung treffen muss, was ihm wichtiger im Leben ist.

Zwei belgische Filme ragten im Programm allerdings inhaltlich und in ihrer Umsetzung deutlich hinaus. Labyrinthus von Douglas Boswell lief bereits auf dem Kinderfilmfest München und beim Lucas in Frankfurt. Auch das sicher ein Indiz seiner Einzigartigkeit, denn der Film verbindet die analoge Welt einer ersten Liebe unter Vierzehnjährigen mit der digitalen Welt eines Computerspiels, in das die Jugendlichen hineingezogen werden und aus dem es kein Entkommen mehr zu geben scheint. Allein die grafische Umsetzung dieses papierenen Labyrinths ist sehenswert.

Das gleiche gilt für die belgisch/französische Koproduktion Zugvögel von Olivier Ringer, dem die fünfköpfige Fachjury Spielfilm International den Sonderpreis des MDR verlieh. Eigentlich ist es eine einfache Geschichte über zwei Mädchen, die einem Entenküken, das nicht schwimmen kann, ein artgerechtes Leben ermöglichen wollen. Aber diese Geschichte ist in einer poetischen ruhigen Bildsprache erzählt, und sie nimmt die Kinder und ihre Bedürfnisse ohne Einschränkung ernst, selbst wenn diese über sich selbst hinauswachsen müssen und sich völlig anders verhalten, als es die Erwachsenen von ihnen erwarten. Denn das eine Mädchen ist schwerbehindert und an den Rollstuhl gefesselt, und ihre Eltern trauen ihr nicht zu, für ein Tier zu sorgen, selbst wenn es ihr ans Herz gewachsen ist. Das andere Mädchen ist hin- und hergerissen zwischen ihren getrennt lebenden Eltern und der Frage, wie weit sie für ihre Freundschaft gehen kann und darf. Ein Roadmovie der ganz besonderen Art, dem man nur wünschen kann, dass es auch in Deutschland eine Auswertung erfährt.

Coming-of-Age-Geschichten

Es ist kaum verwunderlich, dass sich im Jugendfilm-Wettbewerb immer wieder Geschichten über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens finden, seien es die Auseinandersetzungen mit den Erwachsenen, die erste große Liebe oder die Suche nach einem eigenen Platz im Leben. Selten zuvor präsentierte sich dieses Thema allerdings bei großer Bandbreite der Konstellationen so geballt wie dieses Jahr. Mal ging es um ein Roma-Mädchen, das gegen die Traditionen ihres Volkes und die herrschenden Rollenerwartungen aufbegehrt und Filmemacherin werden möchte (Ich, romantische Roma von Laura Halilovic), oder um einen ebenfalls filmbegeisterten Jungen, der durch seine Freundschaft mit einem an Leukämie erkrankten Mädchen eine Ahnung davon bekommt, was im Leben wirklich zählt (Ich und Earl und das Mädchen von Alfonso Gomez-Rejon).

Auch der schwedische Beitrag Es muss doch Regeln geben! von Linda Maria-Birbeck weist immanente Filmbezüge auf. Denn hier haben sich zwei 14-jährige Freundinnen die beiden Figuren Thelma und Louise aus dem gleichnamigen Film zum Vorbild genommen. Sie möchten genauso frei und unabhängig sein und der Langeweile in ihrem Ort entfliehen – nur wollen sie am Ende nicht sterben. Ihre Freundschaft und ihre Wünsche an das Leben werden jedoch auf eine harte Probe gestellt, als sich die eine in einen älteren Mann verliebt und die andere alles daran setzt, diese Beziehung zu sabotieren und zu verhindern.

Noch mehr überzeugte der kanadische Beitrag Kopf über Wasser von Linsay MacKay, deren Langfilmdebüt stark autobiographisch gefärbt ist. Denn wie ihre Hauptfigur, die 13-jährige Sam, leiteten ihre Eltern ein Seniorenheim, wodurch sie unmittelbar mitbekam, wie sehr sich die Ansprüche und Erwartungen ihrer Klassenkameraden von denen der älteren Menschen unterschieden. Sam ist sehr schüchtern und sie hat auch noch nicht die Superfigur, mit denen die anderen Mädchen in der Klasse prahlen. Daher wird sie bei jeder Gelegenheit verspottet. Als sich der 17-jährige Schwimmtrainer Lukas plötzlich für sie interessiert, obwohl er nicht wirklich in sie verliebt ist, bricht das selbst errichtete Gefängnis für Sam langsam auf. Zugleich findet sie Vertrauen zu dem griesgrämigen Alten Ed, der sein Leben gelebt hat und dennoch nicht einfach abgeschoben werden möchte. Ein berührender Film, der stark von seiner ambivalenten Hauptfigur lebt und die seelischen Erschütterungen eines jungen Menschen in eindringlichen Bildern erzählt.

Migrationsgeschichten

Das Thema ist zu aktuell und brisant, um nicht auch seinen Niederschlag bei diesem Festival zu finden. Der spanische Regisseur Mikel Rueda nähert sich in Illegal – Der heimliche Freund der unvermeidbaren Begegnung zwischen Einheimischen und Migranten anhand der homoerotisch angehauchten Freundschaft zwischen einem 14-jährigen Spanier und einem gleichaltrigen Marokkaner, der kurz vor seiner Abschiebung steht, nachdem seine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wurde.

In Young Tiger von Cyprien Vial möchte sich der noch minderjährige Migrant Many aus dem Punjab ein neues Leben in Frankreich aufbauen. Die Hilfe seiner neuen Pflegeeltern und staatlicher Stellen ist ihm gewiss, nachdem ein Schmuggler ihn aus Mitleid an die richtige Stelle verwiesen hat. Doch seine Eltern in der Heimat haben für seine Flucht viel Geld ausgegeben und erwarten von ihrem Sohn, dass er ihnen nun seinerseits regelmäßig Geld schickt. So sieht sich Many gezwungen, schwarz zu arbeiten und für den Schmuggler zu arbeiten. Damit setzt er freilich seine eigene Zukunft aufs Spiel. Der eindringlich gespielte und im aufgezeigten Gewissenskonflikt leicht nachvollziehbare Film erhielt den Preis der siebenköpfigen Jugendjury als bester Jugendfilm.

Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich die deutsch-serbische Koproduktion Enklave von Goran Radovanović, obwohl das Thema Migration hier nur mittelbar eine Rolle spielt. Er ermöglicht allerdings eine andere Perspektive vor dem Hintergrund der derzeitigen Bestrebungen in der Politik, zwischen unmittelbar Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen zu trennen und Serbien und das Kosovo als "sichere" Herkunftsländer zu deklarieren. Im Mittelpunkt stehen der zehnjährige Nenad und sein strenger Vater, die in einer von christlichen Serben bewohnten Enklave mitten im albanischen Kosovo wohnen. Auf der Fahrt in einem gepanzerten Militärfahrzeug der UN-Hilfstruppen bekommt Nenad den schwelenden Hass der albanischen Bevölkerung gegen seine Landsleute nach dem Bosnienkrieg hautnah und äußerst geräuschvoll mit. Dieser Hass entlädt sich in einer Spirale der Gewalt, wobei der Film am Ende dennoch ein Zeichen der Hoffnung setzt. Das sind packende, eindringliche Bilder, die gleichermaßen irritieren und überraschen. Völlig zurecht erhielt der Film daher den erstmals zusammengelegten Hauptpreis der Stadt Chemnitz und der Sächsischen Landesmedienanstalt.


Mehr Informationen über das Schlingel-Festival und einen Ausblick auf dessen nächste Ausgabe im Jahr 2016 finden Sie auf der offiziellen Festivalseite.