Der Blick auf das Schreiben ist nicht zuletzt mit Carolin Amlingers viel beachteter Studie Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit (2021) – sowie jüngst mit Steffen Martus‘ und Carlos Spoerhases Band Geistesarbeit (2022) – wieder stark in die Aufmerksamkeit des öffentlichen Diskurses gerückt. Amlinger analysiert die Paradoxien des Literaturmarkts, dessen Struktur sich auf den ersten Blick seit Pierre Bourdieus Die Regeln der Kunst (1992) nur wenig verändert zu haben scheint. Prototypisch fasst etwa eine Rezension in der Zeit die immer noch wirkmächtigen Diskurse ums Schreiben zusammen: "Man schreibt für die Ewigkeit und nicht für ein Massenpublikum".
Bei näherer Betrachtung aber haben gesellschaftliche, ökonomische und technologische Entwicklungen die Literaturbranche grundlegend verändert. Autorinnen und Autoren inszenieren sich z. B. systematisch über soziale Medien und werden auf diese Art öffentlich so sichtbar wie nie, und sie stehen für Marketing wie werkpolitische Deutungsstrategien als öffentliche Personen ein. Digitalisierung und insbesondere Self-Publishing bieten neue Möglichkeiten zur Veröffentlichung – und Aktivistinnen und Aktivisten kämpfen für mehr Diversität auch in der Literatur und im literarischen Feld. Transmediale und global agierende Medienunternehmen stellen bisherige Definitionen von Autorschaft in Frage, aber auch kleinere crossmediale Projekte entwickeln neue Konzepte eines multimodalen und kooperativen Schreibens. Und in der Figur des Prosumers löst sich die grundlegende (hochkulturelle) Trennung von Autorin und Autor sowie Leserin und Leser auf.
Die Kinder- und Jugendliteratur ist Teil dieser Veränderungen und zugleich schon immer ein Feld, das germanistische Konzepte von literarischem Wert, von "l’art pour l’art" und Autorschaft vor besondere Herausforderungen stellt. Serielle Erzählungen entstehen aus der Arbeit von Autorenkollektiven, im Bilderbuch verwischt die Grenze zwischen Autorinnen und Autoren sowie Illustratorinnen und Illustratoren. Die unter Erwachsenen geführte literarische Kommunikation öffnet sich, wenn junge Menschen auf YouTube, Bookstagram und TikTok zu Kritikerinnen und Kritikern werden und damit auch die Vorherrschaft erwachsener Literaturkritik und Gatekeeperinnen und Gatekeeper unterlaufen. Und nicht zuletzt schreiben und publizieren Kinder und Jugendliche auf digitalen Plattformen selbst.
Die Tagung will sich dem Schreiben im umfassenden Sinne also sowohl aus literatursoziologischer als auch aus buchwissenschaftlicher, aus germanistisch-begrifflicher wie kulturwissenschaftlicher Perspektive nähern. Ebenso soll die literaturwissenschaftliche Schreibprozessforschung Eingang in die Diskussionen um Kinder- und Jugendmedien finden. Dabei sollen auch die Texte und Medien selbst diskutiert werden: Schreiben und Autorschaft sind Themen und Motive in Kinder- und Jugendliteratur und -medien, sind auch struktur- und gattungsbildend, wenn man an den Tagebuchroman, an den Briefroman und seine Aktualisierungen durch Formen digitalen/sozialen Schreibens denkt.
Mögliche Themen – immer mit Bezug auf aktuelle und historische Kinder- und Jugendmedien – sind:
- Autorschaftskonzepte und (mediale) Inszenierung von Autorschaft, Autorschaftspositionierungen (Auto-Biographie, Autofiktion, Biopics)
- Poetologie und Stil
- Literaturkritik und Wertungsdiskurse
- Gattungsfragen (Tagebuch-, Brief- oder Instagramroman)
- Schreiben als kinder- und jugendkulturelle Praxis
- Schreibszenen in Kinder- und Jugendmedien (Motive, Figuren)
- Schreibräume, Schreibinstrumente, Schreiben im Digitalen: Twitterlyrik, Fanfiction, kollaboratives Schreiben, Selfpublishing, neue Formen der Literaturkritik etc.
- Schrift als Bild; Materialität und Medialität des Schreibens
Zusendung von Vortragsangeboten (von maximal 30 Minuten Dauer) werden bis zum 08.01.2023 erbeten. Ihrem Vorschlag sollte ein kurzer Aufriss des Vortragsthemas beigefügt sein.
Bitte beachten Sie bei der Einreichung Ihrer Abstracts (von ca. 300 Wörtern) folgende Anforderungen:
Die Abstracts sollen in einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung den Bezug zu theoretischen Positionen herstellen sowie die Literatur und ggf. Primärquellen nennen, auf die sich der Vortrag stützt. Damit die Vorträge zu einem Programm im oben beschriebenen Sinn zusammengestellt werden können, sollte sich der geplante Vortrag einem der oben aufgelisteten Schwerpunkte zuordnen lassen.
Bitte senden Sie Ihre Vorschläge per E-Mail an:
[Quelle: Call for Papers]