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Giancaldo gegen Ende der 40er Jahre. Wenngleich der Zweite Weltkrieg vorbei ist, sind noch nicht alle Soldaten in ihre kleine sizilianische Heimatstadt in der Nähe von Palermo zurückgekehrt. So sind die Straßen und Plätzchen der verwinkelten Stadt hauptsächlich von alten Männern, jungen und alten Frauen und einem Haufen kleiner Kinder bevölkert. Nicht die Kirche ist das soziale Zentrum der Gemeinschaft, sondern das Kino, das nicht von ungefähr architektonisch an ein Gotteshaus erinnert. Und wie es sich für ein sittenfestes Dorf gehört, prüft Padre Adelfio (Leopoldo Trieste) gewissenhaft jeden neuen Film auf ungehörige Szenen. Jedes Mal, wenn sich ein Paar auf der Leinwand küsst, klingelt er seine kleine Glocke im leeren Zuschauerraum – das Zeichen für Alfredo (Philippe Noiret), den Dorfprojektionisten, die entsprechenden Stellen auf der Filmrolle zu markieren, um sie später kopfschüttelnd und mit sarkastischem Gesichtsausdruck herauszuschneiden.

Unter den vielen analphabetischen Kinobesuchern gibt es einen besonders enthusiastischen Cinéphile: der kleine Salvatore, von allen Totò genannt, so wie der berühmteste aller italienischen Filmkomödianten. Jeden Nachmittag und Abend sitzt er zusammen mit den anderen Besuchern mit großen Augen vor der Leinwand und bewundert die fantastischen Lichtspiele des Kinos.

Noch faszinierender als die tönenden Bewegtbilder auf der Leinwand findet Totò allerdings den Projektionsraum. Heimlich an der Tür zum Raum lauernd beobachtet er aufmerksam jeden Handgriff Alfredos und verinnerlicht jeden einzelnen seiner Arbeitsschritte. Auch von den unzähligen Filmschnipseln kann er seine Finger nicht lassen, die er heimlich mitnimmt und in einer Dose aufbewahrt.

Nach anfänglichem Widerstand der Mutter darf Totò Alfredo bei seiner Arbeit helfen. Eines Tages entzündet sich jedoch das leicht entflammbare Filmmaterial im Projektor. Erst in letzter Sekunde kann Totò den schwer verletzten Alfredo aus dem lichterloh brennenden Kino retten. Da Alfredo fortan erblindet ist, wird Totò wird sein Nachfolger im bald wieder aufgebauten Nuovo Cinema Paradiso.

Mittlerweile ein junger Mann (und nun gespielt von Marco Leonardi), verliebt sich Totò in Elena (Agnese Nano), die Tochter eines Bankdirektors. Nach anfänglich erfolglosem Werben beginnt Elena eine heimliche Beziehung mit dem jungen Mann, doch das Liebespaar verliert sich schließlich aus den Augen: Während Totò zum Militärdienst eingezogen wird, zieht Elena mit ihrer Familie in die Toskana. Dies erleichtert es Alfredo, den Jungen seiner wahren Bestimmung zuzuführen: Totò soll Sizilien verlassen und nach Rom gehen, um dort ein erfolgreicher Filmemacher zu werden. Totò folgt schließlich dem Rat seines Mentors und wird in Cinecittà zu einer Berühmtheit.

30 Jahre, nachdem er seine Heimatstadt verlassen hat, kehrt Salvatore (nun gespielt von Jacques Perrin) als erfolgreicher, aber privat unglücklicher Mann nach Giancaldo zurück, um der Beerdigung von Alfredo beizuwohnen. Der Besuch wird für ihn zu einem Spaziergang durch die Erinnerungen an sein früheres Leben. Der Director’s Cut des Films baut die Erzählhandlung weiter aus: Salvatore trifft Elena wieder und findet heraus, dass Alfredo seinen Anteil daran hatte, dass sich das junge Liebespaar aus den Augen verlor.

Abb.1: Screenshot aus Nuovo Cinema Paradiso (1989). Verleih: Concorde

Kritik

Giuseppe Tornatores Nuovo Cinema Paradiso galt bereits kurz nach Erscheinen als Filmklassiker. Das Melodrama ist ein nostalgischer Ausflug in die Welt des klassischen Kinos und des ländlichen Siziliens und geradezu eine filmische Umsetzung der Worte des Filmphilosophen Stanley Cavells. Für diesen sind "memories of movies are strand over strand with memories of my life" (Cavell, The World Viewed, Seite xix). Die Nostalgie des Films zeigt sich auch an den wiederkehrenden Filmszenen aus Filmklassikern der 40er und 50er Jahre, die zum Zeitpunkt der Filmhandlung im Kino laufen. Darunter finden sich Filme von Fellini, Renoir und Visconti.

So sehr Nuovo Cinema Paradiso ein Film über die lebensverändernde Kraft des Kinos und über unerfüllte Liebe ist, so sehr ist er auch eine Meditation über die Konsequenzen eines Lebens, das mit und im Kino gelebt wird.Weder Totò noch Alfredo werden wirklich glücklich, wenngleich beide sicherlich erfüllte Leben führen. Alfredo beobachtet tagein, tagaus das gelebte und projizierte Leben vor den Fenstern seines Projektionsraums, doch selbst scheint er nicht daran teilzunehmen. An seiner Statt ist es Totò, der in die große weite Welt hinausgeht und die Träume seines Mentors erfüllt. Doch auch Totò wird nicht glücklich – zu grau und eingefallen wirkt das Gesicht des gealterten Salvatore im Vergleich zu dem aufgeregten, strahlenden Gesicht des kleinen Totò und dem intensive, melancholischen Gesicht des jugendlichen Totò.

Auf gewisse Weise ist das cinema paradiso als Stellvertreter des Kinos nicht freundlich zu seinen Bewohnern gewesen: Es hinterlässt Alfredo blind und mit einem vernarbten Gesicht, ("You end up with egg on your face" wie Alfredo sagt, timecode: 01:02:26), und Totò findet zwar Ruhm, aber nicht Liebe im Filmbusiness. Für beide bestätigt sich Alfredos Weisheit: "Life is not what you see in films. Life is… harder" (timecode: 01:54:33). So entfacht und nährt das Kino zwar Träume, doch letztendlich hat ein Leben, das im Kino und mit dem Kino gelebt wird, den bittersüßen Geschmack des Eskapismus.

Tornatores ambivalente Liebeserklärung an das Kino erzählt die Handlung seines von autobiographischen Details beeinflussten Films über ein Nebeneinander von Gegenwartsszenen und ausgedehnten Rückblenden in die Kindheit und Jugend Totòs. Diese nehmen auch den größen Teil des Films ein. Nuovo Cinema Paradiso ist ein Kindheitsfilm, ein Film darüber, was es bedeutet, im und mit dem Kino aufzuwachsen, und es ist ein Film über die Folgen, die dieses Leben auch für einen erwachsenen Menschen haben können.

Neben der Kinofassung, die sich fast ausschließlich auf die Beziehung zwischen Alfredo und Totò konzentriert, existiert ein ca. 50 Minuten längerer Director’s Cut, der die Erlebnisse Salvatores nach seiner Heimkehr deutlich ausbaut: Durch Zufall findet er Elena wieder, die mittlerweile mit einem früheren Klassenkameraden Totòs verheiratet ist. Sie verbringen eine Nacht miteinander und finden während ihrer Gespräche auch heraus, dass Alfredo damals eine bedeutende Rolle dafür spielte, dass sie sich aus den Augen verloren: Kurz vor ihrer Abreise wollte Elena Totò noch eine Nachricht mitsamt neuer Adresse hinterlassen, fand jedoch nur Alfredo im Kino vor. Dieser hat Totò jedoch nie Elenas Botschaft mitgeteilt.

Der – unter Filmkritikern umstrittene – Director’s Cut zielt auch angesichts der Länge von 170 Minuten vor allem auf ein erwachsenes Publikum. Die deutlich verspieltere Kinofassung dürfte jedoch auch kinoaffinen Jugendlichen und Kindern gefallen. So oder so ist Nuovo Cinema Paradiso ein wunderbares Vehikel, um einem jungen Publikum das europäische Kino der 40er und 50er Jahre zu vermitteln, die hier nicht als schwarz-weiße Relikte einer längst vergangenen Zeit, sondern als lebendiger Teil des Alltagslebens einer Dorfgemeinschaft präsentiert werden.

Tornatores grundsätzlich realistischer Filmstil wird immer wieder durchsetzt mit fantastischen Elementen, etwa wenn das steinerne Löwengesicht vor dem Projektionsloch für den kleinen Totò im Kinosaal zum Leben erwacht. Die in warmen, gesättigten Farbtönen gedrehten Szenen im Giancaldo der 40er und 50er Jahre stehen in deutlichem Kontrast zu den ausgebleichten Gegenwartsszenen, die in einer von grauem Beton und omnipräsenten Werbeplakaten geprägten Umgebung spielen. Das eigentliche Stimmungsmittel ist jedoch die elegische Filmmusik von Ennio und Andrea Morricone, die subtil genau die nostalgische Stimmung erzeugt, die Tornatore beabsichtigt.

Abb.2: Screenshot aus Nuovo Cinema Paradiso (1989). Verleih: Concorde

Fazit

Der moderne Filmklassiker Nuovo Cinema Paradiso ist ein wunderbarer Ausflug in die Welt des klassischen Kinos. Wer sich als Kinoliebhaber bezeichnet, sollte Tornatores nostalgisches Melodrama gesehen haben. Auch ein jüngeres Publikum dürfte sich für den kleinen und jugendlichen Totò begeistern können, während die Vergangenheitsreise des erwachsenen Salvatore vor allem auf das Verständnis erwachsener Rezipienten stoßen dürfte.

Abb.3: Screenshot aus Nuovo Cinema Paradiso (1989). Verleih: Concorde

Titel: Nuovo Cinema Paradiso
Regie:
  • Name: Tornatore, Giuseppe
Drehbuch:
  • Name: Tornatore, Giuseppe
Erscheinungsjahr: 1989
Dauer (Minuten): 118 (Kinofassung), 168 (Director's Cut)
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 12 Jahre
Format: Kino