Herr Krejtschi, Sie haben sich im Rahmen Ihrer Illustrationsarbeit zum Bilderbuch Ein roter Schuh (Minedition 2023) mit den Themen Krieg und Kriegsberichterstattung auseinandergesetzt. Hierin wird ein Reporter gezeigt, der den kriegsverletzten Kenan während der Behandlung im Krankenhaus begleitet. Dann sehen wir den Reporter nachdenklich in seinem Büro. Was macht der Krieg in bzw. mit ihm?
Bei meiner Recherche zu diesem Projekt habe ich mich intensiv mit den Themen Kriegsjournalismus und posttraumatische Belastungsstörungen beschäftigt. Mir war es wichtig, die Erkenntnisse daraus in meine Illustrationen einzubringen und einen Einblick in die Psyche des Reporters zu gewähren. Ich wollte darstellen, was zwischen den Zeilen des Textes nur zu erahnen ist. Das Erleben einer Extremsituation geht an niemandem spurlos vorüber. Schon gar nicht an den Opfern, aber auch nicht an den Menschen, die indirekt daran beteiligt sind. Denn nicht nur unmittelbar Betroffene können traumatisiert werden, sondern auch diejenigen, die das Geschehen nur mittelbar beobachten, die sekundär Traumatisierten. So zum Beispiel Mitarbeiter:innen von Rettungsdienststellen, Soldat:innen, Polizist:innen oder Feuerwehrleute. Und eben auch Journalist:innen. Jede:r Kriegsberichterstatter:in trägt Eindrücke in sich, die ihr/ihm gegenwärtig bleiben. Eindrücke, mit denen die Journalist:innen umgehen müssen und die auch noch lang andauernde psychologische Nachwirkungen mit sich ziehen können. Meine Bilder zeigen einen Mann, der Verletzlichkeit ausstrahlt und der aufgrund der Ereignisse gebrochen wirkt. Den Betrachter:innen soll durch Körpersprache und Mimik die innere Lehre der Figur vermittelt werden. Darüber hinaus zeigen die Illustrationen den Reporter in der Abgeschiedenheit seines Büros, bei dessen Fenster die Jalousie heruntergelassen ist. Dies könnte darauf hinweisen, dass er sich zurückgezogen hat und sich der Umwelt verschließt bzw. diese bewusst aussperrt. Das sind typische Symptome, wie sie bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen auftauchen können. Neben vielen anderen Dingen befinden sich auf dem Schreibtisch des Reporters auch eine Flasche und ein Glas, deren Form und Inhalt auf den möglichen Alkoholkonsum des Mannes schließen lassen. Alkoholismus ist ebenfalls oft eine Folge bei Traumata.
Abb. 1: Der Journalist an seinem Arbeitsplatz. (c) Krejtschi / Minedition.
Wie schaffen es Bilderbücher in Zeiten, in denen wir tagtäglich von den Grausamkeiten in der Ukraine und Israel erfahren, Heranwachsenden Krieg zu erklären?
Bei älteren Kindern und Jugendlichen (und erst an diese Zielgruppe richtet sich auch unser Buch Ein roter Schuh) hinterlassen Gewalt und Krieg in den Nachrichten Gefühle der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Eine wichtige Hilfe für die Heranwachsenden kann es sein, die Angst nicht zu verdrängen, sondern das Gesehene durch weitere Informationen und klärende Gespräche aufzuarbeiten. Genau solch eine Gesprächsgrundlage können Bücher wie „Ein roter Schuh“ bieten. Und dazu ist natürlich Vermittlung durch Erwachsene, in ernster Linie durch Eltern oder Pädagog:innen, notwendig. Auch ich bin mit dem Buch oft für Lesungen und Workshops an Schulen und spreche mit den Schüler:innen über ihre Ängste und Erfahrungen zu diesem Thema, allerdings ohne den Anspruch zu erheben 'Krieg erklären' zu können.
In Ihrem Vortrag an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe zeigten Sie den Zuschauer:innen, dass Sie die Illustrationen zum Text von Karin Gruß sehr aufwändig gestaltet haben. Dabei wählen Sie als Hintergrund Zeitungsausschnitte, ein Verweis auf die Berichterstattung und somit Arbeit der im Zentrum stehenden Figur des Kriegsreporters. Aber nicht nur gestalterisch, sondern auch inhaltlich ergänzen Sie die Geschichte von Karin Gruß um eine weitere Ebene. Wie war da Ihre Vorgehensweise?
Der Text von Ein roter Schuh gibt in seiner Offenheit viel Spielraum. Es war klar, dass ich nicht nur das Erzählte zeigen, sondern dieses darüber hinaus erweitern will, sodass durch meine eigene Interpretation und bildliche Darstellung ein Mehrwert entsteht. Daher auch die Entscheidung, um den eigentlichen Handlungsablauf (den der Text beschreibt) eine Rahmenhandlung zu konstruieren, die genau meine Kernfrage der Erzählung widerspiegelt: Was passiert mit der Psyche eines Menschen, der einer Extremsituationen ausgesetzt ist? Die Rahmenhandlung beginnt von der Erzählperspektive aus in der Gegenwart, schwenkt dann in die in der Vergangenheit liegende Haupthandlung, um am Ende wieder am Ausgangspunkt der Geschichte anzugelangen und somit einen Epilog zu bilden. Dieses 'Echo' der Anfangsszene kann auch als Teufelskreis interpretiert werden, in dem sich Traumatisierte oft befinden, die das Erlebte immer und immer wieder durchmachen. Der erzählende Text kommt wie die Stimme des Journalisten aus dem Off und berichtet ausschließlich über das Vergangene. Die Betrachter der Illustrationen sind dabei allerdings mit dem Mann im Hier und Jetzt seines Büros. Es handelt sich um eine aufbauende Rückwendung, bei der nach einem direkten, plötzlichen Einstieg im Nachhinein erzählt wird, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Durch geschickten Einsatz von Bildelementen habe ich versucht, beide Zeitebenen miteinander zu verknüpfen.
Gibt es Bilder, die Sie bewusst nicht darstellen möchten, und lieber der Imagination der Rezipient:innen überlassen?
Unbedingt! Ich habe bei den Motiven zu Ein roter Schuh bewusst darauf verzichtet, Kampfhandlungen zu zeigen. Dass es im Krieg aber auch immer um körperliche Gewalt, Grauen, Leid und Schmerz geht, zeigt die Titelei des Buches. Hier ist in der Ecke ein roter Fleck zu sehen, der mit 'Blutvergießen' assoziiert werden kann. Außerdem eine Kamera mit zerbrochenem Objektiv. Hier sehen wir also ganz symbolisch die Essenz der Thematik.
Doch auch an vermeintlich sicheren Orten auf der Welt, die nicht Kriegsschauplätze sind, ist Frieden keine Selbstverständlichkeit. Das von ihnen verfasste und illustrierte Bilderbuch Manchmal ist da einer (arsEdition 2022) verhandelt das Thema 'Frieden finden' und zeigt alltägliche Situationen, in denen es zu Konflikten und Aushandlungsprozessen kommt. Was hat Sie inspiriert?
Manchmal ist da einer ist auf direkte Anfrage durch arsEdition zustande gekommen. In Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine, gab es schon Anfang 2022 von Seiten des Verlags den Wunsch, ein Buch zu diesem, bis heute noch hochaktuellen Thema zu veröffentlichen. Zunächst war ich nur als Illustrator vorgesehen, dann habe ich auch die Autorschaft übernommen. Die Geschichte hat sich dann aus einzelnen Satzfragmenten, Gedanken und Fragen zum Thema 'Krieg und Frieden' entwickelt. Ich möchte mit dem Buch eine Gesprächsgrundlage schaffen, die Kindern durch die reduzierte, aber dennoch eindrückliche Bildsprache einen Zugang zur Komplexität des Themas ermöglicht.
Frieden ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Das Buch soll vermitteln, wie wichtig es ist, Respekt vor anderen und ihren Unterschieden zu haben. Indem sie lernen, wie man tolerant, einfühlsam und mitfühlend ist, können Kinder die Werkzeuge entwickeln, die notwendig sind, um Konflikte zu vermeiden und eine Welt zu schaffen, die von Frieden und Gerechtigkeit geprägt ist. Vor allem möchte ich den Leser:innen und Betrachter:innen von Manchmal ist da einer Hoffnung geben. Es soll zeigen, dass Frieden möglich ist und dass wir alle einen Beitrag dazu leisten können, eine friedliche Gesellschaft aufzubauen.
Abb. 2: "Am Ende sind wir alle nur Verlierer". (c) Krejtschi / arsEdition.
Was bewog Sie dazu, geometrische Figuren wie Kreise und Vierecke als Handlungsträger:innen zu nutzen?
Wichtig war mir, bei meiner Umsetzung ein diskriminierendes Feindbild zu vermeiden. Die Darstellung der Protagonisten als geometrische Formen schafft einen unvoreingenommenen Blick. Trotz dieser Abstraktion können Kinder eine Vorstellung davon bekommen, wie sich Menschen in Kriegssituationen fühlen und wie sie damit umgehen.
In Meine Mutter, die Fee (Tulipan 2018) visualisieren Sie die Geschichte von Fridi, einem Mädchen, dessen Mutter anders ist. Sie leidet unter einer Depression. Wie lässt sich eine Depression künstlerisch ausdrücken, so dass bereits Kinder lernen können, welche Auswirkungen die Krankheit der Mutter auf das Familienleben hat?
Hierbei ist neben der reduzierte Farbpalette aus graublauen Farbtönen und abgetöntem Rot vor allem die Figurendarstellung und das Interieur der Szenen zu nennen. Fridis Mutter habe ich sehr zart und zerbrechlich gezeichnet. Niedergeschlagen und antriebslos verbringt sie - auch tagsüber in ein blasses Nachthemd gekleidet - den Großteil der Zeit sitzend oder liegend. Sie wirkt in ihrer Zartheit wie ein ätherisches Wesen, vor allem im Kontrast zur Massigkeit des Vaters. In dessen Erzählung ist die Mutter eine Fee, daher habe ich ihren Rücken mit Flügeln ergänzt. Diese sind allerdings zunächst nur als gestrichelte Linie zu erkennen und erst am Ende der Geschichte, als sich die Mutter für den Klinikaufenthalt bereit macht, habe ich die Flügel komplett - und somit auch für Fridi sichtbar - dargestellt. Ich entferne mich also in den Bildern von einer realistischen Ebene und zeige die übertragene Deutung von der kranken Mutter als Fee. Um die seelische Verfassung von Fridis Mutter zu veranschaulichen, habe ich zudem das Interieur der Wohnung verwendet: gestapelte und aufgeschlagen herumliegende Bücher, vertrocknete Blumen, die ebenso schlaff in Vasen hängen wie die kraftlose Mutter im Sessel. Hinzu verweist der Text auf romantische Gedichte, die die Mutter liest und die eine melancholische Stimmung vermitteln. Sie sind am Ende des Bilderbuches in vollem Wortlaut abgedruckt. Ich habe diese Praxis des Verweisens aufgegriffen und die Wände der Wohnung mit Ikonen der Kunstgeschichte ausgestattet, die Schwermütiges darstellen, u.a. Arnold Böcklins Toteninsel und Edward Munchs Melancholie. Diese Hinweise zielen aber in erster Linie auf die erwachsenen Leser:innen, die den intermedialen Zusammenhang herstellen können.
Abb. 3: Cover des Bilderbuchs Meine Mutter, die Fee. (c) Krejtschi / Tulipan.
Gibt es Personen(gruppen), die Sie als Testleser:innen abrufen können, und deren Urteil Ihnen im Entstehungsprozess neuer Illustrationen wichtig ist?
Bei meiner Arbeit berate ich mich hin und wieder mit Menschen aus meinem direkten privaten und professionellen Umfeld. Vor allem meine fünfjährige Tochter ist mir dabei eine große Hilfe.
Welche Freiheiten haben Sie bei einer Auftragsarbeit, bei der es einen fertigen Text gibt, zu dem Sie sich bereiterklärt haben, die Illustrationen zu erschaffen?
Bei meinen bisherigen Kooperationen wurde mir immer sehr viel Freiheit eingeräumt. Dieses Vertrauen in mich schätze ich sehr. Sobald die Satzfassung des Textes feststeht, liegt die gestalterische Umsetzung in meinen Händen. Dabei achte ich natürlich auf die textlichen Vorgaben und halte Rücksprachen mit dem Lektorat, wobei ich immer offen für inhaltliche, konstruktive Kritik bin.
Welches Thema würden Sie gerne zeitnah bearbeiten?
Nachdem ich schon mehrere Balladen illustriert habe und daran große Freude hatte, würde mir ein solcher 'Klassiker' wieder einmal als Aufgabe gefallen. Zum Beispiel Goethes Totentanz. Ich habe auch schon eine Idee, wie ich die ganze Sache neu interpretieren würde. Das bleibt aber noch mein Geheimnis.
Danke für die Beantwortung der Fragen! Wir wünschen Ihnen alles Gute.
Ein von Dominik Achtermeier produzierter audiovisueller Zusammenschnitt des virtuellen Werkstattbesuchs im Sommer 2023 kann hier abgerufen werden und versteht sich als Ergänzung zum Interview.
Autorenfoto (oben): Tobias Krejtschi. (c) Rebecca Caicedo.