In Elefanten sieht man nicht widmet sich Kreller einfühlsam und aus Kinderperspektive dem Tabuthema Kindesmissbrauch: Die dreizehnjährige Protagonistin Mischa verbringt ihre Sommerferien seit dem Tod der Mutter bei ihrer Großmutter in einem verschlafenen Dorf. Sie lernt die jüngeren Nachbarskinder Max und Julia kennen und stellt schnell fest, dass diese von ihrem Vater misshandelt werden. Als keiner der Erwachsenen auf Mischas Warnungen hören will, versucht Mischa auf eigene Faust, ihren Freunden zu helfen.

Katarina Semke: Warum haben Sie sich für die englische Redewendung "The elephant in the room" entschieden und nicht für eine deutsche mit einer ähnlichen Bedeutung?

Susan Kreller: Meiner Meinung nach gibt es im Deutschen nichts, was der Phrase "the elephant in the room" auch nur annähernd entspricht. Auch die Redewendung "den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen" hat eine vollkommen andere Konnotation.

Was fasziniert Sie an (dem Symbol des) Elefanten?

Die Größe, die Würde, das traurige Gesicht. Und an "The elephant in the room": Genau das ist es, was ich in meinem Buch sagen wollte. Ich habe dafür nur ein paar Wörter mehr gebraucht.

Warum haben Sie die anderen Kinder in dem Buch Max gerade als Elefanten bezeichnen lassen? Hat er eine besondere Verbindung zu dem Sprichwort beispielsweise weil er noch kleiner und verletzlicher ist als seine Schwester?

Ehrlich gesagt hat sich das beim Schreiben so ergeben. Und das Motto habe ich dem Buch erst vorangestellt, als der Text schon fertig war. Ja, man kann sagen, alles Elefantige hat sich einfach so ergeben. Das ist ja das Schöne am Schreiben. Nicht alles entspringt einem präzisen Plan.

Warum war es Ihnen wichtig, dass Maschas Großvater seine Enkelin und damit auch die Leserinnen und Leser darüber aufklärt, dass Elefanten keineswegs wissen, wann sie sterben werden?

Ich dachte einfach, dass das passt. Und wenn man an Max zurückdenkt, wird dadurch sein Sterbengehen ein wenig relativiert. Außerdem kommt es im Buch häufiger vor, dass Festgefahrenes wieder Bewegung kommt.

Elefanten sagt man bekannterweise große Weisheit nach und ihr Klappentext endet mit den Worten: "[M]anchmal ist es besser, etwas Falsches zu tun, als gar nichts." Wollen Sie Maschas Verhalten (die Entführung von Julia und Max) oder das der beiden Geschwister (sie rechtfertigen die Misshandlungen ihres Vaters) als Kontrast zu dieser Weisheit darstellen?

Das ist ein sehr schöner Gedanke. Beim Schreiben habe ich daran aber nicht gedacht. Aber es passt gut.

Warum haben sie die Szene hinzugefügt, in der Julia Mascha erzählt, dass Max schon einmal sterben gehen wollte?

Um das Leid von Max fühlbar zu machen. Und zwar nicht durch viele explizite Gewaltszene. Ich glaube, diese  Max-Szene tut dem Leser viel mehr weh. (Allerdings eher erwachsenen Lesern, glaube ich.)

Haben Sie sich allein aufgrund der Redewendung für das Symbol des Elefanten entschieden?

Siehe oben. Den Hinweis, dass es diese Redewendung gibt, habe ich von einer Freundin bekommen, die ein sprachwissenschaftliches Buch über das Schweigen geschrieben hat.

Was ist die erste Assoziation, die Ihnen in den Kopf kommt, wenn Sie an Elefanten denken?

Stille.

Susan Kreller, 1977 in Plauen geboren, studierte Germanistik und Anglistik und promovierte über deutsche Übersetzungen englischsprachiger Kinderlyrik. Sie lebt mit ihrer Familie in Bielefeld und arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Ihr Roman Elefanten sieht man nicht wurde für den Jugendliteraturpreis 2013 nominiert. (Zur Rezension gelangen Sie hier.) Ihre neueste Publikation ist der von ihr herausgegebene Gedichtband Der beste Tag aller Zeiten - Weitgereiste Gedichte, für den Sabine Wilharn die Illustrationen erarbeitet hat.