"Für mich geht es in allererster Linie darum, den Ton des Originals zu treffen und eine ähnliche Wirkung beim Zielpublikum zu erreichen, wie sie der Text in der Ausgangssprache entfaltet, allerdings ohne dass dabei das ursprüngliche Setting, der Einblick in die andere Kultur, verloren geht."
Warum sind Sie Übersetzerin geworden?
Sprachen und Literatur waren schon immer meine Leidenschaft, an die Möglichkeit, Übersetzerin zu werden, hatte ich aber nie gedacht (tatsächlich war mir, wie leider häufig der Fall, die Rolle von Übersetzern allenfalls vage bewusst). Im Rahmen des Studiums der KJL dann habe ich mehrere Seminare zum kinderliterarischen Übersetzen besucht. Die Dozentin, selbst Übersetzerin, vermittelte den Stoff mit einem solchen Engagement und so lebendig, dass mir noch heute fast jede Sitzung in Erinnerung ist. Wir haben eigene Übersetzungen von Texten wie Der Grüffelo oder Wo die wilden Kerle wohnen angefertigt, und ich war so fasziniert von den unzähligen Schwierigkeiten und Lösungswegen, die sich beim Übersetzen ergeben, dass ich sehr schnell wusste: Das und nichts anderes möchte ich machen. Bis zu meinem ersten Auftrag war es dann allerdings noch ein langer Weg.
Was reizt Sie an diesem Beruf?
Ich schreibe unheimlich gern, mir selbst aber liegt es überhaupt nicht, Figuren zu entwickeln und Handlungsbögen zu komponieren. Beim Übersetzen hat diesen Teil der Arbeit bereits jemand anders erledigt, und ich kann mich ganz auf die Sprache konzentrieren, nach Herzenslust an den Sätzen herumbasteln, ein Wort ersetzen, ein anderes verschieben, ein drittes leicht abwandeln, bis das perfekte Äquivalent gefunden ist. Es ist ein unsagbar beglückendes Gefühl, wenn es nach teils wochenlangem Kopfzerbrechen – bei mir passiert das oft beim Spaziergang – plötzlich "Pling" macht und die Lösung da ist.
Wie schaffen Sie es bei der Übersetzung von Jugendliteratur den autenthischen Ton von Jugendlichen zu treffen?
Hier hilft sicherlich, dass ich auch als Erwachsene immer noch sehr gern Jugendliteratur lese und mich zudem lebhaft an meine eigene Jugendzeit erinnere. Beim Übersetzen feile ich lange daran, den Ton möglichst authentisch zu treffen, und hole ich mir wann immer möglich Hilfe von Jugendlichen im Bekanntenkreis.
Vor welche Probleme sehen Sie sich immer wieder gestellt?
Oje, da könnte sicher jede*r Übersetzer*in aus dem Stegreif eine seitenlange Liste nennen. Wortspiele, Reime, Lieder und Namen sind typische Beispiele. Im Falle von Irgendwo ist immer Süden etwa heißt Inas Wohnsiedlung im Original "Titten Borettslag" und erhält den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Dritten", was so viel bedeutet wie "Scheiße", "Kacke". Nun macht sich der Name "Titten" auf Deutsch nicht allzu gut, auch ließ sich schwer ein schmähender Spitzname dafür finden, weshalb ich letztlich einen komplett neuen norwegischen Namen erfunden habe. Darüber hinaus sind Dialekte und Kulturspezifika, beispielsweise Unterschiede im Schulsystem oder der Umstand, dass in Skandinavien nicht gesiezt wird, Schwierigkeiten, für die jedes Mal wieder eine neue Lösung gefunden werden muss.
Die Leistung des Übersetzens wird bisweilen zu wenig gewürdigt, da Übersetzen manchmal mit Überworten gleichgesetzt wird. Worin besteht Ihrer Meinung nach die Kunst des treffenden Übersetzens?
All die oben genannten Beispiele zeigen ja bereits, dass es beim Übersetzen niemals mit einem reinen Überworten getan ist. Jedes Wort, jedes Zeichen ist das Ergebnis sorgfältigen Abwägens (angefangen bei der Frage, ob ein "aber" oder nicht vielleicht ein "doch" besser passt) und häufig intensiver Recherche. Für mich geht es in allererster Linie darum, den Ton des Originals zu treffen und eine ähnliche Wirkung beim Zielpublikum zu erreichen, wie sie der Text in der Ausgangssprache entfaltet, allerdings ohne dass dabei das ursprüngliche Setting, der Einblick in die andere Kultur, verloren geht.
Wie gehen Sie vor, wenn ein Sprichwort oder ein Witz im Original in einer Übersetzung nicht verständlich wäre?
Bei Witzen reicht manchmal schon ein erklärender Nebensatz, für Sprichwörter und Redewendungen lassen sich mit etwas Glück und Geduld häufig Pendants finden. Klappt es gar nicht, lässt sich vielleicht an einer anderen Stelle etwas Ähnliches einbauen. Schwierig wird es, wenn eine ganze Szene darauf aufbaut; das hatte ich neulich in einem schwedischen Kinderbuch mit den Redewendungen "Fluchen wie ein Bürstenbinder" und "Rauchen wie ein Bürstenbinder", die so auf Deutsch nicht verwendet werden. Zu allem Übel musste auch noch die Illustration dazu passen. In diesem Fall hat glücklicherweise die Autorin ausgeholfen und die ganze Passage für die deutsche Übersetzung umgeschrieben.
Es wurde tatsächlich vor ein paar Jahren diskutiert, ob nur Werke, die im Original in deutscher Sprache verfasst wurden, für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert werden sollten. Was sagen Sie dazu?
Sowohl originalsprachlich deutsche als auch übersetzte Werke sind in deutscher Sprache für ein deutsches Publikum verfasste Texte. Die kleine Hexe, Pettersson und Findus, Pünktchen und Anton, Madita – sie alle stehen nebeneinander im Bücherregal und formen gemeinsam die beim Vorlesen und Selberlesen erlebte Welt.
Nicht selten übersetzen Sie Werke mit generationsübergreifender Thematik. Was fasziniert Sie offensichtlich daran?
Offengestanden habe ich es noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet und die von mir zu übersetzenden Titel auch nicht nach diesem Kriterium ausgewählt. Aus übersetzerischer Sicht aber ist es natürlich interessant, da auf diese Weise ganz unterschiedliche Sprachebenen zusammenkommen.
Was sind Ihre Pläne bzw. Projekte für die Zukunft?
Unmittelbar steht eine Lesung und Gespräch zum dänischen Kinderbuchautor Ole Lund Kirkegaard mit einer Schulklasse vor der Tür, auf die ich mich ganz besonders freue, da sein Buch Hodja im Orient das erste war, das ich je übersetzt habe. In den nächsten Monaten werde ich vor allem an Roman- und Krimiübersetzungen arbeiten, danach würde ich mich sehr freuen, wenn sich wieder ein Kinder- oder Jugendbuchprojekt fände.
Planen Sie weiterhin Werke von Kaurin ins Deutsche zu übersetzen?
Ich hoffe sehr, dass Marianne Kaurin weitere Bücher schreibt und ich die Gelegenheit bekomme, noch wenigstens eines davon zu übersetzen.
Wir freuen uns auf viele weitere durch viel Sprachgefühl und Empathie geprägte Übersetzungen von Ihnen und wünschen Ihnen alles Gute für Ihr weiteres Schaffen!
Quellenhinweis für weitere Informationen: JuLit 4 (2021)
Titelfoto: (c) AKJ / Sebastian Kissel