Zeitgenössische Literatur für Kinder erzählt ihre Geschichten oft in Form einer Überschreitung von Mediengrenzen: Verarbeitet werden intertextuelle, interpiktorale oder intermediale Bezüge, zudem sind ursprünglich in anderen Medien erzählte Geschichten in Medienverbünde eingebettet. Kindliche Rezipierende bewegen sich so zunehmend in entgrenzten Medienwelten, deren Erzähltexte wiederum den sich stetig wandelnden medialen Erfahrungshorizont ihres Publikums berücksichtigen müssen. Medienübergreifendes Erzählen steht deshalb zunehmend im Fokus narratologischer und didaktischer Forschung. In diesem Sinne verbinden die Vorträge der Ringvorlesung fachwissenschaftliche und -didaktische Perspektiven in drei Schwerpunkten:

  • Erzählforschung: Welche Formen des medienübergreifenden Erzählens für Kinder gibt es?
  • Rezeptionsforschung: Wie rezipieren Kinder inter- und transmediale Erzählformen?
  • Fachdidaktik: Welche didaktischen Ansätze für inter- und transmediales Erzählen gibt es?

Die Vorträge samt Diskussion finden vom 12.04.2021 bis zum 05.07.2021 jeweils montags ab 18:15 Uhr in digitaler Form via Zoom statt. Interessierte können sich über die Veranstaltungswebsite anmelden.

Termine

12.04.2021
Von der Intermedialität zur Transmedialität: Medienübergreifendes Erzählen für Kinder
Dr. Philipp Schmerheim
Institut für Germanistik, Universität Hamburg

Erzähltexte für Kinder sind immer schon medial entgrenzt. So sind Kinderromane etwa von Boie, Ende, Funke, Lindgren oder Preußler kaum denkbar ohne ihre Illustrationen; Bilderbücher, Bildgeschichten oder Comics überschreiten als Verschränkungen von Bild- und Schrifttext ohnehin intermedial figuriert, und selbiges gilt in unterschiedlichem Maße auch für weitere bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter populäre Erzählmedien wie Film und (Netz-)Fernsehen, Hörspiel oder Hörbuch, Theater und (narrative) Computerspiele oder interaktive Erzähl- und Spielmedien wie TipToi, BOOKii, Ting oder Tonies. Die von Kindern bewohnten Erzählwelten sind (nicht nur im 21. Jahrhundert) Medienwelten. Der einführende Vortrag zur Ringvorlesung fokussiert Grundbegriffe und Theorien des medienübergreifenden Erzählens, die einen diskursiven Raum für die narratologische wie didaktische Erforschung der entgrenzten Kindermedienwelten konstituieren. Im Zuge dessen werden überblicksartig die Themen und Vorträge der Ringvorlesung vorgestellt.


19.04.2021
Zeitgemäße Betrachtungen: Kinder- und Jugendliteratur als Medien- und Produktverbünde
Prof. Dr. Tobias Kurwinkel
Germanistik/Literaturdidaktik, Universität Duisburg-Essen

Aktueller Kinder- und Jugendliteratur sind vielfältige intertextuelle und -mediale Bezüge eingeschrieben; strukturell organisiert, narratoästhetisch konfiguriert und rezipiert wird sie zunehmend in Medien- und Produktverbünden. Die Vorlesung entwickelt eine Bestimmung und Typologie dieser Verbundsysteme an Beispielen aus der Kinder- und Jugendliteratur und zeichnet ihre historische Entwicklung nach. Hieran anknüpfend werden mit der transmedialen Lektüre literaturdidaktische Perspektiven aufgezeigt und diskutiert.


26.04.2021
Der Kinder- und Jugendbuchmarkt: Produktion, Distribution, Rezeption
Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl
Englisches Seminar/Book Studies, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Kinderbücher sind vielseitig und komplex: nicht nur inhaltlich, sondern auch als Produkt im Buchhandel. Sie müssen gleichsam Erwachsene und Kinder ansprechen. Wie (und wo) werden diese besonderen Produkte konzipiert, produziert, verkauft und gelesen? Aus buchwissenschaftlicher Sicht widmet sich dieser Beitrag der Produktion, Distribution und Rezeption von Kinderliteratur.


03.05.2021
Stereotype Darstellungen in Migrationsliteratur. Literaturwissenschaftliche und -didaktische Überlegungen zu einem medienübergreifenden Phänomen
Vertr. Prof. Dr. Nicole Masanek
Institut für Germanistik, Universität Duisburg-Essen

Als eine Form stereotyper Darstellung lassen sich in Werken der sog. Migrationsliteratur häufig kulturalistische Einschreibungen finden, d.h. bestimmte Eigenschaften werden in einer essentialistischen Manier bestimmten Kulturen zugeordnet. Anhand verschiedener kinderliterarischer Werke (Bilderbücher, Erzählungen) werden in diesem Vortrag unterschiedliche textuelle Umgangsweisen mit diesen eingeschriebenen Stereotypisierungen systematisiert, um auf dieser Basis didaktische Überlegungen zum unterrichtlichen Umgang mit diesem nicht unproblematischen Phänomen zu präsentieren.


10.05.2021
Erstlesebücher – Mediale Grenzen in einem konservativen Erzählmedium überschreiten
Dr. Christoph Jantzen
Fachbereich für Erziehungswissenschaft, Deutschdidaktik, Universität Hamburg

Erstlesebücher in der heutigen Form gibt es seit den 1970er Jahren. Damals waren sie ein innovatives Format, das Kindern schön möglichst früh ermöglichen sollte, ein ganzes Buch zu lesen. Seitdem hat sich die dieses Genre nur geringfügig verändert, dabei stecken gerade im Überschreiten von mediengrenzen ein großes didaktisches Potenzial, etwa wenn die Bilder einen eigenständigen Erzählanteil haben, wenn in Erstliteratur mit inter- und transmedialen Elementen gearbeitet wird, wenn Erstleseliteratur nicht nur in Buch-, sondern auch in digitaler Form präsentiert wird. Diesen Formen und Potenzialen wird im Vortrag nachgegangen.


17.05.2021
Herbst 89 – Umbruchserzählungen für Kinder in intermedialer Perspektive
Dr. Kirsten Kumschlies
Fachbereich II Germanistik, Grundschuldidaktik Deutsch, Universität Trier

Schon seit Beginn der 1990er Jahre verschreibt sich eine Fülle von Kindermedien der Aufgabe, jungen Rezipientinnen und Rezipienten vom Leben in der DDR und der 'Wende' als Zeit des Umbruchs zu erzählen. Der Vortrag  analysiert ausgewählte Texte und mediale Adaptionen zum Mauerfall in intermedial vergleichender und didaktischer Perspektive. Mit Fokus auf die Fragestellung, wie sich anhand von Umbrucherzählungen literarische und historische Lernprozesse evozieren lassen, werden unterrichtspraktische Überlegungen zur Didaktisierung der zeitgeschichtlichen Narration im Unterricht der Grundschule angestellt, die kindliche Rezeptionen des Zeichtrickfilms Fritzi war dabei (Kukula, 2019) einbeziehen.


31.05.2021
Brüche in der Narration? Metafiktionale Phänomene im Bilderbuch und ihre Rolle in einer sich wandelnden Literaturdidaktik
Lukas Doleschal
Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Literarästhetisch innovative Bilderbücher bilden als eine sich etablierte Untergattung ein wichtiges Feld der Literaturdidaktik. Häufig finden sich hier auch Werke, die mit Phänomenen der Metafiktion aufwarten, also ihre "Gemachtheit" offenlegen/ thematisieren. In der Vorlesung soll ein systematischer Überblick zu besagten Phänomenen vorgestellt und an Beispielen illustriert werden. Anschließend soll der Einsatz solcher Bilderbücher im Zusammenhang mit einer sich stark wandelnden Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in den Fokus rücken und diskutiert werden, welche Konsequenzen sich für die Literaturdidaktik ergeben können.


07.06.2020
Märchen im Bilderbuch – Rezeptionsprozesse von Grundschulkindern
Johanna Duckstein
Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm wurden seit ihrer Entstehungszeit bis heute vielfach illustriert. Im Zuge ihrer literarischen Sozialisation begegnen Kinder diesem reichen Fundus an Bildern und entwickeln dabei ein eigenes Konzept zum Märchenbild. Im Rahmen der Vorlesung soll ein Einblick in eine qualitative Erhebung gegeben werden, die sichtbar machen möchte, wie Grundschülerinnen und -schüker ihr Bildkonzept zum Märchen Hänsel und Gretel artikulieren und wie bei der Rezeption von aktuellen Bilderbüchern diese (deutungsunterstützende) Schablone über unbekannte Darstellungen gelegt wird.


14.06.2021
Spielend die Welt entdecken – Einsatzmöglichkeiten narrativer Computerspiele im Literaturunterricht
Dr. Lisa König
Institut für deutsche Sprache und Literatur, Pädagogische Hochschule

Genug gezockt, hört auf zu daddeln? Dem Medium Computerspiel eilt noch immer der Ruf voraus, nicht mehr zu sein als sinnlose Bildschirmzeit. Doch insbesondere narrative Computerspiele als geschichtenerzählende Medien bieten zahlreiche Potenziale für literarische Verstehensprozesse großer und kleiner Lernender. Im Rahmen des Vortrags steht daher die Frage im Zentrum, inwiefern sich diese Potenziale für die schulische Literaturvermittlung zum Erwerb, Auf- und Ausbau literarischer Bildung und Kompetenz auch bereits in der Primarstufe nutzen lassen und welche Herausforderungen es hierbei zu bewältigen gilt.


21.06.2021
"Von Lummerland nach Kummerland und zurück" – Eine (Zeit)Reise durch die Medientransformationen eines Kinderliteraturklassikers
Dr. Inger Lison
Institut für Germanistik, Abt. Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Technische Universität Braunschweig

Die mediale Aufmerksamkeit um Michael Endes 1960 erschienenen Kinderroman Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer scheint immer noch kein Ende zu nehmen: zunächst euphorisch gefeiert, später wurden Rassismusvorwürfe laut. Mittlerweile liegt der Kinderbuchklassiker in zahlreichen Medienadaption vor. Im Vortrag soll ein Überblick über diese Vielfalt und die damit einhergehenden veränderten Rezeptionsgewohnheiten gegeben werden. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die vorgenommenen Modifizierungen im Hinblick auf die Figurenkonzeptionen und verhandelten Themen gelegt werden. So wurde der Hauptprotagonist Jim Knopf beispielsweise in der Inszenierung des Staatstheaters Braunschweig als blonder Junge mit heller Hautfarbe dargestellt, was zu Irritationen unter den kindlichen Zuschauerinnen und Zuschauer und teilweise zu anfeindenden Äußerungen seitens des erwachsenen Publikums geführt hat.


28.06.2021
Mediale Spuren in schriftlichen Erzählungen von Kindern
Gastprof. Dr. Lis Schüler
Grundschulpädagogik/ Didaktik Deutsch, Freie Universität Berlin

"Biep, biep. Oh, man. Krack." – Schriftliche Erzählungen von Kindern im Grundschulalter enthalten nicht selten Formulierungen, die sich einem erst erschließen, wenn man die intertextuellen oder -medialen Bezüge (er)kennt. Anhand von Beispielen wird der Funktion solcher Bezüge für die Vermittlung von vorgestellter Erfahrung und Erzählwürdigkeit nachgegangen. Vor einem schreibdidaktischen Hintergrund, der Schreiben als Transformationsprozess begreift, werden das didaktische Potenzial von Vorgaben, die intermediale Bezüge eröffnen, und der Umgang mit Spuren von Medienrezeption in Schülertexten diskutiert.


05.07.2021
Mit Bildern erzählen – das japanische Papiertheater Kamishibai
Annette Huber
Literaturwissenschaftlerin, Hamburg

In der Mitte des 20. Jahrhunderts populäre Unterhaltung auf Japans Straßen, seit einigen Jahren immer populärer in der west-lichen Bildungslandschaft: Kami("Papier-")shibai("Spektakel") kombiniert Bilder und freies mündliches Erzählen zu einer facettenreichen Kunstform, die mehr mit Film und Theater gemein hat als mit dem klassischen Bilderbuch. Der Vortrag beleuchtet die historische Linie vom Straßen-Kamishibai hin zu Manga und Anime in Japan sowie die Palette der heutigen Stile und diversen Einsatzfelder u.a. in Kita, Schule und Erwachsenenarbeit.

Weitere Informationen zur Ringvorlesung finden Sie auf der Veranstaltungswebsite.

[Quelle: Pressemitteilung]