1. Bericht über Paolinis Lesung in München

Paolini Christoper Interview Pic 1Paolini unterhält sich mit dem Publikum. (C) Michael Stierstorfer

Mit einem Hut, den er sich beim gestiefelten Kater ausgeliehen haben könnte, tritt Christopher Paolini in der Münchener Hugendubel-Buchhandlung am Karlsplatz seinen Zuschauern gegenüber und zieht mit seiner Erscheinung alle Blicke auf sich. Während seiner Lesung plaudert Paolini häufig aus dem Nähkästchen. So verrät er, dass er als kleiner Junge selbst kein Lesefan gewesen sei und an der Buchkultur keine Freude gehabt hätte. Er hasste es sogar zu lesen. Seine Mutter, eine Montessori-Lehrerin, unterrichtete ihn zuhause. Als er am Ende seiner Schulzeit anlässlich der Abschlussprüfungen zum ersten Mal in seinem Leben eine echte Schule betrat, habe er einen riesigen Hut mit Feder an der Seite getragen, ein Erbstück. Er gibt zu, nicht gewusst zu haben, wie man sich an einer Schule kleidete. Diesen Hut trägt der Vierzigjährige auch an diesem Abend in München.

Lesen und Schreiben empfand Paolini lange als wahre Magie. Erst beim Sammeln erster Leseerfahrungen, die aus Langeweile während der Ferien entstanden seien, entdeckt er, dass man beim Lesen andere Leben leben kann und dass man als Autor bei der Leserschaft echte Emotionen erwecken kann. Sodann las Paolini ohne Ende und entwickelte ein besonderes Faible für fantastische Literatur. Alsbald schrieb Paolini eine erste Version von Eragon, wobei Eragon zunächst noch Kevin hieß. Erst nach mehrjähriger Überarbeitung sei aus dem Buch nach und nach eine kohärente Geschichte entstanden. Als sich seine freischaffenden Eltern ein Projekt überlegt haben, bei dem sie ihren Sohn fördern könnten, habe er ihnen das Buch gezeigt. Nach weiteren Überarbeitungen sei es im Eigenverlag gedruckt worden. Als es durch Zufall und zudem nach durchaus steigender Popularität einem großen Verleger in die Hände fiel, der an Paolinis Idee geglaubt habe, sei es zum großen Welterfolg geworden. Insgesamt ist Paolinis Lesung ein einzigartiges Ereignis. Paolini versteht es sehr gut mit seinem aufgeschlossenen Publikum zu interagieren und zu scherzen. Die lebendige Performance mit privaten Einblicken ist ähnlich einer Stand-Up-Comedyshow total witzig, ironisch und humorvoll.

Auch wenn Paolini aus manchen seiner Bücher nur ein oder zwei Sätze vorliest, vermittelt er durch Intonation und Erläuterungen stets einen verlässlichen Eindruck vom Gesamten. Die von ihm kreierten phantastischen Welten sind ihm derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass er die Fragen seiner enthusiastischen Fangemeinde spontan und messerscharf beantworten kann. Zwischen Autor und Fans herrscht merklich eine Atmosphäre großer gegenseitiger Wertschätzung und Anteilnahme. Obwohl Paolinis Bücher Spitzenplätze auf der Bestsellerliste der "New York Times" abonniert haben, ist der Autor persönlich alles andere als abgehoben. Einer seiner bemerkenswertesten Sätze ist: "Ich produziere lieber Medien, als dass ich sie konsumiere".

Drei kurze und unterschiedliche Einblicke in die unterhaltsame Lesung sind hier zu finden:

 

2. Interview mit Christoper Paolini

Mit Michael Stierstorfer und Markus Janka sprach er am Rande der Veranstaltung über seine literarischen Inspirationsquellen, über die Platzierung seiner Werke auf einem Streamingdienst und über die Relevanz seines aktuellen Werks Murtagh mit Blick auf die reale Welt.

Paolini Interview Pic 2Paolini auf der Bühne in der Buchhandlung Hugendubel am Karlsplatz / Stachus in München (C) Michael Stierstorfer

Was sind Ihre literarischen Inspirationsquellen für die Erschaffung Ihrer fabelhaft fantastischen Welten?

Die gesamte Fantasy und Mythologie, die ich als Kind gelesen, gesehen und gehört habe. Einige der üblichen Verdächtigen waren Der Hobbit und Der Herr der Ringe von Tolkien, Beowulf, Le Morte d’Arthur von Mallory, Die Trilogie Der Zauberer von Erdsee von Le Guin und Die Chroniken von Narnia von Lewis. Aber auch weniger bekannte Werke wie Der Wurm Ouroboros von Eddison, die Gormenghast-Trilogie von Peake und verschiedene Romane von moderneren Autoren wie Raymond Feist, Tad Williams, Octavia Butler und Andre Norton haben mich beeinflusst.

Und natürlich lieferten Star Trek, Star Wars, Babylon 5 und The Prisoner weitere Inspirationen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in der Eragon-Serie über eine Symbiose zwischen Menschen und Drachen zu schreiben?

Als Kind habe ich gerne über Drachen gelesen – das tue ich übrigens immer noch. Die Grubendrachen-Trilogie von Yolen, die Drachenreiter von Pern-Reihe von McCaffery und die Reihe Der Umgang mit Drachen von Patricia C. Wrede gehörten zu den Lieblingsbüchern in meiner Kindheit. Besonders inspiriert hat mich jedoch das Buch Jeremy Thatcher, Dragon Hatcher von Coville, ein bezauberndes Jugendbuch über einen Jungen, der in ein Antiquitätengeschäft geht und dort einen Stein kauft, der sich natürlich als Drachenei entpuppt.

Die Idee eines jungen Mannes, der ein Drachenei findet, gefiel mir so gut, dass ich anfing, mich zu fragen, aus welcher Welt ein Drache kommen würde, wie ein Ei mitten im Wald landen, wer es finden, wer noch danach suchen könnte und so weiter und so fort. Durch das Stellen und Beantworten dieser Fragen ‒ und noch vieler anderer ‒ konnte ich die Geschichte und die Welt des Zyklus der Vererbung aufbauen.

Was halten Sie von der Buchverfilmung Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter (USA 2006), die, trotz einer hochkarätigen Besetzung, der großartigen digitalen Effekte und der fesselnden Geschichte, kein Publikumserfolg war?

Es ist kein schrecklicher Film, aber es ist keine besonders gute Verfilmung, und das ist letztlich das Problem. Nur wenige der Dinge, die den Leuten in meinen Büchern gefallen, sind auch im Film zu sehen. (Ein Beispiel: Man wüsste nicht einmal, dass es in den Büchern Elfen und Zwerge gibt, wenn man nur den Film sieht.)

Mit Ihren fantastischen Werken über das Land Alagaësia haben Sie einen breiten Kosmos magischer Geschichten geschaffen. Gibt es Pläne für eine Serie, die diese beliebten Erzählungen auf einen Streaming-Dienst wie Netflix oder Disney + bringt?

Ja, Disney + entwickelt derzeit Eragon als Fernsehserie für seinen Sender. Ich bin sowohl als ausführender Produzent als auch als Co-Autor beteiligt. In ähnlicher Weise wird auch To Sleep in a Sea of Stars (oder Infinitum, wie es auf Deutsch heißt) als Fernsehserie entwickelt, bei der ich in ähnlicher Funktion tätig bin.

Hoffentlich wird die Fernsehadaption von Disney + das Gefühl der Figuren, der Welt und der Geschichte besser einfangen als die gerade thematisierte Adaption als (Kino-)Film.

Wie sind Sie nach dem High-Fantasy-Werk Eragon auf die Idee gekommen, mit Infinitum ins Science-Fiction-Genre zu wechseln?

Ich bin damit aufgewachsen, ebenso viel Science-Fiction wie Fantasy zu lesen, und ich liebe es, mir die Zukunft vorzustellen, von der ich fest überzeugt bin, dass sie den Menschen zwischen den Sternen gehören wird. Es hat Spaß gemacht, eine Zeit lang mit diesen Ideen zu spielen. Außerdem konnte ich durch den Wechsel mein Vokabular auffrischen, neue Dinge lernen und einige Geschichten erzählen, die in der Welt von Eragon unmöglich gewesen wären.

In dem gerade erwähnten Roman geht es um den Drachenreiter Murtagh und seinen Drachen Dorn, die einst, wenn auch widerwillig, auf der Seite des Bösen standen. Sind diese beiden Figuren negative Inkarnationen von Eragon und Saphira?

Bis zu einem gewissen Grad schon, aber sie sind auch sehr eigenständig, denn ihre Lebenserfahrungen sind ganz anders als die von Eragon und Saphira. Und sie sind sich dieses Unterschieds bewusst. Das ist etwas, worüber Murtagh im Laufe des Buches mehrmals nachdenkt. Aber selbst wenn Murtagh und Thorn unter denselben Umständen wie Eragon und Saphira aufgewachsen wären, wären sie meiner Meinung nach immer noch sehr verschieden. Thorn hat einen viel ausgeprägteren Sinn für Humor als Saphira, und selbst in den besten Zeiten würde Murtagh immer mehr zum Grübeln neigen als Eragon.

Das Motiv des Drachens spielt in den meisten Ihrer Werke eine zentrale Rolle. Was fasziniert Sie so sehr an dieser Art von Wesen? Spielt die Drachensymbolik auch in Ihrem Privatleben eine Rolle?

Drachen und drachenähnliche Kreaturen tauchen in Mythen und Legenden auf der ganzen Welt auf, und sie werden immer mit der Erschaffung (und Zerstörung!) der Welt sowie mit der Gesundheit des Landes selbst in Verbindung gebracht, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Godzilla zum Beispiel ist ein moderner Drache. Kein anderes mythologisches Wesen hat so viel symbolisches Gewicht, und das ist vom Standpunkt der Erzählung aus gesehen unwiderstehlich.

Und auch aus reiner Unterhaltungssicht: Drachen sind so etwas wie die coolere Version der Dinosaurier. Sie können fliegen! Sie können Feuer spucken! Und das Beste ist, dass viele von ihnen sprechen können! Was kann man daran nicht mögen?

Ihr Roman Murtagh spielt in einer archaischen, scheinbar längst vergangenen Zeit. Welche Relevanz hat Ihr Werk dennoch?

Die ältesten Geschichten der Menschheit sind allesamt Fantasy. Das Gilgamesch-Epos, die Ilias und die Odyssee, Beowulf, und so weiter und so fort. Diese Geschichten haben die Jahrtausende überdauert, weil sie sich mit den tiefsten Fragen und Trieben unserer Spezies auseinandersetzen. Und nicht nur das: Die Phantastik ermöglicht es uns, Dinge, die sonst innerlich sind, nach außen zu tragen, was dem Genre ein enormes dramatisches Potenzial verleiht. Es spielt keine Rolle, ob Sie über Magie oder Drachen oder etwas anderes ebenso Fantastisches schreiben ‒ nicht solange Ihre Geschichte in den sehr realen Gefühlen und Problemen der Figuren verankert bleibt. Denn das ist es, was uns interessiert und worauf wir reagieren. Und solange Menschen Menschen bleiben, wird die Phantastik weiterhin bei Lesenden auf der ganzen Welt Anklang finden.

Was die konkrete Relevanz meiner Arbeit angeht. Ich denke gerne, dass die Leser sich in meinen Figuren wiedererkennen können, auch wenn sich ihre Lebensumstände radikal von denen eines modernen Menschen unterscheiden. Ich setze mich oft mit Fragen des Individuums gegenüber der Gesellschaft, der Moral der Gewalt und der Wichtigkeit (und Schwierigkeit), das Richtige zu tun, auseinander. Dabei versuche ich, unterhaltsame Geschichten zu erzählen, die den Leser mit einem besseren Gefühl zurücklassen, als er sie begonnen hat.

Sie sind derzeit mit Ihrer Lesereise in Deutschland unterwegs. Wie gefällt es Ihnen hier? Sammeln Sie hier vielleicht sogar Ideen für neue Projekte?

Ich bin auf meinen Lesereisen immer gerne in Deutschland. Meine deutschen Leser gehören zu den leidenschaftlichsten und interessantesten der Welt, und sie beeindrucken mich immer wieder mit ihrer Liebe zur Serie. (Die Anzahl der Tattoos, die ich in Anlehnung an die Bücher gesehen habe, war ziemlich erstaunlich.) Und ja, ich habe vielleicht immer dann ein paar neue Ideen für Geschichten bekommen, wenn ich Ihr Land besucht habe.

Vielen Dank für Ihre wertvolle Zeit, unsere Fragen zu beantworten!    

Sehr gerne! Vielen Dank für die ausgezeichneten Fragen. Ich hoffe, meine Antworten helfen Ihnen weiter.

Definitiv!

 

Hier geht es bei Interesse zur englischen Original-Version des Interviews.