Kinderbuchverfilmungen und Animationsfilme

Filme für ein ganz junges Publikum haben es derzeit auf dem Markt schwer, denn die Zielgruppe ist altersmäßig stark begrenzt und die Filme dürfen die Kinder nicht überfordern und die erwachsenen Begleitpersonen nicht schrecklich langweilen. Auch die Realverfilmung des erfolgreichen Kinderbuchs Mia schläft woanders (Catti Edfeldt, Lena Hanno Clyne; Schweden/Niederlande) von Pija Lindenbaum ist sichtlich darum bemüht, diesen Spagat zu halten. So werden die nächtlichen Abenteuer eines kleinen Mädchens, das zum ersten Mal bei ihrer neuen Schulfreundin übernachten darf, als originelle Mischung zwischen Realität und Phantasie dargeboten und die logischen Gesetze von Raum und Zeit mühelos außer Kraft gesetzt. Das treibt mitunter seltsame Blüten, etwa wenn der Haushund eine offene Beule mit Hirnmasse am Kopf trägt, die mit einem Totenkopfpflaster abgedeckt wird.

Deutlich leichter mit derartigen absurden Einfällen tut sich der Animationsfilm Ted Sieger’s Molly Monster – Der Kinofilm (Ted Sieger, Michael Ekblad, Matthias Bruhn; Schweiz/Deutschland/Schweden) nach der bekannten TV-Serie, denn unter Monstern ist bekanntlich alles möglich und Mollis Freund Edison kann sich als mechanische Aufziehpuppe gar wie ein kleiner dickköpfiger Junge verhalten. Die bevorstehende Geburt von Mollis kleinem Bruder aus einem Ei wird zwar zu einem großen Mythos verklärt, nähert sich dem schwierigen Thema aber anhand einer Abenteuerreise, auf der Molly beweisen kann, dass sie schon ein "großes" Mädchen mit starkem Verantwortungsgefühl ist.

Der norwegische Puppentrickfilm Solan und Ludvig – Das große Käserennen von Rasmus A. Sivertsen greift den bekannten Topos eines Wettrennens zwischen ungleichen Gegnern auf und vermittelt seine liebevolle in Szene gesetzte pädagogische Botschaft, dass es nicht nur auf den Sieg, sondern mehr noch auf Fairness ankommt, mit viel Spannung und einem fulminanten Showdown, bei dem obendrein noch eine medienkritische Haltung mitschwingt.

Schul-Welten

Schon die Probleme von Kindern können existentiell sein, zumal wenn es in der eigenen Familie zusätzliche Konflikte gibt. In unserer Welt / Woorideul (Yoon Ga-eun, Republik Korea) erzählt von der Freundschaft zweier zehnjähriger Mädchen, die in ihrer Klasse von den anderen gemobbt wurden und mit Hilflosigkeit, Wut und Trauer reagieren. Zahlreiche Missverständnisse und falsche Erwartungshaltungen sorgen dafür, dass diese Freundschaft zu zerbrechen droht, bis der kleine Bruder, der von seinem liebsten Spielkameraden immer wieder verhauen wird, den entscheidenden Tipp gibt. Er möchte eben nicht immer nur streiten und kämpfen, sonst bliebe keine Zeit mehr zum Spielen übrig.

In Das blaue Fahrrad (Ümit Köreken, Türkei/Deutschland) setzt sich ein in ärmlichen Verhältnissen aufwachsender Junge, der gerade seinen Vater verloren hat, vehement für seine Mitschülerin ein. Diese hat auf Anweisung des Lehrers ihre Stellung als Schulsprecherin an den Sohn des reichen Gutsleiters verloren. Gegen diese schreiende Ungerechtigkeit organisiert der Junge unter Einschaltung der Presse einen organisierten Widerstand, der bald die ganze Schule erfasst. Schade nur, dass dieses Lehrstück in Zivilcourage und unabhängiger Presse am Ende noch relativiert wird und als möglicherweise falsche Realitätswahrnehmung des Jungen dargestellt wird.

Der Dokumentarfilm Young Wrestlers / Junge Ringer (Mete Gümürhan; Niederlande/Türkei), dem die internationale Jury eine lobende Erwähnung aussprach, beobachtet unaufdringlich und doch hautnah den Schulalltag einer Gruppe von Schülern unterschiedlichen Alters, die alle davon träumen, als Ringer erfolgreich zu sein und große Wettkämpfe zu bestreiten. Nicht jeder allerdings ist für diese Sportart geeignet und so entstehen viele große und kleine Tragödien.

Mit dokumentarischer Bildsprache stellt der nur 60-minütige Spielfilm 6A (Peter Modestij, Schweden) eine intensive Gesprächsrunde in der Schule nach, nachdem drei Schülerinnen beschuldigt werden, ihre Klassenkameraden gemobbt und tyrannisiert zu haben. Dabei werfen sich abwechselnd alle Beteiligten einschließlich der Klassenleiterin und der Eltern der Mädchen gegenseitig vor, ihre Aufgaben nicht richtig erfüllt zu haben, bis die Runde sich am Ende plötzlich auflöst, weil scheinbar das Wichtigste geklärt ist. Ein intensiver, anstrengender Film, der weniger für das Kino als für Fortbildungen geeignet ist, aber deutlich macht, wie schwierig es ist, einer solchen Situation wirklich gerecht zu werden und herauszufinden, was Ursache und Wirkung ist und wer die Täter und Opfer sind.

Stadt-Welten

Der im Rahmen des Förderprojekts "Der besondere Kinderfilm" entstandene Spielfilm Ente gut! Mädchen allein zu Haus von Norbert Lechner erzählt dramaturgisch nicht immer voll überzeugend, aber auf sehr sympathische und unterhaltsame Weise die Geschichte einer Freundschaft und der Begegnung zwischen zwei Kulturen in der Stadt Halle. Weil die Großmutter in Vietnam schwer erkrankt ist, muss eine Mutter ihre beiden Kinder für mehrere Wochen alleine lassen, wobei das Jugendamt auf keinen Fall Wind von der Sache bekommen darf. Die elfjährige Linh soll nicht nur auf ihre kleine Schwester aufpassen, sondern auch den Haushalt führen und in der Imbissbude der Mutter mithelfen. Pauline aus der Nachbarschaft hat das Treiben der vietnamesischen Geschwister schon länger beobachtet und möchte sie erpressen. Doch schon bald merkt sie, dass die Schwestern dringend ihre Hilfe benötigen, zumal ein schwerer Diebstahl aufzuklären ist und die Geschwister endlich ihren verschwundenen deutschen Vater kennen lernen wollen.

Das Thema Freundschaft vor dem Hintergrund familiärer Belastungsproben spielt auch in Little Men (Ira Sachs, USA) eine zentrale Rolle. Nach dem Umzug der Eltern in ein geerbtes Haus in Brooklyn freundet sich der 13-jährige Jake mit dem gleichaltrigen Tony an, dessen Mutter das Geschäft im Erdgeschoss des Hauses gemietet hat. Durch einen erbitterten Mietstreit ihrer Eltern als Prügelknaben schwer belastet, verbünden sich die beiden Jungen gegen ihre Eltern, um ihre Freundschaft zu retten. Ein gut gespielter Film, der allerdings auch sehr aus der Perspektive der Eltern erzählt ist.

Zwei weitere Filme aus dem Iran und aus Indien fokussieren auf die Schattenseiten des Lebens in der Stadt, vor allem, wenn man dort fremd und völlig mittellos ist. Valderama (Abbas Amini, Iran) schildert den nahezu aussichtslosen Kampf eines arabischstämmigen Jugendlichen ohne Papiere in Teheran, der sich den kolumbianischen Fußballstar zum Vorbild genommen hat. Immer stärker driftet er in die Kriminalität ab und bekommt trotz seines einnehmenden Wesens keine Chance für eine bessere Zukunft. Der fast dreistündige Film Wild / Sairat (Nagraj Manjule, Indien) beginnt als Bollywood-Romanze zwischen dem Sohn eines Tagelöhners und der Tochter eines reichen Großgrundbesitzers, die für ihre Liebe alle Kasten- und Klassenschranken überwinden und sich offen gegen ihre Eltern stellen. Er blendet dann jedoch in ein packendes und filmisch beeindruckendes Sozialdrama über. Bei ihrem mühsamen Überlebenskampf in den Slums einer Großstadt ist ihre Liebe nicht nur schweren Belastungsproben ausgesetzt, auch der Rache des Großgrundbesitzers können sie am Ende nicht entkommen. Eine harte Anklage gegen das überkommene indische Kastensystem, aber auch gegen eine Gesellschaft, in der Unterdrückung, Bestechung und Ausbeutung an der Tagesordnung sind und die Frauen als willfähriges Freiwild für die sexuellen Begierden der Männer gelten.

Landschaftsbilder – Gesellschaftsbilder

Gesellschaftskritisch ist auch der zweite indische Beitrag Die Falle / Ottaal (Jayaraj Rajasekharan Nair), der nach der Kurzgeschichte "Wanka" von Anton Tschechow entstand und den Gläsernen Bären als bester Kinderfilm erhielt. Er steht darüber hinaus für weitere Filme, in denen die Landschaft eine besondere Rolle spielt und gesellschaftlichen Konfliktstoff widerspiegelt. Eingebettet in wunderschöne Aufnahmen einer idyllischen Seenlandschaft voller Seerosen und pittoresker Sonnenuntergänge begleitet ein Waisenjunge, der seine Eltern kurz zuvor durch einen Autounfall verloren hat, seinen Großvater bei der Überwachung und Aufzucht junger Enten. Der Junge wünscht sich nichts sehnlicher, als nach dem Sommer endlich in die Schule gehen zu dürfen, so wie sein neuer Freund aus wohlhabendem Elternhaus. Der Großvater allerdings ist schwer krank und kann sich nicht länger um den Jungen kümmern. Er vertraut ihn seinem Boss an, der den Jungen jedoch als Arbeitssklave an eine Fabrik für Feuerwerkskörper verkauft.

Fast noch beeindruckender sind die Aufnahmen einer unberührten Winterlandschaft im anatolischen Hochland und blühender Klatschmohnfelder in Rauf (Baris Kaya, Soner Caner, Türkei). Der Krieg zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bevölkerung rückt nur am Anfang kurz ins Bild, ist im Film jedoch weiterhin präsent. Ein elfjähriger Junge, der nicht mehr zur Schule gehen möchte und vom Vater in eine Schreinerlehre gesteckt wird, hat sich in die deutlich ältere Tochter seines Meisters verliebt. Um ihre Aufmerksamkeit zu wecken, möchte er ihr ein Halstuch in ihrer Lieblingsfarbe Pink schenken, die mitten im Winter nirgendwo aufzutreiben ist. Während die Schreinerei am laufenden Band Särge für die gefallenen Söhne des Landes anfertigt muss, schließt sich auch die Tochter den Rebellen an und der Junge kann sein Geschenk nur posthum an sie weitergeben.

Nicht kriegerisch, aber nicht weniger lebensfeindlich geht es in Zud (Marta Minorowicz, Deutschland/Polen) zu, der in die winterliche Landschaft der Mongolei führt und beinahe ethnographisch vom harten Leben der Nomaden berichtet. In dieser Welt, in der der Tod allgegenwärtig ist und etliche Tiere auch wirklich sterben, möchte die elfjährige Hauptfigur die Anerkennung des Vaters finden und bei einem Pferderennen den ersten Preis erzielen. Dafür riskiert er das Leben seines Pferdes, was insgesamt jungen Tierfreunden im Kino nicht unbedingt zugemutet werden muss.

An ein bereits jugendliches Publikum richtet sich der kanadische Beitrag Before the Streets (Chloé Leriche) mit einer komplizierten Vater-Sohn-Beziehung in einem Reservat der kanadischen Ureinwohner mit ihren oft desolaten Lebensbedingungen, aber auch mit ihren Mythen und ihrem Wissen über die Geheimnisse der Natur. Der Sohn kann mit seinem Leben nicht viel anfangen und gerät nach einem Raubüberfall mit tödlichen Folgen in eine schwere Krise, die er mit den traditionellen Ritualen seines Volkes zu überwinden versucht.

Zhaleika ist der Abschlussfilm der dffb-Absolventin Eliza Petkova, den sie in ihrer Heimat Bulgarien in einem abgelegenen Dorf gedreht hat und von genauer Beobachtungsgabe und einer starken Bildsprache lebt. Eine junge Frau rebelliert hier gegen die überkommenen Traditionen in ihrem Dorf und versucht nach dem überraschenden Tod ihres strengen Vaters der drückenden Enge zu entfliehen.

Weibliche Coming of Age-Geschichten

Emanzipationsgeschichten von Frauen setzen meist viel früher ein und beginnen oft schon mit der Pubertät, wie in einer ganzen Reihe von Wettbewerbsfilmen zu sehen war. Programmatisch dafür steht der französische Film Nie zufrieden / Jamais contente (Emilie Deleuze, Frankreich), über eine 13-Jährige, die sich als "Sandwich-Kind" zwischen ihrer älteren und jüngeren Schwester nicht wahrgenommen fühlt, schlechte Schulleistungen hat und am allerwenigsten mit sich selbst zufrieden ist. Dank eines neuen Lehrers, der ihr literarisches Talent erkennt, und eines Jungen aus der Parallelklasse, der sie als Sängerin für seine Rockband engagiert, gewinnt sie schließlich an Selbstwertgefühl. Ein wunderbar leichter französischer Coming-of-Age-Film mit bestens ausgewählten Darstellern, der mit viel Charme und Selbstironie von den großen und kleinen Nöten in diesem Alter erzählt und dafür eine lobende Erwähnung der Kinderjury bekommen hat.

Eine ähnliche Ausgangslage hat Girl Asleep (Rosemary Myers, Australien), der allerdings in die 70er-Jahre zurückblendet. Hier steht die Hauptfigur kurz vor ihrem 15. Geburtstag, die Eltern sind überbehütend und die ältere Schwester oft nicht greifbar. Eine kleine Musikbox, die an die unbeschwerte Kindheit erinnert, wird zum Auslöser für eine innere Reise in eine Traumwelt voller seltsamer Wesen und Schreckgespenster, was mitunter auch etwas aufgesetzt und konstruiert wirkt.

Umso überzeugender ist dagegen Rara (Pepa San Martín, Chile/Argentinien), zumal die 13-jährige Sara sich zwischen den Fronten eines Sorgerechtsstreites ihrer Eltern wiederfindet und die Mutter eine lesbische Beziehung mit einer um Jahre jüngeren Frau eingegangen ist, was in Chile offenbar noch längst nicht selbstverständlich ist. Erzählt nach einem authentischen Fall, gelingt es dem Film, die Familienkonstellationen und Konflikte sehr anschaulich und subtil darzustellen, was mit dem Preis der Fachjury für den besten Kinderfilm belohnt wurde.

Gewöhnungsbedürftiger ist der zweite chilenische Beitrag Plants / Las Plantas (Roberto Doveris, Chile), der bei der Jugendjury allerdings gut ankam. Hier entdeckt die 17-jährige Hauptfigur ihre Sexualität über flüchtige Internetbekanntschaften, die sie nach Hause einlädt und vor verschlossener Wohnungstür "scharf" auf sie macht, was ihr dann beinahe zum Verhängnis wird. Diese seltsame Art der sexuellen Erfahrungen spitzt sich im Film noch zu, denn die Mutter liegt zur Krebsbehandlung im Krankenhaus und der erwachsene Bruder nach einer Gehirnverletzung im Wachkoma. Aufopferungsvoll wird er von ihr gepflegt und des Nachts liest sie ihm einen Comic über Pflanzenseelen vor, die bei Dunkelheit in fremde Menschen eindringen, ohne dass diese davon etwas mitbekommen.

What’s in the Darkness (Wang Yichun, VR China) blendet in die 90er-Jahre zurück, als China begann, sich wirtschaftlich gegenüber dem Westen zu öffnen und die Ein-Kind-Politik streng gehandhabt wurde. Der Film versucht, eine typische Coming-of-Age-Geschichte über die sich nicht geliebt glaubende Tochter eines verschrobenen Kriminalbeamten mit einem Thriller über einen Massenmörder zu verbinden, der es auf junge Frauen abgesehen hat. Gelungen ist die Zeichnung der Schülerin zwischen Unsicherheit und Neugier, sexuellem Erwachen und innerer Rebellion in einer in Auflösung begriffenen Gesellschaft, weniger überzeugend sind dagegen die etwas holzschnittartigen Erwachsenenfiguren.

Träume und Albträume

Eine große Anzahl der bei 14plus präsentierten Filme handelte von Jugendlichen, die versuchten, ihre Träume oft gegen den Widerstand der Erwachsenenwelt zu verwirklichen, es aber nicht immer schafften oder keine Chance hatten und auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen wurden. Eine 16-jährige Parcour-Kletterin aus In Your Dreams! (Petr Oukropec, CR/SR/Bulgarien) durchläuft einen schwierigen Selbstfindungsprozess, in dem Traum und Realität vollkommen miteinander verschwimmen. Das wird in experimenteller Filmsprache und psychoanalytischen Symbolen sowie in schön fotografierten Parcours-Choreographien mit sportlichen Höchstleistungen umgesetzt, besticht aber mehr durch seine Form als durch den Inhalt.

In dem neuseeländischen Film Born to Dance (Tammy Davis), der zu Ostern offiziell in den Kinos startet, versucht ein Maori-Teenager, den vorgezeichneten Lebensweg des Vaters als Soldat zu meiden und seinen Traum als Hip Hop-Tänzer zu verwirklichen. Dabei wird er Opfer eines Intrigenspiels des Leiters einer Künstlergruppe und gerät mehrfach in Loyalitätskonflikte zu seinen alten Freunden, bevor er seinen eigenen Lebensweg findet. In der Handlung etwas vorhersehbar, besticht der Film vor allem durch seine Beats und seine gut choreographierten Tanzszenen.

Die Jugendlichen aus Rag Union (Mikhail Mestetsky, Russische Föderation), die allesamt aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen, wollen mithilfe der Kunst die gesellschaftlichen und politischen Zustände der Putin-Ära verändern. Sie leben ihre Phantasien zwischen Macht und totaler Ohnmacht ungehemmt aus, scheitern aber an ihren eigenen Ansprüchen. Der mit Handkamera eingefangene experimentell-anarchische Bilderbogen einer missglückten Rebellion beginnt vielversprechend, doch der Widerstand verpufft und die Figuren bleiben dann doch etwas blass und verschlossen.

Im Unterschied dazu endet Ma Révolution (Ramzi Ben Sliman, Frankreich) verhalten optimistisch, auch wenn der Sohn tunesischer Eltern in Paris den Slogan des arabischen Frühlings und der Revolution in Tunesien "Die Zukunft träumen und sie real machen" für sich nur bedingt umsetzen kann. Während die politisch engagierten Eltern die Rückkehr nach Tunesien vorbereiten, verliebt sich der eher unpolitische Sohn in eine Mitschülerin, die sein Werben belohnt. Mit einer entfesselten Handkamera, aber auch in vielen Stimmungsbildern, langen Montagesequenzen, die mit Jazzmusik unterlegt sind, fängt der Film das Leben der Jugendlichen ein, die draußen auf der Straße chillen, sich lange über Politik und ihre Beziehungen unterhalten und eine Gesellschaft zwischen Aufbruch und Ernüchterung repräsentieren.

Besonders eindrucksvoll waren zwei Filme aus Peru und aus Lettland. Mit Tagträumen rettet sich Sebastían in The Dreamer (Adrían Saba, Peru/Frankreich) über das trostlose Leben in einem Industrieviertel von Lima, das er mit seinen Freunden als Kleinkrimineller teilt. Für kurze Zeit keimt Hoffnung in ihm auf, als er sich in die Schwester des Anführers der Gang verliebt und mit ihr auswandern will. Doch dann schlägt er ihren Bruder, der diese Beziehung verhindern möchte, ins Koma und die anderen Gangmitglieder wollen Rache an ihm nehmen. Erzählt wird diese anrührende Geschichte eines vorbestimmten Scheiterns, in dem keiner dem anderen so etwas wie persönliches Glück gönnt, in ruhigen Bildern und langen Einstellungen, die gut mit der gesellschaftlichen Lähmung der Figuren korrespondieren.

Hartnäckig und deutlich erfolgreicher kämpft auch die 17-jährige Raya in Mellow Mud (Renars Vimba, Lettland) für ihre Sehnsüchte und ein selbstbestimmtes Leben. Der Gewinner des Gläsernen Bären als bester Jugendfilm ist das bewegende Porträt einer mutigen jungen Frau und ihres kleinen störrischen Bruders, die den Tod der Großmutter gegenüber den Behörden und der Nachbarschaft verschweigen, um nicht in ein Heim abgeschoben zu werden. Ihre Mutter ist vor vielen Jahren nach Großbritannien ausgewandert. Um sie dort zu suchen, nimmt Raya an einem Englisch-Wettbewerb teil und gewinnt diesen mit Unterstützung ihres Lehrers, der eine heimliche Liebesbeziehung mit ihr eingeht. Diese ist zwar nicht von Dauer, stillt aber ihr Bedürfnis nach Geborgenheit zumindest vorübergehend. Ihren schwierigen Reifungsprozess und das permanente heimliche Versteckspiel gegenüber allem und jedem fasst der Film in atmosphärisch dichte Bilder einer abgeschiedenen Seenlandschaft, die trotz des Regens und der verschlammten Wege einen eigenen Reiz hat und unmittelbar die Gefühlslage der Hauptfigur widerspiegelt.

Dokumentarisches am Rande der Gesellschaft

Keinesfalls dürfen zwei weitere Filme vergessen werden: Auch der zweite iranische Beitrag, der Dokumentarfilm Starless Dreams von Mehrdad Oskouei, liefert ungewohnte Einblicke in ein Land, wie man es bisher nicht kannte, was Hoffnung auf eine weitere Liberalisierung weckt. Respektvoll und zugleich sehr intim nähert sich die Kamera den Mädchen und jungen Frauen in einem iranischen Korrektur- und Rehabilitationszentrum. Alle sind sie straffällig geworden, wegen Diebstahl, Drogenhandel, Gewaltdelikten und sogar Mord. Alle haben sie eine ähnliche Vergangenheit hinter sich, viele stammen aus zerrütteten Familien, und die Angst, nach der Entlassung in das alte Leben zurückkehren zu müssen, ist weitaus größer als das bedrückende Gefühl des Eingesperrtseins.

Der in einer Sondervorstellung gezeigte, von Bahman Ghobadi produzierte Kompilationsfilm Life on the Border enthält acht Kurzfilme, die von Flüchtlingen zwischen 13 und 14 Jahren aus den Flüchtlingslagern von Kobane und Singal selbst gedreht wurden, nachdem sie von Fachleuten eine kleine Einführung in das Filmemachen erhalten hatten. Der Film als Medium wird hier zum Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung mit den eigenen traumatischen Erlebnissen und dem Grauen aus einer Perspektive, die den bisherigen TV-Dokumentationen ein dringend notwendiges Korrektiv entgegenhält. Einige der Beiträge bleiben besonders im Gedächtnis haften, beispielsweise der über eine Sondervorstellung des Films American Sniper für die Kinder und Jugendlichen des Lagers, die von heftigen Detonationen gestört wird. Der Actionfilm ist den Kindern plötzlich egal, denn stattdessen sehen sie von jenseits der Grenze, wie ihr Heimatort Kobane bombardiert wird. Häufig ist die Realität eben doch übermächtiger, als es jede Filminszenierung sein könnte.