Inhalt

Das Café Morelli ist ein besonderer Ort: Es blickt auf eine lange Tradition zurück, hat aber die besten Jahre hinter sich. Dennoch ist das Café für den 14-jährigen Joe der wichtigste und beste Ort auf der Welt. Hier kann er seinen Großvater, den er liebevoll Nonno nennt, bei der Zubereitung der italienischen Speisen beobachten und sich mit ihm über die Geschichte des Cafés unterhalten. Allerdings bleiben die Gäste seit Jahren aus, was an der Armut in der Stadt, aber auch an den neuen Bewohnern, die meist aus den osteuropäischen Ländern stammen, liegt. Diese wollen kein italienisches Essen, sondern kaufen lieber polnische Nahrungsmittel, um sich an ihre Heimat zu erinnern. Joe beobachtet mit Sorge die Entwicklung und muss erleben, wie seine Mutter, nach dem auch zu allen finanziellen Sorgen auch noch Joes Großvater ins Krankenhaus musste, beschließt, das Café zu verkaufen. Joe will aber nicht aufgeben und er fasst den Plan, das Café trotz aller Skepsis mütterlicherseits zu retten. Dabei wird er von seinem Freund Combi unterstützt, aber vor allem von seiner Cousine Mimi, die aus Italien kam, um in Großbritannien Arbeit zu finden, ebenso von seinem Großvater, der vom Krankenhaus aus auf Tonbändern die Geschichte des Cafés erzählt.. Auf den Tonbändern lauscht Joe einer Geschichte, die während des Zweiten Weltkrieges beginnt, die Verhaftung des Urgroßvaters schildert und vom Mut der Stadtbewohner erzählt, in schwierigen Zeiten einer Familie zu helfen. Es ist vor allem diese Erzählung, die Joes Selbstvertrauen weckt, sich seiner Mutter zu widersetzen und für seinen Traum zu kämpfen.

Kritik

Giancarlo Gemin, der bereits mit seinem mehrfach ausgezeichneten Roman Milchmädchen überzeugte, schafft es, auch in seinem aktuellen Roman schwierige und komplexe Themenfelder in eine spannende Handlung einzubinden, ohne historische Ereignisse zu verkürzen und zu verharmlosen. Wie in seinem früheren Roman spielt Café Morelli in der Stadt Bryn Mawr und auch hinsichtlich des Figurenensembles bleibt er seinem narrativen Schema treu: Erzählt wird von Menschen, die nicht perfekt sind, sondern einsam wirken, verarmt sind und dennoch zu Helden, vielmehr Alltagshelden, werden. Auch Joe, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist mit Schwächen – etwa seiner Vorliebe für Fastfood und seiner Unsportlichkeit – ausgestattet und gehört zu jenen stillen Helden der Literatur, die fast nebenbei Großes vollbringen. Er tritt als genauer und auch sensibler Beobachter seiner Umwelt auf, der voller Stolz auf seine italienischen Wurzeln blickt, auch wenn ihn sein bester Freund Combi immer wieder "Waliser" nennt. Joe kontert in solchen Dialogen immer geschickt, denn sein Freund ist sich seiner walisisch-afrokaribischen Wurzeln bewusst und auf diese ebenfalls stolz. Bereits in den Gesprächen zwischen den beiden Freunden werden die Themenfelder angerissen, denn im Roman geht es vor allem um Zugehörigkeit und familiäre Wurzeln. Joe erfährt, wie sein Ur- und sein Großvater Rassismus, Ausgrenzung und Vorurteile während des Zweiten Weltkrieges erleben mussten. Er macht sich auf die Suche nach der Geschichte und lernt so die Bewohner "seiner" Stadt anders kennen. Aber es ist nicht nur der Blick rückwärts, sondern Joe schaut sich auch in der Gegenwart um und sieht Migranten aus Osteuropa. Ähnlich wie auch seine italienische Familie prägen auch diese die Stadt mit eigenen Geschäften und eigenen Traditionen. Damit setzt sich der Roman sensibel mit Fragen nach Kulturen und Gemeinsamkeiten von Menschen auseinander. Es ist vor allem das Essen, das die Gruppierungen zunächst zu unterscheiden scheint. Aber: "Essen bringt die Menschen zusammen" (S. 165), sagt Mimi im Laufe der Geschichte und macht Joe die Bedeutung insofern klar, als sie das Essen nicht mit reiner Nahrungsaufnahme gleichsetzt:

"Das ist nicht so, wenn Leute Fußball gucken oder zur Kirche gehen … Essen bringt Familie und Freunde zusammen, sie essen und reden. Und wenn du für Menschen kochst, zeigst du, dass du sie liest. Gutes Essen schenkt Freude und macht Menschen glücklich. Es ist etwas Besonderes … Essen ist Leben." (S. 165)

Damit wird Essen zu einem wichtigen Thema im Roman, denn Joe, der zunächst Stammkunde in einem Fastfood-Laden war, lernt selbst zu kochen und verwöhnt mit italienischen Spezialitäten seine Umgebung. Essen wird zu einem verbindenden Glied zwischen den Kulturen und überwindet Vorurteile.

Ein weiterer Aspekt im Roman ist Freundschaft: Einerseits zeichnet Gemin die Freundschaft zweier Jungen nach, die sich blind vertrauen, aber im Laufe der Geschichte Misstrauen und Verrat erleben müssen. Andererseits wird die Freundschaft zwischen Joe und seinem Großvater erzählt. Hier spiegelt sich ein Dialog zwischen den Generationen wider, der die Nähe der beiden unterstreicht und zugleich Joe ein Stück Familiengeschichte näherbringt.

Fazit

Mit seinem Roman schafft Gemin es, fast nebenbei ein Stück europäischer Geschichte zu erzählen. Es ist eine Geschichte, die Mut macht, den Leserinnen und Lesern neue Perspektiven eröffnet, auch wenn manche Ideen, die Joe im Laufe der Handlung entwickelt, etwas irrational oder "schräg" wirken. Eine außergewöhnliche, aber vor allem herzerwärmende Lektüre ab 12 Jahren, die man nicht verpassen sollte!

Titel: Café Morelli
Autor/-in:
  • Name: Gemin, Giancarlo
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Sweet Pizza
Übersetzung:
  • Name: Gabriele Haefs
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Königskinder
ISBN-13: 978-3-551-56043-8
Seitenzahl: 272
Preis: 16,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
Gemin, Giancarlo: Café Morelli