Für Lernende bietet der unterrichtliche Einbezug transmedialer Erzählungen hervorgehobenes Potential für das Anerkennen der Individualität und Unabgeschlossenheit von Rezeptionsprozessen ebenso wie das Erfahren von medienbezogener Selbstwirksamkeit. An ihnen lässt sich außerdem die basale Frage erarbeiten, wie eine Erzählung konstituiert bzw. als solche wahrgenommen wird. Diese Konstitutions- und Imaginationsprozesse lassen sich am Beispiel transmedialer Erzählungen besonders transparent rekonstruieren, weil von Medium zu Medium narrative Kohärenz unter Berücksichtigung der Medienspezifika aktiv konstruiert werden muss – im Unterschied zu solitären/monomedialen Einzeltexten, die eine kohärente Sinnstruktur vorgeben und gleichen Medienregeln folgen. Kompetenzzuwächse sind hier im Bereich narrativer Kohärenzbildung und des bewussten Umgangs mit Fiktionalität anzusetzen.
Darüber hinaus dürfen Gestaltungsprinzipien des Erzählens über Mediengrenzen hinweg didaktische Relevanz beanspruchen, weil sie kommunikationsbereichsübergreifend zur Lebensrealität von Heranwachsenden zählen – dies sowohl im künstlerisch-ästhetischen als auch im bildungsmedialen[2] Bereich, in der Werbung oder im Journalismus –, mit jeweils unterschiedlichen kommunikativen Funktionen.
Transmedialität und medienübergreifendes Erzählen
Erzählen findet in unterschiedlichen medialen Realisierungsformen statt, in Form eines Print-Romans oder Comic-Hefts, auf einem Instagram-Kanal, als Hörspiel, als Kinofilm und Videoclip oder auch als Computerspiel. Das gewählte Medium hat dabei Einfluss darauf, wie erzählt wird bzw. werden kann. Für das Phänomen des Erzählens über mehrere Medien hinweg finden sich in der Forschungsliteratur unterschiedliche Bezeichnungen, insbesondere die Begriffe Intermedialität und Transmedialität. Zwei einflussreiche Diskursstränge lassen sich unterscheiden (vgl. Eder/Thon 2012, 140):
- Schwerpunktmäßig in den Literaturwissenschaften wird Transmedialität als sog. medienunspezifisches Phänomen diskutiert (vgl. z.B. Dörr/Kurwinkel 2014, 8; Berndt/Tonger-Erk 2013, 223-228; Rajewsky 2002, 12f.): Medienunspezifische Transmedialität meint hier, dass Transmedialität nicht an unterschiedliche Medien gebunden ist. Transmediale Beziehungen werden etabliert, wenn sich Texte (in einem weiten Sinn) einen Topos – verstanden als gemeinsames Motiv, gemeinsamer Mythos oder Stoff – teilen, bei dem kein Ursprungsmedium existiert oder für die Rezeption von Bedeutung ist. Transmediale Beziehungen können somit prinzipiell auch zwischen Texten gleicher medialer Form vorliegen. Im Unterschied hierzu erstreckt sich Intermedialität als mediales Phänomen stets auf mindestens zwei verschiedene Medien (vgl. Rajewsky 2002, 13). An dieser Verhältnisbestimmung wird kritisiert, dass Transmedialität konzeptionell zu vage bleibt (vgl. zu dieser und weiterführender Kritik Thon 2016, 13f.).
- Im vornehmlich medienwissenschaftlichen Diskurs wird der Transmedialitätsbegriff gebraucht für medienübergreifende Konstruktionen von Erzählwelten (engl. storyworld) (vgl. z.B. Jenkins 2006; Thon 2016; Söller-Eckert 2017).[3] Dieses Verständnis von Transmedialität ist insofern nicht mit dem erstgenannten Diskursstrang vollauf kompatibel, da im medienwissenschaftlich geprägten Diskurs der Mediensprung als notwendiger Bestandteil von Transmedialität angenommen wird. Trans-medial ist so begrifflich klarer als Erzählen 'über verschiedene Medien hinweg‘ gefasst und gerade nicht indifferent gegenüber der Medialität von Erzählen profiliert.
Meist wird Transmedialität auf 'Inhalte‘, d.h. auf Aspekte der histoire, bezogen. Die Frage, wie beispielsweise Figurenbiographien über Mediengrenzen hinweg (weiter-)erzählt werden, betrifft eine solche inhaltsbezogene Betrachtungsebene (vgl. auch Eder/Thon 2012, 140). Dabei wird die Vorstellung, dass transmediale Beziehungen an einem Werk ermittelt werden könnten, in Akzentuierung eines rezeptionsästhetischen Zugriffs auf Literatur noch radikaler hinterfragt: Transmedialität sei nicht zu stark vom 'Werk‘ her zu denken, sondern die Rezeption sei in die Theoriebildung zum Phänomen Transmedialität konsequent einzubeziehen (vgl. Söller-Eckert 2017, 108). Damit wird der Blick darauf gelenkt, dass transmediale Beziehungen auch durch RezipientInnen beispielsweise im Rahmen von Fan-Aktivitäten aktiv hergestellt werden (u.a. durch das Schreiben und Verbreiten von Fanfiction zu einer TV-Serie, dies mittlerweile vornehmlich im Internet) und im Extremfall ohne RezipientInnen-Aktivität nicht existierten. Die Rolle der RezipientInnen verändert sich dann entsprechend: von der Rezeption zur Produktion.
Zweitgenannte Diskurstradition ist für die Sprechweise von transmedialem Erzählen (transmedia storytelling) prägend: "A transmedia story unfolds across multiple media platforms, with each new text making a distinctive and valuable contribution to the whole. In the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does best – so that a story might be introduced in a film, expanded through television, novels, and comics“ (Jenkins 2006, 95). Diese medienwissenschaftliche Fassung des Transmedialitätsbegriffs bildet auch für die weiteren Erläuterungen zu transmedialem Erzählen den theoretischen Bezugspunkt.
Das formal Trennende wahrnehmen: Mediensprünge
Beim medienübergreifenden Erzählen werden Mediengrenzen überschritten, z.B. beim Wechsel vom Buch zum Film, vom Film zum Computerspiel etc. Um solche Grenzüberschreitungen auch zum Reflexionsgegenstand machen zu können oder um formale oder narratologische medienspezifische Besonderheiten sowie medienübergreifende Gemeinsamkeiten als solche einordnen zu können, sind Kriterien nötig, anhand derer mediale Artefakte voneinander unterschieden werden können. Es besteht in den medienaffinen Wissenschaften nun allerdings keine Einigkeit darüber, wann ein mediales Artefakt als Medium gilt oder wie der Medienbegriff konzeptionell von Genre, Textsorte oder Kommunikationsform abzugrenzen ist (vgl. z.B. Ritzer/Schulze 2016; Staiger 2007; Dürscheid 2005). Über diese grundsätzliche Diskussion hinaus erweist sich für das transmediale Erzählen im Besonderen als offen, welcher mediale Status einzelner Texte im Begriff transmediales Erzählen aufgerufen ist. Das zeigt sich daran, dass unter transmedialem Erzählen wahlweise ein Erzählen über Medien (media), Medienkanäle (media channels) oder auch über Medienplattformen (media platforms) hinweg verstanden wird (vgl. Jenkins 2006).
Eine letztgültige theoretische Klärung des medialen Status der beteiligten Texte ist jedoch auch nicht notwendige Voraussetzung, um sich mit den Medienregeln transmedialen Erzählens auseinanderzusetzen. Hierfür hilft bereits ein differenziertes Analyseinstrumentarium weiter. Mit Ryan (2014, 29f.) lassen sich drei Analysedimensionen unterscheiden, denen weitere Kriterien zugeordnet sind:
- Zugang über die Semiotik: Über diesen Zugang wird untersucht, welche Zeichen und zeichentypischen Ausprägungen für die Erzeugung einer Narration von Bedeutung sind. Untersuchungsgegenstand, um mediale Grenzen bzw. Grenzüberschreitungen erfassen zu können, sind hier Sprache, Bild (auch: Dimensionalität), Ton, Bewegung etc.
- Zugang über die Technologie: Dieser Zugang setzt an der Materialität und Technologie an. Beispielsweise wird untersucht, wie sich Technologie auf die Kommunikation auswirkt und die Beziehung von Text und RezipientIn beeinflusst, welche Reichweite erzielt werden kann, in welchem raum-zeitlichen Verhältnis die Produktions- und Rezeptionssituation stehen, wie dauerhaft oder flüchtig die übermittelten Texte (in ihren verschiedenen medialen Realisierungsmöglichkeiten) sind etc. Hieraus lassen sich techn(olog)isch begründete Spezifika des Erzählens ableiten, z.B. bei einem Computerspiel die höhere Interaktivität der RezipientInnen (hier: SpielerInnen) im Unterschied zur geringen Interaktivität von RezipientInnen eines Kinofilms (hier: ZuschauerInnen). Techn(olog)ische Unterschiede zwischen zusammengehörigen Erzähltexten stellen somit einen weiteren Ansatzpunkt dar, anhand derer Mediengrenzen und damit in der Regel auch mediale Wechsel sichtbar gemacht werden können.
- Kultureller Zugang: Dieser Zugang erfasst Kategorisierungen medialer Artefakte als Medium, wie sie konventionell gebraucht werden und insofern als etabliert gelten können, gerade auch dann, wenn hierdurch Artefakte einen medialen Status zugeschrieben bekommen, die durch den semiotischen und techn(olog)ische Zugang nicht als distinkte Medien erfasst wären.[4] Der Zugang untersucht entsprechend das kulturell bedeutsame Verhalten von ProduzentInnen und RezipientInnen im Umgang mit medialen Artefakten, z.B. institutionelle Abläufe auf Produktionsseite, das Herausbilden von Fan-Kulturen und ihre spezifischen Ausdrucks- und Kommunikationsformen etc. Welche Möglichkeiten der Auseinandersetzung Texte diesbezüglich bieten und welche verschiedenen kulturell bedeutsamen Handlungen rezeptionsseitig vollzogen werden, führt ebenfalls auf mediale Grenzerfahrungen.
Den gemeinsamen Nenner erfassen: die Storyworld
Die inhaltliche Verbindung des medienübergreifenden Erzählens stellt die gemeinsame Erzählwelt, die Storyworld, dar, verstanden als "mentale Simulationen der Entwicklung des Plots“ (Ryan 2013, 90). Als narratologischer Terminus lenkt Storyworld den Fokus auf den Imaginationsprozess der RezipientInnen beim Erzählen, worin ein Unterschied zu formalen, signifié-zentrierten narratologischen Ansätzen bestehen soll (vgl. Ryan 2014, 43).
Die Erzählwelt kann durch eine solitäre Geschichte etabliert werden, die über verschiedene Medien hinweg entwickelt wird. Komplexe Erzählwelten setzen sich dagegen aus verschiedenen (vorläufig) abgeschlossenen Geschichten zusammen, wie beispielsweise im Star Wars-Storyversum (vgl. auch Friedmann 2016, 15). Diese werden als zu einer Erzählwelt gehörig erkannt, weil sie eine oder mehrere der folgenden Komponenten teilen:
- Das Figurenensemble, den geographische Raum, in dem die Geschichte spielt, gemeinsame Naturgesetze und soziale Regeln; diese werden zu den wenig variablen Komponenten einer Erzählwelt gezählt.
- Als dynamische Größen hingegen sind physikalische und mentale Ereignisse einzuordnen, weil diese die Geschichte zur Entfaltung bringen (vgl. Ryan 2013, 90f.; zum Verhältnis von Ereignis, Geschichte und Erzählung vgl. grundlegend Martinez/Scheffel 2016, 27f.).
Im Minimalprogramm transmedialen Erzählens wird ein wiedererkennbares Element (z.B. eine Figur, ein Handlungsort) aus der zunächst (ggfs. fragmentarisch) monomedial etablierten Erzählwelt übernommen und dann in mindestens einem anderen Erzählmedium diskursiviert. Fragmentarisch ist diese Erzählwelt insbesondere dann, wenn es sich beim zunächst monomedial Erzählten um den ersten Baustein einer von vornherein transmedial konzipierten Erzählung handelt. Im Maximalprogramm hingegen wird die gesamte Geschichte von einem ins andere Medium bzw. verteilt auf andere Medien übernommen und medial verschieden diskursiviert.
Annäherungen an eine Verhältnisbestimmung der Erzählbausteine zueinander
Nach folgenden Parametern können die zum Teil sehr zahlreichen Bausteine innerhalb einer transmedialen Storyworld klassifiziert werden:
1. Textgenetische Hierarchisierung:
In welchem hierarchischen Verhältnis die Bausteine in Abhängigkeit von ihrer Textgenese stehen, stellt einen Ausgangspunkt für die Verhältnisbestimmung der Erzählbausteine einer Storyworld zueinander dar. Es werden zwei Grundtypen des transmedialen Erzählens unterschieden, die sich als Pole einer Skala fassen lassen (vgl. z.B. Ryan 2013, 89; Söller-Eckert 2017, 108f.): Der erste Typus beschreibt Erzählungen, die von vornherein transmedial konzipiert sind (z.B. The Matrix, S. – Ship of Theseus oder die deutsche Serie Druck). Die Erzählung erstreckt sich über mehrere Medien und erschließt sich erst in ihrer Vollständigkeit, wenn die RezipientInnen die verschiedenen medialen Bausteine (Ryan 2013, 90: "Dokumente“) zusammensetzen oder erspielen – und diese auf letzterem Weg mitunter auch erst spielend konkret konstituieren. Bei komplexen Erzählungen mit z.B. einem Alternate-Reality-Game als Baustein, ist dies von einer Person oft allein nicht mehr zu leisten.
Bei diesem ersten Typus transmedialen Erzählens trägt jeder Text zur Entfaltung der Geschichte bei. Die beteiligten Medien sind dabei potentiell gleichberechtigt, auch wenn ggfs. ein Medium die Erzählung maßgeblich trägt und vorantreibt, so beispielweise der Spielfilm bei The Matrix. Gerade bei seriellen Erzählungen, bestehend aus Serientext (z.B. bei The Matrix die Filme, bei Druck die Videosequenzen) und transmedialen Erweiterungen, behält der Serientext seine zentrale Position in der Narration bei (vgl. Mittell 2014, 467).
Beim zweiten Typus handelt es sich um solche Vorkommen, bei denen ein narrativ (zunächst) geschlossener monomedialer Ausgangstext auszumachen ist, auf den sich nachgelagert entstehende Prequels, Sequels, Adaptionen o.Ä. beziehen. Die verschiedenen Texte bieten für sich jeweils eine geschlossene Erzählung und auf Ebene der Ereignisstruktur auch eine vergleichsweise geschlossene Erzählwelt, weisen aber zugleich gemeinsame Schnittmengen auf.
Neben dieser entwicklungsgeschichtlichen Klassifizierung lassen sich die Erzählbausteine nach dem Verhältnis der entfalteten diegetischen Teilwelten klassifizieren. Wie sich die verschiedenen Bausteine einer Erzählwelt zu einem Ganzen fügen, betrifft die Frage nach dem Verhältnis der in jedem Einzeltext erschaffenen Vorstellungswelt.
Jenkins (2009) macht das worldbuilding, d.h. den Prozess des Auf- und Ausbaus einer Storyworld insbesondere auf Ebene der Ereignisstruktur, zum Kerncharakteristikum transmedialen Erzählens. Entsprechend sind Adaptionen (z.B. Literaturverfilmungen, Remakes) dann als keine einschlägigen Vertreter transmedialen Erzählens einzuordnen. Denn meist fällt die Schnittmenge der Storyworld des Ausgangstexts und der Adaption – den Adaptionstypus der Transfiguration ausgenommen – groß aus. So geht bei einer Literaturverfilmung mit einem Mediensprung von z.B. Roman zu Film konzeptionell kein (nennenswerter) Ausbau der Erzählwelt auf Ereignisebene einher.
Hingegen dürfen Expansionen als einschlägig gelten: Eine Storyworld wird hier durch weitere Texte um neue Sachverhalte angereichert, z.B. durch eine neue Figur, eine Hintergrundgeschichte (backstory) oder die Entfaltung einer bisherigen Nebenhandlung (vgl. Ryan 2013, 97).
Modifikationen, die sich zum (entstehungsgeschichtlich vorgelagerten) Vergleichstext in essentiellen Komponenten einer Storyworld unterscheiden, werden für transmediale Erzählungen als eher selten angenommen, ebenso wie Transpositionen, die sich auf zeitliche und räumliche Unterschiede beschränken (vgl. Ryan 2013, 97f.). Im Bereich der Fanfiction allerdings sind solche z.T. umfangreicheren Rekonfigurationen durchaus einschlägig, z.B. im Genre FemSlash, wie z.B. 'Johanna liebt Katniss‘ zu Hunger Games, oder in Crossovers wie 'Harry Potter trifft Sailor Moon‘. Auch beim analogen Weitererzählen, wie beim Cosplay oder dem freien Spiel von Kindern mit z.B. Actionfiguren der Marvel-Erzählwelt, kommt es zu Abweichungen von der Storyworld, mit der sich die analogen Erzählungen Komponenten teilen, beispielsweise wenn die Figuren Black Widow und Spiderman gegeneinander kämpfen (vgl. auch Beil/Schmidt 2018, 72). Aktuell hält die Diskussion um Kriterien an, anhand derer entschieden werden kann, ob es sich bei inhaltlich miteinander verbundenen Welten um eine gemeinsame Erzählwelt handelt und wann sie als zueinander distinkte Erzählwelten einzuordnen sind (vgl. Ryan 2014, 42).
Dies führt auf einen weiteren Zugriff der Klassifizierung: die Autorisierung als Baustein einer Erzählwelt. UrheberInnen oder Produktionsfirmen deklarieren, welche Bausteine offiziellen Charakter haben sollen und produktionsseitig autorisiert sind. Davon können informelle, d.h. nicht-autorisierte Erzählbausteine unterschieden werden. Besonders durch die Möglichkeiten freier Veröffentlichungen im Internet wird verstärkt an Erzählwelten angeknüpft und werden sie ungesteuert sowie ohne kommerzielles Interesse fortgeführt. Informelle Weiterführungen von Erzählwelten finden sich vielfältig im Bereich von Fanfiction.
Die Zeitlichkeit bzw. die zeitliche Verfügbarkeit der transmedial verteilten Erzählbausteine stellt ebenfalls einen Ansatzpunkt zur Klassifizierung dar. Insbesondere für TV-Serien wurde als ein Kerncharakteristikum herausgearbeitet, dass transmediale Erzählungen nur temporär zur Verfügung stehen oder die produktionsseitig intendierte Rezeptionsabfolge nur zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aller Erzählbausteine gegeben ist (vgl. Evans 2011, 36-38). Zwar können Serientexte z.B. auf Videoplattformen oder Trägermedien längerfristig zugänglich gemacht werden. Viele transmediale Erweiterungen (z.B. das Alternate-Reality-Game zur Serie) weisen allerdings eine Lebensdauer auf, die an die Serienausstrahlung oder einen bestimmten Endpunkt der kollektiven Spurensuche gebunden ist. Analoge Erscheinungsformen des Weitererzählens sind einmal mehr auf ihre zeitliche Verfügbarkeit in der performativen Situation beschränkt. Im freien Spiel kommt hinzu, dass es sich i.d.R. spontan entfaltet sowie raum-zeitlich konkret gebunden ist und dass – anders als in geplanten und insbesondere in autorisierten Weitererzählungen – kein erweiterter RezipientInnenkreis über Beginn, Dauer oder Ende des performativen Ereignisses in Kenntnis gesetzt wird. Cosplays als ein weiteres Beispiel für analoges Weitererzählen finden dagegen häufig mit Ankündigung statt (z.B. im Rahmen von Conventions oder von (Buch-)Messen). Via Social Media werden sie einer Öffentlichkeit zudem live oder dokumentarisch in Bildern und Videos (temporär) zugänglich gemacht.
Die Rolle der RezipientInnen – auf dem Weg zur participation experience
Die RezipientInnen nehmen in transmedialen Erzählungen eine hervorgehobene Position ein. Sie werden zu 'Jägern und Sammlern‘ ("hunters and gatherers“, Jenkins 2006, 21), die sich Bausteine einer Erzählung zusammensuchen und ausgelegten Spuren nachjagen ("chasing down bits of the story across media channels“, Jenkins 2006, 21). Dass RezipientInnen allerdings auch in monomedialen Erzählungen aktiv an der Textkonstitution beteiligt sind, wie von der Rezeptionsästhetik akzentuiert, und innerhalb eines solchen Erzähltexts (sowie ggfs. unter Einbezug seiner Motiv-, Stoff-, Entstehungsgeschichte werkextern) Spurensuche zum Zweck einer möglichst umfassenden Kohärenzbildung betreiben, wird im ästhetiktheoretischen Diskurs um transmediales Erzählen häufig nicht ausreichend berücksichtigt (vgl. Bordwell 2009).
Worin mag dann der Unterschied der Spurensuche in mono- und transmedialen Erzählungen bestehen? Die Spurensuche kann in transmedialen Erzählungen zum einen als hervorgehobenes Rezeptions- und zugleich Produktionsmuster angesetzt werden, welches den RezipientInnen die Suche expliziter und reflexiv verfügbarer macht. Zum anderen besteht ihr stärkerer textkonstitutiver Charakter darin, dass die Spurensuche zum Mediensprung führt: Die RezipientInnen bahnen sich ihren Weg durch die transmedial ausdifferenzierte Erzählwelt, erschließen sich lesend, spielend, sehend, hörend auf verschiedene Medien verteilte Erzählbausteine und gelangen dabei zu intersubjektiv unterschiedlichen Erzählungen. Der Mediensprung wiederum ist in transmedial konzipierten Erzählungen nachgerade Voraussetzung dafür, dass die Handlung nicht stagniert und vor ihrem (vorläufigen) Ende abbricht. RezipientInnen-Aktivität führt folglich erst auf das bzw. ein Werk, das zwar in transmedial konzipierten Erzählungen verteilt vorliegt, aber noch zu einem für RezipientInnen sichtbar zusammengehörigen Text zusammengeführt werden muss. Je nach rezipierten Erzählbausteinen kann das so ermittelte Werk unterschiedlich ausfallen – der Werkbegriff ist radikaler rezeptionsbezogen zu perspektivieren.
Söller-Eckert (2017, 108) führt dies weiter und sieht die hervorgehobene Position der RezipientInnen darin, dass beim transmedialen Storytelling nicht die medial verteilte Erzählung, sondern das Erlebnis der RezipientInnen Ziel des narrativen Gestaltungsprozesses sei.[5] Es werden nicht nur individuellere Rezeptionserlebnisse ermöglicht, sondern RezipientInnen können sich als Teil eines (Fan-)Kollektivs erfahren – gerade, wenn aus dem Erleben der RezipientInnen ein Mitgestalten wird. Dies kann im Erzählprojekt dezidiert so vorgesehen sein, z.B. wenn RezipientInnen kollaborativ Spuren zusammentragen und ein Erzählbaustein hierdurch erst partizipativ in actu erspielt wird, oder prospektiv auf einen neuen Erzählbaustein ausgerichtet, wenn ProduzentInnen Fans zu Feedback einladen.
Daneben vollzieht sich der Rollenwechsel zum Mitgestalten auch ungeplant – auf diesem Weg vermutlich sogar deutlich häufiger –, beispielsweise in Form von Fanfiction, mit der die Erzählwelt rezipientInnenseitig eigenständige Expansionen, Modifikationen oder Transpositionen erfährt, oder durch das Anfertigen und Online-Stellen von Memes zu Schlüsselszenen einer Erzählung (vgl. Tosca/Klastrup 2020). Doch auch werkexternes Spurensuchen wirkt an der Konstitution neuer, überindividuell teilbarer Bausteine transmedialer Erzählungen mit: Beispielsweise dann, wenn Massen an Fans (und ggfs. bildungstouristisch Interessierten) zu Film-Drehorten pilgern (z.B. nach Neuseeland zu Filmschauplätzen von Der Herr der Ringe) oder (vermeintlich) realhistorische Vorlagen von Erzählorten aufsuchen (z.B. Maienfeld in der Schweiz, einer möglichen Vorlage von Spyris Heidi und der de facto-Vorlage der seriellen Anime-Adaption). Diese Aktivitäten können mittelbar zu weiteren Bausteinen transmedialer Erzählungen führen: Häufig in Reaktion auf bottom up-Erschließungen von realen Orten inszenieren TourismusanbieterInnen diese Orte als aufsuchbare fiktionale Welt. Im Heididorf in Maienfeld können BesucherInnen beispielsweise den bergbäuerlichen Alltag von Heidi nachempfingen, indem sie das Butterfass drehen oder den Weg zu Alpöhis Hütte konkret-physisch nachvollziehen (vgl. ausführlicher Ott 2017). An diesen Orten werden eigene Narrationsangebote zu einer Erzählwelt unterbreitet, deren Status beim worldbuilding theoretisch wie empirisch unterbeleuchtet ist.
Differenzierter erschlossen ist hingegen die Rolle der RezipientInnen in transmedialen Erzählungen, die von vornherein als solche geplant sind. Für partizipative transmediale Erzählprojekte werden folgende Merkmale angenommen (vgl. Söller-Eckert 2013, 356-359):
- Mitgehen von Mediensprüngen
- Kollektive (Re-)Konstruktion der Erzählung durch eine Community
- Ästhetisch reizvolle Erzählwelten
- Reale und virtuelle Erlebnisräume als Handlungsräume der RezipientInnen
- RezipientInnen als MitgestalterInnen der Erzählwelt
- Problemlösungen durch kollektive Intelligenz
RezipientInnen, die ein möglichst ganzheitliches Erzählerlebnis anstreben, müssen Mediensprünge mitvollziehen. Zum Beispiel im Fall der Erzählwelt um Wer rettet Dina Foxx?: Hier endete der TV-Krimi damit, dass die namengebende Figur Dina Foxx des Mordes verdächtigt wird und die ZuschauerInnen aufgerufen werden, ihre Unschuld zu beweisen. Dazu mussten ausgelegte Spuren in der online virtuell begehbaren Wohnung ermittelt und in verschiedene soziale Medien hinein verfolgt werden (vgl. Söller-Eckert 2013, 352f.). RezipientInnen, welche den Wechsel vom Fernseher ins Internet mitgingen, änderten dabei gleichzeitig ihre Rolle: von der Rezeption hin zu einem kollektiven partizipativen Erleben (participation experience). Sie sind nicht nur ZuschauerInnen (viewer), sondern werden zu NutzerInnen (user) und SpielerInnen (player), die einander auf der Spurensuche begegnen und in Austausch treten können. Aus der Computerspielentwicklung hat sich für diese Rollenerweiterung die Bezeichnung VUP für viewer/user/player etabliert, welche an die Stelle von RezipientIn tritt. Bausteine mit lean back- und lean forward-Charakter können in transmedialen Erzählprojekten nebeneinander stehen. In lean back-Bausteinen nehmen die RezipientInnen eine stärker passiv-konsumierende Rolle ein, in lean forward-Bausteinen führen RezipientInnen aktive Handlungen aus, zum Beispiel Spielhandlungen, Interaktionen mit anderen RezipientInnen, Textproduktionstätigkeiten o.Ä. Durch ein Nebeneinander beider Varianten werden RezipientInnen unterschiedliche Möglichkeiten eröffnet, sich in die (Re-)Konstruktion der Erzählung einzubringen. Je stärker partizipativ, umso ausgeprägter ist der lean forward-Charakter.
Die Möglichkeit zur Mitgestaltung kann auch dergestalt akzentuiert sein, dass RezipientInnen den Fortgang der Handlung mitbestimmen. Das ist der Fall, wenn verschiedene Wahlmöglichkeiten der Handlungsfortführung angeboten werden oder RezipientInnen mit ProduzentInnen über zu vertiefende Nebenhandlungen, Vorgeschichten o.Ä. in Austausch treten können und ihre Wünsche von letzteren tatsächlich aufgegriffen werden. Wird die Grenze von der Rezeption zur Produktion auf diese Weise überschritten oder werden wie im Fall von Fanfiction eigenständige Inhalte hervorgebracht, wandeln sich RezipientInnen zugleich zu sogenannten ProsumentInnen (Wortbildung aus ProduzentIn und KonsumentIn).
Ein besonders tiefes Eintauchen in die Erzählwelt, d.h. ein intensives immersives Erleben, ermöglichen Erzählungen, die Erzählräume schaffen, in denen RezipientInnen mit der Umgebung interagieren können (z.B. durch Suchaufträge, Meinungsaustausch, Posten von Fotos, vgl. Söller-Eckert 2013, 348). Narrationen, die RezipientInnen stark in die Textkonstitution einbinden, werden auch als ergodisch bezeichnet (vgl. Aarseth 1997). Die Unterscheidung zwischen realer Welt/Handlung und fiktiver Welt/Handlung ist im Erleben tendenziell aufgehoben. Solche immersiven Effekte sind beim Computerspielen zu beobachten und rezipientInnenseitig auch in transmedialen Erzählungen mit interaktiv-spielerischen Bausteinen festzustellen. Hohes Immersionspotential bieten zudem Erzählungen, welche die Möglichkeit zur Interaktion mit Figuren eröffnen, z.B. über Facebook-Seiten oder andere Social-Media-Plattformen, die für die Figur eingerichtet sind und von den DarstellerInnen oder MitarbeiterInnen einer Produktionsfirma bespielt werden.
Transmediales Erzählen und Narrativität
Wenngleich RezipientInnen beim transmedialen Erzählen eine hervorgehobene Funktion der Ko-Konstruktion des Erzählten zukommt, verschaffen auch strukturalistisch geprägte, werkbezogene Annäherungen an das Phänomen transmediales Erzählen Erkenntnisse darüber, wie sich aus verschiedenen Textbausteinen verschiedener medialer Realisierung eine Narration konstituiert. Denn ein im Kern werkbezogener analytischer Zugriff kann aufzeigen, welche Gestaltungsprinzipien in transmedialen Erzählungen angewandt werden, die zum Aus- und Aufbau einer Storyworld beitragen. Er macht Mechanismen der Narrationserzeugung greifbar, durch welche RezipientInnen potentiell affiziert sowie zum imaginativen Erleben angeregt werden (sollen) und durch welche zudem der kognitive Mehraufwand der Kohärenzbildung, der beim Erzählen über verschiedene Medien hinweg nötig ist, minimiert oder motivational kompensiert werden kann.
Unterschiedliche Analyseinstrumentarien stehen hierfür zur Verfügung. In der jüngeren Erzählforschung wird zum einen Beschreibungsinventar zur Funktionsweise erzählender Medien aus den Medienwissenschaften mit literaturtheoretischen Modellen zu verbinden versucht (vgl. z.B. in Thon 2016). Zum anderen wird diskutiert, inwiefern insbesondere Genettes Analyseinstrumentarium auf andere als verbalsprachliche Texte übertragbar ist (vgl. z.B. Leubner/Saupe 2012, 132-135). Mindestens als potentiell narrativ werden beispielsweise auch Einzelbilder kategorisiert, denen – in Absetzung von Lessings poetologischer Differenzsetzung zwischen visuellem und verbalsprachlichem Erzählen – Narrativität zugewiesen wird, weil sie als Ausschnitt aus einer Diegese verstanden werden können, die eine Vergangenheit und eine Zukunft haben (vgl. z.B. Veits/Wilde/Sachs-Hombach 2020). Entsprechend lässt sich beispielsweise Fan-Art als narrativer Baustein transmedialer Erzählungen kategorisieren, die ebenso wie verbalsprachliche Fanfiction Handlungsstränge aus autorisierten Erzählbausteinen in visuell-materiellen Repräsentationen weiterspinnt, eigenständige Interpretationen von v.a. Figuren und deren Fühlen, Eigenschaften, Schlüsselhandlungen bildlich umsetzt (z.B. als Zeichnung, als Meme) oder die Erzählwelt modifiziert und Figuren mit Figuren anderer Erzählwelten interagieren lässt.
Eine im Schwerpunkt histoire-bezogene Typologie für eine narrative Analyse, die medienübergreifend angewandt werden kann und somit für transmediales Erzählen geeignet ist, liegt in Friedmann (2016; 2019 in Weiterführung von Ryan 2006) vor. An einer Genreauswahl von Literatur, Film, Graphic Novel und Computerspiel erarbeitet er Gestaltungsstrategien, die einen Text zu einem narrativen machen (können). Als "Elemente des Narrativen“ (Friedmann 2016, 33) werden vorgeschlagen:
- die Semantisierung von Räumen (in Referenz auf Lotman)
- die narrative Figur
- Sinnproduktion durch Basisoppositionen
- Handlung durch Konflikt – Hindernisse als Handlungsinitiale
- vom Anfangs- zum Endzustand: Transformation als Kriterium der Geschlossenheit einer Erzählung
- Emotionalisierung
- Wendepunkte
- von Dreiaktern und mythologischen Heldenreisen: die narrative Makrostruktur
- Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen
- die Semantisierung von Objekten
- Informationsmanagement: das Eröffnen von Leerstellen (gapping) und Erzeugen von Subtexten
In ein Narrativitätsmodell sind diese "Elemente“ nicht überführt. Friedmann (2016, 16-18) weist selbst darauf hin, dass sich sowohl literar-ästhetische Erzählungen als auch Sportberichte der beschriebenen narrativen Gestaltungsprinzipien bedienen können. Es bleibt bei Friedmann offen, welche und in welcher Ausprägung diese vorliegen müssten, um einen Text auf dieser Grundlage als literar-ästhetischen erzählenden Text einordnen zu können.
Der genauere Blick auf die gewählten narrativen Darstellungsverfahren (Ebene des discours) kann sich hierfür als ertragreicher erweisen. Für verbalsprachliche Texte schlagen Zeman u.a. (2017) vor, das zentrale Unterscheidungskriterium in der Perspektiviertheit und Bewertbarkeit des Erzählten anzusetzen. Selbst in literar-ästhetischen Erzählungen, die keine sichtbare Erzählinstanz aufweisen, wird eine narrative Doppelstruktur (die Ebene der Erzählinstanz auf der einen, die Figuren- und Ereignis-Ebene auf der anderen Seite) strukturell vorausgesetzt, die das Potential für unterschiedliche Perspektivierungen auf das Erzählte eröffnet (vgl. Zeman u.a. 2017, 317).
Es steht noch aus, diesen Ansatz auf transmediale Erzählungen zu übertragen und mit transmedialen narratologischen Modellen (vgl. i.B. Thon 2016) zusammenzuführen. Eine prinzipielle Anschlussfähigkeit des Ansatzes von Zeman u.a. (2017) besteht an die etablierte sowie gut operationalisierbare Systematik von Leubner/Saupe (2012) für medienübergreifende discours-orientierte Analysen: Leubner/Saupe (2012, 299) nehmen in ihrer Auswahl und Systematisierung von medienübergreifend relevanten und anwendbaren Analysekategorien eine funktionale Sicht auf diese ein, dies hinsichtlich der Frage, inwiefern durch die Darstellungsmittel Perspektivierungen des Erzählten erfolgen oder nahegelegt werden.[6] Neben Kommentierungen des Erzählten durch eine mögliche 'personale‘ Erzählinstanz (extradiegetisch oder intradiegetisch) leisten Umfang und Art der Informationsvergabe Perspektivierungen des Erzählten (vgl. Leubner/Saupe 2012, 132-135, 210-217, 268-274):
Umfang der Informationsvergabe erfasst, ob die RezipientInnen über mehr, ebenso viel oder weniger Wissen über das Erzählte verfügen als jede einzelne Figur. Ein Mehr an Informationen versetzt RezipientInnen in eine überlegene Wissensposition, was einen Raum der Bewertung (i.B. des Figurenhandelns) eröffnen kann. Mit der Analyse, wie Informationen vergeben werden, wird hingegen beschreibbar, wie stark sich RezipientInnen der Wahrnehmung der Figuren annähern und dadurch eher zu einem affektiven Mitvollzug bis hin zu einer Identifikation mit deren 'Sichtweise‘ geneigt sein mögen. Objektiver erfolgt die Informationsvergabe, wenn ohne Bindung an eine Figurenperspektive auf die Außenwelt erzählt wird. In audiovisuellen Medien leisten dies External Shots auf das Geschehen, bei denen beispielsweise der Handlungsschauplatz aus der Totalen gezeigt wird; subjektiver bis hin zu subjektiv verzerrt erfolgt die Informationsvergabe, wenn die räumlich-optische Figurenperspektive annähernd übernommen wird (z.B. durch Point-of-View-Shots). In interaktiven Medien können RezipientInnen Teil der Diegese werden, indem sie als Avatar oder in einer sog. Erste-Person-Perspektive die virtuelle Welt wahrnehmen; sie bleiben dann auf das Wissen sowie die 'Sichtweise‘ der Figur beschränkt. Die persönliche Involviertheit der RezipientInnen in die Erzählung ist in solchermaßen angelegten interaktiven Medien potentiell sehr hoch.
Sucht man nach Verwendungsweisen narrativer Gestaltungsprinzipien und Darstellungsverfahren in anderen als künstlerischen Kommunikationsbereichen, wird – wie am Beispiel des Sportberichts angedeutet – ersichtlich, wie weit verbreitet medienübergreifendes storytelling ist. Narrativ vertextet (i.w.S.) sind folglich nicht nur literar-ästhetische Texte. Um transmediale Erzählungen allerdings von z.B. crossmedialen Sportberichten oder auch von medienübergreifend konstituierten Serious Games unterscheiden zu können, bedarf es weiterer Ansatzpunkte der Analyse als die Untersuchung der Handlungs- und Darstellungsebene. Die kommunikative Situation, in welcher die RezipientInnen die Texte verorten, stellt einen solchen weiteren Ansatzpunkt dar. Differenzierung leistet insbesondere die Frage, zu welchem Zweck jeweils erzählt wird. Hierzu ist die dominante kommunikative Funktion des Texts (auch: Textfunktion, mit dem Text verbundene Kommunikationsabsicht) herauszuarbeiten. Aufschluss über diese geben beispielsweise der Veröffentlichungskontext (z.B. auf den Internetseiten eines journalistischen Publikationsorgans) und die (intendierte) Nutzungssituation (z.B. unterrichtlich), die rekonstruierbaren EmittentInnen des erzählenden Produkts (z.B. eine Werbeagentur) und paratextuelle Markierungen als Erzählung, Bericht, Spiel. Transmedialen Erzählungen wäre dann eine primär ästhetische kommunikative Funktion zuzuweisen, crossmedialen Sportberichten eine primäre deskriptive Funktion, medienübergreifend konstituierten Serious Games eine unterhaltend-instruktive Funktion. Mitunter ist umfangreicher Rechercheaufwand zu leisten, da z.B. werbliche oder pädagogische Zwecke mitunter gerade wenig transparent gemacht werden oder wenn für transmediale Erzählungen Faktualität postuliert wird: Es handle sich beim Erzählten um einen (literar-ästhetisch überformten) Tatsachenbericht.
In der hier bisher vorgenommenen Verhältnisdiskussion von transmedialem Erzählen und Narrativität erscheinen transmediale Erzählungen weitgehend unhinterfragt als komplexe narrative Texte. In diesem Zusammenhang bedarf es allerdings einer Differenzierung: So nehmen nicht alle Bausteine transmedialer Erzählungen notwendigerweise eine primär narrative Ausdrucks- und Gestaltungsform an, wie im Fall von Quiz-Einheiten, die in eine Erzählung integriert sind (vgl. Sudmann 2017, 108-110; vgl. auch Jenkins Konzept von transmedia storytelling in Jenkins 2006). Die Diskussion um das narrative Potential von Bausteinen transmedialer Erzählungen kann grundsätzlich sowohl werkbezogen, d.h. bezogen auf narrative Eigenschaften eines Bausteins, geführt werden als auch rezipientInnenbezogen. Quiz-Einheiten könnte rezipientInnenseitig beispielsweise dann narratives Potential zugewiesen werden, wenn sie bestehendes Wissen über eine Erzählwelt ergänzen oder korrigieren, RezipientInnen folglich das erspielte neue Wissen zur Ausdifferenzierung ihrer Repräsentation der Erzählwelt narrativierend interpretieren. Dennoch ist der Status dieser Bausteine, die selbst keine Geschichte erzählen, bzw. ihr Beitrag zum worldbuilding umstritten (vgl. Sudmann 2017, 109f.).
Transmediales Erzählen und Serialität
Serialität ist eng mit dem Konzept transmedialen Erzählens verknüpft (vgl. Jenkins 2009). Differenzierte Erzählwelten entstehen oft erst durch serielle Narrative. Dies betrifft gerade hochkomplexe Erzählwelten, wie das Marvel-Storyversum rund um die Comic-Figur Spiderman oder die Avengers. Die hohe Komplexität vieler transmedialer Erzählprojekte, d.h. bei vorgeplanten transmedialen Erzählungen, begünstigt, dass Handlungsstränge offen bleiben und zu Anschlusshandlungen animieren, sei es in Form von Spin-Offs, Sequels oder Fanfiction. Umgekehrt weisen Serien eine strukturelle Eignung für transmediale Erweiterungen auf, dies auch im produktionsseitig nicht kontrollierbaren Bereich der RezipientInnenaktivität (vgl. Sudmann 2017, 108f.).
Auch ein ökonomisches Argument kann für die enge Verbindung von transmedialem und seriellem Erzählen ins Feld geführt werden. Der Produktionsaufwand fällt bei transmedialen Erzählprojekten hoch aus; eine virtuelle Spielumgebung muss beispielsweise programmiert werden, Social-Media-Kanäle müssen eingerichtet, beworben und in der Community verankert werden. Bei seriell angelegten Erzählungen ist dieser Aufwand eher gerechtfertigt als bei einmaligen, kurzlebigen Projekten.
Radikalisierung transmedialen Erzählens durch soziale Medien?
In der Erweiterung um digitale Erzählumgebungen sind Formen transmedialen Erzählens entstanden, die insbesondere an medialen Nutzungsgewohnheiten der digital natives ausgerichtet sind. Einen neueren Typus stellt das transmediale Erzählen in Echtzeit dar (z.B. Zeit der Helden oder In Treatment, vgl. Ochsner 2014). Ein Beispiel dieses Typs ist die deutsche Webserie Druck (seit 2018). Sie wird u.a. via YouTube, WhatsApp und Instagram erzählt, wobei die Erstausstrahlung der handlungstragenden Video-Kurzsequenzen (snippets) zum Zeitpunkt der fiktiven Ereignisse stattfindet. Das bedeutet, dass ein Cliquengespräch auf dem Pausenhof zur an deutschen Schulen üblichen Pausenzeit online geht, eine Partysequenz wird am Abend veröffentlicht. Ergänzend hierzu können die ZuschauerInnen WhatsApp-Chatprotokolle der Figuren sowie Social-Media-Posts einsehen, durch welche die Video-Erzählwelt angereichert wird. Fotos und Kommentare der Seriencharaktere erhalten die RezipientInnen als Push-Nachricht auf das Smartphone unmittelbar dann, wenn die Inhalte hochgeladen werden. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung sind Erzählzeit und erzählte Zeit deckungsgleich, die Zweitveröffentlichung der Video-Snippets einer Woche als 30-minütige Serienepisode weist hingegen Ellipsen auf, sowohl Auslassungen transmedialer Erzählbausteine als auch zeitliche Sprünge von Video-Snippet zu Video-Snippet. Nur die Erstveröffentlichung erzeugt somit die Unmittelbarkeit des Erzählens und die Gleichzeitigkeit von Erzählen und Erleben, was viele transmediale Erzählprojekte kennzeichnet.
Diese Form transmedialen Erzählens macht sich die ständige Verfügbarkeit von Kommunikationsmitteln – hier: des Smartphones – zunutze. Dadurch, dass in Echtzeit erzählt wird, die Bausteine die RezipientInnen zu unterschiedlichen Zeiten und nicht immer vorhersehbar erreichen, steuern die RezipientInnen den Rezeptionsprozess nur noch bedingt. Bewusste Medienkonsumzeit und medienkonsumfreie Zeit sowie fiktional konstituierte Welt und reale Welt verschwimmen.
Didaktische Anschlüsse
a) Vom intermedialen zum transmedialen Literaturunterricht?
Ein transmedialer Literaturunterricht knüpft an Konzepte für den intermedialen Literaturunterricht an, wie sie von Bönnighausen/Rösch (2004) bzw. Bönnighausen (2010) und von Marci-Boehncke (2006) entwickelt, in Staigers (2007) Konzeption einer umfassenderen Medienkulturkompetenz integriert sowie von Kruse (2014; 2019) zur "intermedialen Lektüre“ als Forschungskonzept und Unterrichtsmodell einer Medienverbunddidaktik weitergeführt wurden. Marci-Boehncke ausgenommen, berufen sich die bestehenden Konzepte auf Rajewskys Intermedialitätsverständnis und deren Unterscheidung intermedialer Phänomene in Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge. Dem Typus Medienwechsel (bei Kruse: montierter Medienwechsel) wird unterrichtspraktisch besondere Bedeutung beigemessen (vgl. Staiger 2007, 254). Gerade Adaptionen eines Stoffs, die mit einem Medienwechsel einhergehen, und hier wiederum die Literaturverfilmung erfreuen sich reger Forschungsaktivität vonseiten einer intermedialen Literaturdidaktik (vgl. Anders u.a. 2019, 81-95).
Eine transmediale Literaturdidaktik, die an den medienwissenschaftlich geprägten Transmedialitätsdiskurs anschließt, kann dies konzeptionell fokussieren und weiterführen. Der Typus Erzählung, die von vornherein transmedial konzipiert ist und annähernd gleichzeitig über verschiedene Medien hinweg erzählt wird, bietet das weitreichendste konzeptionelle Entwicklungspotential.
Eine transmediale Literaturdidaktik begreift zum einen den Mediensprung als konstitutives Element (innerhalb) einer Erzählung. Der Wechsel von einem in ein anderes Medium ist nicht außerhalb der diegetischen Welt zu verorten und muss nicht erst in Form einer medienübergreifenden Montage aus Erzählausschnitten didaktisch modelliert werden. Eine unterrichtliche Thematisierung solcher Erzählungen und transmedialen Erzählens setzt einmal mehr voraus, "Literatur und Literaturunterricht“ nicht "innerhalb der Grenzen des verbalsprachlichen und printmedialen Paradigmas zu denken“ (Maiwald 2019, 17). Zum anderen stellt die Expansion der Erzählwelt beim medienübergreifenden Erzählen den neuen prototypischen Fall dar, nach welchem die verschiedenen Bausteine im Verhältnis zueinander stehen. Entsprechend sind Erzählungen Gegenstand eines transmedialen Literaturunterrichts, welche ihre Erzählwelt über verschiedene Medien hinweg auf- und ausbauen. Von aktuellen Modellierungen eines intermedialen Literaturunterrichts bzw. einer intermedialen Literaturdidaktik sind solche Narrationen nicht mehr erfasst.
Im Rahmen eines intermedialen Literaturunterrichts beispielsweise bilden Unterschiede zwischen einer Game of Thrones-Filmserie auf der einen und dazugehörige Fanfiction auf der anderen Seite den Untersuchungsfokus (z.B. zu den Darstellungsmitteln, zur Figurencharakterisierung). Im transmedialen Literaturunterricht dagegen werden die verschiedenen medialen Realisierungen integrativ perspektiviert. Der Untersuchungsfokus liegt dann darauf, inwiefern die Bausteine in eine Storyworld integriert werden können.
Mit einer intermedialen Literaturdidaktik nach Marci-Boehncke (2006) und Lecke (2008) teilt eine transmediale Literaturdidaktik wiederum, dass die RezipientInnen konzeptionell aufgewertet werden. Mit dieser Akzentuierung wird die Subjektebene des Textverstehens und hier insbesondere das Selbstkonzept als LeserIn bzw. RezipientIn und die Selbstwirksamkeit adressiert: Wer mit transmedialen ästhetischen Gegenständen umgeht bzw. diese womöglich erst transmedial erweitert, kann sich als relevante, weil aktive Größe beim Konstruieren von Geschichten erfahren. Dies zeigt sich bereits darin, dass die Lernenden den Untersuchungsgegenstand aktiv, ggfs. sogar eigenständig erschaffen. Denn einerseits verlaufen Rezeptionsprozesse und in deren Rahmen erlesene, erspielte, ersehene Bausteine in transmedialen Erzählungen potentiell vielgestaltiger und individueller als bei narrativ geschlossenen solitären Erzählungen. Es bedarf bei komplexen transmedialen Erzählungen eben dieses Rezeptionsprozesses und damit einhergehender Selektionsentscheidungen, was noch gelesen, gespielt, angesehen etc. wird und was außen vor bleibt, damit die RezipientInnen am Ende zu einer Geschichte gelangen, die zum Reflexionsobjekt gemacht werden kann. Andererseits stehen für eine transmediale Literaturdidaktik Fortschreibungen der Erzählwelt durch Lernende nicht neben der Erzählung, sondern werden als deren Bestandteil aufgefasst. Ob die Erzählung transmedial erfolgt, obliegt schließlich nicht der alleinigen Entscheidungsgewalt von TextproduzentInnen (AutorInnen, RegisseurInnen, SpielentwicklerInnen etc.), sondern wird von RezipientInnen – hier: den Lernenden –, die als ProsumentInnen tätig sind, mitbestimmt. Dass es hierbei zu Konflikten zwischen der Produktions- und der Aneignungsseite kommen kann, deutet sich beispielsweise darin an, dass J. K. Rowling eine ambivalente Haltung gegenüber Fanfiction zu Harry Potter zugeschrieben wird (vgl. Contz-Leng 2014, 54).
Ein transmedialer Literaturunterricht stellt folglich eine gegenstandsorientierte Erweiterung von Literaturunterricht dar, indem er insbesondere expansive transmediale Erzählprojekte zum Unterrichtsgegenstand macht. Die transmediale Literaturdidaktik gesellt sich als weitere literaturdidaktische Ausprägung neben die intermediale Literaturdidaktik, ohne sie zu inkorporieren. Durch dieses Nebeneinander wird die intermediale Lektüre zugleich profiliert als didaktische Methode, die Mediendifferenzen des Erzählens fokussiert und medienspezifische Erzählweisen und Rezeptionsmodi erfahrbar macht. Hingegen rückte eine transmediale Lektüre (in Analogiebildung zu "intermediale Lektüre“, die bisherigen Ausführungen zu einer transmedialen Literaturdidaktik weiterführend, Kohärenz- und Sinnbildungsprozesse über Mediengrenzen hinweg und damit einmal mehr Rezeptionshandlungen in den Betrachtungsfokus. Einen anderen Ansatz verfolgen Kumschlies/Kurwinkel (2019) in ihrer Skizze einer transmedialen Lektüre. Dort wird die transmediale Lektüre als übergeordnetes Konzept entworfen, nach welchem alle Formen von Medienverbunderzählungen unterrichtlich thematisiert werden können; Rezeptionshandlungen der Textkonstitution spielen darin keine erkennbare Rolle.
b) Gegenstandsbezogene Anmerkungen zum unterrichtlichen Umgang
Aus den konzeptionellen Vorbemerkungen lässt sich eine Minimalprogrammatik für den unterrichtlichen Umgang mit transmedialen Erzählungen ableiten: Die Fokussierung auf
- die gleichzeitige Anwesenheit und das Wechselspiel der beteiligten Medien bei der Konstruktion einer Erzählwelt;
- die Ko-Konstruktionsmöglichkeiten durch die RezipientInnen.
Die Rezeptionsleistung ist konzeptionell weiterzuentwickeln zum zunehmend individualisierten Erleben bis hin zum partizipativen Mitgestalten der Narration, bei dem Produktion und Rezeption verschwimmen. Leitfragen einer transmedialen Lektüre können dann folgendermaßen lauten:
- Welche unterschiedlichen Wege durch die Erzählung wählen RezipientInnen?
- Welche Rolle kommt den RezipientInnen bzw. VUPs bei der Textkonstitution zu?
- Welche Möglichkeiten der Beeinflussung des Erzählten und Erzählens haben sie?
Gerade komplexe transmediale Erzählungen, die ein hohes Maß an Initiative der RezipientInnen bedürfen, um sich alle (potentiellen) Bausteine einer solchen Erzählung erschließen zu können, sind überaus umfangreich. Bereits in quantitativer Hinsicht ist häufig eine didaktische Reduktion des Betrachtungsgegenstands nötig. Alle Bausteine einer komplexen Erzählung können und müssen entsprechend nicht unterrichtlich behandelt werden. Die Selektivität der Rezeption und das stete Streben nach einem Leerstellenauffüllen können vielmehr zum Prinzip der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand gemacht werden. Die Lerngruppe startet hierfür zum Beispiel mit einem gemeinsamen Erstbaustein, die Auswahl und Lektüre (i.w.S.) der weiteren Bausteine kann dann individuell oder gruppenspezifisch erfolgen, wobei die Lernenden hierbei zum Mediensprung angehalten sein sollten (sofern sie diesen nicht von sich aus vollziehen).
c) Didaktische Relevanz und Legitimation
Bei transmedialen Erzählungen handelt es sich um einen Gegenstand, der zur Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen zählt, im Kleinen bereits dort, wo diese im freien Spiel in der Rolle von Seriencharakteren agieren, wo Hörspiele szenisch interpretiert werden oder sich im Online-Forum oder per WhatsApp über das neueste Adventure-Spiel, die neueste Netflix-Serie, den neuesten Reihenroman ausgetauscht wird. Zwar erfreut sich beispielsweise mit der Serie Druck die komplexe Erzählung, die von vornherein transmedial konzipiert wurde, unter Heranwachsenden großer Beliebtheit. Dennoch müssen solchermaßen etablierte Storyworlds einem größeren RezipientInnen-Kreis häufig erst noch erschlossen und mit ihm auch Erfahrungswissen darüber aufgebaut werden, dass bzw. welches Gratifikationserleben transmediale Erzählprojekte bieten können.
Im kompetenzorientierten Unterricht ist mit der gegenstandsbezogenen Erweiterung die Frage nach dem dadurch ermöglichten Kompetenzerwerb aufgerufen. Einerseits müssen die anvisierten Kompetenzzuwächse über den Einzelgegenstand hinaus von Relevanz sein:
- Diese Relevanz kann für transmediale Erzählungen zuvorderst darin gesehen werden, dass sie einen Spezialfall des Allgemeinfalls von Rezeptionsanforderungen unter den Medienregeln des Internets darstellen. Bei transmedialen Erzählungen treffen Bausteine verschiedener medialer Realisierung aufeinander, die es zu einer Storyworld zu synthetisieren, mit jedem Baustein um weitere Informationen anzureichern gilt und zu welchem Zweck sich RezipientInnen von einem ins andere Medium begeben, ggfs. von einer lean back-Rezeption in die interaktive Auseinandersetzung mit dem Erzählten wechseln, die spezifischen – u.a. technischen, darstellungsmittelbezogenen – Möglichkeiten des einen im Unterschied zum anderen Medium folglich nicht nur verstehen, sondern auch nutzen können müssen.
Die Such- und Synthetisierungsbewegung der RezipientInnen transmedialer Erzählungen spiegelt im Kleinen wider, was für und bei der Nutzung des Internets, das als Symmedium umfassende mediale Optionen vereint (vgl. Frederking 2012), an Medienregeln beherrscht werden muss. Der Umgang mit journalistischen Inhalten, die auf verschiedene Medien verteilt sind oder in Kombination unterschiedlicher Zeichensysteme vorliegen, wäre hierfür als ein kommunikationsbereichspezifisches Beispiel anzuführen. Im Alltag häufiger dürfte die thematische Online-Recherche sein, z.B. problemlösend: Wie erziehe ich meinen Hund richtig? Die auffindbaren Formate (z.B. Blogeinträge, Diskussionsforen, Videotutorials, Experteninterviews, wissenschaftliche Papers, ironisierende Comic-Strips o.Ä.) müssen mindestens in semiotischer Hinsicht verstanden und Entscheidungen gefällt werden, welcher Aspekt weiter vertieft werden soll und welche Interaktionsmöglichkeiten genutzt werden (z.B. die Erfahrungswerte mit der Erziehungsmethode x mit der Community teilen). - Am erwähnten cross-/multimedialen Journalismus zeigt sich zugleich, dass transmediales Erzählen nicht auf das Erschaffen diegetischer Welten beschränkt ist: Reportagen sind prototypisches Beispiel des narrativen Journalismus, der Mittel der Narrativierung nutzt, ohne fiktional zu sein bzw. mit klarem Faktualitätsanspruch des Erzählten (vgl. Renner/Schupp 2017). Beispielanalysen zu Narrativierungsstrategien in der Sportberichterstattung und im Dokumentarfilm finden sich in Hauser (2014) und in Friedmann (2016).
- Auch in der Werbung greift storytelling um sich. Dort werden 'Geschichten erzählt‘, bei denen – anders als im Journalismus – nicht die konventionelle Übereinkunft zwischen ProduzentIn und RezipientIn greift, dass es sich beim Erzählten um Objektivierbares oder wahre Ereignisse handeln würde. Das Testimonial-basierte Erzählen über verschiedene Medien hinweg begegnet dabei gegenwärtig sehr prominent: Inszeniert als Sitcom, offeriert beispielsweise das Möbelhaus IKEA um das Testimonial "Smilla“ in TV- und Online-Werbespots sowie Instagram-Storys eine Erzählwelt von Paartherapie über Geburt des ersten Kindes bis Elternbesuch; Firmenprodukte sind als Kulisse Bestandteil der raumsemantischen Codierung (i.B. Chaos vs. Ordnung), als 'Allround-Problemlöser‘ können sie beinahe jeden der konstruierten narrativen Konflikte beseitigen, selbst die Beziehungskrise von Smilla und Bo. Von fiktionalen Erzählungen mit literar-ästhetischem Anspruch sind diese narrativen Werbeformen auf Darstellungs- und Handlungsebene kaum oder nur mit großem analytischen Aufwand zu unterscheiden. Hier gibt die pragmatische Dimension eher Aufschluss: Als Werbung wird die Erzählwelt um Smilla u.a. durch die Positionierung der Videos in TV-Werbeblöcken oder durch paratextuelle Marker (z.B. ein prominent platziertes Firmenlogo) erkennbar. Die für werbliches Erzählen dominant anzusetzende Funktion der Manipulation, die letztlich zum Produktkauf führen soll, wird allerdings umso schwerer greifbar, je subtiler die Produktplatzierung und -bewerbung erfolgt.
- Neben Journalismus und Werbung sei auf den originären Bildungsmedienmarkt als weiteres Feld hingewiesen, in welchem Narrativierungsstrategien beispielsweise bei der Entwicklung von Lernplattformen und Lernspielen eingesetzt werden. Storytelling ist hier ein Gestaltungsprinzip im Kontext von Edutainment und Gamification. Die entwickelten Erzählungen sind primär Mittel zum Zweck für das Erreichen pädagogisch-didaktischer Ziele. Narrativierungsstrategien finden sich zwar z.B. bereits im Schulbuch: die Lehrwerksfamilie, die Lernende insbesondere im Fremdsprachenunterricht durch das Schulbuch führt und mitunter als narrative Rahmung auf weitere Materialien des Lehrwerkverbunds ausgreift, oder im Mathematikbuch die Textaufgaben, durch welche Rechenoperationen narrativ eingebettet werden. Doch entwickeln AnbieterInnen in ihren Produkten derzeit deutlich komplexere Lern-Erzählwelten: Plattform- oder App-intern (z.B. in der Lernplattform scoyo), in Form von Alternate-Reality-Games, wie dem fächerübergreifend einsetzbaren Lernspiel Professor S. für die Grundschule, das zwischen on- und offline wechselt und bei dem im Unterricht offline an der Lösung von Spieleaufgaben gearbeitet wird, oder auch Plattform-übergreifend (z.B. im Erzählprojekt Sie heißt jetzt Lotte!, bestehend aus 3D-Film, Unterrichtsmaterialien und Serious Game).[7] In didaktischer Hinsicht leisten die Narrativierungen eine motivierende Situierung des eigentlichen, mehr oder weniger offensichtlichen Lernziels und -gegenstands, indem z.B. ein initialer Konflikt konstruiert wird, den es zu lösen gilt.
Die Kontextualisierung weist folglich darauf hin, dass die Rezeptionsanforderungen, die für transmediale Erzählungen gelten, auf ein für die Nutzung des Symmediums Internet grundlegendes Anforderungsmuster zurückgeführt werden können.
Die Kontextualisierung verdeutlicht ferner an einer kleinen Auswahl an Kommunikationsbereichen die Allgegenwärtigkeit medienübergreifenden Erzählens. Das eröffnet u.a. die Perspektive, produktions- und rezeptionsseitige Motivationen für (angelegte oder vollzogene) Mediensprünge kommunikationsbereichsübergreifend zu untersuchen (z.B. transmediale Erzählprojekte mit cross-/multimedialen Reportagen hinsichtlich der Frage zu vergleichen, welche Inhalte aus welchen Gründen auf welche Medien verteilt sind) und so einer kommunikationsbereichsübergreifenden reflexiven Mediennutzung den Weg zu bereiten.
Aus der alltäglichen Konfrontation mit medienübergreifendem Erzählen lässt sich ferner die Notwendigkeit ableiten, ausgehend von strukturellen Gemeinsamkeiten funktionale Unterschiede des Erzählens in Abhängigkeit von ihrer Kommunikationssituation – vom Kommunikationsbereich, von EmittentInnen, beteiligten Medien etc. (vgl. Holly 2011; Dürscheid 2005) – herauszuarbeiten und die Erkenntnisse wiederum auf das eigene Mediennutzungsverhalten zu beziehen. Die transmediale fiktionale Erzählung mit literar-ästhetischem Anspruch kann als prototypische Ausprägung hierfür den Ausgangspunkt bilden, mit der dann andere Formen des medienübergreifenden Erzählens, z.B. das journalistische und werbliche Erzählen, kontrastiert werden.
Um den neuen Unterrichtsgegenstand der transmedialen Erzählung zu legitimieren, sind andererseits Kompetenzen anzuführen, für deren Förderung sich transmediale Erzählungen besonders oder besser eignen als andere Gegenstände. Welche Kompetenzzuwächse hier im Fach Deutsch angesetzt werden können, ist im Folgenden in Auswahl skizziert.[8] Die genannten (Teil-)Kompetenzen leisten Beiträge zum literarischen und medialen Lernen.
d) Gegenstandsspezifischer Kompetenzerwerb
Narrative Kohärenz wahrnehmen sowie produkt- und produktionsorientiert erschließen
Indem RezipientInnen kohärenzstiftende Mittel erkennen und in ihren Sinnbildungsprozess integrieren, erschließen sie sich transmediale Erzählungen umfassender. Wie narrative Kohärenz über mehrere Medien hinweg hergestellt wird, betrifft Prozessleistungen im Rezeptionsvorgang (vgl. das Lesekompetenzmodell von Rosebrock/Nix 2017). Eine am Inhalt orientierte Auseinandersetzung mit Kohärenzbildung bewegt sich auf hierarchiehoher Prozessebene und hat insbesondere Komponenten der Storyworld zum Betrachtungsgegenstand. Um narrative und dramaturgische Handlungslogik zu verstehen (vgl. Spinner 2006, 10; Abraham 2015, 10) und transmediale Bezüge herstellen zu können, müssen RezipientInnen auf Makroebene des Plots beispielsweise mit dem bewussten Einsatz von Leerstellen (vgl. Friedmann 2016, 172-177) vertraut gemacht werden.
Diese Leerstellen zusammen mit jenen Bausteinen zu identifizieren, die diese Leerstellen füllen können, ist Voraussetzung sowie Teil des Kohärenzbildungsprozesses. Dies kann an Figurenbiographien eingeübt werden, weil diese in Zeit und Raum verortet sind, d.h. es lassen sich an ihnen zeitliche wie räumliche Sprünge oder Auslassungen gut nachvollziehen. Figuren bieten sich als Ansatzpunkt auch deswegen an, weil sich mit Biographien zentrale anthropologische Fragen verbinden lassen, denen Lernende an fiktiven StellvertreterInnen konkret nachgehen können – z.B.: Wie wird ein Mensch so bösartig wie Darth Vader aus Star Wars?[9] Indem Lernende nun beim Rezipieren eines ersten Bausteins einer transmedialen Erzählung biographische Informationen zu einzelnen Figuren (z.B. auf einem Zeitstrahl) systematisch zusammentragen und mit der Handlungsebene in Verbindung setzen, zeigt sich, wo Informationslücken bestehen, die potentielle Ansatzpunkte für die Anreicherung der Erzählwelt darstellen. Davon ausgehend sind Recherchen anzustellen (z.B. auf Fanseiten), welche Leerstellen bereits mit welchen Erzählbausteinen aufzufüllen versucht wurden. An den ermittelten Bausteinen ist dann zu thematisieren, in welchen Variablen (z.B. Figuren, Figurenkonstellation, räumliche und zeitliche Verortung) sich die Bausteine gleichen oder ähneln, damit ein enger oder auch nur loser Zusammenhang zwischen ihnen hergestellt werden kann. Unterscheiden sich die Erzählbausteine in zahlreichen Variablen, können diese zunehmend schwierig in ein und dieselbe Erzählwelt integriert werden.
Auch anhand formaler Merkmale kann Kohärenzbildung angebahnt werden. Paratextuelle Einordnungen, z.B. als "Sequel“ oder mittels Folgennummern und Titelbezeichnungen, sowie Typographie, Layout sowie Logo, aber auch Soundtracks lassen sich häufig vergleichsweise leicht als kohärenzstiftende Mittel lesen ebenso wie URL-Verlinkungen innerhalb eines Bausteins auf weitere Bausteine. Unter der Leitfrage, anhand welcher formalen Eigenschaften zwei oder mehr vorgegebene Bausteine als zusammengehörig erkennbar sind, können Lernende zur induktiven Ermittlung formaler Kohärenzbildungsmittel angeleitet werden. Für leistungsheterogene Gruppen ist die Leitfrage in einzelne Untersuchungskategorien feinzudifferenzieren. Eine methodische wie leistungsbezogene Differenzierungsmöglichkeit ist es außerdem, Mittel für Mittel zu behandeln.
Beim gleichzeitigen Erzählen über mehrere Medien hinweg ist insbesondere zu diskutieren, welche Bausteine RezipientInnen als für den Fortgang der Erzählung besonders relevant, als Minimalprogramm, als fakultative Erweiterung o.Ä. einordnen. Der Subjektebene des Rezeptionsprozesses wird bei einer solchen Frageperspektive stärker Rechnung getragen. Damit sind auch die Fragen verbunden, ob und welchen Bausteinen der Status eines Texts vs. Paratexts zugewiesen wird und welchen Bausteinen ggfs. ein narrativer Charakter im Sinn eines Beitrags zum Ausbau der Erzählwelt abgesprochen wird. Je nachdem, mit welchen Figuren sich RezipientInnen stärker oder schwächer identifizieren, welche Leerstellen in einer Storyworld sie aufzufüllen suchen oder welche Interaktionsmöglichkeiten sie für sich in Anspruch nehmen, können sie dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die dahinterliegenden Entscheidungsfaktoren gilt es, unterrichtlich herauszuarbeiten und auf ihre Bedeutung für Kohärenzbildungsprozesse zu befragen.
Individuell unterschiedliche Rezeptionsweisen anerkennen, alternative Rezeptionsweisen erproben
Der Austausch miteinander über intersubjektiv unterschiedliche Kohärenzbildungsprozesse betrifft zugleich die soziale Ebene literarischer Verstehensprozesse. RezipientInnen üben sich darin ein, unterschiedliche literarische Zugänge zuzulassen und anzuerkennen (vgl. Abraham 2015, 10). Bei transmedialen Erzählungen fällt der Rezeptionsvorgang einmal mehr individuell aus, weil sich die Rezeption im Umfang der erlesenen, ersehenen, erspielten etc. Bausteine unterscheidet. Radikalisierter gilt: Es gibt nicht die eine Erzählung und entsprechend auch nicht das eine richtige Verstehen der Erzählung. Je nachdem, ob eine/ein RezipientIn die vorgeschlagenen Mediensprünge mitvollzieht bzw. in welchem Umfang das transmediale Erzählangebot genutzt wird, ergeben sich für RezipientInnen individuell unterschiedliche Geschichten mit quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Leerstellen. Weil transmediale Erzählungen ohnehin nicht notwendigerweise auf eine vollumfängliche Rezeption aller Bausteine angelegt sind, sondern auch über eine partielle Aneignung als Erzählung funktionieren sowie häufig auf Unabgeschlossenheit hin konzipiert sind, eignen sich solche Erzählungen, um die Bedeutung der/des RezipientIn für die Konstitution einer kohärenten Erzählung zu verdeutlichen und ein Anerkennen individueller Rezeptionsweisen anzubahnen.
Darüber hinaus führt ein Vergleich von individuell unterschiedlichen Rezeptionswegen (z.B. auf der Grundlage einer Visualisierung zur Abfolge der herangezogenen Bausteine) die RezipientInnen auf bislang unbeachtete Erzählbausteine. Werden diese nun nachgelagert erschlossen, kann reflektiert werden, inwiefern die bisher etablierte Storyworld modifiziert wird und sich beispielsweise Bewertungen von Figuren verändern (z.B. wenn Hintergründe für das Handeln einer Figur gegeben werden). Indem sich die RezipientInnen über die gewählten Erzählbausteine und über deren mediale Besonderheiten austauschen, erschließen sie sich gegenseitig Erzählbausteine, wie zum Beispiel eine Online-Computerspieleinheit, und schaffen auf diesem Weg neue, medienbezogene Gratifikationszugänge (vgl. Groeben 2002, 170-172). Insofern leistet der Vergleich von Rezeptionsweisen auch eine Verbreiterung der medialen Erfahrungswelt. Mit einem technischen Verfügbarmachen der verschiedenen beteiligten Medien werden RezipientInnen zudem dazu befähigt, ihr Streben zu befriedigen, alle Bausteine zu einer sie interessierenden Erzählwelt in Erfahrung zu bringen.
Medienbezogene Selbstwirksamkeit erfahren
Über Social-Media-Aktivitäten in Fanforen, über das Verfassen oder Kommentieren von Fanfiction, über Live-Chats mit Figuren der Erzählung o.Ä. eröffnen sich für RezipientInnen Räume der Interaktion und können RezipientInnen die Erzählung aktiv mitgestalten, sowohl ihre individuelle innere Repräsentation der Erzählung als auch die von Dritten wahrnehmbare Erzählung. Gerade bei Online-Aktivitäten kommen RezipientInnen zugleich leicht miteinander in Austausch. Manche intentionalen Erzählprojekte setzen auf die dezidierte Zusammenarbeit der RezipientInnen, beispielsweise darauf, dass diese Objekte oder Orte aus der Erzählwelt in der realen Welt aufsuchen oder sich in virtuellen Räumen kollaborativ auf Spurensuche begeben. RezipientInnen können sich so als einflussreiche Größe im literarischen System erfahren.
Ihre potentiell starke Rolle als MitgestalterInnen transmedialer Erzählungen zeigt sich auch darin, dass TextproduzentInnen mitunter Wünsche, Meinungen, Figurenpräferenzen der Fan-Community in die Fortentwicklung einer Erzählung einfließen lassen. Social-Media-Umfragen unter den Fans dürften (jedoch) vor allem als kostenlose zielgruppenspezifische Marktforschung fungieren. ProduzentInnen und RezipientInnen verhandeln im Fall kommerzieller Erzählprojekte nur scheinbar auf Augenhöhe. Handlungsleitend ist nicht, den Wünschen der Community möglichst genau zu entsprechen. Aufgegriffen werden vornehmlich solche Rückmeldungen der RezipientInnen, die mit den u.a. ökonomischen und künstlerischen Zielen der ProduzentInnen vereinbar sind. Im rezipientInnenfreundlichsten Fall wird eine Passung zwischen den Interessen der Produktions- und der Rezeptionsseite herzustellen versucht. Heranwachsenden sind diese Zusammenhänge so nicht unmittelbar zugänglich oder bewusst, so dass die Durchschlagskraft von RezipientInnen-Meinungen womöglich deutlich überschätzt wird und das erst noch zu entwickelnde Verständnis für die medienbezogene Selbstwirksamkeit leichter und fundamentaler enttäuscht werden kann.
Machtlos sind RezipientInnen gegenüber den ProduzentInnen aber keineswegs – sie sind elementarer Teil einer Konsumkette, ihre Interessen zu befriedigen ist daher durchaus im Sinn von ProduzentInnen; sie leisten zugleich wertvolle Community-Arbeit, d.h. sie mobilisieren durch Fan-Aktivitäten passivere RezipientInnen, werben Fan-Neuzugänge, führen diese in die Erzählwelt ein und halten das Interesse an der Erzählwelt aufrecht, während sich der nächste offizielle Baustein der Erzählwelt gerade in der Produktion befindet.
Auf der einen Seite können sich RezipientInnen folglich im Austausch untereinander und mit dem skizzierten Vorbehalt auch in der Interaktion mit Figuren oder ProduzentInnen als ein (gleichwertiges) Gegenüber anerkannt sehen und insbesondere in der Mitgestaltung der Erzählung medienbezogene Selbstwirksamkeit erfahren. Die erlebte Selbstwirksamkeit muss dabei nicht objektivierbar sein. Eine Social-Media-Kommunikation mit einer Figur aus der Erzählwelt mag bewirken, dass sich die/der RezipientIn als bedeutsam im transmedialen Erzählprojekt wahrnimmt. Die Kommunikation ist womöglich auch für andere z.B. im Chatverlauf sichtbar – und dennoch kann sie, von diesen als unwichtig kategorisiert, von deren Rezeption ausgeschlossen bleiben. Wird das Handeln einer/eines RezipientIn allerdings von anderen oder gar von den ProduzentInnen aufgegriffen, nähern sich subjektiv erlebte Selbstwirksamkeit und objektiv wahrgenommene einander an. Handelt es sich noch dazu um honorierende Thematisierungen (z.B. in Form von Likes oder beglückwünschenden Kommentaren), verbindet sich medienbezogene Selbstwirksamkeit mit einem Gemeinschaftserleben. Denn auf der anderen Seite lassen sich transmediale Erzählungen als potentielle Räume der Gemeinschaftserfahrung fassen.
Solche partizipativ-kollektiven Erfahrungen Heranwachsender sind sowohl unterrichtlich vorzubereiten als auch zu begleiten. Hierfür bieten sich handlungs- und produktionsorientierte Methoden an. Handlungsorientiert können sich Lernende als wirkmächtig erleben, wenn sie sich zum Beispiel in der Kommentarleiste zu YouTube-Videos an gegenstandsspezifischen Diskussionen beteiligen und ihre Beiträge in der Folge von anderen aufgegriffen werden. Die Planung dieser Beiträge kann gemeinschaftlich im Unterricht erfolgen.
Insbesondere bei seriellen transmedialen Erzählprojekten stellen Chats mit Figuren oder Videomeetings mit ProduzentInnen eine Möglichkeit für RezipientInnen dar, über die Fortentwicklung einer Geschichte in Austausch zu treten und ihre Wünsche vorzustellen sowie zu begründen. Hier ist im Vorfeld zu sondieren und reflektieren, ob im gewählten Erzählprojekt ein echtes Interesse an den Meinungen der Heranwachsenden zu erwarten ist. Bei jüngeren Lernenden, welche die medienbezogene Selbstwirksamkeit erst noch entdecken und erproben, sollten zu frühe Enttäuschungen in ebendiese eher vermieden werden. Mit fortgeschrittenen Lernenden hingegen kann das Konzept der medienbezogenen Selbstwirksamkeit durch eine in Kauf genommene bis hin zu intentional herbeigeführte Enttäuschung ausdifferenziert werden. Sie lernen so, dass die Möglichkeit zur Mitgestaltung der Erzählwelt durch die RezipientInnen zum Teil nur Illusion ist, um deren Involviertheit in die und Verbundenheit mit der Erzählwelt möglichst intensiv bzw. groß zu halten – und sie als zahlungskräftige KonsumentInnen zu erhalten.
Einen anderen handlungsorientierten Zugriff stellt eine kollaborative Spurensuche dar, auf welche sich Lernende begeben. Es wird erfahrbar gemacht, dass das eigene Engagement ausschlaggebend dafür ist, über welche individuelle Repräsentation der Erzählung und Erzählwelt man verfügt. Gleichzeitig ist das individuelle Engagement bei der kollaborativen Spurensuche an ein Kollektiv rückgebunden, welches erst in der Summe der von verschiedenen Beteiligten erlesenen, erspielten, ersehenen etc. Erzählbausteine zu einer differenzierten Erzählwelt gelangt und welches z.B. in Kriminalerzählungen nur durch das Engagement vieler den konstruierten Fall lösen kann. Der Beitrag einer jeden Schülerin/eines jeden Schülers erweist sich als relevant für die Lösung eines handlungsinitialen Konflikts, weil eine Person die Spurensuche allein nicht hätte bewältigen können. Die kollaborative Spurensuche ermöglicht somit nicht nur ein gemeinschaftliches Erfolgserlebnis, das sich in sozialer Hinsicht positiv auf die Lerngruppe auswirken kann. Sie stattet auch alle Beteiligten mit Verantwortung für ein Gelingen des Unterfangens aus und ermöglicht dabei zugleich individuelle Gratifikationserlebnisse, da das Individuum in seiner Repräsentation der Erzählung von der Kooperation profitiert.
Zu niedrigschwelligen produktionsorientierten Methoden wiederum zählt beispielsweise das Erstellen und Verbreiten von Memes zu einer transmedialen Erzählwelt. Das könnten insbesondere kleinformatige Adaptionen besonders eindrücklicher oder (z.B. popkulturell) bedeutsamer Szenen sein, ob bildlich, filmisch, verbalsprachlich oder auditiv, z.B. zur Star Wars-Szene "Möge die Macht mit dir sein!“ oder Gollums "Mein Schatz!“ aus Der Herr der Ringe. Memes werden über soziale Medien verbreitet und erfahren dort durch die rezipierende Community eine Bewertung. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Erzählung und der Rezeptionssituation ist Voraussetzung dafür, dass ein Meme positiv aufgenommen wird. Diese Auseinandersetzung lässt sich durch folgende Fragen anleiten: Welche Szene hat einen hohen Wiedererkennungswert, so dass das Meme von der Online-Community der Erzählwelt zugeordnet werden kann? Welche Online-Community wird adressiert – eine schulinterne Community, eine Fan-Community oder eine möglichst breite Öffentlichkeit – und welche Distributionswege sind entsprechend adressatInnenadäquat? Welchen Effekt soll das Meme hervorrufen, z.B. Bewunderung für eine möglichst originalgetreue Imitation oder für eine überraschende Neukontextualisierung? Positive Reaktionen der erreichten Community auf ein Meme können den Meme-ErstellerInnen ein Gemeinschaftserleben verschaffen. Werden im Fall eines parodistischen Memes negative Reaktionen geradezu provoziert und stellen sich diese ein, kann auch dies Selbstwirksamkeitseffekte zeitigen. Nicht intendierte Häme oder Kritik ist dagegen zu vermeiden, z.B. indem die Memes in einem mehrstufigen Verfahren der Verbreitung zunächst in einem geschützten Raum auf Publikum treffen und deren Reaktionen in die Reflexion und ggfs. Überarbeitung des Memes einbezogen werden.
Stärker als MitgestalterInnen einer transmedialen Erzählwelt können sich Lernende erfahren, wenn sie transmediale Expansionen selbst entwickeln und realisieren. Gegenstandsbezogene Voraussetzungen hierfür sind, dass sie Leerstellen in der Storyworld identifizieren und medienspezifische erzählerische Gestaltungsformen auf ihre u.a. inhaltliche Passung bewerten können. Leerstellen betreffen häufig die Vorgeschichte von Figuren, prospektiv deren Zukunft, wenn beispielsweise im chronologisch bislang letzten Erzählbaustein ein Bedrohungsszenario skizziert wird; in der erzählten Handlung fehlende Versatzstücke lassen sich durch ein Wiedererzählen aus 'Sicht‘ einer Nebenfigur oder in der Wahl anderer Erzählperspektiven auffüllen. Als Produkt kann ein Umsetzungskonzept entstehen (z.B. ein Storyboard) oder dessen partielle bis vollständige Realisierung (z.B. als Realfilm; als Stop-Motion-Film mit Spielfiguren; als verbalsprachlicher Erzähltext). Um die Produkte zu einem Baustein der überindividuellen Erzählwelt werden zu lassen, bedarf es einer Öffentlichkeit, die diese wahrnimmt. Hier ist ebenfalls zu reflektieren, welche RezipientInnenkreise anvisiert werden und welche Distributionswege entsprechend zu wählen sind.
Mit Fiktionalität bewusst umgehen
Transmediale Erzählungen reichen häufig weit in die reale Welt hinein. Insbesondere durch den Einsatz von Push-Nachrichten und sonstige Formen des Echtzeit-Erzählens wird die Grenze zwischen aktiv herbeigeführtem Rezeptionsvorgang und Rezeptionsabstinenz verwischt, Echtzeitinteraktionen von RezipientInnen mit der Storyworld machen die Grenze zwischen Fiktion und Realität ebenfalls durchlässig. Parasoziale Bindungen von Heranwachsenden zu authentisch angelegten Charakteren (vgl. Payrhuber 2012, 39 zu Seriencharakteren) erhöhen rezipientInnenseitig die Schwierigkeit, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden.
Wo transmediale Erzählungen dieser Prägung zum Konsumverhalten von Heranwachsenden zählen, ist die Reflexion solcher Grenzüberschreitungen von besonderer Relevanz. Zu einem bewussten Umgang mit Fiktionalität (vgl. Spinner 2006, 10f.; Krah 2018) führt zum einen die Erarbeitung von Fiktionssignalen. Diesen kann mit Zipfel (2014) auf der Ebene des Erzähl-Inhalts, der Ebene der Darstellung und der Ebene der Kommunikation zwischen AutorIn (allgemeiner: TextproduzentIn) und RezipientIn nachgegangen werden.
- Auf Ebene des Erzähl-Inhalts (bzw. der Handlung) lassen sich Fiktionssignale ermitteln, wenn die fiktive Welt von der realen Welt abweicht. Leitfragen für die Lernenden können lauten: Kommt Unwahrscheinliches bis Fantastisches vor? Welche Personen und Ereignisse sind nicht referenzialisierbar, d.h. haben keine Entsprechung in der realen Welt? Insbesondere für die Einordnung von Personen und Ereignissen als fiktiv ist das Weltwissen der RezipientInnen von Relevanz. Pseudo-authentisch angelegte Erzählungen sind eine besondere Herausforderung; einen Ansatzpunkt zur Dekonstruktion stellen bei filmischen Erzählbausteinen die DarstellerInnen dar: Über Rechercheaufträge werden Lernende auf die reale Person hinter der dargestellten Figur geführt. Kommen wiederum realhistorische Personen vor, können Vergleiche z.B. zwischen realer und durch fiktionale Rede in Kraft gesetzte Biographie angeleitet werden, um auf Unterschiede aufmerksam zu machen.[10]
- Fiktionssignale auf Ebene der Darstellung betreffen die Art des Erzählens. Auf Fiktionalität lassen beispielsweise spezifische Formen der Informationsvergabe schließen: So ist ein Hinweis auf fiktionales Erzählen, wenn eine Erzählinstanz auszumachen ist, die über mehr und andere Informationen verfügt, als dies bei einer/einem realen ErzählerIn der Fall sein könnte. Beispiele für 'übernatürliche‘ Informationsvergabe und damit für Fiktionssignale sind ein außerordentliches Erinnerungsvermögen der Erzählinstanz, enormes Detailwissen bis hin zu Allwissenheit oder der Blick in die Psyche Dritter (vgl. detaillierter: Leubner/Saupe 2012, 97). Audiovisuelle Erzählbausteine lassen ihre Fiktionalität erkennen, wenn es als unwahrscheinlich eingestuft werden kann, dass eine Kamera bei einem dargestellten Geschehen anwesend ist bzw. war (vgl. Leubner/Saupe 2012, 97).
Ästhetische Konstruktionsmechanismen sind auf Darstellungsebene ein weiteres Indiz für Fiktionalität. Medienübergreifend weisen beispielsweise Wiederholungsstrukturen in einer Geschichte auf eine fiktionale Überformung hin ebenso wie strukturelle intertextuelle Übereinstimmungen (z.B. mit einem verbalsprachlichen literarischen Text) in der Ereignisfolge. Die Spiegelung der Figureninnenwelt in der Außenwelt wäre ein anderes Merkmalsindiz für eine starke ästhetische Konstruktion des Dargestellten. Visuell lassen aufwändige Kameraführung und Schnitttechnik ebenso wie symbolisch aufgeladene Raumarrangements auf einen starken Inszenierungscharakter schließen; diese Darstellungsmittel können insbesondere dann als Fiktionssignal gewertet werden, wenn sie in pseudo-authentischen spontanen Erzählsituationen (z.B. 'Erzählen am Küchentisch‘) vorkommen. - Auf Ebene der Kommunikation gehen AutorIn/ProduzentIn und RezipientIn einen Fiktionsvertrag ein, demzufolge beide Parteien so tun, als ob eine tatsächliche Geschichte erzählt würde. Paratextuell kommt der Fiktionsvertrag in Form von Titel, Gattungsbezeichnung oder AutorInnen-, Produktionsfirmen-Verweis o. Ä. zum Ausdruck. Hier ist der Übergangsbereich in die Fiktion als solcher pragmatisch markiert (vgl. auch Nickel-Bacon/Groeben/Schreier 2000). Dies kann als Ansatzpunkt für die unterrichtliche Arbeit genutzt werden. Mittels gezielter Rechercheaufträge können RezipientInnen einerseits auf die Produktionsseite der Erzählung und damit auf ihre (professionelle) Gemachtheit (vs. Natürlichkeit, Authentizität) geführt werden, andererseits ordnen sie Hinweise auf die Produktionsseite danach ein, ob es sich mutmaßlich um eine fiktive oder reale Geschichte handelt (z.B. nach der Maßgabe, ob bei einem Baustein eine Spielfilmproduktionsfirma verantwortlich zeichnet). Auch durch RezipientInnen wahrgenommene Unstimmigkeiten und Brüche in der Narration bis hin zum Gefühl, aus der Narration 'herauszufallen‘, sind in dieser Diskussion produktiv zu machen.
Zum anderen eignen sich transmediale Erzählprojekte in besonderer Weise zum literarischen Lernen in der Teildimension des bewussten Umgangs mit Fiktionalität, indem medienspezifische Rezeptions- und Interaktionsmöglichkeiten sowie damit zusammenhängende Immersionspotentiale zum Reflexionsgegenstand gemacht werden. Durch die eigenständige Erprobung der medial verteilten Erzählung können sich Lernende die unterschiedlichen Modi der Rezeption und Interaktion erarbeiten (vgl. einführend Leubner/Saupe 2012, 259-295) und in Kombination mit der Recherche (z.B. in Fanforen) von Berichten über Immersionserleben Faktoren der erfolgreichen RezipientInnen- bzw. NutzerInnen-Bindung zu identifizieren versuchen. Medienbezogene Kritikfähigkeit verbindet sich hier mit bedürfnisorientierter Mediennutzungskompetenz (vgl. grundlegend Groeben 2002, 172-175): Das Wissen darüber, welche u.a. mit narratologischem Beschreibungsinventar zu erfassenden Texteigenschaften besondere Sogwirkung entfalten, ermöglicht Lernenden eine Distanznahme zum Erzählangebot.[11] Auf dieser Grundlage wird nicht nur kritische Distanznahme zum eigenen Medienkonsum ermöglicht, sondern können Analysekriterien den Lernenden zukünftig auch als Bewertungskriterien bei der Auswahl von transmedialen Erzählungen dienen.
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Fußnoten
[1] Unter einer solitären oder monomedialen Erzählung sei hier im Unterschied zu einer transmedialen Erzählung ein einzelner Erzähltext verstanden, der eine einheitliche, im prototypischem Fall eine in sich geschlossene textuelle Gestalt annimmt (z.B. in Buchform, in Heftform, als Video, als Audiodatei, als Computerspiel). Nachrangig bei dieser kontrastiven begrifflichen Profilierung ist hingegen der mediale Status dieses Einzeltexts.
[2] Unter Bildungsmedien im engeren Sinn lassen sich solche medialen Produkte erfassen, die speziell für Lehr-Lern-Situationen entwickelt wurden und i.d.R. eine didaktische Strukturierung aufweisen. Davon lassen sich mediale Produkte unterscheiden, die nicht mit dieser Zweckorientierung entstanden sind, aber eingesetzt werden – wie hier für transmediale Erzählungen vorgeschlagen. In Bezug auf ihren Verwendungszweck sind sie von einem weiten Bildungsmedienverständnis erfasst.
[3] In Bezug auf nicht-fiktionale medienübergreifende Erzählsysteme hat sich dagegen im sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Diskurs die Bezeichnung Crossmedialität etabliert (z.B. in den Bereichen Journalismus und Werbung; vgl. Eder/Thon 2012, 140).
[4] Als prominentes Beispiel wird der Comic angeführt, der semiotisch nicht vom illustrierten Printmedium und techn(olog)isch nicht vom Buch unterschieden werden kann, dennoch als Medium bezeichnet wird, vgl. Friedmann (2016, 14). Den kulturellen Zugang einbezogen, kann der Wechsel vom Comic zum Roman entsprechend als Mediensprung eingeordnet werden.
[5] Dies dürfte allerdings nicht nur für transmediales Erzählen gelten. Immerhin ist die Ausrichtung ästhetisch-erzählender Produktionsprozesse an Zielgruppen gang und gäbe. Das 'Autorgenie‘ ist im Literaturbereich ohnehin mehrheitlich verabschiedet; in ganzen Märkten herrscht weniger das Primat des Werks als vielmehr das Primat des unique selling points vor. Eine auf das Erleben der RezipientInnen zu stark ausgerichtete ästhetische Produktion ist auch regelmäßig Gegenstand von Kritik – man denke beispielsweise an feuilletonistische Kritik an sog. Gefälligkeitsliteratur, an Vorwürfe der Effekthascherei gegenüber Slam Poetry und der Abqualifizierung von Computer- zu "Ballerspielen“.
[6] Solche Perspektivierungen lassen sich allerdings in nicht-verbalsprachlichen Erzählungen/Erzählbausteinen nur sehr eingeschränkt auf eine konkret fassbare Erzählinstanz zurückführen und werden rezipientInnenseitig womöglich am ehesten einer (hypothetischen) AutorInnen-Instanz zugeschrieben (vgl. Thon 2016, 165).
[7] Das Lernspiel zum Film liegt derzeit als Prototyp vor.
[8] Hingegen führen Kumschlies/Kurwinkel (2019, 81f.) auf, welche Anschlüsse an Medienkompetenz und literarisches Lernen transmediale Erzählungen prinzipiell eröffnen.
[9] Tosca/Klastrup (2020, 25) skizzieren eine Forschungsrichtung innerhalb der Transmedialitätsforschung, welche die zentrale Rolle von Figuren für die rezipientInnenseitige Kohärenzbildung in und für transmediale Erzählungen hervorhebt. Dies stützt den hier vorgeschlagenen figurenorientierten Zugriff.
[10] Dennoch sind gerade Erzählungen, die von sich behaupten, dass es sich beim Erzählten um wahre Begebenheiten oder z.B. im Fall von Alternate-Reality-Games dezidiert nicht um Spielsituationen handele, auf Ebene des Erzähl-Inhalts häufig nicht als Fiktion zu identifizieren. Hier sind Fiktionssignale auf den anderen beiden Betrachtungsebenen aufzusuchen.
[11] Hierin ist die unterrichtliche Auseinandersetzung mit transmedialen Erzählungen auch hochgradig anschlussfähig an Forderungen des KMK-Strategiepapiers zu "Bildung in der digitalen Welt“ nach Analyse-, Reflexions- und Wertungskompetenz in Bezug auf Gestaltungsmittel, Wirkung und Nutzung digitaler Medien (vgl. KMK-Strategiepapier 2016, 18f.)
Zur Person
Dr. Christine Ott, Jg. 1986, wissenschaftliche Assistentin/Akademische Rätin a. Z. am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur der Universität Würzburg. Forschungsschwerpunkte: Außer- und nicht-schulische Literatur- und Sprachvermittlung, Bildungsmedienforschung, Sprachbasierte Kulturanalysen, Diversität in Sprache und Literatur.