Inhaltsverzeichnis
1 1896-1918: Die Flegeljahre des Kinos und das Goldene Zeitalter der Kinematographie
2 1918-1933: Kinder- und Jugendkino in der Weimarer Republik
2.1 Kinder und Jugendliche in den Kinos der Weimarer Republik
2.2 Schul- und Unterrichtsfilme
2.2.1 Die Lehrfilme der Ufa
2.2.2 Filme in den Schulen
2.2.3 Exkurs: Schulkinematographen und Medienerziehung in der Großstadt
2.3 Lichtspielhäuser: Vom Hort der geplagten Menschen zu den Kathedralen des Films
2.4 Vom Stummfilm zum Tonfilm
2.5 Kinder und Jugendliche als Kinobesucher
2.6 Kinder vor der Kamera
2.7 Kinder- und Jugendfilme der Weimarer Republik
3 Märchen-Stummfilm in Deutschland
1907 begann in Deutschland mit der Kinoreformbewegung (siehe dazu Kapitel 1) die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Medium Film. Parallel dazu bestand bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine rege Schulfilmbewegung. Sie wurde besonders von dem Engagement einzelner Lehrer getragen.
In Hamburg war es der Pädagoge Ferdinand Frohböse, der Michael Töteberg zufolge den Kinematographen als vorzügliches Veranschaulichungsmittel dem Schul-Unterricht ansah (vgl. Töteberg 1997, S. 28). Frohböse setzte seine Idee in die Tat um, schnitt aus französischen Kopien Unterrichtsfilme zusammen und zog damit über die Dörfer. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass dann auch regelmäßige Schulvorstellungen in den örtlichen Kinos stattfanden.
In seinem Kampf gegen den sogenannten 'Kinoschund' ließ Frohböse auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht nach. Er trat auf vielen Versammlungen auf und versuchte, Eltern und Jugendliche als Verbündete zu gewinnen. Er erreicht, dass in der Hansestadt Hamburg ein Staatliches Lichtbildamt geschaffen und ihm die Leitung übertragen wurde.
In seiner Dokumentation "Unterrichtsfilme im Nationalsozialismus" nennt Michael Kühn als einen weiteren Initiator Hermann Lemke, einen Schuldirektor aus Storkow bei Berlin. Dieser gründete im Oktober 1907 in Berlin die Kinematographische Reformvereinigung, die eine Vermittlungsstelle zwischen Behörden, Lehrern, Filmherstellern und Kinobesitzern sein sollte, zudem setzte er sich für die Gründung einer amtlichen Zentrale ein, in der "alle Filme gesammelt und zusammengestellt werden, welche für den Schulunterricht brauchbar und ersprießlich sind." (Kühn 1998, S. 11) Hermann Lemke entwickelte ein Organisationsmodell, wie es später teilweise in der Amtlichen Bildstelle und in der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (RWU) realisiert worden ist.
Es dauerte lange, bis zum Einsatz von Filmen unter didaktischen und methodischen Fragestellungen eine Einigung erzielt wurde. Das spiegelt sich auch in der lange Zeit uneinheitlichen Begrifflichkeit: der "Lehrfilm" bezog sich zumeist auf den Bereich der Volksbildung, der "Schulfilm" auf die Schulen. Hinzu kamen noch die "Kulturfilme", Filme ohne Spielhandlung für das Kino. Einen gewissen Abschluss fanden die Auseinandersetzungen um die begriffliche Differenzierung in den von der 2. Internationalen Lehrfilmkonferenz in Wien 1931 aufgestellten Richtlinien. Hier wurde der Unterrichtsfilm gegenüber dem Lehr- und Forschungsfilm abgegrenzt und definiert als "eine für den schulmäßigen Wissens- und Bildungserwerb geeignete Lichtbildfolge, die einen deutlich begrenzten, dem Lehrplan entsprechenden Lehrinhalt bietet und nach didaktischen Gesichtspunkten aufgebaut ist." (Kühn 1998, S. 22)
Die Lehrfilme der Ufa
Ungeachtet der terminologischen Differenzen wurde der methodische Einsatz von Filmen in verschiedenen Unterrichtsfächern von vielen Pädagogen und Organisationen unterstützt. Den Unterrichts- und Erziehungsbehörden hingegen fehlte es fast völlig an Verständnis für das neue Unterrichts- und Bildungsmittel. Dies änderte sich nur langsam: So wurden etwa 1917 in Stettin und München Kongresse durchgeführt, die Grundlagen für eine schrittweise Zentralisierung des Schulfilmwesens schufen.
Die Kinoreformbewegung wurde nun durch die Einflussnahme staatlicher Stellen abgelöst, die zuvor den Medium Film ablehnend gegenüber standen. Den Grund für diese veränderte Haltung sieht Michael Kühn in der "staatlichen Filmproduktion für Propagandazwecke während der letzten Kriegsjahre und in dem finanziellen Engagement der Reichsregierung in der Ufa" (Kühn 1998, S. 14).
Klaus Kreimeier führt die Hintergründe für diese Entscheidung auf: "Von Anfang an ging es dem ersten deutschen Film-Konzern nicht nur darum, den Markt der Unterhaltungs- und Zerstreuungsmedien zu beherrschen, sondern auch um führenden Einfluß auf dem noch wenig entwickelten Gebiet des Kultur- und wissenschaftlichen Unterrichtsfilms. Der Lehrfilm, so die Ufa in einer programmatischen Schrift von 1919, sei ein 'politischer Pionier'; leichter und vielfältiger als durch das gedruckte Wort werde 'durch das lebendige Bewegungsbild eine Anerkennung deutscher Erfolge auf wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiete bei den Völkern jenseits der Grenzen und jenseits des Ozeans erzielt werden.'" (Kreimeier 1992, S. 208)
Die Kulturabteilung der Ufa forcierte die Herstellung des Lehrfilms auf allen Gebieten des Unterrichts und die Zusammenarbeit mit den deutschen Städten, mit Universitäten, Schulen, Fachschulen und Fortbildungsstätten. Der Lehrfilm als 'politischer Pionier' hatte nach den Vorstellungen der Ufa "ein Jahr nach der militärischen Niederlage Deutschlands und vor dem Hintergrund des Wiederaufrüstungsverbots, auch eine sehr konkrete ideologische Aufgabe zu übernehmen. Eine größere Zahl der zu Unterrichtszwecken hergestellten Filme widmete sich der 'körperlichen Ausbildung' der Jugend wie auch, erklärtermaßen, der 'militärischen Dienstausübung'. Der 'unschätzbaren Kräftigung der Jugend' war auch der wichtigste Film gewidmet, der aus der Arbeit der Kulturabteilung hervorging: Wege zu Kraft und Schönheit (Wilhelm Prager, 1925), ein mit dem Prädikat 'volksbildend' ausgezeichneter 'Film über moderne Körperkultur', verhehlte bei allen kulturhistorisch-aufklärerischen Ambitionen keineswegs seine auf die Wiederherstellung germanischer Wehrtüchtigkeit gerichtete Tendenz." (Kreimeier 1992, S. 209) Wege zu Kraft und Schönheit von Wilhelm Prager und Nicholas Kaufmann (Regie und Drehbuch) basiert auf der Massensport- und Körperkultur-Bewegung der 1920er Jahre und propagiert die körperliche Ertüchtigung. Er zeigt in stilisierten Dokumentarszenen Körperpflege, Gymnastik, Sport und Tanz, sowie Szenen, in denen Sportler nackt posieren.
Siegfried Kracauer erkannte die Ambivalenz der Körperkultur, die in Pragers Film propagiert wurde:
Zwei Richtungen – vielleicht auch mehrere – mengen sich fortgesetzt in ihm. Die eine erblickt in der Körperpflege und beim richtig betriebenen Sport ein Mittel, um die Menschen bei guter Gesundheit zu halten und gewisse leibliche Tugenden ihnen einzuflößen. Diese Entwicklung ist vernünftig durchaus; sie organisiert auf dem Gebiet des Körperlichen, was zu organisieren ist. Gymnastische Übungen am frühen Morgen, die rationelle Ausbildung kranker Schulkinder auf dem Land, Erholungsspiele und der eine oder andere Lieblingssport: niemand wird wider Hygiene und Körperlust etwas einzuwenden haben. Der Film zeigt eine Reihe von Beispielen, die zu solchem löblichen Tun ermuntern und erzieherisch wirken mögen.
Die andere Richtung, die sich leider stark hervordrängt, wird durch einen Satz des Filmprospektes gekennzeichnet, der die 'ethische, man möchte fast sagen religiöse Bedeutung der Körperkultur' rühmt. Eine Überschätzung des Bloß-Natürlichen, der die Körperkraft und Körperschönheit unversehens zum Kult gerät. (Beitrag in der Frankfurter Zeitung vom 5.8.1926)
Filme in den Schulen
Einen Wendepunkt in der Geschichte der Lehr- und Schulfilmbewegung markiert das Jahr 1922: "Mit der Rückgabe der Staatsbeteiligung am Ufa-Konzern trat ein Umschwung in der Geschäftspolitik der dortigen Kulturabteilung ein, die sich nunmehr auf die Produktion von Theaterbeiprogrammen und großen Kulturfilmen konzentrierte und sich damit vom Bereich des Lehrfilms abwandte." (Kühn 1998, S. 15) Unterstützt wurde dieser Ansatz von großstädtischen Bildstellen mit dem Ziel, Mittel und Wege zu finden, um die pädagogisch wertvollen Kinofilme, wie beispielsweise Märchen- oder Naturfilme, die in den Kindervorstellungen gezeigt wurden, an und in die Schulen selbst zu bringen. Mitte der 20er Jahre wurden in vielen Städten und Kreisen halbamtliche oder amtliche Bildstellen eingerichtet, in denen u.a. Spielfilme als "künstlerisch" oder "volksbildend" eingestuft wurden. Diese Einrichtungen waren überwiegend mit unzureichenden organisatorischen und finanziellen Mitteln und Möglichkeiten ausgestattet, sodass sie kaum den grundlegenden pädagogischen Intentionen entsprechen konnten.
Auch den Ufa-Kulturfilmen stellte Siegfried Kracauer in seinem Jahresrückblick Ende 1928 in der Frankfurter Zeitung kein gutes Zeugnis aus. Ausgehend von seiner Einschätzung der dokumentarischen Filme ("Sie sperren vom Leben ab, das uns einzig angeht, sie überschütten das Publikum mit einer solchen Fülle gleichgültiger Beobachtungen, dass es gegen die wichtigen abstumpft. Eines Tages wird es völlig erblinden.") schrieb er: "Auch die üblichen Kulturfilme hüten sich ängstlich davor, unserer Kultur auf den Leib zu rücken. Lieber schweifen sie zu der fremden: zu afrikanischen Völkerstämmen, zu den Sitten und Gebräuchen der Eskimos, zu Schlangen, Käfern und Palmen... Von der Pferdezucht bis zur Teppichknüpferei ist kein ausgefallener Gegenstand vor ihrer Volksbildung sicher." (Kracauer 1974, S. 299)
Die Ufa war nicht der einzige Filmproduzent, der sich um Lehrfilme bemühte, vielmehr tummelten sich hier, ähnlich wie im Spielfilmbereich, ab 1919/20 eine Vielzahl von Firmen. Organisatorisch war die Lehrfilmbewegung zu Beginn der 20er Jahre von einer Zersplitterung in eine Vielzahl von Organisationen mit teilweise unterschiedlichen Zielrichtungen gekennzeichnet. Als Kommunikationsorgan diente die Zeitschrift "Der Bildwart. Blätter für die Volksbildung". Nationale und Internationale Bildwochen dienten als Informationsveranstaltungen für Interessierte und zur Vorstellung neuer, empfehlenswerter Bildreihen und Lehrfilme.
In der ersten Hälfte der 20er Jahre wurden auch wichtige theoretische Beiträge zur Entwicklung der Didaktik und Methodik des Filmeinsatzes in der Schule geleistet. Michael Kühn nennt hier den Münchner Lehrer Hanns Belstler. Er stellte 1923
als erster überzeugende Versuche der Integration des Films in den Unterricht vor und zeigte, dass der Film im Klassenunterricht eine besondere Form haben müsse, besonderen Inhalt und besondere Gestaltung. Auch entwickelte er stark ganzheitlich geprägte und gesamtunterrichtlich akzentuierte Zielvorstellungen, die zugleich aber am produktiven Denken orientiert waren [...] Hier zeigt sich, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Lehr- und Schulfilmbewegung die Orientierung nicht am Medium, sondern am autonomen Medium. (Kühn 1998, S. 18)
Parallel dazu sprach sich der ungarischstämmige Schriftsteller, Filmautor und -theoretiker Belá Balázs (1884-1949) für die Anerkennung des Films als neuer Kunstform aus und plädierte dafür, den Film dementsprechend auch in den Unterricht zu integrieren, als Bestandteil der ästhetischen Bildung. Anlässlich einer Fachkonferenz der Volksbildner 1925 in Wien unter dem Titel "Filmkunst und Kunstfilm" schlug er eine Resolution vor: "Man möge in den Schulen den ästhetischen Unterricht nicht nur auf die Literatur, die Musik und die bildenden Künste beschränken, sondern auch auf die Filmkunst als auf die Volkskunst der Zeit ausdehnen und für die entsprechende Vorbildung der Lehrer Sorge tragen." (Balázs 1982, 351) Balázs begründet seinen Einsatz für die Filmerziehung Schmerling zufolge mit zwei Argumenten – mit dem "massenmedialen Charakter des Films [und mit den] besonderen Bedingungen, die auf dem Filmmarkt herrschten [und deshalb eine] intensive[..] Filmerziehung" notwendig machen (Schmerling 2007, S. 190).
Die Lehrfilmbewegung geriet in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in eine Krise. Ungeachtet der Versprechungen gewährte der Staat keine aktive oder finanzielle Unterstützung. Die vielen hoffnungsvoll gegründeten Schulkinogemeinden mussten im Verlauf der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit wieder einstellen. Die Einführung von Filmen im 16mm-Format führte zur Verunsicherung nicht nur der Lehrfilmhersteller, sondern auch der Befürworter des Lehrfilms. "Die Frage nach der Einführung des Tonfilms spielte demgegenüber in der Diskussion praktisch keine Rolle. Technische und finanzielle Hürden erschienen als zu hoch, um an die Nutzung des Tones in absehbarer Zeit zu denken, obwohl dessen Möglichkeiten, zumindest teilweise, erkannt worden sind." (Kühn 1998, S. 20)
Dementsprechend fasst Michael Kühn die Auseinanderentwicklung von Kultur-, Lehr- und Unterrichtsfilm wie folgt zusammen:
[D]ie Schulfilmbewegung der Weimarer Republik kam in didaktischer und methodischer Hinsicht zu einer Vielzahl wegweisender Ergebnisse [...]. Die Erfolge der Praxis aber blieben weit hinter den theoretischen Erkenntnissen zurück. Immer noch war der Film kein anerkanntes und weit verbreitetes Unterrichtsmittel. Insbesondere konnten die organisatorisch-finanziellen Fragen in bezug auf eine planmäßige Unterrichtsfilmproduktion und einen regelmäßigen Filmeinsatz in der Schule nicht gelöst werden. (Kühn 1998, S. 25)
Endgültig zentralisiert wurde das Unterrichtsfilmswesens unter staatlicher Leitung erst unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, die auch das Bildstellenwesen neu ordneten, Filmindustrie, Filmproduktion und Erziehungswesen gleichschalteten und Vorgaben für den Medieneinsatz im nationalsozialistischen Schulunterricht vereinheitlichten ("Rundfunk und Film als Erziehungsmittel"). All diese Maßnahmen konzentrierten sich 1934 in der Gründung der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm G.m.b.H. (RfdU). Ab 1936 war das Erziehungsministerium der einzige Gesellschafter. Die Institution wurde 1940 zur „Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ (RWU) umbenannt. Rechtsnachfolger ist das 1945 gegründete Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) als gemeinsames Medieninstitut der Länder der Bundesrepublik Deutschland.
Exkurs: Schulkinematographen und Medienerziehung in der Großstadt
Am Beispiel der Stadt Düsseldorf lassen sich die Initiativen der Pädagogen für die Einrichtung von Schulkinematographen anschaulich verdeutlichen. Sabine Lenk hat diese Entwicklung in ihrem Buch Vom Tanzsaal zum Filmtheater. Eine Kinogeschichte Düsseldorfs beschrieben. Ausgangspunkt war ein Erlass des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 10.3.1920, der die Lehreinrichtungen zur gemeinschaftlichen Anschaffung von Vorführapparaten und Filmen aufruft. Es wurde eine Arbeitsgemeinschaft für Jugendlichtspiele in Düsseldorf gegründet, die am 1.10.1921 die Einrichtung von Schulkinos beschloss. Zur Anschaffung und zum Austausch von Lehrmitteln und Filmen wurde am 1.4.1922 die städtische Bild- und Filmstelle in Düsseldorf gegründet. Neben der Integration von Film und Dias in den Unterricht vor Ort gilt auch die Vorführung von Lehr- und Kulturfilmen im Kino als bildend.
Neben der Zusammenarbeit mit kommerziellen Filmtheatern wurden auch andere Räumlichkeit zur Vorführung von 'pädagogisch wertvoller Unterhaltung' genutzt, beispielsweise die Rheinhalle mit ihrer außerordentlichen Platzkapazität von ca. 2.000 Sitzen. Gezeigt wurden überwiegend Naturfilme und Expeditionsfilme über entlegene Gegenden und ferne Erdteile.
Das Angebot der Bild- und Filmstelle an Materialien wurde kontinuierlich erweitert, das technische Equipment vergrößert und die Anzahl des Personals erhöht. Der Volksschullehrer Hermann Boß, bislang nebenamtlicher Leiter der Institution, nahm diese Funktion ab 1.4.1929 hauptberuflich wahr; ab Ende September 1929 wurde er Direktor der Staatlichen Bildstelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf. Die Städtische Bild- und Filmstelle geht am 1.10.1932 mit ihren Beständen in ihr auf. Die neue Einrichtung kam der Medienpolitik der Nationalsozialisten gelegen, denn "[d]ie Manipulationskraft des bewegten Bildes ist den neuen Machthabern bewusst. Sie bringen die Institution schnell unter ihre Kontrolle." (Lenk 2009, S. 80)
In Frankfurt am Main war es wie in Düsseldorf die Stadt selbst, die Gemeinschaft der Bürger, die zu Beginn der zwanziger Jahre die kulturellen Belange und damit auch die "Jugendpflege" und "Volksbildung" in ihre Verantwortung nahm und zu koordinieren suchte. Im November 1921 schlossen sich die für die Aufgabe der Kinoreform und der Volksbildung interessierten Verbände zu einem "Ausschuss für Lichtbildpflege" zusammen. Man wollte insbesondere die Frankfurter Lehrerschaft für die Durchführung von Schulkinoveranstaltungen gewinnen. Erst drei Jahre später, im Februar 1924, konnte diese Idee realisiert werden. Ausschlaggebend war die Gründung einer speziellen Filmabteilung der früher das Kino ablehnenden Vereinigung Kunst und Jugend.
In der "Frankfurter Zeitung" vom 24. Februar 1924 stellte Siegfried Kracauer die Filmveranstaltungen von Kunst und Jugend vor, die überwiegend mit naturwissenschaftlichen und heimatkundlichen sowie mit Expeditions- und Märchenfilmen bestritten wurden:
Eine Reihe von Kinotheatern ist für die Vorführungen gewonnen worden. Die Darbietungen finden vor allem im großen Saal des Volksbildungsheimes und im Schumanntheater statt; auch die Neue Lichtbühne in der Vilbelerstraße und eine Reihe von Kinos an der Peripherie räumen ihnen Säle ein. Von den 25 000 Plätzen, die im ganzen zur Verfügung stehen, haben sich die Schulen bereits eine Mehrzahl für die nächste Vorstellung gesichert. Die Klassen kommen geschlossen hin; der sie begleitende Lehrer genießt natürlich freien Eintritt. Da die Stadt Steuerfreiheit gewährt, können die zur Deckung der Selbstkosten erhobenen Eintrittsgelder niedrig gehalten werden.
Schulkinos oder spezielle Kinovorführungen für Schüler gab es jedoch nicht nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Land. In dem Buch Spurensuche. Film und Kino in der Region wird in dem Kapitel "Wanderkino in Ostfriesland" u.a. ein Unternehmen namens "Ostfriesische Lichtspiele" beschrieben, dessen Betreiber vermutlich auch der "Welt-Kinematograph" gehörte, der ab 1920 unterwegs war. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Zusatz "spielt in Schulen!", wie aus dem Reichskino-Adressbuch hervorgeht. Der Besuch eines solchen Wanderkinos wird in einem Schulaufsatz vom 15.11.1921 beschrieben, der im Ostfriesischen Schulmuseum Folmhusen (ein Ortsteil der Gemeinde Westoverledingen in Ostfriesland) aufbewahrt wird:
Nr.12. Kino in der Schule. Wir hatten am Sonnabend den 5. November Kino in der Schule. Der Onkel kam mit dem 9 Uhr Zug. Das Kino fing um 1/2 11 Uhr an. Es kamen auch die Kinder von Großwolde, so waren wir viele Kinder, und der Onkel (wahrscheinlich der Kinobesitzer. H.S.) bekam viel Geld. Als wir in der Schule kamen, war es sehr dunkel, und als wir alle saßen, sahen wir Bilder an der Wand. Zuerst sahen wir viele Tiere: Marder, Fischotter, giftige Schlangen, Füchse und Hunde. Dann sahen wir Bilder von der Königin Luise. Die Bilder waren alle schön, aber das letzte war am schönsten. Es war ein Mann, der saß zu schreiben; er hatte das Tintenfaß bei sich stehen. Er schrieb 'In Amerika ist es sehr heiß.' Als er dieses geschrieben hatte, kam ein Elefant und steckte seinen Rüssel in das Tintenfaß, als der Mann sich umsah, machte der Elefant ihn voll Tinte, so dass der Mann ganz schwarz war. Damit war das Kino zu ende. Bewertung: 'Gut!'. (Steffen/Thiele/Poch 1993, S. 106)
Literaturverzeichnis
Anmerkung: Bei Zitaten aus der Zeit der Kinoreformbewegung sind die im Original gebräuchlichen Schreibweisen wie beispielsweise "der Kino" oder "die Films" den heutigen Bezeichnungen angepasst.
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- Balázs, Béla: Schriften zum Film. Erster Band: "Der sichtbare Mensch". Kritiken und Aufsätze 1922-1926. Berlin 1982.
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