Im Leben eines Jugendlichen gibt es laut Studien ca. zwei Leseknicks. Wie könnten Lehrkräfte noch lesemotivierender auf Jugendliche einwirken?

StMUK: Die Lehrkräfte spielen eine wichtige Rolle dabei, die Kinder und Jugendlichen im Unterricht und darüber hinaus für das Lesen zu motivieren. Sie dienen nicht nur als Vorbilder, sondern können durch die Wahl einer für die jeweilige Altersgruppe interessanten Lektüre im Unterricht und passender Lesetipps für zuhause die Begeisterung für das Lesen wecken. Auch durch den Besuch von Lesungen, Literaturfestivals, Kinovorstellungen und Leseevents können sie entscheidende Impulse setzen. Eine Möglichkeit, neue spannende Bücher zu entdecken und gleichzeitig bedeutende Jugendbuchautoren kennenzulernen, bietet zum Beispiel das „White Ravens Festival für Internationale Kinder- und Jugendliteratur“, das in diesem Jahr im Juli in München und an vielen verschiedenen Orten in ganz Bayern stattfinden wird. Zudem können Lehrerinnen und Lehrer Kinder und Jugendliche motivieren, indem sie jenseits des eigenen Unterrichts verschiedene lesefördernde Aktionen zum Beispiel in der Schulbibliothek organisieren und dafür sorgen, dass die Schulbibliothek über ein vielseitiges und aktuelles Leseangebot verfügt, das Mädchen und Jungen gleichermaßen anspricht.

Entscheidend ist, dass schon möglichst früh die richtigen Weichen für eine gelingende Lesesozialisation gestellt werden. Auch die Eltern und später die Peers spielen dabei eine entscheidende Rolle. Nachweislich lesen Kinder aus Familien, in denen gelesen wird und denen schon als kleinen Kindern vorgelesen wurde, auch später selbst mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier alle mithelfen, um die lebenslange Freude am Lesen zu fördern.

Jugendliche kommen täglich mit Apps in Berührung. Gibt es in Ihrem Ministerium Pläne, wie man literarische Apps und Games stärker in den Deutschunterricht integrieren könnte? 

StMUK: Da nun eine wachsende Anzahl an Schülerinnen und Schülern im Zuge der voranschreitenden 1:1- Ausstattung über ein eigenes digitales Endgerät im Unterricht verfügt, ist es sinnvoll, wenn auch digitale Tools im Unterricht zur Anwendung kommen. Inzwischen gibt es auch sehr viele Apps, die zum Beispiel das Brainstormen oder die Textverarbeitung erleichtern, das Leseverstehen vertiefen, die Leseflüssigkeit trainieren oder zum Lesen motivieren und damit sinnvoll in den Unterricht integriert werden können. Wie sinnvoll eine digitale Methode im Unterricht ist, hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel von der Altersgruppe und der individuellen Klassensituation sowie den einzelnen Lernbereichen des LehrplanPLUS und seinen Lernzielen. Entscheidend ist, dass die Lernziele des Faches im Vordergrund stehen und nicht die einzelne Methode. Wenn Apps einen größeren Beitrag für den Kompetenzerwerb und die Vermittlung der Lernziele leisten können, ist deren Einsatz sehr zu begrüßen.

Wie stehen Sie zu KI-generierter Kinder- und Jugendliteratur? Gibt es Unterrichtsprojekte, in denen Schülerinnen und Schüler lernen sollen, Literatur mit KI zu generieren?

StMUK: Die Chancen und die Risiken bei der Nutzung für den Unterricht müssen genau abgewogen werden. KI-Assistenten als Schreibtutoren können zum Beispiel unsere Schülerinnen und Schüler sicherlich beim Schreibprozess unterstützen. Das zeigen auch schon erste Forschungsergebnisse in diesem Bereich. Das Kultusministerium unterstützt die bayerischen Lehrkräfte hier aktiv mit Hinweisen, Materialien sowie Fortbildungsangeboten und ermuntert diese dazu, im Unterricht unterschiedliche KI-Tools gewinnbringend einzusetzen.

Welchen Stellenwert hat Kinder- und Jugendliteratur (KJL) in Ihrem Leben?

Kultusministerin Anna Stolz: „Bei meinen Schulbesuchen spielt der Lektüreunterricht immer wieder eine große Rolle. Hier sehe ich, wie viel Spaß Kindern und Jugendlichen der Umgang mit Literatur macht, gerade wenn ich ihnen selbst einmal vorlese. Ich bin überzeugt davon, dass die Fähigkeit, sicher lesen zu können, nicht nur eine Schlüsselkompetenz für den Erfolg in Schule und Beruf ist, sondern dadurch auch Empathie, Kreativität und kritisches Denken gestärkt werden. Kinder- und Jugendliteratur ermöglicht es jungen Menschen, andere Perspektiven kennenzulernen, sich in verschiedene Lebenswelten hineinzudenken und dabei eigene Ideen zu entwickeln. Deswegen liegt mir auch die frühzeitige Leseförderung sehr am Herzen.“

Mit welcher Kinder- und Jugendliteratur sind Sie aufgewachsen? Was waren Ihre Lieblingsbücher?

Kultusministerin Anna Stolz: „Als Kind und auch später noch als Jugendliche war ich eine richtige Leseratte. Auch heute noch lese ich unglaublich gerne, obwohl es zeitlich oft nicht so leicht mit meiner Arbeit als Kultusministerin zu vereinbaren ist. Besonders die Geschichten von Astrid Lindgrens ‚Pippi Langstrumpf‘ haben mich fasziniert, denn sie hat mir gezeigt, dass man die Welt auch einmal anders sehen darf. Außerdem gefällt mir Michael Endes ‚Momo‘ sehr, weil das Werk zeigt, wie wertvoll Zeit, Freundschaft und aufmerksames Zuhören sind – eine Botschaft, die in unserer schnelllebigen Gesellschaft besonders wichtig ist.“

Wie sieht für Sie der ideale Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur im Unterricht aus?

Kultusministerin Anna Stolz: „Ich sehe Kinder- und Jugendliteratur als Spiegel unserer Gesellschaft mit all ihren Facetten. Sie vermittelt Werte, regt zur Diskussion an und fördert Toleranz. Gerade in einer immer komplexeren Welt wie der heutigen brauchen junge Menschen Geschichten, die sie in ihrer Persönlichkeit stärken, ihnen Mut machen und Orientierung bieten. Neben dem Unterhaltungsfaktor, der natürlich nicht fehlen darf, sehe ich in der Kinder- und Jugendliteratur im Unterricht auch ein starkes Mittel, um Integration und Inklusion zu fördern. So bekommen junge Menschen die Möglichkeit, sich selbst in den Geschichten wiederzuerkennen, aber auch Verständnis für das ‚Anderssein‘ zu entwickeln.“

Was halten Sie von Literaturverfilmungen - privat, aber auch als Unterrichtsgegenstand?

Kultusministerin Anna Stolz: „Aus meiner Sicht sind Literaturverfilmungen eine wertvolle Ergänzung zur Lektüre. Filme können Texte noch einmal auf ganz anderen Kanälen zugänglich machen, Emotionen und Stimmungen visuell verstärken und so auch das Verständnis erleichtern. Die Charaktere werden ja oft auch durch tolle Schauspielerinnen und Schauspieler verkörpert, das macht Filme sicher attraktiv. Besonders im Unterricht bieten sie auch dahin gehend einen Mehrwert, dass auf diese Weise die Medienkompetenz aufgebaut und somit die sogenannte ‚visual literacy‘, d.h. die Wirkung von Bildern zu reflektieren, trainiert wird. Man kann mit den Schülerinnen und Schülern z.B. auch wunderbar den Einsatz von filmischen Gestaltungsmitteln, Kameraperspektiven, Beleuchtungseffekten analysieren und die Darstellung im Film mit dem Text vergleichen. Das hat mir als Schülerin immer sehr viel Spaß gemacht. Trotzdem hätte ich meistens nicht darauf verzichten wollen, das Buch auch wirklich selbst zu lesen.“

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft, um Schülerinnen und Schüler noch mehr zu regelmäßigen Leserinnen und Lesern zu machen?

Kultusministerin Anna Stolz: „Lesen ist eine Bereicherung fürs Leben und das sollen auch unsere Schülerinnen und Schüler so empfinden. Ich bin dankbar für die vielen tollen Initiativen, die wir z. B. gemeinsam mit der Stiftung Lesen durchführen. Hier denke ich an die Aktion „Ich schenk‘ dir eine Geschichte!“, bei der Büchergutscheine am Welttag des Buches an Schülerinnen und Schüler der 4. und 5. Jahrgangsstufe verteilt werden. Diese Aktion ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass Leseförderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Gerade im digitalen Zeitalter bleibt die Lesekompetenz der Schlüssel für schulischen und beruflichen Erfolg sowie für gesellschaftliche Teilhabe. Dementsprechend ist die Förderung der Lesekompetenz im LehrplanPLUS im Rahmen der Sprachlichen Bildung als zentrales schulart- und fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel in Bayern fest verankert. Zudem betont die mehrjährige Leseförderungsinitiative #lesen.bayern diese als Daueraufgabe aller Fächer und aller Lehrkräfte. Insbesondere mit dem Leitfaden „Fit im Fach durch Lesekompetenz“ und dem Online-Unterstützungsportal www.lesen.bayern.de werden die bayerischen Lehrkräfte dabei mit Hinweisen, Anregungen und zahlreichen Materialien unterstützt. Diese verschiedenen Formen der Kooperation haben sich in den letzten Jahren sehr bewährt und wir halten deshalb auch in Zukunft daran fest. Zudem setzen wir beim Thema Leseförderung auf moderne Medien, um auch in der digitalen Welt das Lesen weiterhin spannend und motivierend zu machen. Wer liest, sieht die Welt mit anderen Augen – unsere Aufgabe ist es, jungen Menschen dies bewusst zu machen.“

Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen und viel Erfolg für all Ihre weiteren Lese- und Literatur- bzw. Unterrichtsprojekte!