Inhalt
Ein großes Schiff befördert zunächst wichtige Leute, dann nur noch Lasten. Es wird als Fischereischiff eingesetzt und schließlich verlassen.
Eine wichtige, reiche Familie verliert nach und nach ihre Habe und muss an einen trostlosen Ort ziehen.
Auf dem verlassenen Schiff kehrt wieder Leben ein: Obdachlose Menschen, unter ihnen die Familie, richten es liebevoll her und machen es zu einem schönen und fröhlichen Zuhause.
Kritik
Wie die Zeit vergeht wird bereits im Klappentext als eine "Metapher für die Vergänglichkeit des Glücks" beworben. Somit wird schnell klar, dass es sich hier nicht um eine simple Kindergeschichte handelt, sondern um wichtige menschliche Erfahrungen und komplexe Zusammenhänge geht.
Der in Argentinien lebende Künstler José Sanabria erzählt darin in wenigen poetischen Sätzen und dezent farbigen, zunächst naiv wirkenden Illustrationen von Schiff und Menschen. Seine Bilder, Aquarelle mit Collageelementen, eröffnen bei aller Einfachheit immer wieder spannende Perspektiven und Ausschnitte. Die Handlung ist in drei Kapitel aufgeteilt, eine ungewöhnliche Entscheidung im Bilderbuchbereich, die hier aber großen Sinn ergibt: Die Abschnitte "Das Schiff", "Die Familie" und "Der Aufbruch" werden jeweils abgetrennt durch eine eigene illustrierte Zwischentitelseite. Die Handlungsstränge der ersten beiden Kapitel, die parallelisiert jeweils den Niedergang des Schiffes und der Familie behandeln, werden im letzten Teil des Buches zusammengeführt und münden in das hoffnungsfrohe Ende. Was möglicherweise naiv klingen mag, ist es nicht. Eher könnte man von einem märchenhaften Schluss sprechen. Zugleich werden die Anstrengungen und Einschränkungen, die die Wiederherstellung des Schiffes mit sich bringen, insbesondere im Bild sehr deutlich.
Als Identifikationsfigur für junge Rezipientinnen und Rezipienten dient auf Bildebene ein kleiner Junge im Matrosenanzug, der sich für Schiffe begeistert und Teil der verarmenden Familie ist. Diese Familie wird zudem auch auf dem Luxusschiff zu Beginn des Buches gezeigt, ohne dass dieser Zusammenhang im Text erwähnt wird. Am Ende der Handlung zeigen die Bilder den Jungen, der mittlerweile ein junger Mann geworden ist, als wichtigen Teil der Schiffsbesatzung und begleitet von einer Frau. Auf der letzten Seite, worauf das fröhliche Zusammenleben der Menschen auf dem Schiff zu sehen ist, werden die ersten beiden Sätze des Buches wiederaufgenommen: "Es war einmal ein Schiff, das fuhr im Licht der Sonne. Es hatte wichtige Leute an Bord", heißt es dort. So zeigt der Schluss, dass sich im Verlauf der Zeit zwar alles geändert hat, das Glück aber wieder hervorkommen kann und dass der Wert eines Menschen nicht durch gesellschaftliche Stellung und Besitz definiert ist: eine sehr positive Grundaussage, die aber nicht explizit und unangenehm moralisierend formuliert wird.
Das Gesamtbild des Buches rundet die sehr hübsche und persönliche Widmung mit einer Kinderzeichnung des Autor-Illustrators ab, die sein erstes gezeichnetes Schiff darstellt. Vorsatzpapiere und Titel sind ebenfalls beziehungsreich gestaltet.
Bedauerlicherweise gelangen Bilderbücher südamerikanischer Künstler nur äußerst selten auf den deutschsprachigen Markt. Umso erfreulicher, dass der Züricher NordSüd Verlag Sanabrias Wie die Zeit vergeht nun herausbringt. Er legt damit jungen Leserinnen und Lesern ab sechs Jahren eine ruhige, aber besondere Geschichte vor, die zum Sprechen und Denken über Wohlstand, Heimatverlust, Zufriedenheit und Tatkraft anregt.
Fazit
Wie die Zeit vergeht erzählt davon, wie vergänglich Reichtum und Glück sein können. In wenigen Sätzen und naiv wirkenden Bildern wird trotz dieser Erkenntnis vor allem die Hoffnung vermittelt: Es ist möglich, sich aus einer schwierigen Lage heraus gemeinsam und mit Tatkraft wieder ein fröhliches Leben zu schaffen.
- Name: José Sanabria
- Name: Gabriela Stöckli
- Name: José Sanabria